Bella Figura. Europäische Bronzekunst in Süddeutschland um 1600

„Bella Figura. Europäische Bronzekunst in Süddeutschland um 1600“
Zur Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum München 6. Februar bis 25. Mai 2015

Von Caroline Mang und Julia Strobl (Wien/Nürnberg)

Der für den Augsburger Handelsherrn Wolfgang Paller d. J. um 1590/93 von Hubert Gerhard (1545/50–1620) geschaffene Fliegende Merkur , seit 2012 Dauerleihgabe der Ernst von Siemens Kunststiftung im Bayerischen Nationalmuseum, gab den Anstoß für die Ausstellung in München, die ihn im Kontext seiner Entstehungszeit präsentierte. Der Schwerpunkt lag auf der florentinischen Bronzeplastik der Spätrenaissance sowie deren Rezeption nördlich der Alpen. Die Ausstellung Bella Figura.

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Quelle: http://fnzinfo.hypotheses.org/744

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SCHLOSS BAU MEISTER. Andreas Schlüter und das barocke Berlin

Zur Ausstellung im Berliner Bode-Museum vom 4. April bis 24. August 2014

Von Caroline Mang und Julia Strobl (Wien)

Anlässlich des 300. Todesjahres von Andreas Schlüter (1659/60–1714) widmet das Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel dem Hofbildhauer und Archi­tekten des barocken Berlin eine Ausstellung, die vor allem sein Wirken am brandenburgisch-preußischen Hof fokussiert. Es ist dies nach 50 Jahren die zweite monographische Präsentation, wobei sich die Ge­dächtnisausstellung von 1964 vorwiegend dem bild­hauerischen Schaffen Schlüters näherte und es in den Kontext mit der Plastik seiner Zeit stellte.1 Der Wiederaufbau des nach Schlüters Plänen errichteten Berliner Stadtschlosses, der gerade nach Entwürfen des Archi­tekten Franco Stella unternommen wird, ist, so der Direktor der Skulpturensammlung am Bode-Museum Bernd Lindemann, aktuelles Motiv, sich insbesonde­re mit Andreas Schlüter als Baumeister auseinanderzusetzen. Der Kurator der Ausstellung Hans-Ulrich Kessler ist Herausgeber des umfangreichen Kata­logs Andreas Schlüter und das barocke Berlin sowie des ergänzenden Stadtführers Schlüter in Berlin, der die noch erhaltenen Werke und Bauten Schlüters im urbanen Raum erschließen soll.2

Die Geburt Andreas Schlüters in Danzig um das Jahr 1660 wird in der kunsthistorischen Forschung inzwi­schen allgemein akzeptiert.3 Das vor allem von nieder­ländischen Künstlern der Renaissance und des Ma­nierismus geprägte Stadtbild wirkte, so darf vermutet werden, auf den jungen Bildhauer ein. Über seine Ausbildung ist wenig bekannt, erst seine Berufung an den Hof des polnischen Königs Jan III. Sobieski (reg. 1674–1696) nach Warschau im Jahr 1681 lässt ihn in seinem Wirken als Bauplastiker und Bildhauer fassbar werden.4 Durch die Tätigkeit unter den Architekten Tilman van Gameren und Augustyn Locci traf er noch vor seiner Berufung als Hofbildhauer nach Berlin auf die neuesten künstlerischen Strömungen aus den Nie­derlanden und Italien. Ab 1694 arbeitete Schlüter für den Kurfürsten Friedrich III. (reg. 1688–1713) am Aus­bau der Doppelstadt Berlin-Cölln zu einer barocken Königsmetropole.5 In diese Anfangszeit als Hofbild­hauer fallen auch seine Reisen nach Italien, Frankreich und die Niederlande, 1699 erfolgte schließlich die Er­nennung zum Schlossbaudirektor – ein Höhepunkt seiner Karriere als „Bildhauerarchitekt“. Nach dem Skandal um den drohenden Einsturz des Münzturms 1706 verlor er diese Position, führte aber in königli­chem Auftrag weiterhin plastische Werke aus. Eine neuerliche Anstellung als Hofbaumeister fand Schlü­ter erst wieder 1713 in St. Petersburg unter Zar Peter dem Großen, wo er allerdings schon wenige Monate nach seiner Ankunft verstarb.

Einem der prominentesten Werke Andreas Schlüters als Hofbildhauer, dem Reiterstandbild des Großen Kurfürsten begegnet man im Foyer des Bode-Muse­ums, wo es in Form einer Kopie – die Galvanoplastik wurde von Wilhelm von Bode in Auftrag gegeben – auf dem originalen Sockel platziert ist. Das ursprüng­liche Reiterstandbild Schlüters mit den dazugehörigen vier Sklavenfiguren, einst auf der Langen Brücke vor dem Stadtschloss der Hohenzollern (Abb. 1), befindet sich heute im Ehrenhof des Charlottenburger Schlos­ses. Im Verlauf der Ausstellung wird das Werk, für dessen Ausführung der Bronzegießer Johann Jacobi verantwortlich zeichnet, mehrfach aufgegriffen und in einen typengeschichtlichen Kontext gestellt. Die Du­alität des Reitermonuments, welches den Kurfürsten als kriegerischen Feldherren und als souveränen Herr­scher im Sinne der Adventus-Ikonographie darstellt, zeigt sich, wenn man sich ihm von unterschiedlichen Seiten her nähert, und bezeugt die Könnerschaft des Bildhauers.6 Weitere permanent im Bode-Museum befindliche Werke Schlüters – die Attikafiguren der Villa Kameke – begegnen dem Besucher im Gang, der zur eigentlichen Ausstellung führt.

1 Johann Georg Rosenberg: Das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten auf der Langen Brücke mit dem Schloss, Kupferstich, Berlin, 1781 (bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders).

1 Johann Georg Rosenberg: Das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten auf der Langen Brücke mit dem Schloss, Kupferstich, Berlin, 1781 (bpk / Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders).

Zu Beginn erfolgt eine anschauliche und überblicks­hafte Präsentation der kulturpolitischen Situation unter den brandenburgischen Kurfürsten im fort­geschrittenen 17. Jahrhundert, der „Weg zu Andreas Schlüter“. Bereits der große Kurfürst Friedrich Wil­helm (1640–1688) forcierte nach dem Dreißigjährigen Krieg die künstlerische und wissenschaftliche Ent­wicklung durch die Neuerrichtung der Kunstkammer sowie der Bibliothek. Unter seinem Nachfolger, dem Kurfürsten Friedrich III., ab 1701 König in Preußen, begann der repräsentative Ausbau Berlins zur kö­niglichen Residenzstadt. Er war es, der 1694 Andreas Schlüter aus Polen an den preußischen Hof berief, an dem familiär bedingt – der Kurfürst verbrachte seine Jugendzeit in Holland, zudem war seine Gattin Lui­se-Henriette Prinzessin von Oranien-Nassau – vor­zugsweise niederländische Kunst gesammelt wurde. Präsentiert werden Exponate namhafter Künstler, beispielsweise Werke der flämischen Bildhauer Fran­çois Duquesnoys, Artus Quellinus d. Ä. und François Dieussarts. Die hervorragende Qualität der bildhaue­rischen Arbeit des neuberufenen Hofbildhauers wird mittels einer Gegenüberstellung zweier Standbilder des Großen Kurfürsten demonstriert, indem Schlü­ters 1698 vom Bronzegießer Johann Jacobi gegosse­nes Standbild mit der Marmorstatue von Bartholo­meus Eggers, eines Werksstattmitarbeiters des Artus Quellinus, konfrontiert wird.

Obwohl das Anschauungsmaterial ergiebig ist und gut ausgewählt wurde, werden die vorgestellten Werke allzu selten in Bezug zu den Arbeiten Schlüters gesetzt und gerade in jenen ersten Räumen, die Schlüters An­kunft und die Situation in Berlin thematisieren, ver­misst vor allem die fachfremde Besucherin bzw. der fachfremde Besucher einleitende Begleittexte, ohne die sich der Kontext der präsentierten Werke kaum erschließt. An dieser Stelle erweist sich der begleitende Audioguide als unerlässlich. Einen zweiten zentralen Kritikpunkt bildet die Aussparung von Schlüters Lehr­jahren und Wirken in Polen – gleichwohl das Quellenmaterial zu der Frühzeit Schlüters spärlich ausfällt, wurde gerade in der neueren Forschungsliteratur seine Tätigkeit in Danzig und Warschau am königlichen Hof aufgearbeitet.7 Ein knapper, einführender Über­blick über die ersten 30 Lebensjahre Schlüters oder die künstlerische Situation in jenen Städten zu seiner Zeit wäre an dieser Stelle der Ausstellung durchaus wünschenswert gewesen. So aber bleibt die bildhau­erische und architekturpraktische Ausbildung des zukünftigen Berliner Schlossbaumeisters in Danzig, dem niederländisch geprägten Zentrum des Manieris­mus im Ostseeraum, unberücksichtigt. Dennoch kann hier auf den entsprechenden Beitrag Regina Deckers im Ausstellungskatalog verwiesen werden, der eben jene künstlerischen Anfänge Schlüters als Hofkünst­ler in Polen, seine Arbeit an der königlichen Kapelle in Danzig und seine Mitwirkung am Bauschmuck des Krasiński-Palastes beleuchtet.8 Überdies versuchte ein vom Institut für Kunstwissenschaft und historische Urbanistik an der TU Berlin und der Kunstgeschicht­lichen Gesellschaft zu Berlin vom 6. bis 7. Juli 2014 veranstaltetes internationales Kolloquium („Andreas Schlüter und das barocke Europa“), diesen fehlen­den Aspekt zu kompensieren, und widmete sich dem Thema aus einer ostmitteleuropäischen Perspektive. Allerdings konnten auch dort keine gesicherten neuen Werke oder Quellen vorgestellt werden, die die Früh­zeit Schlüters geklärt hätten.

Schlüters erste große Aufgabe in Berlin war der Bauschmuck des Zeughauses. Präsentiert werden seine sog. Sterbenden Krieger (Abb. 2), ausdrucks­starke, als Schlusssteine konzipierte Kopftrophäen, die schon zur Entstehungszeit eine Übertragung in das Medium des Kupferstichs nach Federzeichnungen Teodor Lubienieckis erfuhren (Abb. 3). In der künst­lerischen Darstellung der Kopftrophäen werden, so Fritz-Eugen Keller, zwei Momente vereinigt.9 Die als Dreiergruppen angelegten Köpfe boten die Möglich­keit, die verschiedenen Lebensalter zu visualisieren, gleichzeitig kommt es in der Darstellung der Gesichter zu einer überaus realistischen Veranschaulichung un­terschiedlicher Passionen nach Charles Le Brun, der im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts Schemata ver­schiedenster Ausdrucksmöglichkeiten beschrieb und deren visuelle Umsetzung reglementierte. In der Aus­stellung werden die Zeughausmasken in den Kontext italienischer Vorbilder gestellt. Eine Kupferstichserie Giovanni Battista Galestruzzis zeigt die Fassadenma­lereien des frühen 16. Jahrhunderts von Polidoro da Caravaggio. Gian Lorenzo Berninis Medusenhaupt aus den kapitolinischen Museen – die wohl prominen­teste Leihgabe der Ausstellung – lenkt in der Mitte des Raumes den Blick unwillkürlich auf sich und weist den Werken Schlüters eine Nebenrolle zu. Die baudekora­tiven Arbeiten in Danzig und Warschau hinsichtlich ihrer Vorbildwirkung heranzuziehen, wäre, wie schon eingangs erwähnt, ein noch ausstehendes Desiderat zukünftiger Forschung. Schon die ältere Literatur ver­wies beispielsweise auf die dekorativen Medaillons am Schlüterhaus in Danzig, die das Konzept der sterben­den Kriegermasken antizipieren (Abb. 4).10

2 Andreas Schlüter: Kopftrophäe als Schlussstein an der Südfassade Hofes, Zeughaus, Berlin (Kretzschmar, Ulrike (Hg.): Das Berliner Zeughaus, München, Berlin u.a. 2006, S. 88).

3 Theodor Lubieniecki: Kopfkartusche in Ruinenlandschaft, Berlin, 1696–1700, Feder in Schwarz, 30,7 x 20 cm (Wien, Graphische Sammlung Albertina, Inv. 13119).

4 Hans Andreas Schlüter (?): Medaillon mit dem Kopf eines Kriegers, Fassade des sog. Schlüterhauses, Danzig/Gdańsk, um 1640 (Foto 1964, Kondziela/Fijałkowski 1965, wie Anm. 4, Abb. 48).

Einen größeren Part widmet die Ausstellung dem Schlüterschen Reiterstandbild des Großen Kurfürs­ten (Abb. 1), welches dem Urtyp des Reiterbildnisses, jenem Marc Aurels, axial gegenübergestellt wird und präsentationstechnisch seine Wirkung in der ihm ge­gebenen großen Räumlichkeit ausgezeichnet entfalten kann. Als Vorbild der Idee eines Reiterstandbildes als einem Brückenmonument wird auf das von Giambologna konzipierte Reiterstandbild des französischen Königs Heinrich IV. auf der Pont Neuf in Paris ver­wiesen, welches zudem die Sockelgestaltung mit den vier am Fuße des Denkmals platzierten Sklaven vor­wegnimmt. Interessant ist hier wiederum die Rolle des Bronzegießers Johann Jacobi, der eine grundlegende Vermittlerrolle innehatte. Nach seiner Mitarbeit am Guss des monumentalen Reiterstandbildes von Lud­wig XIV. 1692 in Paris (Entwurf François Girardon) wurde er nach Berlin berufen, um Schlüters Denkmal des Kurfürsten zu gießen. Die dynamisch-offensive Darstellung des Schlüterschen Reiterstandbilds, hier vor allem die Draperie des Gewandes, korrespon­diert eindeutig mit dem Wachsmodell für das Stand­bild des Alessandro Farnese von Francesco Mochi. Positiv hervorzuheben ist die gelungene kuratorische Konzeption, die Reiterstandbilder nicht nur in Form kleiner Modelle zu präsentieren, sondern mittels zeit­genössischer Gemälde und Stiche deren einstige Aufstellungssituation in den jeweiligen Residenzstädten zu vermitteln.

So wie das Reiterstandbild an der Langen Brücke ist auch die 1889 abgerissene Alte Post mit Fassaden­dekoration Schlüters aus dem Berliner Stadtbild verschwunden. Der Besucher vermisst hier zeitge­nössische Ansichten, lediglich ein kleinformatiges Gemälde dokumentiert die städtebauliche Lage un­mittelbar neben der Langen Brücke gegenüber dem Schloss. Die Fassade des Posthauses als größere Ge­samtansicht abzubilden, wäre insofern interessant ge­wesen, als sie in ihrer Konzeption mit den klassischen römischen Architekturformen bricht und, wie Guido Hinterkeuser feststellt, Anregungen von niederländi­scher und französischer Seite aufgreift.11 Ausgestellt werden insgesamt sechs von den acht noch erhaltenen dekorativen Tondi (Abb. 5), die oberhalb des Piano Nobile angebracht waren und unterschiedliche Tu­genden figurieren, wobei die Identifikation der unge­wöhnlichen Allegorien bis heute nicht schlüssig gelun­gen ist.12 Als Referenzrahmen für die ikonographische Inszenierung der Tugenden wird in der Ausstellung verallgemeinernd auf Cesare Ripas Iconologia ver­wiesen. Dagegen betont Hinterkeuser, dass sich meist keine Anhaltspunkte für die Identifizierung der Alle­gorien in den zeitgenössischen Ikonographietraktaten finden lassen.

5 Andreas Schlüter: Allegorie der Diskretion (?), Relieftondo von der Fassade der Alten Post, um 1703, Sandstein (SMB, Skulpturensammlung / Antje Voigt).

Mit der Präsentation der bronzenen Porträtbüste des Prinzen Friedrich II. von Hessen-Homburg wird in einem weiteren Nebenraum ein Werk Schlüters aus dem Jahr 1701 vorgestellt, dessen herausragende Qua­lität durch die Konfrontation mit zeitgenössischen Vergleichsbeispielen fassbar wird. Eine Bronzebüste des Landgrafen von Hessen-Kassel von dem flämi­schen Bildhauer Gabriel Grupello sowie eine Marmorskulptur des Architekten Jules Hardouin-Mansart von dem französischen Bildhauer Jean-Louis Lemoyne flankieren Schlüters meisterliche Darstellung des Prinzen von Hessen, die vollplastisch ausgestaltet auf Allansichtigkeit angelegt ist und sich stilistisch durch­aus mit der führenden französischen Porträtkunst des Hochbarock messen kann.

Erst in einem der letzten Ausstellungsräume wird ein­gelöst, was der Ausstellungstitel SCHLOSS BAU MEIS­TER verspricht: Der Fokus wird nun auf Schlüter als Baumeister des Berliner Schlosses gelegt.13 Zeitgleich mit der Krönung des Kurfürsten Friedrich III. zum König in Preußen wurde die zum Schlossplatz ausge­richtete Fassade durch Schlüter vollendet und bildete somit einen repräsentativen Rahmen für den bevor­stehenden Krönungseinzug. Das beinahe den kom­pletten Ausstellungsraum füllende Modell von Wolf­gang Schulz aus den 1980er-Jahren im Maßstab 1:100 verschafft den BesucherInnen einen anschaulichen Überblick über die einst bestehende Schlossanlage. Der Schlüter’sche Entwurf speist sich aus Anleihen der italienischen Hochrenaissance sowie des Hochbarocks in Rom. Auch französische Vorbilder wie der Umbau des Louvre, der ab 1661 als Prototyp des zeitgenössi­schen Schlossbaus bezeichnet werden kann, werden genannt.14 Neben den nicht ausgeführten Bernini- Entwürfen diente insbesondere auch die Ostfassaden­gestaltung durch den Architekten Claude Perrault als Anregung für Schlüters Hofportalanlagen. Die Fas­saden zum Schlossplatz hingegen lassen Reminiszen­zen an römische Stadtpaläste erkennen, deren Archi­tektur Schlüter, so Hinterkeuser, vor allem über den niederländischen Architekten Tilman van Gameren vermittelt bekam, der ihm derartige architektonische Formen am Krasiński-Palast in Warschau gleichsam vorexerzierte. Bei aller schlüssiger Auflistung von Vor­bildern für den Schlossumbau bleibt eine große Un­klarheit bestehen: der Weg Schlüters zum Architekten. In welchem Ausmaß der zunächst nur als Bildhauer und Bauplastiker tätige Künstler bereits im Zuge sei­ner Ausbildung in Polen architekturtheoretische und praktische Grundlagen des Bauwesens erlernte, wird nicht entschlüsselt. Die Auseinandersetzung mit der Position Andreas Schlüters als „Bildhauerarchitekt“, eine Doppelfertigkeit, die zu seiner Zeit durchaus kei­nen Einzelfall darstellt, scheint ein interessanter An­satz für die weitere Schlüter-Forschung zu sein.

Ein Modell des Treppenhauses und Teile der Ausstattung des 1950 gesprengten Stadtschlosses, darunter originale Holztüren, Tapisserien oder das prunkvolle Silberbuffet aus dem ehemaligen Rittersaal, vermit­teln einen Eindruck von den Innenräumen des ba­rocken Schlosses, die im Zuge des Wiederaufbaus als Humboldtforum nicht wieder rekonstruiert werden – ein zentraler Kritikpunkt aktueller Auseinanderset­zungen.15

Schlüter scheiterte als Schlossbaumeister an der von höchster Stelle gewünschten Umgestaltung des Wasserturms in einen ca. 300 Fuß hohen Münzturm mit Glockenspiel, der ab 1702 an der Nordwestecke der Schlossanlage auf bereits bestehender Bausubstanz aufgerichtet wurde. Der labile und sandige Untergrund am Spreeufer verursachte statische Probleme und Risse am Bauwerk. Um den drohenden Einsturz ab­zuwenden, musste der Münzturm abgetragen werden. 1706 endete damit Schlüters Karriere als Hofarchitekt. Als Hofbildhauer blieb er weiter für die Hohenzollern tätig und schuf die als Pendants gedachten monumen­talen Prunksarkophage für das Königspaar Sophie Charlotte und Friedrich I. im Berliner Dom. In sei­nen letzten Berliner Jahren übernahm er Bauaufgaben privater Auftraggeber wie den technisch aufwändigen Einbau einer Kanzel in die Marienkirche oder seinen letzten Bau in Berlin, die Villa Kameke (Abb. 6).16

6 Andreas Schlüter: Villa Kameke, Berlin, Mittelrisalit Straßenseite, Foto vor 1945 (Wünsdorf, BLDAM, Messbildarchiv, in: AK Bode-Museum 2014, wie Anm. 2, Abb. XXII.4, S. 420).

Die berninesken Attikafiguren dieses bemerkenswer­ten Gartenpalais, das den Zweiten Weltkrieg nicht überdauerte, befinden sich permanent in der Samm­lung des Bode-Museums, im langen Gang nach dem Eingangsfoyer. Fast am Ende der Schlüter-Ausstellung vermittelt der Aufriss der Gartenfassade der Villa Ka­meke den BesucherInnen das Architekturcapriccio des reifen Bildhauerarchitekten.

Großformatige Fotografien der erhaltenen Schlüter­werke in Berlin laden abschließend ein, den vorhan­denen Spuren in der Stadt zu folgen. In Berlin Mitte befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft neben der stetig wachsenden Schlossbaustelle auch der Berli­ner Dom mit der königlichen Grablege, die Bauplastik des Zeughauses, die Kanzel der Marienkirche sowie die Gruftpforte zum Männlichgrabmal in der Nikolaikirche. Das Reiterstandbild des großen Kurfürsten hingegen hat seinen Platz im Ehrenhof des Charlottenburger Schlosses gefunden – weit ab von seinem ur­sprünglichen Bestimmungsort, der Langen Brücke, die einst zum Schloss der Hohenzollern führte.

Printversion: Frühneuzeit-Info 25, 2014, S. 304–310.

 

  1. Edith Fründt/Eva Mühlbächer (Hg.): Andreas Schlüter und die Plastik seiner Zeit. Eine Gedächtnisausstellung anläßlich der 250. Wiederkehr seines Todesjahres (AK Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturen-Sammlung, Berlin, 1964), Berlin 1964.
  2. Hans-Ulrich Kessler (Hg.): Andreas Schlüter und das barocke Berlin (AK Bode-Museum, Skulpturensamm­lung und Museum für byzantinische Kunst, Berlin, 2014), Berlin: Hirmer 2014. Ders., Schlüter in Berlin. Stadtführer, Berlin: Hirmer 2014.
  3. Regina Deckers: Andreas Schlüter in Danzig und Polen, in: AK Bode-Museum 2014, S. 20–31, hier S. 20–21.
  4. Siehe vor allem: Henryk Kondziela / Wojciech Fijałkowski: Die künstlerische Tätigkeit Andreas Schlü­ters in Polen, in: Michelangelo heute. Sonderband der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Humboldt-Uni­versität zu Berlin 14 (1965), S. 267–291. Guido Hinterkeuser: Ex oriente lux? – Andreas Schlüter und der pol­nische Anteil am Ausbau Berlins zur Königsmetropole, in: Małgorzata Omilanowska/Anna Straszewska (Hg.): Wanderungen (= Das gemeinsame Kulturerbe 2), War­schau: Instytut Sztuki Polskiej Akademii Nauk 2005, S. 27–41.
  5. Heinz Ladendorf: Andreas Schlüter. Baumeister und Bildhauer des preußischen Barock, Leipzig: Seemann 1997. Die neuaufgelegte Monographie von Ladendorf aus dem Jahr 1937 wird mit einem Kommentar von Hel­mut Bösch-Supan ergänzt, der den Originaltext unver­ändert belässt, jedoch den Werkkatalog vervollständigt und die Forschung seit 1945 hinzufügt.
  6. Auf jenen Kunstgriff Schlüters verweist auch Hans-Ul­rich Kessler. Hans-Ulrich Kessler: Das Reiterdenkmal des Grossen Kurfürsten, in: AK Bode-Museum 2014, S. 222–235, hier S. 230–231.
  7. Guido Hinterkeuser: Ad Nobilissimum SCHLVTERVM Gdanensem. Andreas Schlüter und seine Stellung in der deutschen und polnischen Kunstgeschichtsschreibung, in: Robert Born u.a. (Hg.): Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs (Hum­boldt-Schriften zur Kunst- und Bildgeschichte 1), Ber­lin: Mann 2004, S. 301–333.
  8. Deckers: Andreas Schlüter (wie Anm. 3).
  9. Fritz-Eugen Keller: Die Schlusssteine der Bögen am Erdgeschoss des Zeughauses. Andreas Schlüters Tri­umphhelme und Kopftrophäen besiegter Krieger – ein Hauptwerk nordeuropäischer Barockskulptur, in: AK Bode-Museum 2014, S. 136–151, hier S. 144–147.
  10. Georg Cuny: Danzigs Kunst und Kultur im 16. und 17. Jahrhundert. Danzigs Künstler mit besonderer Be­rücksichtigung der beiden Andreas Schlüter, Frank­furt am Main: Verlag Heinrich Keller 1910. Kondziela/ Fijałkowski: Die künstlerische Tätigkeit (wie Anm. 4).
  11. Guido Hinterkeuser: Andreas Schlüter und die Alte Post in Berlin, in: AK Bode-Museum 2014, S. 374–383, hier S. 377.
  12. Guido Hinterkeuser: Kat. XX.3–XX.8. Reliefs von der Fassade der Alten Post, in: AK Bode-Museum 2014, S. 386–390, hier S. 390.
  13. Wilhelm v. Boddien: So weit sind wir jetzt: Das Berli­ner Schloss-Humboldtforum ist im Bau, in: Förderver­ein Berliner Schloss e.V., URL: http://berliner-schloss. de/aktuelle-infos/wo-stehen-wir-heute-der-sachstand (21.07.2014).
  14. Guido Hinterkeuser: Andreas Schlüter und das Berliner Schloss: Die Architektur, in: AK Bode-Museum 2014, S. 258–272, hier S. 267–268.
  15. Jens Jessen: Ausstellung „Andreas Schlüter“. Kein Außen ohne das Innen, in: Die Zeit 17/2014, URL: http://www.zeit.de/2014/17/schlossbaumeister-andreas-schlueter (21.07.2014).
  16. Zur Sonderstellung der Villa Kameke und ihrer ar­chitektonischen Verwandtschaft mit Gartenpalais in Deutschland und Wien siehe Hellmut Lorenz: Andreas Schlüters Landhaus Kameke in Berlin, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 56, 2 (1993), S. 153–172.

Quelle: http://fnzinfo.hypotheses.org/167

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