Die komischen Opern Baldassare Galuppis. Quellen, Aufführung und Verbreitung

Von Kordula Knaus (Graz/Bologna)

Vorgestellt wird im Folgenden ein vom Österreichi­schen Wissenschaftsfonds (FWF) mit einem Erwin- Schrödinger Stipendium gefördertes Projekt, das derzeit am Dipartimento delle Arti der Università di Bologna von der Autorin dieses Beitrags durchgeführt wird.

Forschungsprojekt

 Das musikwissenschaftliche Forschungsprojekt zielt darauf ab, neue Erkenntnisse über die Quellen, die Aufführung und die Verbreitung der 31 opere buffe von Baldassare Galuppi (1706–1785) zu erlangen. Galup­pis komische Opern zählen ohne Zweifel zu den am weitesten verbreiteten Werken der sich in den 1750er und 1760er Jahren neu etablierenden Gattung der ope­ra buffa. Die meisten seiner Opern wurden in Vene­dig erstaufgeführt, dann rasch in mehreren Städten Nord- und Mittelitaliens nachgespielt und gelangten auch in anderen europäischen Städten – von London bis St. Petersburg – häufig zur Aufführung. Das Wis­sen über musikalische (sowie andere relevante) Quel­len zu Galuppis Opern, deren frühe Aufführungen, Praktiken der Adaptierung in verschiedenen Städten und Spielstätten sowie die Verbreitung seiner Opern in ganz Europa ist bis dato defizitär. Das Forschungspro­jekt möchte diese Lücke in der opera buffa-Forschung füllen.

Forschungsstand und Forschungsfragen

 Im Jahr 1986 konstatierte Reinhard Wiesend, dass die Grundlagenforschung zu Baldassare Galuppi als einem der um die Mitte des 18. Jahrhunderts populärsten Komponisten Europas unbefriedigend sei – damals lag lediglich ein Katalog seiner Klaviersonaten vor.1 Wie­send selbst hat in den 1980er Jahren durch Studien zu Galuppis ernsten Opern und seinen Frühwerken diese Situation verbessert.2 2006 hat Franco Rossi einen the­matischen Katalog Galuppis begonnen, bisher ist nur ein Band zur Instrumentalmusik erschienen.3 Galup­pis komischen Opern ist eine grundlegende Aufarbei­tung noch nicht zuteil geworden,4 weshalb im Projekt zunächst philologische Fragen im Zentrum stehen. Galuppis komische Opern sind in handschriftlichen Kopien des 18. Jahrhunderts überliefert, die sich in ver­schiedenen europäischen Bibliotheken befinden und im Vergleich mit den Libretti der Erstaufführungen von zahlreichen Bearbeitungen geprägt sind.5 Bereits aus dem Quellenbefund ergeben sich daher verschie­dene Fragen: a) Beziehen sich die überlieferten Parti­turen auf bestimmte Aufführungen und/oder ein über­liefertes Libretto, b) wie wurden Manuskripte in ganz Europa verbreitet, wer war an Galuppi-Opern interes­siert, und warum, c) welchen Beitrag lieferten Opern­truppen, Impresarios, Musiker oder Komponisten zur Verbreitung von Galuppis Opern, d) welche Arten der Bearbeitung wurden für bestimmte Aufführungen gemacht, e) was waren die Gründe für diese Bearbei­tungen, f) welche Informationen liefern Manuskripte über Aufführungspraxis und Gattungskonventionen der frühen opera buffa, g) inwiefern geben Bearbei­tungen Aufschluss über das bestimmte dramatische Modell der venezianischen opera buffa (entwickelt von Galuppi in Zusammenarbeit mit dem Librettisten Car­lo Goldoni) und seine Veränderung in der Geschichte der komischen Oper?

Das Projekt kann zur Beantwortung dieser Fragen auf Studien zu einzelnen Galuppi-Opern zurückgreifen: Giovanni Polin hat über die Quellen und europäische Verbreitung von Galuppis Il filosofo di campagna und Il mondo della luna publiziert.6 Roberto Scocimar­ro hat jüngst ein Manuskript der Oper Arcifanfano re de’ matti entdeckt und diskutiert. Von besonderer Relevanz ist außerdem die Projektdatenbank Varian­ti all’opera. Goldoni, Jommelli, Metastasio e Pergolesi sulla scena musicale Europea (Projektleitung: Anna Laura Bellina), die sich mit verschiedenen Quellen und Varianten von Opern des 18. Jahrhunderts auseinandersetzt, darunter Galuppis L’Arcadia in Bren­ta, Il filosofo di campagna, Il mondo della luna und Il mondo alla roversa. Ein an der Universität Wien durchgeführtes Projekt, Die italienische Opera buf­fa auf der Wiener Bühne (1763–1773),7 gibt außerdem Auskunft über Galuppi-Aufführungen an der Wiener Hofoper in den 1760er und frühen 1770er Jahren. Das vorliegende Projekt baut auf diesen Einzelstudien auf und bietet eine breitere Perspektive auf die Auffüh­rung und Verbreitung von Galuppis Opern in Europa. Dabei gilt es auch, an gegenwärtige Debatten zur Oper des 18. Jahrhunderts hinsichtlich institutioneller Vor­aussetzungen für Aufführungen, die Rolle von Sänge­rinnen und Sängern, Adaptierungen und Transforma­tionen sowie Kulturtransfers in Europa anzuschließen. Ziel des Projekts ist somit einerseits, die philologi­schen Grundlagen zu Galuppis komischen Opern zu erforschen und andererseits, Antworten auf die Fragen nach sozialen Netzwerken der Aufführung und Ver­breitung von Galuppis Opern zu finden. Dies zieht auch eine Neubewertung der dramatischen Konzeption der opera buffa in ihren Anfängen nach sich.

Methodische Zugänge

Im ersten Teil des Projekts werden die vorhandenen musikalischen Quellen eruiert, klassifiziert und in­terpretiert. Dabei werden traditionelle philologische Methoden mit neueren kulturwissenschaftlichen As­pekten eines Reflektierens über Schriftlichkeit und schriftliche Überlieferung verbunden.8 Insbesonde­re geht es auch darum, aus der Überlieferung Rück­schlüsse über die konkrete Aufführungspraxis und die Verbreitung von Galuppis Opern in Europa zu ziehen. Ziel dieses Projektteils ist es, einen kommentierten Ka­talog der komischen Opern Galuppis vorzulegen. Eine besondere Herausforderung ist hierbei die Zuordnung der überlieferten Manuskripte zu bestimmten Auffüh­rungen und die kritische Auseinandersetzung mit dem „Werkbegriff “, der für die Oper des 18. Jahrhunderts mit ihrer ausgeprägten Bearbeitungspraxis ein beson­ders brüchiger ist.9

Ein Überblick über die Überlieferungen sowie die An­zahl der Aufführungen einzelner Galuppi-Opern stellt sich bislang wie folgt dar:10

Knaus_Galuppi

Der zweite Teil des Projekts bettet die Erkenntnisse des ersten Teils in breitere Kontexte der Opernadaption und Opernpraxis des 18. Jahrhunderts ein. Eine Kon­zentration auf ausgewählte Opernzentren und Werke ermöglicht dabei eine entsprechende Tiefendimen­sion. Methodisch orientiert sich dieser Projektteil an jüngeren Zugängen zur Opernforschung des 18. Jahr­hunderts. Das betrifft zum einen die Entscheidung, die Oper des 18. Jahrhunderts als ein Genre zu verstehen, in dem bestimmte Aufführungen und Aufführungsbe­dingungen, Institutionen, gesellschaftliche Bedingun­gen etc. das Einzelwerk beeinflussen, wenn nicht sogar hervorbringen. Zum anderen werden sozialgeschicht­liche Faktoren (wie etwa die reisenden Operntruppen, die Publikumszusammensetzung etc.) mit kulturwis­senschaftlichen Konzepten (Debatten um Performati­vität, Ritualtheorien etc.) enggeführt, wodurch neues Licht auf das kulturelle Produkt opera buffa geworfen wird.

Printversion: Frühneuzeit-Info 25, 2014, S. 261–263.

  1. Reinhard Wiesend: Baldassare Galuppi fra Opera seria e Opera buffa, in: Maria T. Muraro/Franco Rossi (Hg.): Galuppiana 1985. Studi e ricerche. Atti del convegno internazionale (Venezia, 28–30 Ottobre 1985), Florenz: Olschki 1986, S. 153–164, hier S. 153. Der bei Wiesend erwähnte Katalog ist: David E. Pullman: A Catalogue of the Keyboard Sonatas of Baldassare Galuppi (1706– 1785), unpublizierte MA-Arbeit, Washington 1972.
  2. Reinhard Wiesend: Studien zur opera seria von Baldas­sare Galuppi. Werksituation und Überlieferung – Form und Satztechnik – Inhaltsdarstellung, Tutzing: Schnei­der 1984; Reinhard Wiesend: Il giovane Galuppi e l’opera. Materiali per gli anni 1722–1741, in: Nuova Ri­vista Musicale Italiana 17 (1983), S. 383–397.
  3. Franco Rossi: Catalogo tematico delle composizioni di Baldassare Galuppi (1706–1785), Vol. 1: Le opere stru­mentali, Padova: I solisti veneti 2006.
  4. Die einzige Monographie über Galuppis komische Opern wurde im Jahr 1935 von Werner Bollert vorge­legt: Werner Bollert: Die Buffoopern Baldassare Galup­pis. Ein Beitrag zur Geschichte der italienischen komi­schen Oper im 18. Jahrhundert, Bottrop i. W.: Postberg 1935. Bollerts Dissertation gibt einen guten Überblick über Galuppis komische Opern, stellt aber nur wenige Informationen über die existierenden Quellen bereit und lässt Partituren in englischen, französischen oder italienischen Bibliotheken völlig außen vor.
  5. Editionen von Galuppis komischen Opern existieren kaum. Die geplante Gesamtausgabe von Galuppis Wer­ken endete bereits 1984 nach der Edition von drei Bän­den mit Sonaten durch Franco Piva, vgl. Centro studi e ricerche di Venezia (Hg.): Le opere di Baldassare Ga­luppi detto „Il Buranello“, Mailand: Carish 1982. Piva, der sich sehr in der Galuppi-Forschung engagierte, gab lediglich eine von Galuppis komischen Opern heraus, vgl. Baldassare Galuppi: Il mondo alla roversa. Opera giocosa in tre atti, revisione di Franco Piva, Spoleto: In­termusica 2005. Zwei Opern liegen in Faksimile-Aus­gaben vor, vgl. Baldassare Galuppi: La diavolessa, hg. von Howard Mayer Brown, New York/London: Garland 1978; Baldassare Galuppi: L’inimico delle donne. Parti­tura dell’opera in facsimile, hg. von Helen Geyer-Kiefl, Mailand: Ricordi 1986. Gedruckte Ausgaben von Opern waren im 18. Jahrhundert eine Seltenheit. Nur Favourite songs aus Galuppis Il filosofo di campagna wurden 1761 in London gedruckt; ein Klavierauszug zu Il mondo alla roversa erschien 1758 in Leipzig.
  6. Giovanni Polin: Tradizione e recezione di un’opera co­mica di meta ’700. Viaggi, trasformazioni e fortuna del Filosofo di campagna di Goldoni/Galuppi nel XVIII, unpublizierte Doktorarbeit, Bologna 1995; Giovanni Po­lin: Il mondo della luna di Goldoni-Galuppi. Uno studio sulla tradizione settecentesca, in: Fonti musicali italiane: Periodico di ricerca musicologica 13 (2008), S. 39–92.
  7. Siehe dazu die Projekthomepage: http://www.univie. ac.at/muwidb/operabuffa/projekt.htm (24.06.2014). Vgl. außerdem Martina Grempler: Ensemblebearbeitungen in der Opera buffa an den Wiener Theatern der 1760er Jahre, in: Die Musikforschung 65, 2 (2012), S. 127–145.
  8. Vgl. dazu Nikolaus Urbanek: Was ist eine musikphilo­logische Frage?, in: Michele Calella/Nikolaus Urbanek (Hg.): Historische Musikwissenschaft. Grundlagen und Perspektiven, Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler 2013, S. 147–183.
  9. Vgl. bspw. Ulrich Konrad/Armin Raab/Christine Sie­gert (Hg.): Bearbeitungspraxis in der Oper des späten 18. Jahrhunderts. Bericht über die internationale wis­senschaftliche Tagung vom 18. bis 20. Februar 2005 in Würzburg, Tutzing: Schneider 2007.
  10. Für die mit * gekennzeichnete Opern ist die Autorschaft Galuppis entweder unsicher oder es handelt sich um ein sogenanntes Pasticcio (d.h. Galuppi hat nur einen Teil der Oper verfasst). Die Abkürzungen der Standorte fol­gen den Abkürzungen der Datenbank RISM, vgl. www. rism.info (24.06.2014).

Quelle: http://fnzinfo.hypotheses.org/46

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