Eine Einführung in die Begriffsgeschichte der Demut

Zweifellos. Der Begriff Demut hat seine Ursprünge in der alttestamentlich-jüdischen, der griechisch-römischen sowie in der urchristlichen Tradition.

In der griechisch-römischen Tradition  standen die Begriffe humilis oder ταπεινóς im sozialen und politischen Kontext: „sozial Hochgestellte“ standen über den „sozial Niedriggestellte[n]“1, das heißt den Unterschichten (humiliores) der Plebejer war die herrschende Oberschicht der Patriziern übergeordnet. Die Demütigen waren somit die Beherrschten und Niedergedrückten, die in bescheidenen Verhältnissen lebten. Gemäß dem damaligen Denken führte eine „niedrige Stellung“ aber auch „zu niedriger Gesinnung“ (Wengst 1987, S. 17). So muss der niedrig Gestellte niedere Arbeiten ausführen, die seinen Körper, sein Denken sowie seine Seele „unnütz“2 machen. Auch wird der Charakter der Demütigen in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung negativ beschrieben.

Aus der Demut konnte man im griechisch-römischen Verständnis nur durch den sozialen Aufstieg entfliehen. Ein sozialer Abstieg in die Demut bedeutete aber für Plutarch, einen Angehörigen der römischen Oberschicht, nicht seine ursprüngliche Gesinnung zu verlieren und einen demütigen und verwerflichen Charakter anzunehmen3 . So ist die lobenswerte Tugend der Tüchtigkeit (virtus) „nicht an äußere Vorgaben gebunden“4 und kann selbst unter widrigen Umständen wie Armut und Niedrigkeit (humilitas) gelebt werden.

Obwohl eine Haltung der Selbstlosigkeit im Sinne des Altruismus der damaligen Ordnung der Ständegesellschaft widersprach, wird die Tugend der Bescheidenheit in der antiken Literatur mitunter auch positiv beschrieben: So kann jemand von seiner Gier nach Reichtum und Ruhm abkehren und zur Bescheidenheit gelangen. Oder aber er wird, wie Plutarch deutlich macht, von Gott korrigiert und zur Bescheidenheit zurückgeführt.5

Kontrastierend zur griechisch-römischen Tradition wird in den jüdischen Schriften häufig Partei ergriffen für die Gedemütigten und die zu Unrecht erniedrigten. Dabei wird auch der Missstand angeprangert, dass die herrschende Oberschicht häufig nicht das tut was recht ist, sondern die Unterschicht mit Gewalt unterdrückt und sich auf ihre Kosten bereichert. Gott stellt sich selbst auf die Seite der Gedemütigten und Entrechteten und die Erniedrigten sollen bei ihm ihre Zuflucht suchen und die Hoffnung erhalten, dass Gott der Unterdrückung ein Ende setzen wird.6 In diesem Licht erscheinen auch die Prophezeiungen über den kommenden Messias, der für Gerechtigkeit sorgen wird.

Im jüdischen Verständnis konnte eine erlebte Demütigung und ein Leben in bescheidenen (demütigen) Verhältnissen zu einer Tugend der Demut führen, die in einer Solidargemeinschaft praktiziert wird, in der man auf die Demütigung anderer verzichtet.7 So wird in den Qumran-Texten die Demut als „willige Einordnung in die Gruppe unter Zurücksetzung individueller Interessen“ bezeichnet, das heißt es besteht eine „Loyalität gegenüber der Gemeinschaft“ 8 , weshalb Demut nicht erniedrigend und erdrückend von oben herab erfolgen kann.

Das Verständnis der Demut in der urchristlichen Tradition ist wiederum stark vom jüdischen Verständnis geprägt, aber es zeigen sich auch griechisch-hellenistische Einflüsse.9 So ist zu konstatieren, dass auch in den christlichen Schriften die Demütigung durch die unterschiedlichen sozialen Stellungen und dem Unterschied von Arm und Reich bekannt ist.10 Am deutlichsten wird das Verständnis von Demut an der Person des Jesus, der nach den christlichen Schriften, als Sohn Gottes auf die Erde ins das Niedrige gekommen ist und als Mensch den Geringsten solidarisch geworden ist. Im Evangelium des Matthäus (11, 28-30) spricht Jesus davon, dass alle Mühseligen und Beladenen zu ihm kommen sollen, denn er bietet ihnen einen Ort der Ruhe an, weil er demütig ist und solidarisch und daher den Beladenen und Gedemütigten zugehörig. Auch Jesus lebt die Solidargemeinschaft vor, in der die Demut nicht den eigenen Vorteil sucht, sondern den des Nächsten.11 So könne Jesus, der im Zusammenhang mit seiner Auferstehung erklärt, dass ihm „alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist“12 als demütiger Herrscher „seine Herrschaft […] in einer solidarischen Praxis der von ihm Beherrschten“13 vollziehen.

Während Paulus dieses Verständnis der Demut in seinen Schriften aufgreift und erläutert, finden sich bereits im 1. Clemensbrief Anzeichen für den Wandel des Verständnisses der Demut im christlichen Verständnis. So wird in 1. Clemensbrief 63,1 die Demut als eine Einordung in eine hierarische Ordnung verstanden bzw. als gehorsame Untertänigkeit und ein sich fügen unter die Gemeindeleitung, was sich vom Verständnis nicht mit der Lehre von Jesus und Paulus verträgt, sondern sich eher in die Tradition griechisch-römischen Denkens einordnen lässt (14. Dieses im 1. Clemensbrief dargelegte Verständnis der Demut als Untertänigkeit hat sich laut Wengst aber im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte am stärksten ausgebildet.

Literaturtipp: Wengst, Klaus: Demut – Solidarität der Gedemütigten. München 1987.

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2013): Eine Einführung in die Begriffsgeschichte der Demut. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

  1. Siehe Wengst, Klaus: Demut – Solidarität der Gedemütigten. München 1987. S. 15.
  2. Siehe Wengst. München 1987. S. 18.
  3. Siehe Wengst. München 1987. S. 22-29.
  4. Siehe Wengst. München 1987. S. 30.
  5. Siehe Wengst. München 1987. S. 32f.
  6. Siehe Wengst. München 1987. S. 42.
  7. Vgl. Wengst. München 1987. S. 45.
  8. Siehe Wengst. München 1987. S. 66f.
  9. Siehe Wengst. München 1987. S. 69.
  10. Siehe Wengst. München 1987. S. 79-84.
  11. Vgl. Wengst. München 1987. S. 90.
  12. Siehe (Matthäus 28,18).
  13. Siehe Wengst. München 1987. S. 95.
  14. Siehe Wengst. München 1987. S. 97-102

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2013/08/eine-einfuhrung-in-die-begriffsgeschichte-der-demut/

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Christliche Mystik im Mittelalter – der Austausch mit anderen religiösen Lehren

Kam es im Mittelalter zu einer Art Austausch zwischen der christlichen Mystik in Europa und der islamischen oder fernöstlichen Mystik und nicht-christlichen religiösen Lehren (Islam, Buddhismus, Taoismus)?

Bei näherer Betrachtung der im Mittelalter existierenden spirituellen Strömungen, lassen sich  zwischen den theoretischen und praktischen Elementen der christlichen Mystik Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten mit der Lehre des Buddhismus und anderen Strömungen der östlichen Mystik finden (z. B. die Idee des absoluten Nichts in: Haas, 1984 Freiburg/Schweiz, S. 183, Reiland, Münster 2007, S. 34). Daher verwundert es nicht, dass es kulturelle Kontakte und einen Austausch zwischen den europäischen Mystikern des Mittelalters und beispielsweise fernöstlichen Mystiker gegeben hat. Jedoch lassen sich gewisse Wechselwirkungen zwischen der Mystik aus jüdischer, christlicher, buddhistischer und islamischer Tradition erst in der Frühen Neuzeit finden: So lässt sich der christliche Mystiker Jakob Böhme am Ende des 16. Jhr. von Lehren aus der jüdischen Mystik, der Kabbala inspirieren, der islamische Mystiker Husayn ibn Mansur al- Hallag greift Lehren aus der christlichen Mystik auf, während der christliche Mystiker Johannes vom Kreuz sich mit Lehren der islamischen Mystik befasst (Hense, Münster 2005, S. 9).

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2013): Christliche Mystik im Mittelalter  der Austausch mit anderen religiösen Lehren. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2013/07/christliche-mystik-im-mittelalter-im-austausch-mit-fremden-religiosen-lehren/

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Das “Unternehmen Barbarossa” und die deutsche Kriegswirtschaft

Wirtschaft, Politik und Militär – diese drei Elemente waren im NS-Regime eng miteinander verbunden. Als die sogenannte “Blitzkriegsstrategie” der ersten beiden Jahre des Zweiten Weltkriegs an ihr plötzliches Ende kam, musste die NS-Führung auf politischer Ebene  die Kriegsstrategie anpassen. Doch musste, um den Krieg weiterführen zu können, vor allem aber die Kriegswirtschaft  für die länger andauernden und ressourcenbindenden Kriege umstrukturiert werden.

Im Zuge des sogenannten „Unternehmen Barbarossa“ erließ Adolf Hitler am 20. Juni 1941 den Befehl, in den Krieg gegen die Sowjetunion einzutreten. Bereits am 22. Juni 1941 durchbrachen deutsche Panzertruppen die ersten sowjetischen Stellungen, so dass deutsche Infanterieeinheiten weiter in das Landesinnere vordringen konnten.1 In der deutschen Führung war man sich sicher, mit der bis dahin an der Westfront erfolgreichen Strategie des „Blitzkriegs“ innerhalb kürzester Zeit wichtige sowjetische Stellungen einnehmen und den letztendlichen Sieg herbeiführen zu können. Doch bereits im August 1941 mehrten sich auf Seiten der deutschen militärischen Führung unter Generalstabschef Halder erhebliche Zweifel am Erreichen eines schnellen Sieges: Das Vordringen der deutsche Truppen geriet durch die personellen und materiellen Verluste ins Stocken, denn das unüberschaubar große Kriegsterrain und die zahlenmäßige Überlegenheit der Roten Armee waren unterschätzt worden. Obwohl die deutschen Truppen im Oktober 1941 in der Doppelschlacht von Wjasma und Brjansk der Roten Armee erhebliche Verluste zufügten, schafften es die deutschen Truppen nicht, den von Hitler erlassenen Befehl, die sowjetische Hauptstadt Moskau anzugreifen, erfolgreich durchzuführen. Extreme Witterungsbedingungen und eine sowjetische Gegenoffensive am 5./6. Dezember 1941 drängten die deutschen Truppen bis auf weiteres zurück. Statt einem schnellen Sieg sah sich die deutsche Führung nun einem Zweifrontenkrieg gegenüber, zudem erklärte auch die USA am 11. Dezember 1941 dem Deutschen Reich den Krieg.2 Die bereits 1941 auf deutscher Seite erlittenen Verluste sowohl materieller als auch personeller Art waren erheblich. Außerdem schienen mit dem Scheitern vor Moskau die schnell führbaren Kriege an ihr jähes Ende gekommen zu sein. So erkannte die deutsche Führung, dass für länger andauernde Kriege neben einer Anpassung der Kriegsstrategie vor allem das gesamte kriegswirtschaftliche Konzept umgestellt werden musste.3 Hitler übertrug nun die Aufgabe der Effektivierung der Rüstungsindustrie und ihre Ausrichtung auf lange, ressourcenbindende „Abnutzungskriege“ Albert Speer, dem bisherigen Generalbauinspektor der Reichshauptstadt. Als neuer Reichsminister für Bewaffnung und Munition übernahm Speer dabei vor allem „den Auftrag die Wirtschaft des „Dritten Reichs“ mit Entschiedenheit auf die Erfordernisse der Kriegsführung umzustellen.“4

Speer übernahm von seinem Vorgänger Fritz Todt, der am 8. Februar 1942 bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückt war, das 1940 eingerichtete Reichsministerium für Bewaffnung und Munition. Die sogenannte „Organisation Todt“ war ab März 1940 damit beauftragt, das „Kompetenz- und Koordinationschaos“5 zwischen den wirtschaftspolitischen  Entscheidungsträgern durch eine zentrale, vereinfachte Planungsbehörde zu ersetzen. Nach der Niederlage vor Moskau wurde Todts „Stellung durch einen Führererlass“ entschieden aufgewertet, doch vermochte er bis zu seinem Tod keine tiefgreifenden Maßnahmen zur schnellen Rüstungssteigerung in die Wege zu leiten.6 Mit der darauffolgenden „Speerschen Selbstverwaltung“ sollten die Kompetenzen und Befugnisse der Rüstungsproduktion in sogenannten „Lenkungsbereichen“ wie „Ringen“ und „Ausschüssen“ gebündelt werden. Diese Gremien wurden von den Industrievertretern selbst besetzt. So entstand in den Kriegsjahren von 1942 bis 1944 zwischen der deutschen Privatwirtschaft und dem NS-Regime eine hochkomplexe Kooperationsstruktur, die für die Industrievertreter die erstmalige Möglichkeit der “Selbstverwaltung” mit sich brachte.7

Die Speersche „Selbstverwaltung der Industrie“ war alternativlos staatlich vorgegeben und bot den für alle deutschen Betriebe verbindlichen Rahmen für ihre wirtschaftlichen Aktivitäten. Der Anreiz für die Unternehmen, „freiwillig“ an der „Selbstverwaltung der Industrie“ teilzuhaben und mit den staatlichen Behörden zu kooperieren und für sie Rüstungsaufträge abzuwickeln, lag in folgendem Prinzip: Indem Todt und Speer die Industrie als Kooperationspartner scheinbar auf Augenhöhe mit den staatlichen Behörden hob und der Industrie in ihren Bereichen Verantwortung und Selbstständigkeit zugestanden und übertrugen und sie an der Macht der nationalsozialistischen Herrschaft teilhaben ließen, waren staatliche Eingriffe auf die Autonomie der Unternehmen nicht mehr so offensichtlich bzw. wurden von den Unternehmen anfangs nur in wenigen Fällen als störend empfunden.8 Doch die Regulation bzw. beabsichtigte Verschärfung des Wettbewerbes durch Speers Behörden stellte einen Eingriff in den Markt und in die Autonomie der Unternehmen dar. Darüber hinaus bestimmten in den Ausschüssen und Ringen die marktführenden Unternehmen, die sich in den ausgetragenen Konkurrenzkämpfen durchsetzen konnten, die unternehmerischen Entscheidungen aller übrigen Unternehmen, die in den Selbstverwaltungsorganen waren und profitierten von ihrer Dominanz. Auch dies war ein Eingriff in die Autonomie der Unternehmen und bedeutete eine Einschränkung ihrer Handlungsfreiräume.  Zweifellos verschwammen mit der „Selbstverwaltung der Industrie“ die Grenzen zwischen „staatlicher Wirtschaftsadministration“ und „privatwirtschaftlicher Sphäre“,9denn diese war eine Schnittstelle zwischen Industrie und Staat. In dieser Selbstverwaltung der Industrie wuchs auch im Laufe des Krieges die politische Mitverantwortung.10 Genauso waren die führenden Figuren dieser Organisationsform, nämlich die „NS-Industriellen“, geschickt eingesetzte „Zwitter“, die die Vermischung von Staat und Industrie symbolisierten und gleichzeitig einen staatlichen Zugriff auf unternehmerischen Handlungsraum ermöglichten.11

Gewisse Handlungsfreiräume der Unternehmen bestanden für die Zeit unter Speer im Wesentlichen darin, dass die Unternehmen gegensätzliche Interessen wie ihr Streben nach Selbsterhaltung und der Ausrichtung auf eine Friedenswirtschaft verfolgen konnten, ohne dass ihnen dafür staatliche Repressalien drohten. Mag dies dem mangelnden Durchgreifen der Speerschen Behörden geschuldet sein, die auch strukturelle Probleme der Selbstverwaltung nicht effektiv zu bewältigen vermochten, so muss doch darauf hingewiesen werden, dass die Unternehmen in der Verfolgung ihrer unternehmerischen Interessen und in der späteren Entwicklung von Interessen, die sich gegen die kriegswirtschaftlichen Ziele Speers richteten, lediglich ihr ökonomisches Streben nach Wachstum, Profit und längerfristigem Überleben zum Ausdruck brachten, das jedes privatwirtschaftliche Unternehmen, das in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung agiert, kennzeichnet.12

 

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2013): Das “Unternehmen Barbarossa” und die deutsche Kriegswirtschaft. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

  1. Vgl. Hartmann, Christian: Unternehmen Barbarossa. Der deutsche Krieg im Osten 1941-1945. München 2011. S. 38.
  2. Vgl. Hartmann 2011. S. 37-44. ; Wehler, Hans-Ulrich: Der Nationalsozialismus. Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen 1919-1945. München 2009. S. 255.
  3. Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Der Nationalsozialismus: Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen, 1919-1945. München 2009. S. 255.
  4. Siehe Hildebrand, Klaus: Das Dritte Reich. München 2009. S. 88 ; Vgl. auch Müller, Rolf-Dieter: Albert Speer und die totale Rüstungspolitik im totalen Krieg, in: Kroener, Bernhard R. / Müller, Rolf-Dieter / Umbreit, Hans: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs. Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen. 1942-1944/45. Stuttgart 1999. S. 275.
  5. Siehe Erker, Paul: Industrieleiten in der NS-Zeit: Anpassungsbereitschaft und Eigeninteresse von Unternehmern in der Rüstungs- und Kriegswirtschaft. Passau 1994. S. 16.
  6. Vgl. Wehler 2009. S. 256 ; Müller in: Kroener / Müller  / Umbreit. 1999. S. 276.
  7. Vgl. Tooze, Adam: Ökonomie der Zerstörung: die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. Bonn 2007. S. 647.
  8. Vgl. Erker in: Erker, Paul / Pierenkemper, Toni: Deutsche Unternehmer zwischen Kriegswirtschaft und Wiederaufbau. Studien zur Erfahrungsbildung von Industrie-Eliten. München 1999. S. 8.
  9. Siehe Volkmann, Hans-Erich: Ökonomie und Expansion: Grundzüge der NS-Wirtschaftspolitik: Ausgewählte Schriften. München 2003. S. 100.
  10. Vgl. Volkmann 2003 S. 76.
  11. Vgl. Erker in: Erker / Pierenkemper 1999. S. 7.
  12. Vgl. Buchheim, Christoph: „Unternehmen in Deutschland und NS-Regime 1933-1945. Versuch einer Synthese“, in: Historische Zeitschrift 282 (2006). S. 379-381.

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2013/06/das-unternehmen-barbarossa-und-die-umstrukturierung-der-deutschen-kriegswirtschaft/

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Das hispanische Christentum und die Christianisierung der Stadt

Um ein etwas umfassenderes Bild von der „Christianisierung der Stadt“ zu erhalten, ist es notwendig, den Fokus auf ein repräsentatives Beispiel, nämlich das spätantike Hispanien mit seinen römischen Städten und der lokalen Christianisierung zu richten. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht daher folgende Fragestellung:  Wo finden sich Hinweise für Bemühungen der Christen, die hispanischen Städte mit seinen paganen Gebäuden gezielt zu christianisieren?

Nach den Überlieferungen von Bischof Irenäus gab es in der römischen Provinz Hispanien um 182-188 n. Chr. und laut Tertullian um 200-206 n. Chr. bereits Christen in Hispanien. Von christlichen Gemeinden mit Diakonen, Presbytern und Bischöfen sowie Märtyrern in Hispanien berichtet um 300 n. Chr. Bischof Cyprian aus Karthago.1 Durch verschiedene bischöfliche Synoden bzw. Konzile erhält man weitere aufschlussreiche Einblicke in das hispanische Christentum2 – wie z.B. durch die Synode von Elvira um 302/303 n. Chr., bei der die Bischöfe vorwiegend über die Abgrenzung der Christen zur heidnischen Umwelt debattierten. Laut Kulikowski spiegeln die Kanonen dieser Synode deutlich die Vitalität der urbanen Institutionen zu Beginn des 4. Jhr. n. Chr. wider.3 In diesen Kanonen wird auch die Anbringung von Malereien, in denen kultisch Verehrtes abgebildet wird, in den Kulträumen verboten.4 Aus den Predigten des Bischofs Pacianus von Barcino (Barcelona) lassen sich weitere Erkenntnisse über die Integrationsprozesse der Christen im 4. Jhr. n. Chr. in ein städtisches Umfeld gewinnen.5

Weitere wichtige Quellen stellen die christlichen Inschriften6 dar, von denen die früheste Inschrift (RIT 943) um 393 n. Chr. aus Tarragona stammt. Ab der Mitte des 4. Jhr. n. Chr. traten neben den heidnischen Inschriftentexten vermehrt christliche Textformulare und Zeichen auf, die für die Zeit von der Mitte des 5. Jhr. n. Chr. bis 700 n. Chr. die Inschriften dominierten.7 Die heutzutage vorliegenden Inschriften aus Hispanien ab dem 5. Jhr. n. Chr. bezeugen häufig nicht nur die Existenz von Kirchengebäuden und überliefern Angaben zu Baustiftungen oder Errichtungen von christlichen Gebäuden, sondern übermitteln auch die Anzahl der Geistlichen wie z.B. Bischöfe oder Diakone. Die Grabinschriften überliefern, neben den persönlichen Angaben zu den Bestatteten, die Praxis, dass die öffentliche Dokumentation kirchlicher Ämter auf Grabinschriften in Hispanien üblich war. Sie bezeugen, genauso wie die Bauinschriften, die Berufstätigkeit von Bischöfen und Klerikern. Diese Art der Dokumentation wurde vor allem ab dem 5./6. Jhr. n. Chr. praktiziert. Die Bauinschriften belegen zudem die Zusammenarbeit von Bischöfen mit anderen lokalen Eliten der städtischen Verwaltung.8 Zusätzlich zu den Grabinschriften waren auch die Sarkophage mit Inschriften, und ab dem 4. Jhr. n. Chr., die Grabmosaiken, wichtige christliche Quellen. Ab dem 5. Jhr. n. Chr. wurden Gräber mit Marmorplatten abgedeckt, auf denen ebenfalls christliche Inschriftentexte und Verzierungen wie Monogramme und Kreuze abgebildet waren.9 Auch die in der konstantinischen Zeit geprägten Münzen mit christlichen Symbolen wie z.B. Christus-Monogrammen wurden in Hispanien gefunden.10 Jedoch lassen sich aus diesen Münzfunden, die Reichsprägungen waren und nicht in Hispanien geprägt wurden, keine Aussagen über den Grad der Christianisierung im spätantiken Hispanien treffen. Der Aussagegehalt der byzantinischen bzw. westgotischen Münzen aus dem 5. bis 7. Jhr. n. Chr., auf denen christliche Symbole zu finden sind, ist ebenfalls begrenzt und spiegelt lediglich die Hinwendung der westgotischen Könige zum christlichen Glauben ab 586 n. Chr. wider.11

Archäologische Funde vom hispanischen Christentum liegen heutzutage vor allem fragmentarisch vor. Bisher wurden in Hispanien aus der Zeit vom 4. bis zum 8. Jhr. n. Chr. „materielle[…] Hinterlassenschaften […] christlichen Charakters“12 wie z.B. der Bethesda-Kasten aus Tarragona oder eine Tischplatte bei Rubí gefunden13 und nur wenige sehr gut erhaltene christliche Kirchenbauten wie in „Barcelona, Valencia und Mérida […] sowie in Palencia“14. Bekannt sind laut Kulikowski und Bowes neun innerstädtisch und suburban gelegene Kirchenbauten aus dem 4./5. Jhr. n. Chr.. Durch die weiteren, andauernden Ausgrabungen werden zukünftig auch später zu datierende Kirchenbauten aus dem 6./7. Jhr. n. Chr., wie z.B. in Toledo und Córdoba, zu Tage gefördert. Viele weitere Funde von Resten ehemaliger städtischer Kirchen, Kultbauten, Taufanlagen und Kathedralen wie z.B. in Barcelona15 übermitteln ein ungefähres Bild von der Entwicklung und Integrierung christ-licher Bauten im städtischen Kontext, bei denen Bauten für christliche Kulte wie in Terrassa umgestaltet und Neubauten wie in Ilici errichtet wurden.16 Vermutlich gegen Ende des 6. Jhr. n. Chr. wurden in Tarragona und Mérida christliche Basiliken auf den Flächen paganer Bauten wie einem Amphitheater und einem Diana-Tempel (die seit dem 4. und 5. Jhr. n. Chr. nicht mehr genutzt wurden) errichtet.17 In den ländlichen Gegenden Hispaniens befanden sich villae mit christlichen Kulträumen bzw. Stätten wie z.B. Kapellen, Mausoleen, Schreine oder anderen Kulträumen, die mit Mosaiken aufwendig ausgestaltet waren und den Reichtum ihrer Besitzer – den aristokratischen Familien und Feudalherren – widerspiegelten.18 Manch literarischer Hinweis deutet darauf hin, dass vor allem im 6./7. Jhr. n. Chr. christliche Kulte in den ländlichen Gegenden praktiziert wurden, jedoch belegen archäologische Funde die Errichtung christlicher Bauten bzw. Umbauten paganer Bauten wie z.B. Can Modolell in der Nähe vom heutigen Mataró, bereits zum Ende des 4. Jhr. n. Chr..19

Die Christianisierung einer Stadt oder einer ländlichen Gegend bedeutete demnach, sowohl christliche Gebäude neu zu errichten als auch nicht mehr genutzte pagane Gebäude für christliche Kulte und Zwecke umzugestalten und zu nutzen. Allerdings bleibt zunächst offen, ob christliche Gebäude gezielt in der Stadt errichtet wurden, um pagane Gebäude (z.B. Tempel) und damit die in ihr stattfindenden antichristlichen Praktiken zu verdrängen oder ob die Errichtung christlicher Gebäude lediglich zum Selbstverständnis der christlichen Architektur gehörte, in der christliche Kulträume vorgesehen waren?

Deutlich wird aus den archäologischen Funden, dass sich parallel zu der schwindenden Nutzung der öffentlichen römischen Bauten innerhalb der Stadtmauern, das Christentum mit den christlichen Kulten im Laufe des 5. Jhr. n. Chr. in der suburbia etablierte, was einen zusätzlichen negativen Effekt auf die bisherige römische Stadtform haben sollte.20 Denn durch die ex muros gelegenen christlichen Kultbauten bzw. -stätten wurde das bisherige politische und religiöse Zentrum beim innerstädtischen Forum in die suburbia verlagert. Viele hispanische Städte verfügten, laut Mateos Cruz, schon im 4. Jhr. n. Chr. in der suburbia über eine christliche Nekropole, „die sich aufgrund der Bestattung eines lokalen Märtyrers entwickelt“21 hatte. So konnten die Märtyrerbestattungen als religiöse Anziehungspunkte nicht nur die Errichtung neuer Gräber, sondern auch die Christianisierung bestehender Grabstätten zur Folge haben, weil man glaubte, dass der Körper des Märtyrers sein Umfeld heiligen würde.22 Bei dem sogenannten Märtyrerkult wurden heilige Kultstätten martyria errichtet, die meistens in Verbindung zu dem „Leben und Leidensweg“23 des Märtyrers standen. Die in Hispanien errichteten martyria waren, ähnlich wie die memoria, architektonisch unterschiedlich ausgestaltete Mausoleen oder Kirchenbauten. Diese sind frühestens ab dem 4. Jhr. n. Chr. in der suburbia nachzuweisen und waren später auch innerstädtisch gelegen.24 Die Märtyrer charakterisierte das öffentliche Bezeugen des christlichen Glaubens und die Bereitschaft dafür zu leiden oder sogar zu sterben.25 Als Schutzpatrone stellten sie „einen Mittler zwischen den Menschen und Gott“26 dar, die für die Lebenden mit Fürbitten eintraten.27 Die Seelen der Verstorbenen entschwanden mit dem Begräbnis zwar, doch bliebe „der Heilige im Himmel […] an seinem Grab auf Erden gegenwärtig“28. Ab der Mitte des 4. Jhr. n. Chr. begannen die christlichen Gemeinden in den römischen Provinzen für die Märtyrer besondere Totengedächtnistage mit Eucharistiefeiern abzuhalten. Der Hintergrund des christlichen Totenkultes war die ab dem 3./4. Jhr. n. Chr. erfolgte Adaption wesentlicher Teile der römischen Totenfesttage und des Totenkultes mit der Totenverehrung.29 So nahmen die Hinterbliebenen des Toten ausschließlich Körper-bestattungen vor und feierten zeremoniell den Todestag als „Geburtstag des ewigen Lebens“30. Der Quellenbefund über die hispanischen Märtyrer umfasst literarische Überlieferungen wie z.B. Predigtschriften, liturgische Kalender und Gedichte, Sarkophage, Inschriften und Grabinschriften sowie martyrologische Inschriften aus Nordafrika und Gallien, die z.B. den Märtyrerkult des Vincent von Saragossa belegen.31 Mit der Errichtung von martyria und der Reliquientranslation ab dem 5. Jhr. n. Chr., bei der die Gebeine des Toten kultisch verehrt wurden, entstanden in Hispanien auch zahlreiche christliche Basiliken in den Nekropolen, in denen Märtyrer bestattet wurden.32 Ab dem Ende des 5. Jhr. n. Chr. wurden vermutlich in Hispanien innerhalb der Stadtmauern Kirchen, Bischofskomplexe und bei den Kirchen gelegene Gräberfelder errichtet.33 Dies ist einerseits mit der fehlenden Nutzung öffentlicher römischer Bauten zu erklären34, aber andererseits auch mit dem schwindenden Einfluss der römischen Herrschaft, denn vorher war es durch die römischen Gesetze für die Christen weder erlaubt, Bestattungen innerhalb der Stadtmauern zu vollziehen, noch Begräbnisstätten zu errichten.35

Wie in anderen Teilen des Römischen Reiches, so wurden auch in Hispanien erstmals Anfang des 5. Jhr. n. Chr. Bischöfe in inner- oder außerstädtisch gelegenen Basiliken eingesetzt. Die größeren Kirchen in Hispanien hatten basilikale Strukturen, weil sie für Versammlungen ausgelegt waren. Gewisse Akzentuierungen in der „räumlichen Gliederung“ deuten auf die Orientierung an der „sich entwickelnden […] hispanischen Liturgie“ hin.36 So orientierten sich die Kirchenbauten des 4./5. Jhr. n. Chr. an „Mediterranean church-building trends“, während sich die Kirchen aus dem 6./7. Jhr. n. Chr. durch die Bestandteile der „so-called counter-apse, tripartite square sanctuaries or cruciform plans“37 von ihren Vorgängern unterschieden. Die Ausstattung der Kirchen war zum Großteil schlicht und nur in wenigen befanden sich Mosaiken, Fresken und Skulpturen. Viele dieser Kirchenbauten wurden für Begräbnisse und als martyria genutzt.38

Die Bischöfe waren in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens wie in der Politik, in der Rechtsprechung und im Bauwesen der Städte aktiv.39 Schon im 4. Jhr. n. Chr. bildeten sich zwei bischöfliche Wirkungsbereiche in der hispanischen Stadt heraus: Der Bischofspalast und die Kathedrale verkörperten ein innerstädtisches Zentrum der „politisch-religiöse[n] Macht“, während die Nekropolen, Klöster und martyria das außerstädtische Zentrum der „religiös-populäre[n]“ Macht darstellten.40 Die Bischöfe gründeten weiterhin städtische christliche Gemeinden und waren für die Verbreitung der christlichen Lehre und Moral zuständig. Sie hatten keinen Einfluss in den ländlichen Gegenden, wo die Feudalherren als lokale Herrscher etabliert waren.41 Als Konfliktpotential zwischen den städtischen Christen unter der Leitung der Bischöfe und den von Bischöfen unabhängigen ländlich-elitären Christen erwiesen sich vor allem Geld-, Lehr- und Machtfragen.42

Zusammenfassend ergibt sich, vor allem für die Frage nach der zielgerichteten Christianisierung der Stadt, folgende Synthese: Von einem planmäßigem Verdrängen paganer Gebäude aus dem Stadtbild zugunsten christlicher Gebäude kann in Hispanien nicht die Rede sein, denn die öffentlichen römischen Gebäude wie z.B. Amphitheater, circi, Bäder und Thermen verloren in der Spätantike im natürlichen Sinne ihre Funktion und Bedeutsamkeit.43 Die Christianisierung der hispanischen Stadt, das heißt, die Entstehung christlicher Zentren mit christlichen Bauten und Gräbern, die durch ihre Bau-, Nutzungs- und Funktionsweise eine Art „Gegenpol“ zu den bisherigen politischen, sozialen, religiösen und kulturellen Bestandteilen der Stadt darstellten und sie transformierten, begegnet uns im Wesentlichen44 auf drei Bedeutungsebenen:

1. Bauliche Umwidmungen: römische (meist öffentliche) Gebäude oder Gräber wurden nach ihrer Aufgabe umgebaut und als christlicher Kultbau nutzbar gemacht. Es geht hierbei also um eine „Christianisierung durch Vernachlässigung“45

2. Die Neuerrichtung christlicher Bauten und Gräber auf bisher unbebauten Flächen.

3. Die Funktion und Nutzungsweise der christlichen Bauten, die definiert bzw. bestimmt wurde durch christliche Kulte wie dem Märtyrerkult, deren kontinuierliche Praktizierung durch das Wirken der Bischöfe gewährleistet wurde.

 

 

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2013): Das hispanische Christentum und die Christianisierung der Stadt. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 

 

Bibliographie:

  1. Vgl. Mateos Cruz, P.: Die Anfänge der Christianisierung in den Städten Hispaniens, in: Panzram, S. (Ed.): Städte im Wandel. Bauliche Inszenierung und literarische Stilisierung lokaler Eliten auf der Iberischen Halbinsel. Münster 2007. S. 238 ; Irenaeus, Adv. Haer. 1,10 ; Tertullian, Adv. Iud. 7. ; Cypr. epist. 67 ; Arbeiter, A.: Die spätantike Stadt auf der Iberischen Halbinsel, in: Brands, G. / Severin, H.- G. (Eds.): Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle/Saale. Wiesbaden 2003. S. 34 ; Kulikowski, M.: Rome’s Gothic wars: from the third century to Alaric. Cambridge 2007. S. 216.
  2. Vgl. Orlandis, J. / Ramos-Lissón, D.: Die Synoden auf der iberischen Halbinsel bis zum Einbruch des Islam (711). (Konziliengeschichte, Reihe: A, Darstellungen). Paderborn 1981.
  3. Vgl. Kulikowski 2004. S. 40-43, 218 ; Kulikowski, M.: Cities and Government in Late Antique Hispania: Recent Advances and Future Research, in: Bowes, K. / Kulikowski, M. (Eds.): Hispania in late Antiquity. Current perspectives. Brill 2005. S. 37.
  4. Vgl. Schlunk, H. / Hauschildt, T.: Hispania Antiqua – Die Denkmäler der frühchristlichen und westgotischen Zeit. Mainz 1978. S. 8.
  5. Vgl. Kulikowski 2004. S. 219-220.
  6. Vgl. Vives, J.: Inscriptiones cristianas de la Espana romana y visigoda. (Monumenta Hispaniae Sacra, Vol. II). Barcelona 1942.
  7. Vgl. Alföldy, G. (Ed.): Die Römischen Inschriften von Tarraco. 2 Bde.. (Madrider Forschungen; Bd. 10) Berlin 1975. S. 482-483.
  8. Vgl. Handley, M. A.: Death, Society and Culture: Inscriptions and Epitaphs in Gaul an Spain, AD 300-750. Oxford 2003. S. 56-64.
  9. Vgl. Schlunk  / Hauschildt 1978. S. 19-28.
  10. Vgl. Bruun, P. M. / Mattingly, H. / Sydenham, E. A.: The Roman imperial coinage. Vol. 7: Constantine and Licinius : A. D. 313-337. London 1966. S. 61.
  11. Vgl. Wohlfeil, R.: Spaniens Geschichte im Spiegel von Münzen und Banknoten. Hamburg 2010. S. 49-90 ; Vives, J.: Inscriptiones cristianas de la España romana y visigoda. (Monumenta Hispaniae Sacra, Vol. II). Barcelona 1942. S. 147-160.
  12. Siehe Arbeiter in: Brands / Severin 2003. S. 34.
  13. Vgl. Schlunk / Hauschildt 1978.  S. 21 u. 28.
  14. Siehe Arbeiter in: Brands / Severin 2003. S. 35f.
  15. Vgl. Bowes, K.: Une coterie espagnole pieuse: Christian Archaelogy and Christian Communities in Fourth- and Fifth Century Hispania, in: Bowes, K. / Kulikowski, M. (Eds.): Hispania in late Antiquity. Current perspectives. Brill. 2005. S.193-201.
  16. Vgl. Arbeiter in: Brands / Severin 2003. S. 35f.
  17. Vgl. Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 258.
  18. Vgl. Bowes, K.: Private Worship, Public Values and Religious Change in Late Antiquity. Cambridge 2008.  S. 180-181 ; Schlunk / Hausschildt 1978. S. 10ff.
  19. Vgl. Kulikowski 2004. S. 249-255.
  20. Ebenda S. 216.
  21. Siehe Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 253. Anm.: Die früheste christliche Inschrift Hispaniens (RIT 944) datiert ins Jahr 393 n. Chr., daher ist die Existenz von christlichen Nekropolen vor 393 n. Chr. noch nicht erwiesen.
  22. Vgl. Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 247. ; Handley 2003. S. 143.
  23. Siehe Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 247.
  24. Vgl. Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 248-250 ; Maldonaldo, P. C.: Angelorum participes: The Cult of the Saints in Late Antique Spain, in: Bowes, K.; Kulikowski, M. (Eds.): Hispania in late Antiquity. Current perspectives. Brill 2005. S. 195 u. 220.
  25. Vgl. Clark, G.: Christianity and Roman Society. Cambridge 2004. S. 39.
  26. Siehe Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 247.
  27. Vgl. Leipziger, U.: Die römischen Basiliken mit Umgang. Forschungsgeschichtliche Bestandsaufnahme, historische Einordnung und primäre Funktion. Nürnberg, Univ., Diss–Erlangen, 2006. S. 149.
  28. Siehe Brown, P.: Die Heiligenverehrung : ihre Entstehung und Funktion in der lateinischen Christenheit. Leipzig 1991. S. 16.
  29. Vgl. Leipziger 2006. S. 104.
  30. Siehe Leipziger 2006. S. 105.
  31. Vgl. Maldonado in: Bowes /Kulikowski 2005. S. 159 ; Handley 2003. S. 144-155.
  32. Vgl. Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 247 ; Maldonado in: Bowes / Kulikowski 2005. S. 165f.
  33. Vgl. Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 261 ; Kulikowski in: Bowes / Kulikowski 2005. S. 65.
  34. Vgl. Kulikowski in: Krause / Witschel 2006. S. 140.
  35. Vgl. Zwölftafelgesetz TABVLA X: „Hominem mortuum in urbe ne sepelito neve urito“, in: Flach, D.: Das Zwölftafelgesetz – Leges XII tabularum. (Texte zur Forschung, Bd. 83). Darmstadt 2004. S. 146.
  36. Siehe Arbeiter in: Brands / Severin 2003. S. 36.
  37. Siehe Bowes in: Bowes / Kulikowski 2005. S. 204.
  38. Vgl. Bowes in: Bowes / Kulikowski 2005. S. 194.
  39. Vgl. Brands, G.: Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung in: Brands, G. / Severin, H.-G. (Eds.): Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle/Saale. Wiesbaden 2003. S. 14 ; Kulikowski, M.: The Late Roman City in Spain, in: Krause, J.-U. / Witschel, C. (Eds.): Die Stadt in der Spätantike – Niedergang oder Wandel? Akten des internationalen Kolloquiums in München am 30. und 31. Mai 2003. (Historia Zeitschrift für Alte Geschichte, Heft 190). Stuttgart 2006. S. 141.
  40. Siehe Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 262.
  41. Vgl. Bowes 2008. S. 187ff..
  42. Vgl. Bowes 2008. S. 182-186.
  43. Vgl. Kulikowski 2004. S. 96-101 ; Brands in: Brands / Severin 2003. S. 14-15.
  44. Anm.: Es sind im Römischen Reich nur wenige Beispiele zu finden, bei denen heidnische Gebäude abgerissen wurden, um mit christlichen Gebäuden überbaut zu werden. Vgl. Brands in: Brands / Severin 2003. S. 14-15.
  45. Siehe Brands in: Brands / Severin 2003. S. 18.

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2013/03/das-hispanische-christentum-und-die-christianisierung-der-stadt/

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Überlegungen zur Datierung der Inschrift CIL XVI, 55

Wie kann man eigentlich eine antike Inschrift datieren? Was für Angaben können hilfreich sein den Zeitpunkt der Abfassung näher zu bestimmen? Zu diesen Fragen sollen am Beispiel der Inschrift CIL XVI, 55 1 einige Überlegungen angestellt werden:

In dem sogenannten Auxiliardiplom aus Weissenburg (röm. Biriciana in der römischen Provinz Raetia) für den Reiter Mogetissa begegnen uns nach kurzem Lesen zahlreiche Ehrentitel desjenigen, der dieses Diplom ausstellen ließ. Natürlich handelt es sich beim Auftraggeber und Verfasser der Inschrift um den Kaiser Trajan. Aber auf welchen Zeitpunkt bzw. Zeitraum lässt sich die Inschrift bzw. die Abfassung der Inschrift datieren?

Mal angenommen, dass jemand populäres vor langer Zeit einen Brief verfasst hat und ich viele Jahre später den Zeitpunkt der Abfassung des Briefes näher bestimmen will, dann muss ich den Inhalt des Briefes auch auf mögliche Ereignisse untersuchen, die mir aus anderen Überlieferungen bzw. Quellen bekannt sind. Berichtet der Verfasser des Briefes über diese Ereignisse und weiß ich wann diese Ereignisse sich zugetragen haben, dann kann ich auch eine Aussage über den ungefähren Zeitraum, in der der Brief verfasst wurde, treffen.

Die Inschrift CIL XVI, 55 gibt Auskunft über drei Angaben (Volkstribunat, Konsulate, Anzahl der militärischen Oberbefehle bzw. Imperator), die zur Datierung der vorliegenden Inschrift hilfreich sind.

Eine zusätzliche Hilfe bieten folgende Informationen zur politischen Laufbahn des Kaiser Trajan: Der Kaiser Marcus Ulpius Traianus bekleidete vom 28. Januar 98 n. Chr. bis zum 7. August 117 n. Chr. das Amt des Kaisers. Er wurde Ende 97 n. Chr. zum Caesar und Anfang 98 n. Chr. zum Imperator, Pontifex Maximus, Pater Patriae und Proconsul erhoben.2

Jetzt muss man die drei Angaben einmal durchgehen:

1. Der Kaiser Marcus Ulpius Traianus war ingesamt einundzwanzig Mal Volkstribun (vom 28.10.99 n. Chr. bis August 117 nach Christus. Die Angabe der Inschrift auf das elfte Volkstribunat verweist auf einen langen Zeitraum zwischen dem vierten Volkstribunat vom 10. Dezember 99 n. Chr. bis zum einundzwanzigsten Volkstribunat am 10. Dezember 116 n. Chr., der wenig Aufschluss über die genaue Datierung der Inschrift gibt.

Der Kaiser Marcus Ulpius Traianus war insgesamt sechsmal Konsul und das in der Inschrift fünfte Konsulatsamt bekleidete er vom 1. Januar bis zum 13. Januar 103 n. Chr.

Hilfreicher für die Datierung der Inschrift ist aber die Anzahl der militärischen Oberbefehle bzw. wie häufig der Kaiser zum Imperator ausgerufen wurde. Vom Herbst 101 n. Chr. bis zum Jahr 116 n. Chr. war er dreiundzwanzigmal Imperator. Die Angabe der Inschrift: „zum sechsten Mal zum Imperator ausgerufen“3 verweist auf den August oder Herbst 106 n. Chr. an dem Marcus Ulpius Traianus zum sechsten Mal zum Imperator ausgerufen wurde. Die Inschrift muss aber vor 114 n. Chr. datiert werden, denn 114 n. Chr. wurde der Kaiser zum siebten Mal zum Imperator ausgerufen.

Zusammenfassend kann für die Datierung der Inschrift nur auf einen Zeitraum von 106 n. Chr. bis 114 n. Chr. gedeutet werden. Nach heutigem Forschungsstand setzt man die Datierung allerdings auf 107 n. Chr. fest.4

Der weitere Inhalt der Inschrift befasst sich noch mit folgendem Sachverhalt: Wir lesen darüber, dass der römische Kaiser Trajan Fußsoldaten und Reitern, die 25 oder mehr Jahre in der römischen Armee gedient haben und ehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen worden sind, das römische Bürgerrecht verleiht. Doch nicht nur die Soldaten, sondern auch ihren Kinder und Nachfahren sollten in den Genuss des römischen Bürgerrechts kommen. Außerdem dürfen die Soldaten eine rechtsgültige Ehe mit den Frauen eingehen, die „sie zum Zeitpunkt der Bürgerrechtsverleihung hatten“5 oder die sie in Zukunft haben werden. Besonders wichtig an dem Erlass war aber, dass jeder Soldat nur eine Ehefrau haben durfte. Dies könnte darauf abgezielt haben, dass die meisten der Soldaten zur Zeit der Bürgerrechtsverleihung mehrere Ehefrauen gehabt haben. Möglicherweise hatte auch der Adressat der Inschrift, der Reiter Mogetissa, gegen dieses Monogamiegebot verstoßen und wurde in diesem Diplom wiederholt ermahnt. Dennoch stellen die Aussagen der Inschrift zweifellos allgemeingültige Gebote dar und richten sich nicht allein an den römischen Reiter Mogetissa.

Zu guter Letzt noch eine weitere kleine Hilfe zur zeitlichen Einordnung  der Inschrift: Wir wissen aus anderen Quellen, dass in der Mitte des zweiten Jahrhunderts (ab 140 n. Chr.) die Regelung abgeschafft wurde, dass rückwirkend auch den in der Dienstzeit gezeugten Kindern das römische Bürgerrecht verliehen werden sollte.6 Danach sollte es nur den nach der Dienstzeit des römischen Soldaten gezeugten Kindern gewährt werden das römische Bürgerrecht zu erhalten. Da in dieser Inschrift noch beide Möglichkeiten bestehen, muss die Inschrift weit vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts verfasst worden sein.

 

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2013): Überlegungen zur Datierung der Inschrift CIL XVI, 55. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 

 

Bibliographie:

  1. Anm.: Der lateinische Inschriftentext befindet sich hier: Mommsen, T. / Nesselhauf, Heribert: Corpus Inscriptionum Latinarum, Vol XVI. Diplomata Militaria. Ex Constitutionibus Imperatrum de civititate et conubio militium veteranorumque expressa. Berolini 1936. S. 52.
  2. Vgl. Kienast, D.: Römische Kaisertabelle : Grundzüge einer römischen Kaiserchronologie. Darmstadt 2004. S. 122-123.
  3. Siehe Lambert, N.; Scheuerbrandt, J.: Das Militärdiplom, Quellen zur römischen Armee und zum Urkundenwesen. Stuttgart 2002.
  4. Poethke, G. / Prignitz, S. / Vaelske, V.: Das Aktenbuch des Aurelios Philamon. Prozessberichte, Annona Militaris und Magie in BGU IV 1024-1027. (Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 34, 2012) Berlin u.a. 2012. S. 71. ; Alföldy, Geza. “Zur Beurteilung der Militärdiplome der Auxiliarsoldaten.” Ronzische Heeresgeschichte: Beiträge 1962-1985. Amsterdam 1987. S. 55.
  5. Poethke, G. / Prignitz, S. / Vaelske, V.: Das Aktenbuch des Aurelios Philamon. Prozessberichte, Annona Militaris und Magie in: BGU IV 1024-1027. (Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 34, 2012). Berlin u.a. 2012. S. 71.
  6. Poethke, G. / Prignitz, S. / Vaelske, V.: Das Aktenbuch des Aurelios Philamon. Prozessberichte, Annona Militaris und Magie in: BGU IV 1024-1027. (Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 34, 2012). Berlin u.a. 2012. S. 72.

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2013/02/uberlegungen-zur-datierung-der-inschrift-cil-xvi-55/

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Aktuelle Problematiken bei der Globalisierung von Polizeiarbeit

In der globalisierten Moderne werden Probleme wie Terrorismus, Krieg, organisierte Kriminalität, Umwelt- und Wirtschaftsdelikte zu grenzübergreifenden Gefahren und machen daher eine internationale Zusammenarbeit im Polizeiwesen zunehmend erforderlich. Dass in der Umsetzung von internationaler Polizeiarbeit zahlreiche Schwierigkeiten, auch ethischer Art auftreten, ist nicht von der Hand zu weisen. Bereits bei oberflächlicher Betrachtung der Einsätze in  Afghanistan-Einsatz oder  im Kosovo wird auf der Suche nach auftretenden Schwierigkeiten schnell fündig. Im kriminalpolizeilichen Bereich bestehen mit Interpol und Europol bereits feste zwischenstaatliche Institutionen – in ihren Aufgabenbereich fallen u. a. die Bearbeitung internationaler Strafsachen, die Koordination internationaler Fahndungen oder die operative und strategische Analyse von Akten internationaler Kriminalität. Interpol und Europol haben allerdings keine Exekutivbefugnisse.1

Darüber hinaus führen insbesondere die Vereinten Nationen (UN) eine Vielzahl weiterer internationaler Polizeieinsätze durch. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts setzte ein Wandel der Kriegsformen ein. Der Abnahme zwischenstaatlicher Kriege steht eine Zunahme innerstaatlicher, bürgerkriegsähnlicher Konflikte mit oft komplexen Ursachen gegenüber. Entsprechend hat die Zahl von UN-Einsätzen zur Friedenskonsolidierung („Peacebuilding“) zugenommen. Nach der Entmilitarisierung der Konfliktparteien sind dabei auch zivile Experten für humanitäre Hilfe und den (Wieder-)Aufbau eines funktionierenden Staatsapparates gefragt. In diesem Rahmen haben die von den UN entsandten Polizeikräfte – je nach Reichweite des UN-Mandats – meist folgende Aufgaben: Beobachtung, Überwachung, Beratung und Ausbildung der örtlichen Polizei sowie die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit. Da die Polizei die Verkörperung des staatlichen Gewaltmonopols und zugleich Exekutivorgan zur Durchsetzung des Rechtsstaats ist, gilt sie als wichtiges Bindeglied zwischen militärischer Sicherheit und zivilem Staatsaufbau.2

Im Jahre 2011 unterstützte die Bundesrepublik Deutschland beispielsweise die UN und die EU in neun Missionen mit insgesamt mehr als 300 Polizisten. Eine dieser Missionen war in 2011 der Einsatz in Afghanistan. Die deutschen Polizeikräfte haben hier keine exekutiven Befugnisse. Das Ziel ist vielmehr der Aufbau effektiver Polizeistrukturen unter afghanischer Eigenverantwortung. Dies soll durch Ausbildung, Betreuung, Beobachtung und Beratung afghanischer Polizisten erreicht werden. Dabei zeigt sich jedoch, dass in Westeuropa funktionierende Konzepte nicht ohne Weiteres auf andere Kulturen übertragen werden können. Tatsächlich ist die afghanische Polizei für die einheimische Bevölkerung eher eine Quelle der Angst als ein Garant für Sicherheit. Zudem bestehen Probleme bei der Personalrekrutierung und der Materialausstattung, bei der Kooperation mit der afghanischen Regierung und der Einigung mit den anderen UN-Nationen über die inhaltliche Gestaltung der Sicherheitsreform. Letzteres liegt auch daran, dass verschiedene Nationen für die unterschiedlichen Bereiche des Sicherheitssektors wie Polizei (Deutschland), Militär (USA), Justiz (Italien) oder Demobilisierung (Japan) verantwortlich sind, sodass kein einheitliches Reformkonzept besteht.3

Eine weitere internationale Polizeimission mit deutscher Beteiligung findet im Kosovo statt, wo ebenfalls u. a. ein Polizeiwesen aufgebaut werden soll. An dieser Aufgabe sind hier allerdings 44 Nationen beteiligt. Neben Kommunikations- und Koordinationsschwierigkeiten bestehen dabei auch unterschiedliche Auffassungen über das Selbstverständnis der Polizei. Vertrauensverlust der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen, Korruption, steigende Kriminalitätsraten und Etablierung von Mafiabanden sind die Folge.4

„Culture clash“ beim sogenannten Wiederaufbau

Intervenieren westliche Mächte im Ausland und versuchen anschließend den Staat, in dem interveniert wurde, neu aufzubauen, dann legen sie dabei meist ihr eigenes Verständnis von Fortschritt und Entwicklung als Maßstab für das Gelingen des Wiederaufbaus an. Freie Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie setzen sie als anzustrebende Ziele. Die Herstellung von Sicherheit gilt dabei als Voraussetzung zum Erreichen dieser Ziele. Um Sicherheit herzustellen, werden Herrschaftsinstitutionen wie die Polizei etabliert, die über die Legalität und Illegalität von Verhaltensweisen urteilen. In nicht-westlichen Kulturen sind aber teilweise ganz andere Werte und Normen verankert. Das westliche Verständnis einer demokratisch legitimierten, „für Recht und Ordnung sorgenden“ Polizei setzt sich daher nur schwer durch. Eine stärkere Einbeziehung der einheimischen Kultur und lokaler Akteure wäre nötig sowie ein intensives Vertrautmachen mit den sozialen, ethnischen und geschichtlichen Hintergründen einer Gesellschaft und Region, um bessere Zugänge zu den Menschen zu finden. Allerdings kann man als von der UN gesandter Polizist an die Grenzen seines Selbstverständnisses geraten, wenn die einheimische Kultur soweit berücksichtigt wird, dass von Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gesprochen werden kann.

Im Bereich des Polizeiwesens ist aber festzuhalten, dass die Demokratisierung des Staates auch gar nicht das Erfolgskriterium ist. Vielmehr soll die Polizei für eine Stabilisierung und Befriedung der Region sorgen, für die Herstellung öffentlicher Sicherheit. Welches Staatsverständnis dabei durchgesetzt werden soll, ist auf einer anderen Ebene zu klären.

Die Absicht, die eigenen Werte und Normen in fremden Kulturen zu etablieren, führt zu der Frage, ob es sich bei solchen Interventionen um Neo-Kolonialismus handelt. Insbesondere beim Afghanistan-Einsatz ist diese Frage zu stellen, da hier im Gegensatz zu vielen anderen Missionen nicht die Intention war, Menschenrechtsverletzungen durch den Staat an der Bevölkerung zu unterbinden. Vielmehr war Terrorprävention die Rechtfertigung. Afghanistan wurde als Unterschlupf für Terroristen und somit als Gefahrenquelle betrachtet. Die Intervention sollte also für mehr Sicherheit für die westliche Welt sorgen. Während Kolonialisierungen aber in aller Regel wirtschaftlich intendiert und auf Dauer angelegt sind, ist die Intervention in Afghanistan ihrer Natur nach sicherheitspräventiv und vorläufig. Kolonialistisch ist sie somit nicht, imperial dagegen allemal.

Das zunehmende Zusammenwachsen Europas lässt vermuten, dass es irgendwann eine EU-weite Exekutive geben wird.

Geltung ohne Bedeutung?

In vielen Diskussionen wird immer wieder der Kritikpunkt genannt, dass „westliche” Traditionen und Normen nicht einfach zu implementieren wären. Dass heißt, es reicht nicht, die Polizei im Ausland so auszubilden, wie man es „zu Hause“ tut. Man muss sich mit den Werten und Normen des Landes auseinandersetzen. Ansonsten droht die Niederlage des eigenen Handelns.

Der italienische Philosoph und Politikwissenschaftler Giorgio Agamben schildert einen ähnlichen Fall, in dem der Staat versucht ein Regelsystem aufrechtzuerhalten, das kulturell vielleicht nicht überholt ist, aber kein Zusammenleben zwischen Gesetz und Mensch ermöglicht und damit ein bedeutungsloses Regelsystem schafft. Agamben beschreibt es folgendermaßen:

„Was ist ein Staat, der die Geschichte überlebt, eine staatliche Souveränität, die sich über das Erreichen des historischen telos hinaus erhält, wenn nicht ein Gesetz, das gilt, ohne zu bedeuten?”5

In Diskussionen, in denen es um Polizeiaufgabenhilfe im Ausland geht, fallen oftmals Begriffe wie „Weltpolizei“ oder die „Indoktrination“ westlicher Werte. Dabei wird kritisiert, dass westliche Werte als Naturrechte dargestellt werden. Dabei seien Werte wie Freiheit und Demokratie nur Erfindungen, und auch Menschenrechte wären nur aus der westlichen Philosophie entstanden, aber würden keine objektiven ‚Ur-Werte‘ darstellen; und so wie auch McDonalds eine Erfindung ist, haben sie einen gewissen Erfolg im Ausland, aber sind sie nicht imstande Traditionen zu brechen.

Franz Kafka beschreibt in seinem Buch “Der Process” die Beziehung mit dem Gesetz als ein „Nichts der Offenbarung”.  Darin beschreibt er einen Stand, in dem das Gesetz sich noch behauptet, d.h., dass das Gesetz gilt, aber nichts bedeutet. Auch bei Auslandseinsätzen der Polizei, insbesondere wenn es um den Aufbau einer Polizei bzw. eines Rechtsstaates geht, trifft dieses zu – dem Recht obliegt eine Geltung aber keine Bedeutung.

In seinem Werk „Homo Sacer“ stellt Giorgio Agamben das Gesetz vor, das keine Bedeutung hat. Er bezieht sich auch auf Kafka, auf den Mann „Vor dem Gesetz”, der das offene Tor versucht zu öffnen. So sei auch das Gesetz ein offenes Tor, welches zu öffnen versucht wird. Aber was offen ist, kann nicht geöffnet werden. Daraus ergibt sich nach Agamben ein aktuelles Problem: „Alle Gesellschaften und Kulturen (…) sind heute in eine Krise der Legitimation geraten, in der das Gesetz (…) als reines ‘Nichts der Offenbarung’ gilt.6

Auch Immanuel Kant spricht von der „bloßen Form” des Gesetzes, also der alleinigen Geltung: „Nun bleibt von einem Gesetz, wenn man alle Materie, d.i. Jeden Gegenstand des Willens (als Bestimmungsgrund) davon absondert, nichts übrig, als die bloße Form einer allgemeinen Gesetzgebung.”7

Aus der Bedeutung des Gesetzes heraus entsteht also auch die  Vorrausetzung für die Legitimation und die Sinnhaftigkeit einer staatlichen Handlung. In Afghanistan scheint das „westliche“ Gesetz keine Bedeutung zu haben. Daraus ergibt sich für den Afghanistan-Einsatz die Fragestellung: Kann man mit der Bedeutungslosigkeit des Gesetzes das Scheitern in der Polizeiaufgabe in Afghanistan erklären?

Für die Ausbildung der Polizei in Afghanistan ist Deutschland seit 2002 als internationaler Chefausbilder zuständig. Die Aufgabenstellung der deutschen Polizeibeamten in Afghanistan definiert sich wie folgt:

„Neben der im ersten Schritt dringend benötigten Ausstattung in nahezu allen Bereichen polizeilicher Arbeit hat das Team vor allem die Aufgabe, bei der Reformierung der Ausbildung und Organisation der zukünftigen afghanischen Polizei sowie bei der Drogenbekämpfung als Berater für die jeweiligen afghanischen Verantwortungsträger zur Verfügung zu stehen.”8

Insgesamt wurde die Polizeiarbeit von der Polizei Nordrhein-Westfalens als positiv bewertet:

„Die afghanischen Kollegen seien zum ganz überwiegenden Teil durchaus gut qualifizierte Polizisten, die lediglich während der letzten 20 Jahre schlummern mussten [...). Vieles von dieser guten polizeilichen Ausbildung ist auch das Resultat ehemaliger enger Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland in den 60er und 70er Jahren sowie zur DDR zu Zeiten des kommunistischen Machteinflusses nach 1979. Wie gut diese damaligen Beziehungen gewesen sind, können wir noch heute in Gesprächen vor allem mit den älteren afghanischen Kollegen erfahren, die immer wieder von ihren Erlebnissen während dieser Zeit berichten, die bis zur kompletten Teilnahme an Ausbildungen des gehobenen und auch höheren Dienstes reichen.” 9

Allerdings zeichnen die Medien ein anderes Bild. Die Polizeiarbeit wird doch als „kläglich gescheitert" angesehen, „Die Regeln westlicher Zivilisationen seien außer Kraft"10 gesetzt worden und die „Schaffung eines Rechtsstaates in Afghanistan [sei] eine Illusion”.11  Deutschland habe sich in der Rolle des Ausbilders blamiert. „Zu viel Bürokratie, zu wenig Investitionen, dazu Lehrstoffe, die eher ins Schwabenland passen als nach Kabul”12,  und als „ausgebildet gilt dabei jeder, der mal ein Klassenzimmer gesehen hat und sei es für eine Woche.“ 13

Des Weiteren erreichen auch die Anwärter für die Polizeischule nicht das erforderliche Qualitätsniveau.  Die Auszubildenden seien weder „körperlich noch geistig” für den Polizeidienst geeignet und bewürben sich „meistens nur aus Not, nicht aus Überzeugung”.14  Zudem seien 90 Prozent Analphabeten und könnten sich nicht länger als 30 Minuten konzentrieren. Viele Unterrichtsstunden bestünden allein aus Übersetzungsarbeit. Insgesamt hätte sich „die auf acht Wochen reduzierte Ausbildung der Polizeianwärter nicht bewährt.” 15

Damit hätte Deutschland die afghanische Wirklichkeit nicht anerkannt und könne auch nicht davon ausgehen, dass die vorgelebten Normen oder Werten aus der westlichen Welt auf fruchtbaren Boden stoßen: „Wir erkennen die afghanische Wirklichkeit nicht an und deshalb werden wir dort scheitern”.16 Deswegen werde „das Land (…) niemals nach den Regeln westlicher Zivilisation funktionieren” können. 17
Hierbei ist deutlich zu sehen, dass die Gesetze, Normen und Überzeugungen der westlichen Welt keine Frucht in Afghanistan tragen. Allerdings ist es auch zu bezweifeln, dass niemand den Normen und Werten Bedeutung zumessen möchte. Sicherlich haben westliche Werte nicht den gleichen gesellschaftlichen Stand wie zum Beispiel in Europa, dennoch kann alleine die Bedeutungslosigkeit nicht das Problem der fehlenden Akzeptanz der Entwicklungsprogramme erklären.

Insgesamt zeichnet sich zwar ein fatales Bild der Polizeiausbildungshilfe in Afghanistan ab. Allerdings wäre es zu simpel, das nur auf eine Bedeutungslosigkeit der Gesetze für die afghanische Bevölkerung zu schieben. Denn auch wenn eine Implementierung der Gesetze und Ordnungen nicht immer einfach zu sein scheint, gewisse Tendenzen und Erfolge zeichnen sie ab – auch in Afghanistan. Aber die strukturellen Probleme machen auch eine erfolgreiche Polizeiarbeit zunichte.

Hierbei könnte man auch bei Johan Galtung anknüpfen, der strukturelle Gewalt als eine Form der Ungleichheit sieht.18 Also ungleiche Behandlung wie auch Verteilung von Einkommen, Bildungschancen und Lebenserwartungen oder auch das Wohlstandsgefälle zwischen der Ersten und der Dritten Welt. Zudem nehme man diese Ungleichheit nur unbewusst wahr – zu sehr ist man in „alten“ Traditionen und Werten gefangen – dennoch „lebt” man sie. Und auch wenn man bei solch einer Hilfe von Seiten der Deutschen nicht von Kolonialismus die Rede sein kann, ist dennoch nicht auszuschließen, dass die Afghanen sich diesem „Machtgefüge“ eigentlich nicht fügen wollen.

Insgesamt muss man feststellen, dass Gesetze keinen Sinn ergeben, wenn Strukturen nicht erschaffen werden, die den Gesetzen eine Bedeutung zumessen können. Ungebildete Menschen in acht Wochen zu gebildeten und voll ausgebildeten Menschen zu machen, ist schier unmöglich. Vor allem, wenn dabei die Hälfte der Zeit für Übersetzungen gebraucht wird und das Einkommen zu gering ist, um eine Familie zu ernähren. Eine Struktur zu schaffen, würde bedeuten, bei den Menschen vor Ort die Struktur zu verändern und Möglichkeiten zu schaffen, die eigene Lebenslage wahrzunehmen und zu verbessern. Das zeigt sich auch dort, wo diejenigen zur Polizei gehen, die keine andere Chance haben und nicht die, die vielleicht „etwas bewegen“ wollen. Das lässt zumeist großen Spielraum für Korruption, welches auch ein großes Problem bei der Polizei in Afghanistan darstellt. Insofern gelten nicht nur andere Normen und andere Traditionen. Sondern auch die Suche nach Lebensverbesserung durch zum Beispiel ökonomische Vorteile gilt auch für die Bewohner.

„Damit die alten Sitten nicht gleich wieder einreißen, bleiben deutsche Mentoren für zehn Monate vor Ort. Doch, so bisher die Erfahrung der Amerikaner, nach zwei Jahren ist die Hälfte der Polizeihelden wieder weg. Manche sterben im Einsatz; die meisten gehen zu Sicherheitsfirmen oder Warlords.”19 Und die „Norm” nach wirtschaftlichen Vorteilen ist in der westlichen Welt nicht anders.

Polizei auf dem Weg in die Souveränität?

Einen weiteren Kritikpunkt bei Polizeiinterventionen sieht Giorgio Agamben in der wachsenden Zahl von Interventionen, die als Polizeiaktionen „verkauft“ werden, dabei aber eigentlich militärische Missionen darstellen. Dabei, so Agamben, würde die Polizei eine Souveränität erlangen, die ihr eigentlich in der Demokratie nicht zustehe. Agamben bezieht sich darauf auf den Zweiten Golfkrieg, der 1990 anfing und dem das „unscheinbare Gewand einer ‘Polizeioperation’ gegeben“ wurde. Hierbei hätte es sich eigentlich um eine militärische Intervention gehandelt, die dann als Polizeioperation getarnt war. Diese Polizeioperationen haben nach Agamben eine schwerwiegende Konsequenz:

„Tatsache ist, dass die Polizei (…) vielleicht der Ort ist, an dem sich mit größter Deutlichkeit die Nähe, ja fast die konstitutive Vertauschung von Gewalt [violenza] und Recht entblößt, die die Figur des Souverän kennzeichnet.“20

Zudem würde die Polizei sich in einem Ausnahmezustand bewegen. Ihre Rolle ist also kein Regelfall. Der Ausnahmezustand wird vom Souverän ausgerufen, welches Agamben nach auch die Polizei ist, und diese kann des Weiteren die Gesetze aufheben. Dieser Ausnahmezustand sei aber auch ein Ort, in dem zwischen Recht und Gewalt keine Unterschiede mehr bestehen. Denn die Ausnahme ist ein Schwellwert der existierenden Rechtsordnung:

„In Wahrheit steht der Ausnahmezustand weder außerhalb der Rechtsordnung, noch ist er ihr immanent, und das Problem seiner Definition betrifft genau eine Schwelle oder eine Zone der Unbestimmtheit, in der innen und außen einander nicht ausschließen, sondern sich un-bestimmen. Die Suspendierung der Norm bedeutet nicht ihre Abschaffung, und die Zone der Anomie, die sie einrichtet, ist nicht ohne Bezug zur Rechtsordnung.“21

Der Ausnahmezustand ist insoweit gefährlich, als dass in diesem Augenblick das Recht praktisch aufgehoben wird. In diesem Beispiel wäre die Polizei wirklich souverän und müsste sich nicht rechtfertigen. Prinzipien und Werte gelten dann auf einmal nicht einmal mehr. Die Polizei muss sich also keinem Kontrollmechanismus mehr verantworten und hat grenzenlose Macht. Agamben geht mittlerweile davon aus, dass der Ausnahmezustand zur Regel geworden ist. Dabei bezieht er sich auf Walter Benjamin, der das Recht der Polizei „als den Punkt bezeichnet, an welchem „der Staat (…) jede Rechtsordnung, die er um jeden Preis zu erreichen wünscht, nicht mehr durch die Rechtsordnung garantieren kann.“22

Um dieses zu verdeutlichen, führt Agamben die Judenverfolgung während des Dritten Reiches an, die seiner Meinung nach ausschließlich als Polizeioperation konzipiert wurde. Dieses unterstreicht er mit der Wannenseekonferenz im Januar 1942, in der die Polizeifunktionäre die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen haben.  Doch diese vermeintlichen Polizeioperationen hätten laut Agamben noch weitere Konsequenzen gehabt. Durch diese Polizeiaktion müsste der Gegner erst mal kriminalisiert werden, um im Nachfolgenden vernichtet werden zu können.  Allerdings würden die Staatsoberhäupter vergessen, dass sich die Kriminalisierung auch irgendwann gegen sie selbst richten kann. Zwar nahmen an der Wannseekonferenz sechs führende Polizeifunktionäre teil, aber auch Staatssekretäre verschiedener Ministerien, sowie leitende Funktionäre der Gestapo und SS. Und auch die endgültige Vernichtung der Juden war kein Novum. Der Holocaust wurde schon längst beschlossen und teilweise auch ausgeführt. Es ging hierbei nur noch um eine Systematisierung und bessere Koordinierung sowie Organisation der Deportationen. Zudem sollte die Zusammenarbeit bei dem Genozid sichergestellt werden. Insofern kann nicht davon gesprochen werden, dass “die Endlösung der Judenfrage” eine Polizeioperation war. Zumal das Dritte Reich mit seinen rechtlichen und staatlichen Form eine einmalige Form der “Regierung” darstellt. Insofern ist es schwer, dass auf andere Regierungsformen, wie zum Beispiel die Demokratie, zu beziehen.

Die Polizei der Zukunft?

Keine Frage. Die sogenannte „souveräne Polizei“ wird zu Kontroversen führen, wenn es keine nationale, sondern eine internationale Polizei mit Exekutivrechten geben wird. Fragen nach der Handelslegitimierung sowie nach dem Souverän nach der Definition von Agamben müssten erst mal geklärt werden. Wer darf über Polizeioperationen entscheiden und inwieweit wird das Souveränitätsprinzip aufgehoben?

 

 

Empfohlene Zitierweise: Goździelewska, Agnieszka (2013): Aktuelle Problematiken bei der Globalisierung von Polizeiarbeit. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 

 Bibliographie:

  1. Srock, Gregor: Rechtliche Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung von Europol: Perspektiven im EU-Vertrag in der Verfassung von Europa. Tübingen 2006. S. 34ff.
  2. Hubegger, Berthold: Auslandseinsätze der Polizei: eine Studie des Bundesministeriums für Inneres. Wien 2011. S. 25ff.
  3. Seiffert, Anja / Langer, Phil C. / Carsten, Pietsch: Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan: Sozial- und politikwissenschaftliche Perspektiven. Wiesbaden 2012.
  4. Kramer, Helmut / Džihić, Vedran: Die Kosovo-Bilanz: Scheitert die internationale Gemeinschaft? Wien 2005.
  5. Siehe Agamben, Giorgio (2001), Jenseits der Menschenrechte, In: Ders: Mittel ohne Zweck, Freiburg, S. 23-33.
  6. Siehe Agamben, Giorgio (2002), Rechtsform, In: Ders.: Homo Sacer: Die Souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt am Main, S. 60-76.
  7. Zitiert nach Weischedel, Wilhelm: Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 7, Frankfurt am Main 1977. § 4. Lehrsatz III. S. 135-136.
  8. Siehe: Polizei des Landes Nordrhein-Westfalens (2005), Projektgruppe Polizeiliche Aufbauhilfe Afghanistan, URL: http://www.polizei-nrw.de/auslandseinsaetze/einsatzgebiete/article/PG_PAA.html (Abrufdatum: 15.07.2001).
  9. Siehe: Polizei des Landes Nordrhein-Westfalens (2005), Projektgruppe Polizeiliche Aufbauhilfe Afghanistan, URL: http://www.polizei-nrw.de/auslandseinsaetze/einsatzgebiete/article/PG_PAA.html (Abrufdatum: 15.07.2001).
  10. Siehe SPIEGELOnline (2010), Mission am Hindukusch. Deutsche Polizisten  fürchten Afghanistan-Desaster, URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,686968,00.html (Abrufdatum: 15.07.2001).
  11. Siehe SPIEGELOnline (2010), Mission am Hindukusch. Deutsche Polizisten  fürchten Afghanistan-Desaster, URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,686968,00.html (Abrufdatum: 15.07.2001).
  12. Siehe Zepelin, Joachim (2009), Polizeiausbildung in Afghanistan. Zweiter Bildungsweg URL: http://www.stern.de/politik/ausland/polizeiausbildung-in-afghanistan-zweiter-bildungsweg-707290.html (Abrufdatum: 15.07.2001).
  13. Siehe Zepelin, Joachim (2009), Polizeiausbildung in Afghanistan. Zweiter Bildungsweg URL: http://www.stern.de/politik/ausland/polizeiausbildung-in-afghanistan-zweiter-bildungsweg-707290.html (Abrufdatum: 15.07.2001).
  14. Siehe SPIEGELOnline (2010), Mission am Hindukusch. Deutsche Polizisten  fürchten Afghanistan-Desaster, URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,686968,00.html (Abrufdatum: 15.07.2001).
  15. Siehe SPIEGELOnline (2010), Mission am Hindukusch. Deutsche Polizisten  fürchten Afghanistan-Desaster, URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,686968,00.html (Abrufdatum: 15.07.2001).
  16. Siehe SPIEGELOnline (2010), Mission am Hindukusch. Deutsche Polizisten  fürchten Afghanistan-Desaster, URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,686968,00.html (Abrufdatum: 15.07.2001).
  17. Siehe SPIEGELOnline (2010), Mission am Hindukusch. Deutsche Polizisten  fürchten Afghanistan-Desaster, URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,686968,00.html (Abrufdatum: 15.07.2001).
  18. Imbusch, Peter / Zoll, Ralf: Friedens- und Konfliktforschung: Eine Einführung. Wiesbaden 2010. S. 88ff.
  19. Siehe Financial Times (2009) Zweiter Bildungsweg, URL: http://www.ftd.de/politik/international/:agenda-zweiter-bildungsweg/545075.html?page=3 (Abrufdatum: 15.07.2001).
  20. Siehe Agamben, Giorgio (2001) Souveräne Polizei, In: Mittel ohne Zweck, Noten zur Politik, Freiburg, S. 99-102.
  21. Siehe Agamben Giorgio (2004), Ausnahmezustand, Frankfurt am Main, S. 8ff.
  22. Siehe Agamben, Giorgio (2001), Souveräne Polizei, In: Mittel ohne Zweck, Noten zur Politik, Freiburg, S. 99-102.

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2013/01/aktuelle-problematiken-bei-der-globalisierung-von-polizeiarbeit-und-internationalen-polizeimissionen/

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Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Über rechtswidrige Polizeigewalt

Gewalt und Gewaltanwendung  werden vor allem dort gelebt wo Menschen wütend und verzweifelt sind und wo sogar der Spaß an der Verletzung anderer, ob körperlich oder psychisch, vorhanden ist. Es sind mitunter Machtspielchen, das Gefühl von Kontrolle über andere und das bloße Bedürfnis sich auf Kosten anderer “abzureagieren”. Nicht nur im privaten Raum, vor vielerlei Augen verborgen, sondern gerade im öffentlichen Raum, wo viele Menschen Zeuge und Beobachter von solchen Gewaltanwendungen werden, häufen sich solche Fälle.

Uns begegnet eine ganze Bandbreite von Akteuren, ob nun die “Krawalltouristen” auf öffentlichen Demonstrationen oder politisch oder religiös rivalisierende Gruppierungen, Ausschreitungen von  Hooligans nach Fußballspielen, sogenannte “Kleinkriminelle” auf der Straße und so weiter. Man muss gar nicht stigmatisieren, aber bereits nach einem kurzen Blick in die Tageszeitung stößt man auf die Bezeichnungen der Akteure oder Gruppen, die im öffentlichen (und privaten) Raum, als gewaltausübend eingestuft werden.

Häufig vergessen werden aber dabei diejenigen, die als Freund und Helfer dem Bürger zur Seite stehen sollen und vom Staat dazu beauftragt sind die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten bzw. sie wiederherzustellen. Denn wie steht es eigentlich um die rechtswidrige Gewaltausübung der Polizei im öffentlichen Raum und wie kann man die von ihr ausgeübten gewaltsamen und damit strafbaren und rechtswidrigen Übergriffe aufspüren und sie womöglich präventiv verhindern?

So wie man besser bei älteren Hamburger Polizeibeamten den Namen „Fritz Sack“ nicht erwähnt, so sollte man bei der Los Angeles Polizeibehörde den Namen „Rodney King“ weglassen. Rodney King ist kein Fritz Sack, aber dennoch haben sie ein gemeinsames Thema: Die Kontrolle der Polizeibehörde. Welche Grenzen sind der polizeilichen Arbeit gesetzt, wo endet Gewalt als Befugnis und wo fängt Gewalt als Repression an?

Rodney King war mit Sicherheit kein Heiliger. Drogenmissbrauch, Drogenschmuggel oder  körperlichen Verletzung wurden ihm vorgeworfen; er wurde deswegen strafrechtlich verfolgt und auch belangt.

Dennoch liefern seine eigenen Vergehen keine Entschuldigung oder auch nur annähernd eine Erklärung für die brutale Gewalt der Polizisten ab, die ihm am 3. März 1991 widerfuhr. Rodney King wurde am besagten Tag von der Polizei aus Los Angeles (L.A.P.D.) in seinem Auto angehalten. Da er alkoholisiert war und eine Bewährungsstrafe auf ihm lastete, versuchte er zu fliehen. Doch die vier Polizisten konnten die Verfolgung aufnehmen und King verhaften. Was bei dieser Verhaftung noch passiert ist, nahmen einige Einwohner mit ihren Amateurkameras auf. Aus diesen Aufnahmen ging hervor, dass King ca. 50-mal mit dem Schlagstock traktiert wurde und weitere sechs Tritte erleiden musste. Auch als King bereits am Boden lag machten die Polizisten weiter.1  Zwar wurden die Polizisten vor Gericht gestellt, doch sie wurden in dem darauffolgenden Prozess im Jahre 1992 wieder freigesprochen, weil keine rechtsstaatlichen Anhaltspunkte für diese Tat gefunden werden konnten (obwohl zufälligerweise Bewohner mit Amateurkameras alles aufgezeichnet haben und die ganze Situation rekonstruiert werden konnte). Als besonders belastend empfanden afroamerikanische Einwohner die Tatsache, dass kein einziger Schwarzer in der Jury saß2. Das so etwas zu Frustration und Wut führt ist verständlich. Schon davor haben viele Afroamerikaner kritisiert, dass die Polizisten das racial profiling praktizieren. Rodney King war nur ein weiteres Indiz dafür. Nachdem die Polizisten vor Gericht freigesprochen wurden, wurde die Wut der Bürger immer größer und artete in der brutalsten Massendemonstration aus, die Los Angeles je gesehen hatte. Die Los Angeles Riots 1992 zeigte der LAPD, dass sie was ändern musste. Es gab einige Veränderungen, z.B. wurde ein Gesetz gegen das racial profiling erlassen, in einem zweiten Prozess wurden zumindest zwei Polizisten strafrechtlich belangt und die Bürger wurden mehr in die Polizeiarbeit integriert. Noch aber hat niemand an eine unabhängige Kontrollinstanz gedacht.

Eine Kontrolle der Polizei?

Auch in Deutschland gibt es immer wieder Polizeiskandale. Es kommt zu brutalen und unbegründeten Gewaltakten der Polizei gegen Einzelne. Ob es sich nun um die Tatbestände in Hamburg im PK 11 handelt, wo es zu strukturellen Diskriminierung und Misshandlung von Schwarzafrikanern kam, oder um Fälle wie Stephan Neisius oder Oury Jalloh. Beide sind auf tragische Art und Weise durch Polizeigewalt ums Leben gekommen. Die Umstände des Todes bei Oury Jalloh sind bis heute ungeklärt. Wie genau der Brand zustande kam, warum nichts getan wurde und der Verhaftete  in der eigenen Zelle verbrannt ist, weiß die Öffentlichkeit bis heute nicht wirklich. Die Polizisten wurden in erster Instanz freigesprochen. Auch Oury Jalloh war kein “Heiliger”, aber die Personen auf der „anderen Seite“ sind es auch nicht. Viele Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International prangern die nicht vorhandene Transparenz in den Ermittlungen und den “Korpsgeist” innerhalb der Polizei an. Zu Recht.

Das “Vertrauen in unseren Rechtsstaat”, heißt es da, sei dadurch “nachhaltig gestört”3. Zudem ist insgesamt nur schwer Vertrauen aufzubauen, wenn man als Bürger weiß, dass die Kontrollinstanz der Polizei praktisch sie selbst ist. Das hat einen gewissen undemokratischen Beigeschmack. Besonders wenn man weiß, dass in der Polizei der „Korpsgeist“ herrscht. Das ist so als ob die Mafia den Prozess gegen die eigene Familie vorbereiten sollte. Da ist es klar, dass einige Informationen „verloren“ gehen können.  Etwas wissenschaftlicher hat es der Kriminologe Werner Lehne formuliert:

„Eine altbekannte Problematik rechtsstaatlich organisierter Polizeien ist die angemessene Reaktion auf polizeiliches Fehlverhalten. In erster Linie resultiert diese Problematik daraus, daß es die Polizei selbst und die mit ihr eng kooperierende Staatsanwaltschaft sind, denen die Aufgabe zukommt, polizeiliches Fehlverhalten zu ermitteln und ggf. zur Anklage zu bringen. Allein das führt zu einem erheblichen Mißtrauen dahingehend, ob solche Ermittlungen mit der notwendigen Neutralität und Intensität geführt werden.“4

Allein aus diesem Grunde wäre eine unabhängige Kontrollinstanz zu befürworten. Doch damit ist den Opfern von Polizeigewalt noch keine Gerechtigkeit wiederfahren. Wie sollte so eine Kontrollinstanz aussehen und welche Rechte und Pflichten hätte sie?

Solch eine Instanz sollte zum Einen nicht in einer „Gutmenschmanier“ den Polizisten mit erhobenem Finger ständig aufzeigen, was sie falsch machen und warum all diese Fehler ihnen selbst niemals unterlaufen würden. Dass das nicht auf Jubelrufe seitens der Polizei stößt ist selbstverständlich.5 Denn nicht alles was die Polizei macht ist schlecht. Stattdessen sollte sie die Polizeiarbeit kontrollieren und im Falle einer Gewalttat die Situation objektiv analysieren und ggf. eine strafrechtliche Verfolgung möglich machen. Das Ziel dieser Kontrolle sollte so formuliert sein, wie es Amnesty International in Deutschland versucht zu umschreiben: Eine unabhängige Kontrollinstanz soll „die größtenteils sehr gute Polizeiarbeit strukturell unterstützen und verbessern, und letztlich durch mehr Transparenz und Verantwortung bei der Polizei auch das Vertrauen in die Polizei stärken“6  .

Durch solch eine Art von Transparenz könnte das Vertrauen in den Rechtstaat wieder hergestellt werden. Das was Werner Lehne zu Recht als größten Kritikpunkt nennt, wäre mit einer unabhängigen Kontrollinstanz zerschlagen. Das sollte der Polizei auch deswegen am Herzen liegen, als dass es nicht zu solch einer Situation wie in Los Angeles 1992 führen möge. Aber fehlendes Vertrauen und immer größer werdende Abneigung kann sich in Frustration und Wut entladen. Es ginge nicht darum ein mächtigeres Instrument als die Polizei zu erschaffen, sondern auf gleicher Augenhöhe die Arbeit der Polizei zu hinterfragen. Denn wenn wir strafrechtlich fundiert einen Menschen Gewalt antun (ohne aus Notwehr zu handeln) dann sollten wir dafür belangt werden, gleichgültig ob wir eine Dienstmarke tragen oder nicht.

Auch das Beispiel Polizeikommission in Hamburg hatte genau das Ziel – die Polizei effektiv und demokratisch zu kontrollieren – und hat es dennoch nicht erreicht. Warum nicht? Warum scheint das Modell einer Kontrollinstanz nicht zu funktionieren?

Warum gibt es rechtswidrige Polizeigewalt?

Zu aller Erst wäre es wertvoll eine genauere Unterscheidung zu unternehmen, was eigentlich die Polizisten zu dieser Gewaltbereitschaft und Brutalität führt. Ist es ein strukturelles Problem? Das heißt, sind es im Vorhinein gewaltbereite Menschen, die nur die Machtinstitution Polizei nutzen um ihre „Vorlieben“ legal auszuleben7. Oder aber sind es individuelle und unterschiedliche Faktoren die dazu führen, dass einige Polizisten in gewissen Situationen brutal, willkürlich und gesetzeslos handeln. Bei dem Beispiel Rodney King oder auch in den deutschen Beispielen, mag man schnell daran glauben das strukturelle Gewalt das Problem darstellt. Aber wer mit vielen Polizisten spricht, erkennt, dass in den deutschen Polizeischulen nicht der „Rambo“  oder der „Egoshooter“ gesucht wird, sondern der „Grautyp“. 8

Bei Demonstrationen zu unterscheiden, wer „angefangen“ hat, ist schon sicherlich schwieriger. Zum einen sind Demonstrationen bzw. Krawalle sehr emotional und werden durch viele Faktoren, wie zum Beispiel Rufe und Beleidigungen noch weiter aufgeheizt. Und auch Kameras können nicht jede Situation von Anfang an erfassen.

Zudem stehen die Polizisten, medial betrachtet, heute unter ständiger Beobachtung. Was bei den Unruhen 1992 noch nur dem Fernsehen möglich war, kann heute fast jede Person Gewaltexzesse dokumentieren – dank Handy und Video-Plattformen wie YouTube. So veröffentlichte die Internetplattform „Cop Watch LA“9 mehrere brutale Verhaftungsvideos, die später sogar in eine FBI-Untersuchungskommission mündeten.10 Dies ist eine machtvolle Technik, die nicht unterschätzt werden sollte. Allerdings sollte sie auch nicht überschätzt werden. Zum einen kann sie nicht alles beobachten und auch nicht von Anfang an. So gab es auch kritische Stimmen zur Verhaftung von Andrew Meyer, der 2007 zu einer Internetberühmtheit wurde. So soll der damals 21-Jährige seine ruppige Verhaftung selbst provoziert haben, doch das nahmen die Handykameras natürlich nicht auf.11 Des Weiteren kann YouTube nicht als Bürgerrechtsplattform umfunktioniert werden, zum einen gibt es insgesamt sehr viele Videos, von denen viele aufgrund der Gesamtmenge der kursierenden Videos, nur zu leicht übersehen werden und zum anderen werden solche Videos zu oft auch zu Propagandazwecken genutzt. Der Hass auf die Polizei in den USA ist vor allem in solchen Großstädten nicht gerade gering. Vor allem werden Videos gepostet die „Stimmung“ machen sollen, zum Beispiel vor Großdemonstrationen wie dem G-8-Gipfel.

Es gibt auch noch andere Argumente die gegen eine unabhängige Kontrollinstanz sprechen. Zum einen hätte solch eine Institution keinen entsprechenden Zeugenstatus vor Gericht (wenn es zur Anklage von Polizisten käme), nur die Polizei selber hat diesen besonderen Zeugenstatus. Auch hat zumindest die Polizei in Hamburg bereits durch die „Abspaltung“ des D.I.E. (Dezernat Interne Ermittlungen) an die Behörde für Inneres schon etwas für die unabhängige Kontrollinstanz getan. Zudem sind auch gesonderte Staatsanwälte für Amtsdelikte zuständig. Doch das überzeugendste Argument ist, dass man mit einer ganzheitlichen, unabhängigen Institution ganze Strukturen innerhalb der Polizei ändern müsste. Das liegt vor allem daran, dass man für eine Fallaufklärung Zeugen und Spurensicherung braucht – und das ist nun mal Aufgabe der Polizei. Das ist natürlich insoweit gefährlich, als das schon dort „Verschleierungen“ eines Tatbestandes möglich wären. Allerdings stellt sich die Frage nach der Machbarkeit und Sinnhaftigkeit einer unabhängigen Zeugenbefragung und Spurensicherung. Polizisten wissen am besten, dass gerade in bestimmten Milieus bei Ermittlungen, wie zum Beispiel der Drogenszene, die sogenannte Schwarz-Weiß-Zone eher zu einer Grauzone werden kann und dass die für einen Polizisten rechtlich vertretbaren Mittel auch gerne ausgereizt werden sollten. Hierbei ist es aber schwer den ermittelnden Polizisten zu be- und verurteilen.

Um dennoch gegen weitere Fehlverhalten seitens der Polizei entgegenzuarbeiten, wurden als weitere Maßnahme ein Rotationsprinzip eingeführt, welches Polizisten unmöglich macht Jahre bei ein und derselben Dienststelle zu verbringen und einen „Korpsgeist“ zu bilden, gegen den es schwer ist anzukämpfen.

Kontrolle der Polizeigewalt bislang schwer umsetzbar

Insgesamt ist es schwer ein Kontrollgremium einzuführen, welches im vollen Umfang effektiv die Polizei kontrollieren könnte. Zu schwer wiegen die Veränderungen innerhalb der polizeilichen Strukturen.

Zum Schluss sei nur kurz erwähnt, dass der Vergleich mit den Erkennungsmarken an den Polizeihelmen an einigen Stellen zumindest hakt. Man fordert diese Erkennungsmarken an den polizeilichen Helmen und argumentiert sehr oft mit dem (auch logischem) Grund: Wer nichts zu verbergen hat, der muss sich auch nicht fürchten. Warum aber funktioniert dieses Argument nicht woanders? Zum Beispiel in der Drogenpolitik. Die wenigsten Menschen sind dazu bereit Urin-, Blut-  oder Haarproben abzugeben, damit der Chef sieht, wer eigentlich was konsumiert (und ob überhaupt natürlich). Hier kann man die gleiche Argumentation anbringen. Wer nichts zu verbergen hat, der muss sich auch nicht fürchten. Aber auch hier wird schnell das Gegenargument formuliert- es ist ein Eingreifen in die Privatsphäre. Natürlich ist es das. Doch wenden wir den Blick wieder zurück zur Polizei. Denn als weiteres Argument in der Debatte um die Kontrolle der Polizei kann angeführt werden, dass die Polizei als Exekutivorgan aber öffentliche Aufgaben wahrnimmt. Die Polizei ja, aber nicht die Polizisten nach Feierabend. Wer also das Gut der Unantastbarkeit der Privatsphäre hochhält, der sollte es universell hochhalten, ansonsten droht ein Abstieg in die Heuchelei.

Wenn Polizeikommissionen und unabhängige Instanzen nicht greifen, weil sie die Struktur zu sehr einengen und nicht haltbar sind, muss man wohl etwas kleiner anfangen.

Insgesamt 98% der Ermittlungen in Sachen Polizeigewalt in Hamburg werden eingestellt. Laut der Polizei liegt es daran, dass den Polizisten mehr Glauben geschenkt wird, als dem vermeintlichen Opfer. Diese Glaubwürdigkeit hat sich die Polizei, nach Aussagen der D.I.E. auch hart erarbeiten müssen.

Natürlich ist die Verhältnismäßigkeit relevant. Es verlangt immer das Abwägen von Maßnahmen im öffentlichen Interesse gegenüber den dadurch entstehenden Einschnitten in private Interessen und Grundrechte. Aber was eigentlich bedeutsam ist, ist eine vollkommen andere Sache. Es geht um Transparenz.

Warum werden 98% der Ermittlungen gegen Polizisten eingestellt? Welche Beweggründe gab es dafür? Nicht alles kann auf Glauben beruhen. Dem Bürger transparent die Gründe darlegen um die Nachvollziehbarkeit hinter der Einstellung des Falles rekonstruieren zu können. Transparent auch dann zu bleiben wenn es zur Anklage kommt und dem Bürger immer den Nachweis bringen, dass er nicht in einer Zwei-Klassen Gesellschaft lebt, in der die Polizisten Straftaten begehen können, ohne dafür belangt zu werden. Dass die Polizei teilweise versucht sich vor der Öffentlichkeit zu hüten bringt Werner Lehne nochmals auf den Punkt:

„Weiter kommt noch ein Phänomen hinzu, das unter dem Schlagwort “Mauer des Schweigens” oder auch “Korpsgeist” diskutiert wird: In einer Institution wie der Polizei besteht leicht die Gefahr, daß sich eine kollektive Haltung herausbildet, die dadurch gekennzeichnet ist, daß die eigene Institution vor Angriffen aus der “Umwelt” zu schützen ist, indem die einzelnen Beamten sich wechselseitig aufeinander verlassen können und keine Informationen nach außen geben, die gegen Kollegen verwendet werden könnten. Dieser Mechanismus führt nicht nur zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Aufdeckung und Aufklärung von Fehlverhalten, er macht es einzelnen Polizeibeamten auch nahezu unmöglich, innerhalb der Bahnen der internen Verarbeitung von Mißständen ihr Wissen konstruktiv einzubringen, ohne dadurch Nachteile zu erleiden und unter erheblichen sozialen Druck zu geraten.“

Hier ist noch ein weiterer Punkt relevant. Polizisten sind als keine besseren Menschen zu sehen. Sie machen Fehler. Wenn sie bewusst Fehlverhalten bejahen, dann haben sie den falschen Arbeitgeber gewählt. Wenn es aber unbewusst passiert, dann müssen sie dazu stehen und auch mit den Konsequenzen leben. Vollkommene Transparenz hierbei würde das Misstrauen auf beiden Seiten (Täter und Opfer) verkleinern und wäre ein wichtiger Schritt zum Abbau von Frustration, Wut und Disharmonie auf beiden Seiten. Wenn die Polizei nicht damit aufhört ihr Fehlverhalten „unter sich“ ausmachen zu wollen, ohne den Bürger zumindest zu erklären, was passiert ist und wie es gelöst werden kann, dann werden in Zukunft  noch viel mehr YouTube-Videos zum Thema Polizeigewalt im Internet auftauchen.


Empfohlene Zitierweise:
Goździelewska, Agnieszka (2012): Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Über rechtswidrige Polizeigewalt. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

Bibliographie:

Chancer, Lynn S.: High-profile crimes: when legal cases become social causes.
[u.a.]: Univ. of Chicago Press, Chicago 2005.

Friedrichs, Hauke: Schläger in Uniform [aus:] Zeit Online vom 08.07.2010 URL: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-07/polizei-gewalt-amnesty [Abrufdatum: 15.01.2012]

Hagen, Kevin: Das große Schweigen. [aus:] Spiegel Online vom 08.07.2010 URL: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,705422,00.html [Abrufdatum: 15.01.2012]

Jefferson, Andrew M.: State violence and human rights: state officials in the South., Routledge-Cavendish, 2009.

Patalong Frank: Polizeibrutalität -Litlle Brother is watching you [aus:] Spiegel Online vom 21.09.2007 URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,506937,00.html [Abrufdatum: 17.01.2012].

Report of the Independent Commission on the Los Angeles Police Department: Chapter 1: The Rodney King Beating. : S. 7. 1991. Als Download unter: http://www.parc.info/client_files/Special%20Reports/1%20-20Chistopher%20Commision.pdf [Abrufdatum: 15.01.2012]

 
Weitere interessante Links:

http://polizeigewalt.org/

http://www.polizeigewalt.de/

http://www.amnesty.de/themenbericht/polizeigewalt-im-brennpunkt

  1. Weitere Informationen zu der Verhaftung Kings unter: http://www.parc.info/client_files/Special%20Reports/1%20-%20Chistopher%20Commision.pdf (Abrufdatum: 17.01.2012)
  2. Anm.: Man hatte den Prozess auf Antrag der Verteidigung in das benachbarte Venturra County verlagert. Dort war der Bevölkerungsanteil von Afroamerikanern sehr gering, weswegen keiner in die Jury einberufen werden musste
  3. http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-07/polizei-gewalt-amnesty  (Abrufdatum: 15.01.2012)
  4. Siehe http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/publish/IKS/quellenundlinks/ki-21.html(Abrufdatum: 11.02.2012)
  5. Anm.: In einem Schulprojekt habe ich insgesamt vier Polizisten und einen Polizeiausbilder interviewt und zwei Polizisten haben damals das immer größer werdende Misstrauen der Bevölkerung in der Polizei kritisiert. Dies würde sich vor allem bei Polizisten in diesem Maße äußern, das der Einwohner selber besser wisse, wie der Polizist sich zu verhalten habe. Bei einem Interview kam dann die Kritik des Polizisten, dass es ihm nicht einfallen würde einem Bäcker zu sagen, wie man Brötchen backen muss.
  6. http://www.amnestypolizei.de/aktuell/taxonomy/term/20 (Abrufdatum: 15.01.12)
  7. Hierbei könnte man nach der Sublimierungstheorie von Sigmund Freud behaupten, dass Polizisten ihre Position ausnutzen und sich der Sublimation mächtiger Triebe, wie den Sexual- und Aggressionstrieb, bedienen und somit ihre Triebe ausleben. Sublimierung ist charakterisiert durch Umwandlung sexueller Triebenergie in nicht-sexuelle Energien. (Vgl. Stein 1984, S.32).
  8. Aus einem Interview mit einem Polizisten. Das Interview vom 28.12.2011 liegt der Autorin vor
  9. Einsehbar unter: www.copwatchla.org
  10. Frank Patalong: Polizeibrutalität -Litlle Brother is watching you (aus:) Spiegel.de vom 21.09.2007 (Stand: 17.01.2012)
  11. Wobei dennoch die Kritik angebracht wäre, dass Elektroschocks als sinnlose Polizeigewalt klassifiziert werden können, gleichgültig ob jemand provoziert oder nicht.

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/12/vertrauen-ist-gut-kontrolle-ist-besser-uber-rechtswidrige-polizeigewalt/

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Die christliche Märtyrer-Basilika im Amphitheater des hispanischen Tarraco

In religiöser Hinsicht brachte die sogenannte Spätantike,  kurz vor dem Ende des Römischen Reiches, nicht nur Christen und ihre christlichen Gemeinden hevor, sondern zeigte sie auch auf, wie sich die Gesinnung der Versammlungsstätten der Christen von einst privaten Räumlichkeiten zu eigenen Kultstätten wandelte. Zeitgleich erhielten die christlichen Kultstätten ihre besondere Anziehungskraft durch die christlichen Märtyrer, derer  an den Orten ihres Martyriums und/oder ihres Begräbnisses gedenkt wurde. Exemplarisch soll in diesem Artikel die christliche Märtyrer-Basilika im Amphitheater Tarracos, gelegen in der Provinz Hispania Tarragonensis, vorgestellt werden.

Zwischen der Via Augusta und der Passeig Maritim de Rafael de Casanova wurde um 100 bzw. 130 n. Chr. in Tarraco (heute Tarragona) auf der Fläche eines römischen Gräberfeldes aus augusteischer Zeit das Amphitheater errichtet.1

Ein bedeutender Inschriftenfund weist darauf hin, dass das Amphitheater von einem Provinzialflamen namens Elagabulus gestiftet wurde. Der Sitzraum des Amphitheaters bestand aus drei Sektoren, die sich in elf, zehn und drei Sitzreihen gliederten und ein Fassungsvermögen von 14.000 Zuschauern ergaben. Den Zugang zum Amphitheater erhielt man über zwei Tore. Außerdem verfügte das Amphitheater über unterirdische Gräben, die eine Verbindung zum Strand hatten.2 Noch im III. Jahrhundert wurde das Amphitheater umfangreich restauriert.3 Etwa im V. Jahrhundert wurde das Amphitheater von Tarraco aufgegeben.4

Um 259 n. Chr., zur Zeit der Decischen Christenverfolgungen, fand im Amphitheater die Hinrichtung des Bischofs Fructuosus und seiner Diakone Augurius und Eulogius statt.5 Bei Ausgrabungen zwischen 1948 und 1955 stieß man im Jahre 1953 hier auf eine dreischiffige christliche Märtyrerbasilika, die am Ende des 6. Jhr. als memoria für die drei Märtyrer errichtet wurde. Südlich angrenzend an diese Basilika wurde ebenfalls in der Arena des Amphitheaters eine Nekropole mit Funden von Grabsteinen, Sarkophagen und Mausoleen freigelegt, in der fünfzig Gräber von Angehörigen aus der städtischen Elite, datiert im Zeitraum vom 6-8. Jhr.  sich befanden.6 Einige der Grabstätten wurden zu einem späteren Zeitpunkt bzw. nach der Errichtung der Basilika errichtet. Die ersten im Amphitheater angelegten Gräber standen im direkten Zusammenhang mit der Basilika und es besteht keinen Zweifel daran, dass diese westgotische Nekropole im Amphitheater ad sanctos angelegt war. Mit dem Ende der westgotischen Herrschaft im Jahre 713-714 wurde diese Stätte aufgegeben.7

Die westgotische Basilika weist eine Länge von 22,75 x 13 Meter Breite auf. Für ihren Bau aus Quadersteinen wurden für das Fundament der Apsis Teile aus der Podiumsinschrift des Elagabulus aus dem früheren Amphitheaters wiederverwendet. Die Westseite der Basilika verläuft auf den Grundmauern der quer durch die Arena verlaufenden Gräben.8 Die Basilika besitzt eine hufeisenförmige und erhöhte Apsis, mit einer davor gesetzten Querwand und einem großen Transsept. Auch für die Fundamente der zwei Pfeilerreihen (mit jeweils sechs Pfeilern) wurden vermutlich Steine aus römischer Zeit wiederverwendet.9

Im nördlichen Teil der Basilika befand sich der Altarraum und ein Presbyterium mit Gräbern hinter der Apsis gelegen sowie einem kleinen daran angrenzenden Raum, der als eine Sakristei bzw. als eine Grabkammer genutzt wurde. Beim südlichen Teil der Basilika befand sich direkt an der Außenmauer ebenfalls eine angefügte Grabkammer.10

Laut Dupré i Raventos und den Forschern von TED’A soll der Bau der christlichen Märtyrerbasilika in westgotischer Zeit als Zeichen des Triumphes der christlichen Märtyrer und des christlichen Glaubens über die heidnische Gesellschaft mit ihren Gebäuden gesehen werden, die für die Verfolgung der Christen und für die Hinrichtung vieler Christen wie z.B. den Märtyrern aus Tarraco, verantwortlich waren. Demnach soll die Konstruktion der christlichen Märtyrerbasilika im Amphitheater Tarracos in diesem Zusammenhang gesehen werden.11

Begründet wurde der Märtyrerkult in Tarraco durch die Veröffentlichung der schriftlichen Überlieferung der passio Fructuosi, verfasst vom Soldaten Marcellus am Ende des 3. Jhr. n. Chr. oder am Anfang des 4. Jhr. n. Chr.. Frühe Angaben vor dem Basilika-Bau über die Praktizierung des Märtyrerkultes können daher der Überlieferungsgeschichte der passio entnommen werden. Es ist anzunehmen, dass die passio schon früh mit in die jährliche Gedenkfeier des Martyriums an der Grabstätte einbezogen wurde und daher der Mehrzahl der Einwohner Tarragonas (und am Ende des 4. Jhr. n. Chr. auch in Nordafrika) bekannt war.12

Laut der passio erschien Fructuosus nach seiner Hinrichtung im Amphitheater einer Zahl von Christen und ordnete ihnen an, dass die sterblichen Reste der drei Märtyrer unverzüglich ihm zu Liebe aufbewahrt werden sollten.13 Spätestens am Ende des 4. Jhr. n. Chr. zitierten Prudentius ebenso wie Augustinus um 373 n. Chr. Teile der passio in ihren Schriften.14 Etwas detaillierter als in der passio schrieb Prudentius davon, dass Fructuosus und seine zwei Diakone Augurius und Eulogius, vom Statthalter der Provinz Hispania Citerior am 21. Januar 259 n. Chr. festgenommen wurden, weil sie sich weigerten dem zweiten Edikt des Valerian Folge zu leisten. Er ließ sie bei lebendigem Leibe im Amphitheater verbrennen. Weiterhin berichtet Prudentius von einer Art Erscheinung, in der die drei Märtyrer nach ihrem Tod, in weiße Roben gekleidet, den hinterbliebenen Christen anordneten, dass ihre geheiligten Überreste zusammen in einem Heiligtum aus Marmor bestattet werden sollten.15 Obwohl die Historizität von manchen Angaben in der passio, laut Panzram, anzuzweifeln sind, steht – in Analogie zu den anderen bekannten Martyria im Römischen Reich, die in der Regel in Amphitheatern stattfanden –dennoch außer Frage, dass das Martyrium im Amphitheater von Tarraco stattgefunden hat.16 Für den Märtyrerkult in Tarraco sind daher in diesen Berichten die Angabe des genauen Ortes des Martyriums (Amphitheater) und der Typus der Grabstätte (Heiligtum aus Marmor) von elementarer Bedeutung. Letztere konnte als Krypta oder Mausoleum zeitweise in oder nahe bei der Francolí-Basilika verortet werden. Laut Hauschildt könnte sich das Märtyrergrab direkt neben der Francoli-Basilika befunden haben, doch wäre es bereits im 6. Jhr. in die Basilika des Amphitheaters verlegt worden.17 Zu einem späteren Zeitpunkt wurden die Gebeine der drei Märtyrer, womöglich im Zuge eines sarazenischen Überfalls, aus der Stadt verschleppt.18

Die Grabstätte der Märtyrer war somit in spätrömischer Zeit Anlass für die Errichtung der Francolí-Basilika und für die Entstehung der Nekropole am Francolí-Ufer sowie Grund für die Errichtung der westgotischen Märtyrerbasilika im Amphitheater in westgotischer Zeit. Die zentrale Nutzungsweise bestand bei den christlichen Basiliken in Tarraco in der kultischen Verehrung bzw. dem Märtyrerkult sowie dem bischöflichen Wirken. Ähnlich wie bei der Francolí-Basilika erhielt auch die westgotische Basilika im Besonderen eine religiös-politische Relevanz: Die neue bürgerliche Identität spielgelte sich in der Praktizierung christlicher Kulte wieder. Und nur einem Teil der Bevölkerung war es möglich ein Begräbnis ad sanctos zu erhalten. Diese städtische Elite hatte sich zumindest insofern auf den christlichen Glauben eingelassen hatte, als dass sie die wachsende religiöse Bedeutung von einem Begräbnis ad sanctos erkannte und nutzte, um ihren sozialen Status auch mit der Form und prunkvollen Ausgestaltung des Begräbnisses zu repräsentieren. So werden bei der städtischen Elite nicht nur religiöse Gründe ausschlaggebend für das Begräbnis ad sanctos gewesen sein, sondern auch politische Gründe, was für die Zeit ab dem 5. Jhr. n. Chr. auf eine stark christlich geprägte politische Realität in Tarraco deuten lässt.19 Auch die Praktizierung des Märtyrerkultes an einer Kultstätte wie dem Amphitheater spiegelte bereits in spätrömischer Zeit wieder, dass nun christliche Kultbauten sozial, politisch und religiöse Zentren darstellen. Diese Entwicklung sollte sich mit dem zunehmenden Einfluss der Bischöfe in westgotischer Zeit noch verstärken. Die westgotische Basilika im Amphitheater markierte in der Stadt Tarraco im letzten Jahrhundert unter westgotischer Herrschaft den Höhepunkt christlicher Architektur und deutet durch ihre Relevanz in der städtischen Gesellschaft Tarracos darauf hin, welche weitreichenden Veränderungen sich im Stadtwesen und im Stadtbild Tarracos entwickelt hatten.20

 

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2012): Die christliche Märtyrer-Basilika im Amphitheater des hispanischen Tarraco. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 

Bildquellen: Eigene Aufnahmen, März 2012

 

Bibliographie:

  1. Vgl. Kulikowski, M.: .: Late Roman Spain and Its Cities. Baltimore 2004. S. 95 ; Cities and Government in Late Antique Hispania: Recent Advances and Future Research, in: Bowes, K. / Kulikowski, M. (Eds.): Hispania in late Antiquity. Current perspectives. Brill 2005. S. 58 ; TED’A: L’ amfiteatre romà de Tarragona, la basílica visigòtica i l’església romànica. (Memòries d’excavacio, Bd. 1-3). Tarragona 1990. S. 467.
  2. Vgl. Panzram, S.: Stadtbild und Elite. Tarraco, Corduba und Augusta Emerita zwischen Republik und Spätantike. Stuttgart 2002. 2002. S. 56-57.
  3. Panzram 2002. S. 87.
  4. Panzram 2002. S. 111.
  5. Vgl. Prud. Perist 6, in: Prudentius: The poems of Prudentius.  Übers. H.J. Thomson. London 1961 ; Aug. serm. 273, in: PL 38. Turnhout 1965. S. 1247-1249 ; Passio Sanctorum Martyrum Fructuosi Episcopi, Auguri et Eulogi Diacononorum, in: The acts of the Christian martyrs. Übers. H. Musurillo. Oxford 1972. S. 176-185.
  6. Vgl. Oepen, A.: Die Nutzung kaiserzeitlicher Theaterbauten in Hispanien während der Spätantike und der Westgotenzeit, in: Brands, G. / Severin, H.-G. (Eds.): Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle/Saale. Wiesbaden 2003. S. 214-215 ; Alföldy in: RE Suppl. 15 (1978). S. 597 ; Arbeiter, A.: Die spätantike Stadt auf der Iberischen Halbinsel, in: Brands, G. / Severin, H.-G. (Eds.): Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle/Saale. Wiesbaden 2003.S. 36 ; Kulikowski 2004. S. 295-296 ; Vilar López, J.: Les basíliques paleocristianes del suburbi occidental de Tarraco. El temple septentrional I el complex martirial de Sant Fructuós. (Bd. 1). Tarragona 2006. S. 310 ; Vaquerizo, D.: Las Áreas Suburbanas en l a ciudad históri ca. Topografía,  usos,  función. Córdoba 2010.S. 316 ; Taller Escola d’Arqueologia: L’ amfiteatre romà de Tarragona, la basílica visigòtica i l’església romànica. (Memòries d’excavacio, Bd. 3). Tarragona 1990. S. 235.
  7. TED’A 1990. S. 468.
  8. Panzram 2002. S. 111-114.
  9. de Palol, P.: Arqueologia de cristiania de la España Romana. Siglos IV-VI. Madrid 1967. S. 61 ; Schlunk, H. / Hauschildt, T.: Hispania Antiqua – Die Denkmäler der frühchristlichen und westgotischen Zeit. Mainz. 1978. S. 161.
  10. TED’A 1990. S. 206 und 468.
  11. TED’A 1990. P. 206.
  12. Vgl. Maldonaldo, P. C.:  Angelorum participes: The Cult of the Saints in Late Antique Spain, en: Bowes, K.; Kulikowski, M. (Eds.): Hispania in late Antiquity. Current perspectives. Brill 2005. S. 179 ; Panzram 2002. S. 112 ; Kulikowski 2004. S. 218 ; Palmer 1989. S. 206.
  13. Vgl. Passio Sanctorum Martyrum Fructuosi Episcopi, Auguri et Eulogi Diacononorum, Kapitel 3, in: Musurillo 1972. S. 179.
  14. Vgl. Prud. Perist 6 ; Aug. serm. 273 ; Oepen in: Brands / Severin 2003. S. 214.
  15. Vgl. Prud. Perist 6, 135-140. ; Panzram 2002. S. 82.
  16. Panzram 2002. S. 114.
  17. Vgl. Schlunk Hausschildt 1978. S. 14. u. 39.; López Vilar 2006. S. 307.
  18. Vgl. López Vilar 2006. S. 307.
  19. Anm.: RIT 953 ist ein Beispiel für den Wandlungsprozess der Grabschriften. Es weist ein heidnisches Textformular auf, aber es könnte aufgrund des enthaltenen Namens Amelius auch als christliche Inschrift identifiziert werden. Vgl. dazu Alföldy, G.: s.v. Tarraco, in: RE Suppl. Bd. 15 (1978). S. 259-371 ; López Vilar 2006. S. 240-248.
  20. TED’A 1990. S. 240.

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/11/die-christliche-martyrer-basilika-im-amphitheater-des-hispanischen-tarracos/

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Johannes Taulers Verständnis von Demut (I)

 „Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen! Und ich werde euch Ruhe geben. Nehmt auf euch mein Joch, und lernt von mir! Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen; denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“ (Matthäusevangelium 11, 28-30)

Wenn Johannes Tauler, ein deutscher Mystiker aus dem 14. Jhr., in einer seiner Predigten die obige Bibelstelle mit folgenden Worten zitiert: „lerent von mir das ich diemuͤtig bin und  senftmuͤtig’“1, dann fasst er diese Worte als eine verbindliche Regel Jesu auf. Wie zwei Schwestern oder zwei beste Freunde miteinander eng verbunden sind, so sind die Demütigkeit und Sanftmütigkeit für Tauler immer zusammengehörend.2 Auch spricht Tauler im Zusammenhang mit dieser Bibelstelle davon, wie ein Christ den „weg […]der zu der woren selikeit leitet“3, findet. Dieser Weg führe vor allem über die Selbstverleugnung und die wahre Demütigkeit.

Die Worte Jesu „Lernt von mir“ forderten auch Tauler heraus, dem Vorbild Jesu nachzueifern, der laut den neutestamentlichen Schriften, auf Erden sanftmütig und von Herzen demütig vor seinem himmlischen Vater, aber auch gegenüber den Menschen lebte. So berührt diese Bibelstelle das zentrale urchristliche Verständnis von Demut: Jesus ist als der Sohn Gottes auf die Erde in das Niedrige gekommen und in menschlicher Gestalt den Menschen solidarisch geworden. Er bietet den Mühseligen, Beladenen und Gedemütigten einen Ort der Ruhe an, weil er demütig, sanftmütig und solidarisch ist, und daher den Beladenen und Gedemütigten zugehörig ist. Jesus lebt die Solidargemeinschaft vor, in der die Demut nicht den eigenen Vorteil sucht, sondern den des Nächsten.4 So könne Jesus, der im Zusammenhang mit seiner Auferstehung erklärt, dass ihm „alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist“5 als demütiger Herrscher „seine Herrschaft […] in einer solidarischen Praxis der von ihm Beherrschten“6 vollziehen. Es ist die „Herrschaft eines Absteigers, des Gottgleichen, der sich aller Macht“ entledigt hat, nur um „sich auf dem Weg nach ganz unten den Geringsten solidarisch“7 machen zu können. Demnach demütigt Jesus nicht die Menschen, er erniedrigt und unterdrückt sie nicht von oben herab, so wie die Herrscher, „die ihre Völker unterdrücken“ und die Mächtigen, „die ihre Macht über die Menschen missbrauchen“, sondern er regiert in Sanftmut und Demut. Darüber hinaus fordert Jesus die Menschen auf, in ihrem Leben auf Erden in einer Solidargemeinschaft Demut zu praktizieren und anderen zu dienen, denn „wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein“.8

Wie viel Bedeutung Tauler und andere mittelalterliche Mystiker dem Thema der Demut beigemessen haben, kann aus heutiger Sicht mit der Untersuchung von überlieferten mystischen Schriften nur erahnt werden. Womöglich alle mittelalterlichen Mystiker vereinte die Sehnsucht nach der erlebbaren Gotteserfahrung und der Vereinigung des Menschen mit Gott. Auch in den Predigten Taulers ist diese Sehnsucht deutlich zu erkennen. Doch Tauler betont, vielleicht stärker als alle anderen Mystiker, dass nur über die gelebte und wahrhaftige Demut die Vereinigung mit Gott möglich ist.

Anlehnend an die Ausführungen Louise Gnädingers9, soll die Lehre des Mystikers Johannes Tauler zur Mystik des Sinkens – die Demut in seinen Predigten näher untersucht werden. Dabei sollen, am Beispiel des Johannes Tauler Einblicke in theologische und experimentelle/erfahrungsbezogene Aspekte der christlichen Mystik erlangt werden.

Taulers Verständnis der unio mystica und die Lehre vom Grund

In Anlehnung an die Inhalte der Untersuchung des Taulerschen Verständnis von Demut sollen im Folgenden zwei zentrale Themenfelder der Taulerschen Lehre, die unio mystica und die Lehre vom Grund, erläutert werden. Beide Themenfelder bilden für das Verständnis der Demut wichtige Grundlagen.

Das zentrale Anliegen von Taulers Predigten war es, seiner Zuhörerschaft die Möglichkeit der Erfahrbarkeit der unio mystica, des Einsseins mit Gott, zu vermitteln. Diese Art von geistlichem Wachstum sei nach Tauler durch das beständige Durchlaufen der verschiedenen prozessartigen Etappen der Drei-Wege-Lehre möglich, „der Reinigung (via purgativa), der Erleuchtung (via illuminativa) und der Einheit mit Gott (via unitiva)“.10 Diesen Etappen geht die eigene Selbsterkenntnis voraus, die darauf ausgerichtet sein soll, die widergöttlichen Anteile im Innern des Menschen zu erkennen, sie hinzuwenden zu Gott und seinen Vorstellungen anzupassen. Wie diese Etappen genau auszusehen haben, legte Tauler nicht fest. Er bietet in seinen Predigten vielmehr einen reichen Fundus an verschiedenen Beschreibungen über den Weg des Menschen zu seiner mystischen Vereinigung mit Gott.11 So umschreibt er die zur letztendlichen göttlichen Vereinigung führenden Etappen mit den Formen oder Zuständen der „Ekstase-Bedrängnis-Identischwerden“.12 Auf die Hinwendung zu Gott und dem Bewusstwerden seiner Güte folgt der Seelenzustand des „iubilatio“. In der zweiten Form folgt ein Zustand der geistlichen Armut, der Bedrückung und mystischen Verlassenheit. In der dritten Form erfolgt die komplette Vereinigung des menschlichen Geistes mit Gott.13 Zudem benennt Tauler die Sehnsucht danach, eine „immer stärkere Wahrnehmung von Gottes Gegenwart in allem“14 zu erhalten und beschreibt den Weg eines Menschen dorthin mit den Stadien des Anfangens (incipientes), des Fortschreitens (progredientes) und des Anlangens (perfecti).15

Die letztendlich erstrebenswerte Etappe der unio mystica, die Vereinigung mit Gott, beschreibt Tauler  als ein vollkommenes Sich-Verlieren, eine Art Selbstvernichtung des eigenen Seins und ein Versinken des menschlichen Geistes in das göttliche Sein. Der menschliche Geist wird in der göttlichen Einheit komplett seiner menschlichen Kräfte und Fähigkeiten enthoben, all seine Aufmerksamkeit richtet sich auf das Wesen Gottes.16 Was genau der Mensch in dieser göttlichen Vereinigung empfindet, das mag auch Tauler nicht zu sagen. Die Möglichkeit der Erfahrbarkeit dieser unio mystica und die Nähe des Menschen zu Gott ist für Tauler ein Geschenk aus Gnade, allerdings ist die eigene Bereitschaft des Menschen für die unio mystica von großer Bedeutung, ebenso wie die praktische Bemühung des Menschen sich Gott hinzuwenden.17 In seinen Beschreibungen der unio mystica war Tauler sichtlich geprägt von den Überlegungen des Bernhard von Clairvaux, Wilhelm von St. Thierry und Albertus Magnus.18 Der Ort der unio mystica ist, laut Tauler, der grunt (Grund) oder der auf den Menschen bezogene Begriff abgrunt (Abgrund): „Grund bezeichnet […] sowohl den ungeschaffenen Grund Gottes als auch den geschaffenen Grund des Menschen“.19 Außerdem verwendet er synonym den Begriff gemuͤt (lat. mens), der von Tauler, im Zusammenhang mit seinem anthropologischen Verständnis, auch als der oberste und höchste Teil der Seele bzw. als das „Tiefste und Verborgenste“20 verstanden wird.21 Die „Kräfte und Fähigkeiten des Menschen“ beziehen und erneuern unablässig „aus dem gemut ihr Vermögen“, genauso erneuert sich das gemuͤt des Menschen aus der Verbindung mit Gottes Grund. So soll der menschliche grunt (oder auch Seelengrund genannt) permanent mit dem göttlichen grunt interagieren und sich letztendlich durch die unio mystica vollständig in ihm verlieren.22 Auf „dem Boden des [menschlichen] Gemütes […] liegt das Bild Gottes im Menschen verborgen“.23 Dies umschreibt die Tatsache, dass der Mensch nach Gottes Ebenbild erschaffen ist und dass diese Verwandtschaft den Menschen in die Vereinigung mit Gott ruft. Synonym für den Begriff gemuͤt verwendet Tauler in seinen Predigten meist im Zusammenhang mit „der Umgestaltung des menschlichen Geistes in den göttlichen […]“24auch den Begriff geist. Weitere mit gemuͤt, grunt und geist sinnverwandte Begriffe sind funke der selen, boden, tolden.25

 

weiter zu Teil II

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2012): Johannes Taulers Verständnis von Demut (I). In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 

Bibliographie:

  1. Siehe V 65, S. 347, Z. 32-33 zitiert nach: Vetter, Ferdinand (Ed.) / Tauler, Johannes: Die Predigten Taulers : aus der Engelberger und der Freiburger Handschrift sowie aus Schmidts Abschriften der ehemaligen Straßburger Handschriften. Berlin 1910.
  2. Siehe V 65, S. 347, Z. 25-33.
  3. Siehe V 65, S. 347, S. 25.
  4. Vgl. Wengst, Klaus: Demut – Solidarität der Gedemütigten. München 1987. S. 90.
  5. Siehe Matthäusevangelium 28,18.
  6. Siehe Wengst 1987. S. 95.
  7. Siehe Wengst 1987. S. 95.
  8. Siehe Matthäusevangelium 20, 25-28.
  9. Gnädinger, Louise: Johannes Tauler: Lebenswelt und mystische Lehre. München 1993. S. 251-261.
  10. Siehe Gnädinger 1993. S. 252.
  11. Gnädinger 1993. S. 356f. ; Wrede, Gösta: Unio mystica: Probleme der Erfahrung bei Johannes Tauler. (Studia doctrinae Christianae Upsaliensia ; 14 Acta Universitatis Upsaliensis). Stockholm 1974. S. 208-214.
  12. Siehe McGinn, Bernard: Die Mystik im Abendland, Band 4: Die Mystik im mittelalterlichen Deutschland (1300-1500). Freiburg 2008. S. 484.
  13. Vgl. McGinn 2008. S. 484 u. 494.
  14. Siehe McGinn 2008. S. 477.
  15. Vgl. Gnädinger 1993. S. 252.
  16. Vgl. Wrede 1974. S. 84 ; McGinn 2008. S. 490.
  17. Vgl. Gnädinger 1993. S. 360f. u. 370 ; McGinn 2008, S. 492.
  18. Vgl. Gnädinger 1993. S. 368.
  19. Siehe Wrede 1974. S. 155.
  20. Siehe Gnädinger 1993. S. 243.
  21. Vgl. Gnädinger 1993. S. 241f. ; Wrede 1974. S. 154.
  22. Vgl. Gnädinger 1993. S. 274, Wrede 1974. S. 155 u. 192f. ; McGinn 2008, S. 440.
  23. Siehe Gnädinger 1993. S. 246.
  24. Siehe Gnädinger 1993. S. 248.
  25. Siehe Gnädinger 1993. S. 250.

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/10/johannes-taulers-verstandnis-von-demut-i/

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