Von August Sander bis heute

August Sander, 1925

In loser Folge stellen wir auf www.visual-history.de Institutionen vor, die im Kontext der Historischen Bildforschung von Interesse sind. Wir erkunden fotohistorische Sammlungen, Museen und Archive oder beleuchten einzelne Bildbestände.

 

Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur in Köln wurde 1992 mit der Übernahme des August Sander Archivs gegründet. Der Nachlass eines der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts legte den Grundstein für eine mittlerweile stark angewachsene Sammlung, die bis in die zeitgenössische Fotografie reicht.

August Sander, 1925

August Sander, 1925. Mit freundlicher Genehmigung der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn, 2015

Die Institution hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Sander-Bestand nicht nur zu archivieren und wissenschaftlich zu betreuen, sondern gleichermaßen die Forschung zu dokumentarischer Fotografie voranzutreiben. Sachlich-dokumentarische Fotografie als künstlerisches Ausdrucksmittel steht demzufolge im Fokus der Sammlungsaktivitäten.

Die Gründer orientierten sich an Institutionen wie beispielsweise in den Vereinigten Staaten, wo Fotografie innerhalb von Museen zu einem deutlich früheren Zeitpunkt als in Deutschland wahrgenommen und ausgestellt wurde. Inzwischen zeichnet sich das Sammlungsprofil durch weit mehr Künstler als nur August Sander aus, wenn auch die Identifikation mit seinem Werk stark ist. Laut Gabriele Conrath-Scholl – Leiterin der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur –, ist es insbesondere die zeitlose Anschlussfähigkeit der dokumentarischen Fotografie Sanders an unterschiedliche und immer neue Fragestellungen, die den Kernbestand der Sammlung so richtungsweisend macht: „Die vielen verschiedenen Themen und die Methodik, die sich im August Sander Archiv spiegeln, dienen unserer Arbeit als Fundament, ja geradezu als Ideenpool.“ Auf 450 Quadratmetern Fläche zeigt die Institution zwei bis drei Sonderschauen pro Jahr, größtenteils aus eigenen Beständen, aber auch im Austausch mit nationalen und internationalen Museen.

 

Von Gabriele und Helmut Nothhelfer bis Walker Evans, von historischen Reisefotografien des 19. Jahrhunderts bis hin zu zeitgenössischen fotografischen Kartierungen Kölns – in den Ausstellungen spiegelt sich das Spektrum der Sammlung wider. Und zwischendurch: immer wieder August Sander. Zuletzt konnten Besucher noch Fotografien des US-amerikanischen Künstlers Jim Dine sehen, dessen fotografisches Archiv ebenso zum Bestand der Institution zählt. Der jüngste Zugang zur Sammlung ist ein Konvolut des Fotografen Martin Rosswog, der in den 1980er-Jahren sein Studium bei Bernd Becher absolvierte. Ein Teil der Arbeiten von Rosswog ist auch in der aktuellen Ausstellung „Entlang Europa“ zu sehen. In dem fotografischen Langzeitprojekt porträtiert der Künstler seit den 1980er-Jahren ländliche Lebenswelten sowie deren Bewohner und steht damit in direkter Tradition zu den Aufnahmen August Sanders, Walker Evans oder Bernd & Hilla Becher.

 

 

Der Bestand

Die Sammlung umfasst etwa 30.000 Werke internationaler Fotografen und Fotografinnen. Das Spektrum reicht dabei von der Frühzeit der Fotografie bis zur Gegenwart und von regionalen Künstlern bis hin zu den „Stars“ der internationalen Fotoszene. Die Schlüsselthemen sind Porträt, Landschaft, Architektur sowie urbaner und industrieller Raum. Das Herzstück der Sammlung – das August Sander Archiv – besteht aus 10.500 Negativen und 5500 Originalabzügen. Im Besitz der Stiftung befindet sich auch die Sammlung der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh), die ihren Sitz ebenfalls in Köln hat und deren Gründungsmitglied nicht zuletzt auch August Sander war.

Liste der vertretenen Künstler*innen: http://www.photographie-sk-kultur.de/sammlung-a-z/

 

 

Blick in die Ausstellung ZECHE HANNOVER. Photographien aus dem Ruhrgebiet von Bernd und Hilla Becher, Photographische Sammlung, 2010

Blick in die Ausstellung ZECHE HANNOVER. Photographien aus dem Ruhrgebiet von Bernd und Hilla Becher, Photographische Sammlung, 2010

Bernd und Hilla Becher: Zeche Hannover, Bochum-Hordel, Ruhrgebiet, 1973

Bernd und Hilla Becher: Zeche Hannover, Bochum-Hordel, Ruhrgebiet, 1973. Mit freundlicher Genehmigung der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur.

 

Forschung

Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur steht für Wissenschaftler*innen offen. Für die Forschung – insbesondere für die historische Forschung – ist sie von besonderem Wert, da sie nicht nur große Werkkomplexe von Originalabzügen umfasst, sondern teilweise auch Negative, zugehörige Kontaktabzüge oder Dokumente, die die Entstehungsprozesse der Fotografien nachvollziehbar werden lassen und die Einordnung in kulturhistorische Zusammenhänge ermöglichen. Der Bestand ist außerordentlich gut erschlossen. Rund 95% der Objekte sind umfassend inventarisiert. Dabei geht die Erfassung in vielen Fällen über die Standard-Inventarisierung hinaus, da die Archivierung nach Möglichkeit jeweils an Künstler*in und Werk angepasst wird. So sind beispielsweise beim Werk von Bernd und Hilla Becher Bildgruppen und Hänge-Ordnungen mit registriert. Das umfangreiche Werk des Fotografen Karl Blossfeldt (1865-1932) ist online auf der Homepage der Stiftung recherchierbar: http://www.photographie-sk-kultur.de/karl-blossfeldt/werke/. Langfristig sollen noch weitere Bestände online zugänglich gemacht werden.

Für Forscher*innen steht überdies eine Fach-Bibliothek zur Verfügung. Vor allem Literatur zur Geschichte der Fotografie, Fototheorie oder einzelnen fotografischen Richtungen, aber auch Künstlermonografien, Ausstellungs- und Auktionskataloge und eine Sammlung von Zeitungsausschnitten stehen zur Benutzung bereit. Die Stiftung ist ebenfalls im Besitz von 900 Bänden der Privatbibliothek von August Sander, die vor Ort nach Terminabsprache eingesehen werden können.

August Sander: Zirkusartisten, 1926-1932

August Sander: Zirkusartisten, 1926-1932. Mit freundlicher Genehmigung der Photographischen
Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn, 2015

 

Die Photographische Sammlung/

SK Stiftung Kultur

Im Mediapark 7

50670 Köln

Telefon: 0049-(0)221-88895 300

Fax: 0049-(0)221-88895 301

photographie@sk-kultur.de

www.photographie-sk-kultur.de

 

Öffnungszeiten der Ausstellungen: Täglich von 14 bis 19 Uhr, mittwochs geschlossen, montags Eintritt frei

Öffnungszeiten Bibliothek: Montag bis Donnerstag 9.00 bis 14.00 Uhr

Quelle: http://www.visual-history.de/2015/03/16/von-august-sander-bis-heute/

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Visual Cultures of Socialism

Sowjet matchbox label from the 1960s © Collection Monica Rüthers
Sowjet matchbox label from the 1960s © Collection Monica Rüthers

Sowjet matchbox label from the 1960s. © Collection Monica Rüthers

Socialist visual cultures generated social and cultural codes that went far beyond the political iconographies. They defined central places for the negotiation of political and social relationships. The visual and pictorial conventions of the Soviet Union after 1945 are, alongside their transfer, the topic of the conference: The conference focuses on socialism as a central pathetic formula of the 20th century. How was socialism visually defined and represented? How was it made recognizable?

After 1945, visual cultures changed in the wake of reconstruction, the cold war, the thaw, stagnation and the period of transformation. Having been modeled after an ideal Stalinist Soviet Union in the postwar years, the socialist “brother countries” were soon forced to readapt to new slogans. Such changes (similar to the transition from avant-gardes and constructivism to socialist realism) led to ruptures on the one hand, but also – for example, in architecture and urban planning – to the coexistence of different concepts, to the simultaneity of the non-simultaneous. During periods of transition, the planning and implementation of new and old concepts existed side by side. Changes were not implemented at the same time and in the same way in different realms or in different socialist countries. Thus, disruptions remained visible and became part of the socialist city and everyday environments. Another ongoing confrontation with alternative projects and images appeared in the context of the cold war.
We seek to gain insights into the relationships between the control and production of images, the consumption of images and mass culture, the interaction between ‘high’ and ‘low’, in addition to the management of cultural and ethnic diversity in the socialist societies of the 20th century and the visual cultures tied to ruling practices.

Conference organisers: Prof. Dr. Monica Rüthers, Dr. Alexandra Köhring, Nathalie Keigel MA

The conference is open to the public on notification; please send a short mail to: marianna.zhevakina@uni-hamburg.de

Programme:

Wednesday, 18th March
9:00 – 10:00 Opening of the Conference

Panel 1
The Socialist Persona

10:00 – 11:00
Klaudija Sabo, University of Vienna
Tito – Icon of the Yugoslav Confederation

Sabine Stach, University of Leipzig
Hidden Heroes – Political martyrs in East Central Europe in the 1970s and 1980s

11:00 – 11:30 COFFEE BREAK

11:30 – 12:00
Beata Hock, GWZO Leipzig
Casualties of remembering communism: Women and their visual representation

12:00 – 12:30 Comment & Discussion
Monica Rüthers

12:30 – 14:00 LUNCH BREAK

Panel 2
Style and Material Culture

14:00 – 15:00
Kateryna Malaia, University of Wisconsin-Milwaukee
Animating Modernism: The Affective History of the Soviet Monumental 1960s

Sylvia Wölfel/ Christian Wölfel, TU Dresden
Technical Aesthetics — On the Aspiration for Designing a Socialist Material Culture

15:00 – 15:30 COFFEE BREAK

15:30 – 16:30
Elena Huber, University of Salzburg
Fashion, Media, and the Everyday Life: On the visualisation of Soviet national styles in the 1950s and 1960s

Gian Piero Piretto, University of Milan
Soviet shop windows as a world model

16:30 – 17:00
Comment & Discussion
Esther Meier, Alexandra Koehring

19:00 DINNER

Thursday, 19th March

Panel 3
Visual Mass Cultures

9:30 – 10:30
Pawe? Miedzinski,
Institute of National Remembrance, Szczecin
Color photo in Black&White – history of Central Photographic Agency

Carmen Scheide, University of St. Gallen
The visual construction of Soviet Ukraine

10:30 – 11:00 COFFEE BREAK

11:00 – 11:30
Matteo Bertelé, Ca’ Foscari University of Venice
The Soviet illustrated postcard as an object of mass culture and ideological practices

11:30 – 12:00
Comment & Discussion
Nathalie Keigel

12:00 – 13:30 LUNCH BREAK

Panel 4
Failures and Irony

13:30 – 14:30
Lucia Halder, TU Braunschweig
Teleology of Failure. Visualizations of Socialism in West-German textbooks

Christoph Lorke, WWU Münster
Thinking the Social: Social Images of “Poverty” and the Construction of “Self” and “Otherness” in GDR Society

14:30 – 15:00 COFFEE BREAK

15:00-16:00
Christine Gölz, GWZO Leipzig
Merry Pictures of the Little Folk: The Cartoon Magazine “Veselye kartinki”, or What’s Left from the Socialist “Children’s World”

Micha Braun, University of Leipzig
Surrealistic Mimicry. Practices of Repetition and Imitation in Eastern European Performative Arts of the 1970s and ’80s

16:00 – 16:30
Comment & Discussion
Klara Pinerová

18:00 EVENING LECTURE
Nadine Siegert, University of Bayreuth
Images of nostalgic and utopian socialism: visuality and counter-visuality in Angola & Mozambique

20:00 DINNER

Friday, 20th March

Panel 5
Folklore

9:30 – 10:30
Odeta Mikstaite, University of Greifswald
Performing the Village: “Authenticity” and rural aesthetics in the Soviet Lithuanian Ensemble Movement

Anna G. Piotrowska, Jagiellonian University, Cracow
Embodying ‘socialist emotions’ via image and music – The case of Polish state folk groups “Mazowsze” and “?l?sk”

10:30-11 COFFEE BREAK

11 – 11:30
Comment & Discussion
Ekaterina Emeliantseva

11:30 – 12:00
Closing remarks – END

 

University of Hamburg, Edmund Siemers Allee 1, 20146 Hamburg, ESA East Room 221

Quelle: http://www.visual-history.de/2015/03/02/visual-cultures-of-socialism/

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Das regionale Bild-Gedächtnis

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Zwei Tendenzen haben innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte in der Geschichtswissenschaftan Gewicht gewonnen die „Wiederkehr des Raums“[1] – der so genannte spatial turn – und die „Wiederkehr der Bilder“ [2], auch als Iconic oder Visual Turn bezeichnet. Ein Ausstellungsprojekt im Braunschweiger Museum für Photographie führt diese beiden Strömungen nun in einer Ausstellung zusammen und fragt nach der Bedeutung des Mediums Fotografie als Mnemotechnik einer Gesellschaft. Im Vordergrund steht dabei die Region als Leitkategorie für Identitäten und Gedächtnisse. 17 Fotografinnen und Fotografen haben ihren persönlichen Zugang zur Geschichte und Gegenwart der Region Niedersachsen fotografisch festgehalten. Die Resultate werden derzeit im Museum für Photographie Braunschweig ausgestellt und parallel dazu online archiviert – als digitaler Grundstock für ein regionales Bild-Gedächtnis, das in den nächsten Jahren sukzessive wachsen soll.

Lucia Halder sprach mit der Museumsleiterin und Kuratorin der Ausstellung Dr. Gisela Parak über das Projekt.

 

Lucia Halder: Der vollständige Titel der Ausstellung lautet „Das regionale Gedächtnis Teil 1 – Ausstellung und Webarchiv. Ein zweiteiliges Ausstellungsprojekt mit den Mitgliedern, Freunden und Gästen des Museums für Photographie Braunschweig e. V. – was war die Ausgangsidee für das Projekt?

Gisela Parak: Wir wollten damit das Wissen unserer Mitglieder für diese Region – Braunschweig, Wolfsburg, Hannover – abrufen, um ein fotografisches Gedächtnis der Region aufzubauen. Niedersachsen ist auf der Fotolandkarte nicht so präsent. Wir schauen in diesem Zusammenhang oft etwas neidisch auf das Ruhrgebiet. Im Laufe des Projektes haben wir aber festgestellt, dass es hier zahlreiche Fotografinnen und Fotografen und auch eine beeindruckende fotografische Tradition gibt. Zum Beispiel Heinrich Heidersberger aus Wolfsburg, oder Peter Keetmann, der im Jahr 1953 inzwischen ikonisch gewordene Bilder des VW-Werks aufgenommen hat. Oder schauen Sie sich die bedeutenden Fotografien des Fagus-Werks in Alfeld an der Leine von Albert Renger-Patzsch an. Das sind Bilder, die aus dem visuellen Gedächtnis nicht mehr wegzudenken sind. Und zwischen diesen historischen Positionen und der Region, so wie sie sich heute darstellt, wollten wir mit der Fragestellung der Ausstellung eine Brücke schlagen.

 

Lucia Halder: Und wie generiert man ein visuelles Gedächtnis in der Praxis?

Gisela Parak: Das Projekt ist partizipativ aufgebaut. Wir haben aus dem Kreis unserer Mitglieder 17 ganz unterschiedliche Persönlichkeiten ausgewählt, die dann in drei Workshops ihr jeweiliges Konzept erarbeitet haben. Manche hatten schon genau im Kopf, was sie abbilden wollen, andere haben sich – wie im Ausstellungstitel angedeutet – auf Spurensuche begeben. Herausgekommen sind beeindruckende Auseinandersetzungen mit der Region und Ihrer Geschichte. Es gibt in der Ausstellung künstlerische Positionen, die zum um die Ecke denken einladen. Aber auch dokumentarische Fotografien. Timo Hoheisel zum Beispiel hat das Atommüll-Endlager Asse fotografiert und sich dabei von außen nach innen vorgearbeitet. Fotos erleichtern die Auseinandersetzung mit einem Ort, mit seiner Geschichte. Die Frage, was ein Ort für ein Individuum bedeutet und wo sich diese Bedeutung zeigt nutzt sich nicht ab und kann zu jeder Zeit immer wieder neu gestellt werden.

Das Online-Archiv beherbergt auch die historischen Sammlungen des Photomuseum Braunschweig.

Das Online-Archiv beherbergt auch die historischen Sammlungen des Photomuseum Braunschweig.

 

Lucia Halder: Die Bilder werden archiviert und online zugänglich gemacht, es soll ein „dauerhaftes fotografisches Gedächtnis“ sein. Gedächtnis und Geschichte sind untrennbar miteinander verbunden. Welche Rolle spielt Geschichte in Ihrem Projekt?

Gisela Parak: Auf der Seite http://dasregionalegedaechtnis.de werden die Bilder eingespeist, ausführlich kommentiert und sind jederzeit abrufbar. Wir haben dort aber auch historische Bestände aus unserer Sammlung eingearbeitet. Mit den Fotografien aus der Ausstellung wollen wir nicht einfach Geschichte illustrieren, sondern einen persönlichen Zugang schaffen. Es geht nicht darum, die Region möglichst flächendeckend zu kartieren, sondern sie individuell und selektiv zu entdecken. Aber die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Region ist natürlich zentral. Braunschweig liegt im einstigen so genannten Zonenrandgebiet. Mit der ersten Ausstellung haben wir einen spannungsreichen Grundstock vorgelegt. Aber ich sehe auch Entwicklungspotential für eine weitere Ausstellung. Eine Fotografinhat eine Wagenkolonie aufgespürt, die sich exakt auf dem ehemaligen Grenzstreifen niedergelassen hat. Ein Weiterer zeichnete Spuren der Protestkultur im Wendland auf. Ein anderer Fotograf setzt sich seit Jahren mit historisch belasteten Orten aus der Zeit des Nationalsozialismus auseinander. So funktioniert das Gedächtnis, man erinnert sich an etwas und findet einen eigenen Zugang, das kann ein spielerischer Zugang sein, das Resultat kann aber auch ein subjektiv-alternatives Geschichtsbild ergeben, das durchaus subversiv sein kann.

 

Lucia Halder: Sie sprechen also von Fotografie als sozialer Praxis…

Gisela Parak: Genau. Es geht darum, dass die Fotografinnen und Fotografen bildlich ihre Sichtweisen vorstellen. Eine der Rubriken in unserer Ausstellung ist „Architektur“. Das wiederaufgebaute Schloss in Braunschweig ist da ein prominentes Beispiel. Das Gebäude wurde rekonstruiert, im Innern befindet sich jedoch eine Shopping-Mall. Daran spalten sich natürlich die Meinungen. Durch die fotografische Dokumentation dieses Prozesses entstehen Statements. Die Fotografierenden erörtern in ihren künstlerischen Kommentaren wichtige Ereignisse, Momente und Orte der kulturellen Identität der Region.

 

Lucia Halder: Produktions- und Firmengeschichten stehen oft in enger Beziehung zur regionalen Erforschung von Geschichte. In Braunschweig waren einst so prägende Firmen wie Voigtländer und Rollei ansässig. Werden sie als Teil des regionalen Gedächtnisses wahrgenommen?

Gisela Parak: Die Firmengeschichten sind noch unheimlich präsent. Braunschweig bezeichnet sich gerne selbst als Fotostadt. Wichtige Firmen – Sie haben sie bereits genannt – haben hier Fotoapparate hergestellt und in alle Welt verkauft.Technikgeschichte ist jedoch aus Fotomuseen zugunsten künstlerischer Annäherungen an das Medium weitest gehend ausgegliedert. Was nicht heißen muss, dass der Aspekt komplett ausgeblendet wird. Die Deichtorhallen Hamburg widmen ihre aktuelle Ausstellung beispielsweise dem 100. Geburtstag der Leica-Kamera. Aber uns in Braunschweig geht es bei dem Projekt eher darum, zu hinterfragen, was eigentlich dran ist, an diesem Selbstbild der Fotostadt.

 

Lucia Halder: Der Medienwissenschaftler Knut Hickethier stellte fest, regionale Forschung gehe davon aus, „daß sich Geschichte in den lokalen und regionalen Besonderheiten manifestiert. Gegenüber dem überregionalen Allgemeinen behauptet die Region ihren Eigensinn.“[3] Was ist das besondere an der Kategorie Region?

Gisela Parak: Ich glaube, dass Ereignisse der Regionalgeschichte oftmals stellvertretend für übergeordnete Prozesse stehen können, sie tun dies aber viel persönlicher und zu Herzen gehend. Das haben wir auch schon vor zwei Jahren in der Ausstellung „Gift-Gegengift“ von Franz Wanner zeigen können. Die Fragestellung war ähnlich. Franz Wanner hat sich auf Spurensuche in dem bayerischen Kurort Bad Tölz gemacht und hat erstaunliches gefunden: Spuren der NS-Geschichte und Hinweise auf Spionageaktivitäten aus der Zeit des Kalten Krieges – Bad Tölz wurde plötzlich zum Prototyp bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte. Und zwar nur, weil sich der Fotograf voll und ganz auf das Regionale eingelassen hatte. In jeder Region gibt es solche Beispiele, in denen sich das große Ganze wiederspiegelt, die aber auch eine gewisse Einzigartigkeit bewahrt. Regionaler Eigensinn ist etwas ganz wunderbares.

 

Lucia Halder: Sind historische Fotoprojekte wie beispielsweise die französischen „Mission héliographique“ von 1851, oder das Fotoprogramm der „Farm Security Administration“ in den USA der 1930 und 40-er Jahre Ideengeber für eine solche „Vermessung der Region“?

Gisela Parak: Als Historikerin habe ich natürlich ein ausgeprägtes Interesse daran, wie eine Stadt oder eine Region in der Vergangenheit funktioniert hat und wie sie heute funktioniert. Da drängen sich mir viele Fragen auf: Was ist Strukturwandel? Welche Teile der Geschichte sind noch lebendig? Was für spezifische Erinnerungsorte gibt es hier? Fotografie ist ein Medium, dass soziale Themen begleitet und reflektiert. Wir wollen unsere Mitglieder als fotografische Feldforscher in Land schicken. In der Art der Ausführung gibt es somiteine gewisse Nähe zu den von Ihnen erwähnten historischen Programmen, wenngleich die Intentionen jeweils völlig andere waren.

 

Lucia Halder: Ende 2015 wird das Projekt fortgesetzt. Wie geht es weiter?

Gisela Parak: Wir werden eine weitere Gruppe von Fotografinnen und Fotografen einladen, ihre Erinnerung aufzuzeichnen und auszustellen. Der Bestand soll sukzessive wachsen. Im Jahr 2016 soll das Projekt dann in eine offene Ausschreibung überführt und das Archiv geöffnet werden. Jeder ist herzlich eingeladen am Gedächtnis der Region mitzuarbeiten.

 

Lucia Halder: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Timo Hoheisel, 13.30 Uhr, aus der Serie Asse II, 2013, mit freundlicher Genehmigung des Photomuseum Braunschweig Andreas Gießelmann, Frischluft, aus der Serie OP Bunker, 2010 (mit freundlicher Genehmigung des Photomuseum Braunschweig)

Der Fotograf Timo Hoheisel fotografierte das Endlager Asse (links). Andreas Gießelmann machte sich auf Spurensuche im ehemaligen OP-Bunker in der Celler Straße in Braunschweig (rechts). Mit freundlicher Genehmigung des Photomuseum Braunschweig.

 

[1] Osterhammel, Jürgen: Die Wiederkehr des Raumes: Geopolitik, Geohistoire und historische Geographie, in: Neue Politische Literatur, Jg. 43, 1998, Heft 3, S. 374–397.

[2] Boehm, Gottfried: Die Wiederkehr der Bilder. In: Gottfried Boehm (Hrsg.): Was ist ein Bild? München 1994, S. 11–38.

[3] http://www.massenmedien.de/allg/spur/hicke.htm

Quelle: http://www.visual-history.de/2015/02/16/das-regionale-bild-gedaechtnis/

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Die Fotografische Sammlung des Museum Ludwig unter neuer Leitung

Henri Cartier-Bresson: Sonntag an der Marne, 1938, Print, Silbergelatine 27,5 x 39,9 cm

 

Seit 1. August 2013 ist Dr. Miriam Halwani Leiterin der fotografischen Sammlung des Museum Ludwig in Köln. 1977 gegründet, ist die Sammlung eine der größten ihrer Art in Europa. Sie umfasst Bestände von frühen Daguerreotypien aus den Sammlungen Agfa und Lebeck über Reisefotografien, Werken der russischen Avantgarde bis hin zu zeitgenössischen Fotografien. Zeit für ein Gespräch mit der Kunsthistorikerin, die bereits für ihre Dissertation zur „Geschichte der Fotogeschichte 1839-1939“ intensiv in den Kölner Beständen recherchierte.

 

Dr. Miriam Halwani,Leiterin der Fotografischen Sammlung des Museum Ludwig, Köln

Dr. Miriam Halwani, Leiterin der Fotografischen Sammlung des Museum Ludwig, Köln

Lucia Halder: Frau Halwani, worum geht es in Ihrer Auftakt-Ausstellung am Museum Ludwig, und wann wird sie eröffnet?

 

Miriam Halwani: Die Ausstellung widmet sich der Fotografischen Sammlung und Sammlungsidee Erich Stengers. Stenger hatte 1906 angefangen, systematisch Zeugnisse der Fotogeschichte zu sammeln, d.h. außer Fotografien aller Verfahren und Anwendungsgebiete (explizit künstlerisch, wissenschaftlich, dokumentarisch) auch ganze Mappen, Bücher mit eingeklebten Fotografien, Schmuck und Hutnadeln mit eingelassenen Fotos, Handbücher, Karikaturen zur Fotografie oder auch Autografen. Bis 1955 hatte er so eine in ihrer Art einzigartige Sammlung zur Kulturgeschichte der Fotografie zusammengetragen, eine visuelle Enzyklopädie. Heute verwahrt das Museum Ludwig seine Sammlung. Stengers dezidiertes Ziel war aber die Einrichtung eines Fotomuseums, für das er konkrete Pläne vorlegte, die nun in der Ausstellung Das Museum der Fotografie. Eine Revision genutzt werden, um zwei Anliegen zu verfolgen: einmal dieses spezifische Museum im Museum vorzustellen, das Stengers Fotogeschichte erzählt – aus Sicht eines Kunstmuseum-Besuchers sicher eine alternative Fotogeschichte zu der der Highlights und großen Namen. Und zum andern soll die immer wieder formulierte Forderung nach einem grundlegenden Fotomuseum, die seit dem 19. Jahrhundert und bis heute immer wieder formuliert oder auch an unterschiedlichen Orten realisiert wurde, hinterfragt werden. Wozu eine Abgrenzung der Fotografie von anderen Bildverfahren? Das lässt sich mit Stengers Fotomuseum in einem Kunstmuseum wie dem Museum Ludwig wunderbar zur Diskussion stellen. Die Schau wird vom 28. Ju­ni bis zum 5. Ok­to­ber 2014 zu sehen sein.

 

L.H.: Henri Cartier-Bresson sagte über den Zusammenhang zwischen Kunst und Fotografie: „Die Fotografie ist ein Handwerk. Viele wollen daraus eine Kunst machen, aber wir sind einfach Handwerker, die ihre Arbeit gut machen müssen.“ Es hat auch tatsächlich lange gedauert, bis es die Fotografie ins Kunstmuseum geschafft hat. Ist der Diskurs, ob die Fotografie Kunst ist, im „age of visuality“ (W.J.T. Mitchell) mittlerweile Geschichte?

 

M.H.: Die Frage, ob Fotografie Kunst sei, so oft sie auch schon gestellt wurde, birgt letztlich eine Sprachfalle und kann zu keinem Ergebnis führen. Eine Fotografie ist eine Fotografie – ein Bild, ein Material, wenn Sie so möchten. Kunst ist eine Setzung. Interessant wird es erst, wenn wir uns von der beständig wabernden Definition von Kunst lösen und uns fragen, wie das Verhältnis der Bilder und Dinge zueinander ist, die Menschen produzieren, wie das Verhältnis der Menschen zu ihren Bildern und Dingen. Okwui Enwezor spricht vom Kunsthistoriker als Ethnologen. Ethnologen wollen Lebensweisen verstehen. Als Kunsthistorikerin möchte ich verstehen, welche Bedeutung Bilder im Leben der Betrachter spielten und spielen. – Übrigens hatte Henri Cartier-Bresson schon sehr früh, nämlich 1947, eine Ausstellung im MoMA. Ob Fotografie nun Kunst ist oder sein kann, haben Museumskuratoren also schon längst beantwortet.  

Henri Cartier-Bresson: Sonntag an der Marne, 1938, Print, Silbergelatine 27,5 x 39,9 cm

Henri Cartier-Bresson: Sonntag an der Marne, 1938, Print, Silbergelatine
27,5 x 39,9 cm

L.H.: In der Sammlung des Museum Ludwig befinden sich unterschiedlichste Bestände: Wissenschaftliche Fotografien, Reisefotografien, genuin künstlerische Aufnahmen, Dokumentarfotografien, Alben und Materialien zur Fotogeschichte. Was ist der rote Faden der Sammlung?

 

M.H.: Die Fotografische Sammlung des Museum Ludwig kann gar nicht nur einen roten Faden haben, weil sie sich aus verschiedenen Sammlungen zusammensetzt, die zu verschiedenen Zeiten nach verschiedenen Kriterien zusammengetragen wurden. Zu nennen sind allen voran die Sammlung Gruber, die Sammlung Agfa mit der Sammlung Stenger, die Sammlungen Robert Lebeck oder Daniela Mrazkova. Und genau diese Heterogenität ist es, die die Fotografische Sammlung ausmacht und es einem ermöglicht, genuin Forschung zu betreiben.  

 

Arkadi Schaichet: Komsomolze am Steuer, Moskau 1936 Print, Fotografie Silbergelatine 48 x 41 cm

Arkadi Schaichet: Komsomolze am Steuer, Moskau 1936
Print, Fotografie
Silbergelatine
48 x 41 cm

Robert Capa: Sizilianische Kampagne, Print, Silbergelatine 35,5 x 27,9 cm

Robert Capa: Sizilianische Kampagne, Print,
Silbergelatine
35,5 x 27,9 cm

 

L.H.: Was für ein Sammlungskonzept werden Sie in Zukunft verfolgen?

 

M.H.: Im Moment bin ich noch dabei, die Sammlung zu sichten, um zu erkennen, wo Lücken bestehen. Es ist wichtig, eine Sensibilität für die Zusammensetzung der Fotografischen Sammlung, aber auch die der anderen Sammlungen des Museum Ludwig zu gewinnen, bevor verantwortungsbewusste Erwerbungen für das Museum gemacht werden können. Es ist ja einiges auf dem Markt, und es werden einem fast wöchentlich Arbeiten angeboten. Überstürzen möchte ich nichts. Was einmal in der Sammlung ist, bleibt dort. Das zwingt zur Umsicht. Schließlich arbeitet ein Museum in anderen zeitlichen Dimensionen als beispielsweise ein Privatsammler.  

 

L.H.: „Inzwischen bin ich der Einzige, der weiß, wo die Dinge zu finden sind, aber ich hoffe, dies wird sich bald ändern“, sagte ihr Vorgänger Bodo von Dewitz in einem Interview im Jahr 2011.[1] Im Blick hatte er vermutlich die geplante Digitalisierung der Sammlung – derzeit ein großes Thema für viele Museen und Archive. Wie geht das Museum Ludwig damit um?

 

M.H.: Sie sprechen da ein Thema an, das mir sehr am Herzen liegt und leider in dem immer schneller werdenden Turnus an Sonderausstellungen leicht in den Hintergrund gerät. Die Fotografische Sammlung ist keine Privatsammlung und steht prinzipiell jedem offen. Nur, um bekannt zu machen, was im Museum Ludwig verwahrt wird, ist die Digitalisierung unumgänglich. Das ist bislang viel zu wenig geschehen – was auch schlicht eine Kostenfrage ist. Ich will Förderer gewinnen, die ermöglichen, die umfangreichen Bestände digital zu erfassen und online zu stellen, um es jedem zu ermöglichen, die Sammlung kennenzulernen, zu forschen, damit nicht immer über die gleichen Arbeiten gesprochen wird, weil sie einmal in einem Ausstellungskatalog gedruckt wurden. Der Kurator soll zwar physisch die Sammlung hüten, aber er sollte nicht der Einzige sein, der weiß, was sich in der Sammlung befindet. Mir ist das genauso wichtig, wie Ausstellungen zu machen. Nur ist es leichter, Geld für Ausstellungen zu akquirieren als für die vielleicht stillere, aber bei weitem nicht weniger nachhaltige Sammlungsarbeit.  

 

L.H.: Bodo von Dewitz sprach auch gerne von glücklichen „Fügungen“ und „Zufällen“ bei Neuerwerbungen. Gibt es solche Zufallsfunde und Fügungen im institutionalisierten Kunstmarkt heute überhaupt noch? 2010 ging beispielsweise ein Flohmarktfund durch die Presse: Entdeckt wurden Fotografien – vermutlich von Ansel Adams – im Wert von mehreren Millionen Dollar. Sind das Pressehypes oder ist das Fotohistoriker-Realität?

 

M.H.: Das ist nicht Alltag, aber es ist Realität. Es gibt so viele ungehobene, fast vergessene Fotos, Konvolute und Sammlungen von sehr guter Qualität, die noch in Privatbesitz sind und deren Wert erst nach und nach erkannt wird. Wie Sie wissen, hat sich ein Markt für Fotografie erst in den 1970er-Jahren etabliert. Das ist keine lange Zeit, um alle Dachböden und Archive durchstöbert zu haben oder um jedes Auge so zu schulen, Bestes von Gutem und Banalem zu unterscheiden. Aber je mehr Fotografie im Museum zu sehen ist, desto mehr bekommt man als Museum auch angeboten. Einiges ist vielleicht weniger interessant, anderes dafür eine „Entdeckung“.  

 

Edward-Jean Steichen: Dolor, aus: Camera Work 2, 1903, Print, Heliogravüre

Edward-Jean Steichen: Dolor, aus: Camera Work 2, 1903, Print, Heliogravüre

L.H.: Seit einigen Jahren beschäftigt sich die Visual History mit der Visualität von Geschichte und gleichermaßen mit der Geschichte des Visuellen. Einer kulturgeschichtlich erweiterten Zeitgeschichte verpflichtet, fließen in das Forschungsfeld zahlreiche Aspekte benachbarter Disziplinen ein. Finden Sie sich als Kunsthistorikerin in den Fragestellungen der Visual History wieder?

 

M.H.: Ich habe die Kunstgeschichte nie als abgeschottet von anderen Disziplinen erlebt. Die Visual History kann sich ja auf Traditionen berufen, die älter sind als ihr Name. Aber natürlich wirft gerade der Umgang mit der Fotogeschichte Fragen auf, die sich mit den „klassischen“ Methoden der Kunstgeschichte nicht allein beantworten lassen.

 

L.H.: Frau Halwani, häufig bezeichnen Sie Fotografien übergreifend als „Bilder“. Sie haben offenbar einen ähnlich breiten Bildbegriff wie die noch recht junge Bildwissenschaft und Visual History. Beide machen ja zunächst keinen Unterschied zwischen Kunst- und Alltagsbildern. Spiegelt ihre Sammlung dies in gewisser Weise wider, die ja auch unterschiedlichste Genres vereint?

Postkarte mit einer Fotografie von Franz Schensky aus der Sammlung Stenger, 1931

Postkarte mit einer Fotografie von Franz Schensky aus der Sammlung Stenger, 1931

M.H.: Ja. Das ist auch genau das, was mich an der jetzigen Ausstellung so reizt: Erich Stenger sammelte abseits der künstlerischen Fotografie, die für ihn nur eines von zig Anwendungsgebieten der Fotografie war, wie er es nannte. Ebenso wichtig war ihm etwa die Tierfotografie, zum Beispiel Fotos von Möwen auf Helgoland aus den 1920er/30er-Jahren. Robert Lebeck kaufte Alben aus dem Japan des späten 19. Jahrhunderts, die auch nicht als „hohe Kunst“ verstanden wurden, aber nun mal existieren. Viele Fotografen der 1920er-Jahre, die Künstler der Avantgarde meine ich, haben die Unterscheidung Kunst/Dokument längst überworfen, an der heute mitunter noch geknabbert wird, wie Ihre Frage zeigt. László Moholy-Nagy zeigt in den 20ern Bilder in seinem Buch „Malerei Fotografie Film“, wie sie Stenger sammelte, und feiert in ihnen das neue Sehen. Diesen Schritt hat Stenger nie getan. Das zeigt, wie beliebig solche Setzungen oder Zuschreibungen sind. Darum will ich mir in meinen Erkundungen der Fotogeschichte die Tür offenhalten, und das tue ich am besten mit einem Begriff wie Bild, der weniger kategorisiert.  

 

L.H.: Horst Bredekamps Bildakt-Theorie gab einen wichtigen Impuls für die Visual History. Sie impliziert die Deutung von Bildern als Akteure bzw. handlungsstiftende Agenten. Der Fototheoretiker Bernd Stiegler mahnte jüngst, dass diese Umcodierung der Handlungstheorie durchaus dramatische Konsequenzen haben könne, da nun Handlung an die Bilder delegiert werde. „Nicht nur der Mensch, sondern auch (oder sogar vorrangig) sie [die Bilder, L.H.] sind es, die Geschichte machen, prägen und formen. Eine solche Bestimmung ist politisch wie theoretisch problematisch“, so Stiegler.[2] Teilen Sie die Ansicht einer „Bildermacht“ im Bredekamp’schen Sinne oder eher die Kritik daran?

 

M.H.: Dass Bilder einen Einfluss auf uns ausüben, ist unbestritten. Dass Bredekamp wieder jenen Einfluss thematisiert, der die Menschen seit Urzeiten fasziniert oder ängstigt, fand ich wohltuend und wichtig. Aber dennoch: Kein Bild kann handeln, sondern höchstens Handlungen verursachen. An dem Begriff „Macht“ störe ich mich, weil der auf der Betrachterseite Ohnmacht impliziert – und das ist falsch, das muss jedenfalls nicht der Fall sein. Die Bilder, die den Einfluss ausüben, sind ja von Menschen gemacht. So muss es also die Aufgabe etwa eines Museums sein, Augen und Bewusstsein zu schulen, um die Mechanismen zu verstehen, die uns zu den Bildern ziehen und vielleicht anregen, bestimmte Dinge zu tun, fühlen oder denken.

 

L.H.: Eine der musealen Kern-Aufgaben neben dem Sammeln, Bewahren, Ausstellen und Vermitteln ist das Forschen. An vielen Museen fehlt es mittlerweile an Zeit und Geld für diese Kernaufgabe. Wie sieht es bei Ihnen mit der Forschung an der Fotografischen Sammlung aus – ist die Sammlung des Museum Ludwig auch zugänglich für externe Wissenschaftler?

 

M.H.: Ich bin froh, durch den Lehrstuhl für Fotogeschichte und -theorie an der Kölner Universität die Möglichkeit zu haben, auch vor Ort Forschungen anzuregen. Und ich hoffe auf eine enge Zusammenarbeit. Tatsächlich könnte das ein Konflikt sein: diese hervorragenden Bestände zu sichten und nicht die Zeit zu haben, allen Fragen nachgehen zu können, wie es zur Zeit der Promotion noch möglich war. Aber ich muss das ja auch nicht alleine tun. Hauptsache ist doch, die Bestände werden öffentlich gemacht, in Ausstellungen, Publikationen, Datenbanken, und regen Wissenschaftler an, ins Museum Ludwig zu kommen und an den Objekten zu forschen. Wir haben einen Vorlageraum, die Möglichkeit besteht also ohne weiteres. Und es kommen regelmäßig Besucher aus der ganzen Welt, um für Ausstellungen oder Publikationen Einsicht in die Bestände zu nehmen. Meine Aufgabe ist es, ihnen den Zugang zu erleichtern und so das Wissen über die Sammlungsbestände zu vergrößern.

 

L.H.: Vielen Dank für das Gespräch!

 


[1] Bodo von Dewitz/Alexander Kraus/Andreas Renner, Kein Künstler, aber ein „verspielter Hund“: Bodo von Dewitz über das Kuratieren als kreativen Prozess , in: zeitenblicke 10, Nr. 2, [22.12.2011], URL: http://www.zeitenblicke.de/2011/2/Interview/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-31879.
[2] Bernd Stiegler, Rezension zu: Paul, Gerhard: BilderMACHT. Studien zur Visual History des 20. und 21. Jahrhunderts, Göttingen 2013, in: H-Soz-u-Kult, 29.11.2013, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2013-4-173>.

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/05/26/die-fotografische-sammlung-des-museum-ludwig-unter-neuer-leitung/

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Aby Warburg und die Bilder

Eva Schmidt (Hg.): Lieber Aby Warburg, was tun mit Bildern? Vom Umgang mit fotografischem Material. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, Heidelberg: Kehrer Verlag, 2012, 15,5 x 23 cm, 380 Seiten, broschiert, 192 Abb. in Farbe., Deutsch/Englisch, 36 Euro
Eva Schmidt (Hg.): Lieber Aby Warburg, was tun mit Bildern? Vom Umgang mit fotografischem Material. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, Heidelberg: Kehrer Verlag, 2012, 15,5 x 23 cm, 380 Seiten, broschiert, 192 Abb. in Farbe., Deutsch/Englisch, 36 Euro

Eva Schmidt (Hg.): Lieber Aby Warburg, was tun mit Bildern? Vom Umgang mit fotografischem Material. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, Heidelberg: Kehrer Verlag, 2012, 15,5 x 23 cm, 380 Seiten, broschiert, 192 Abb. in Farbe., Deutsch/Englisch, 36 Euro

 

Um die Frage nach Funktion und Rolle von Bildern für kollektive Gedächtnisse beantworten zu können, muss die Frage nach Bildtraditionen und deren Deutung gestellt werden. Aby Warburgs Theorie des sozialen Bildgedächtnisses gewann in der Visual History daher in den vergangenen Jahren an Bedeutung.

„Lieber Aby Warburg, was tun mit Bildern?“, fragte eine Ausstellung im Sommer 2013 im Museum für Gegenwartskunst in Siegen. Im Dezember-Heft 2013 der  Zeitschrift Fotogeschichte beleuchtet eine Rezension den Begleitband zur Ausstellung.

 

 

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/04/07/aby-warburg-und-die-bilder/

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Ost und West im Bildvergleich

Köchinnen, Neukirchen-Wyhra, 1990

62 Schwarz-Weiß-Porträts von Menschen unterschiedlicher Milieus und Berufsstände von Stefan Moses stellt das Haus der Geschichte in Bonn derzeit in seiner U-Bahn-Galerie aus. Ob Maler, Köche, Kaminkehrer oder Bergarbeiter, Polizisten oder Tänzer – Moses stellte sie alle vor ein graues Tuch und lichtete sie ab. Anfang der 1960er-Jahre begann er damit in der Bundesrepublik, nach dem Fall der Mauer führte er seine „Deutschenporträts“ auch im Osten des Landes fort. Im Haus der Geschichte stehen die Bilder nun zum direkten Vergleich nebeneinander. „Trotz der zeitlichen und räumlichen Trennung stehen die Gemeinsamkeiten im Vordergrund“, so die Kuratorin der Ausstellung Judith Koppetsch im Pressetext zur Ausstellung.

Köchinnen, Neukirchen-Wyhra, 1990

Köchinnen, Neukirchen-Wyhra, 1990

Hotel-Köche, West-Berlin, 1964

Hotel-Köche, West-Berlin, 1964

Und tatsächlich: Stellt sich der/die Betrachter/in vor ein beliebiges Bilderpaar, vermag eine geografische oder zeitliche Einordnung ohne einen Blick auf den Objekttext kaum möglich. In den Bildern von Stefan Moses verschwinden die während des Kalten Kriegs propagierten Abgrenzungen zwischen Ost und West auf verblüffende Weise. Moses bringt die Abgelichteten durch den stets gleichen Hintergrund auf eine Art Bühne und richtet die Aufmerksamkeit gänzlich auf die fotografierten Menschen, deren berufsspezifische Merkmale und deren sichtliche Freude vor der Kamera.

Bereits in den vergangenen Ausstellungen „drüben. Deutsche Blickwechsel“ (2006) und in der Schau „Frauenobjektiv. Fotografinnen 1940 bis 1950“ (2001) standen im Haus der Geschichte (bildliche) Ost-West-Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur Diskussion. Nunmehr fast 25 Jahre nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung fragt die Ausstellung der Moses-Bilder nach deutsch-deutscher Identität und rüttelt an Mustern in den Köpfen ihrer Betrachter. Gleichzeitig dokumentieren die Bilder auf einzigartige Weise Berufs- und Lebensrealitäten von 1963 bis 1990.

Pfannenputzer, West-Berlin, 1964

Pfannenputzer, West-Berlin, 1964

Stefan Moses wurde 1928 in Liegnitz (Schlesien) geboren. Von 1947 bis 1950 arbeitete er als Theaterfotograf in Weimar. Durch seine Arbeit als Bildberichterstatter für den „Stern“, „Magnum“ und „twen“ wurde er bekannt. Ein großes Lebensthema des Fotografen waren „Deutschland und die Deutschen“. Ob Intellektuelle oder Otto Normalbürger – in seinen umfangreichen Porträtserien ließ Moses über Jahrzehnte hinweg ein nahezu psychologisches Abbild der deutschen Gesellschaft entstehen. Seine Vorgehensweise erinnert dabei an August Sander (1876 bis 1964), den Altmeister dokumentarischer und sachlich-konzeptueller Fotografie. Dieser hatte in seinem Werk „Menschen des 20. Jahrhundert“ zahlreiche Personen porträtiert und diese „eingeteilt in 7 Gruppen, nach Ständen geordnet“. Moses selbst hat diese Traditionslinie im Übrigen verneint.

Die Bilder von Stefan Moses sind noch bis Juni 2014 zu sehen: U-Bahn-Galerie, Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.

 

 

 

„wir sind wir – Deutsche in Ost und West. Fotografien von Stefan Moses“
Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, U-Bahn-Galerie
Willy-Brandt-Allee 14, 53113, Bonn
25. Juni 2013 – Juni 2014
Jederzeit frei zugänglich

Plakat_wir_sind_wir2

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/03/24/ost-und-west-im-bildvergleich/

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Alle Macht den Bildern?

Gerhard Paul, BilderMACHT. Studien zur Visual History des 20. und 21.
Gerhard Paul, BilderMACHT. Studien zur Visual History des 20. und 21.

Gerhard Paul, BilderMACHT. Studien zur Visual History des 20. und 21. Jahrhunderts, Göttingen 2013

Gerhard Paul ist zweifelsohne einer der Vordenker der deutschsprachigen Visual History. Im Frühjahr 2013 publizierte der Flensburger Historiker im Göttinger Wallstein-Verlag nun 17 – teils bereits veröffentlichte und überarbeitete, teils neue – Aufsätze unter dem Titel „BilderMACHT. Studien zur Visual History des 20. und 21. Jahrhunderts“. Eine Besprechung des Werks ist in der Zeitschrift Fotogeschichte nachzulesen.

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/02/10/alle-macht-den-bildern/

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Schulbücher als visuelle Medien

Das Bild als Werbeargument auf der Titelseite: Der erste Geschichtsunterricht. Mit Erzählungen aus dem Weltkriege. Kahnmeyer/Schulze, Bielefeld/Leipzig, 1917, inneres Vorsatzblatt.
Das Bild als Werbeargument auf der Titelseite: Der erste Geschichtsunterricht. Mit Erzählungen aus dem Weltkriege. Kahnmeyer/Schulze, Bielefeld/Leipzig, 1917, inneres Vorsatzblatt.

Das Bild als Werbeargument auf der Titelseite: Der erste Geschichtsunterricht. Mit Erzählungen aus dem Weltkriege. Kahnmeyer/Schulze, Bielefeld/Leipzig, 1917, inneres Vorsatzblatt.

In der Vermittlung von Geschichte spielen Bilder eine wichtige Rolle. Die Entwicklung von Schulbüchern – insbesondere Geschichtsschulbüchern – von einer „Bleiwüste“ hin zu einer multimodalen Sinnstruktur und infolgedessen die Entwicklung der darin enthaltenen Abbildungen von rein illustrativen Objekten hin zu Quellen verstärkt die bildliche Dimension von Bildungsmedien. Das Schulbuch wird zum visuellen Medium. Waren Anfang des Jahrhunderts trotz technischer Machbarkeit – illustrierte Zeitschriften waren bereits in großen Auflagen im Umlauf – noch äußerst wenige Abbildungen in Schulbüchern zu finden, so werden Bilder ab Ende der 1920er-Jahre in einigen Geschichtsschulbüchern bereits als Werbeargument ernst genommen (Abb.). Als Medium des kollektiven Bildgedächtnisses kommt dem Schulbuch eine besondere Rolle zu: Bilder strukturieren Inhalte, visualisieren Sachverhalte, veranschaulichen abstrakte Zusammenhänge und emotionalisieren Lebensweltbezüge. Als potenzieller Träger und Distribuent kollektiver Bildgedächtnisse erfordern Bildungsmedien daher besondere Aufmerksamkeit und interdisziplinär unterfütterte Analysemethoden.

Das Dissertationsvorhaben „Schulbücher als visuelle Medien. Ikonographien des Sozialismus“ versteht das Schulbuch als ein Medium, welches das Bildgedächtnis in besonderer Weise sowohl zu spiegeln als auch zu prägen vermag. Am Beispiel von Abbildungen des Sozialismus als „Signatur” des 20. Jahrhunderts wird untersucht, aus welchen Bildern dieses Gedächtnis jeweils geformt wurde bzw. wird, welche „Sprache“ Schulbuchbildern im Spannungsverhältnis zwischen Bildern und Bild-Texten zu eigen war und wie sich Bildmuster nach Umbrüchen wandelten oder auch über politische Zäsuren hinweg behaupteten. Anhand der seriell-ikonografischen Analyse von deutschen Geschichtsschulbüchern über den Umbruch von 1989/1990 hinaus sollen Bildtraditionen und -brüche analysiert werden und Rückschlüsse über Bildpraxen im Schulbuch und deren Auswirkungen auf den Bilderhaushalt einer Gesellschaft gezogen werden.

 

Institution: Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung (Projekt „Visual History. Institutionen und Medien des Bildgedächtnisses“)

Thema: Schulbücher als visuelle Medien – Ikonographien des Sozialismus

Betreuerin: Prof. Dr. Simone Lässig

Laufzeit: 2012-2015

Quelle: http://www.visual-history.de/?p=354

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Wenn Bilder plötzlich lächeln

Blick in den Ausstellungsraum: „Fotografien berühren“, ein Projekt des Ethnologen Michael Kraus und des Szenografiebüros chezweitz

Die Fotografie als scheinbar objektive Darstellungsform gewann im 19. Jahrhundert sowohl qualitativ als auch quantitativ rapide an Bedeutung. Dabei erschien das Medium auch als optimal, um Informationen über andere Kulturen und Völker zugänglich zu machen. Das Ethnologische Museum Berlin-Dahlem besitzt eine stattliche Sammlung entsprechender Aufnahmen von Forschungsreisenden aus zahlreichen Nachlässen, Ankäufen oder Schenkungen. Allein aus Lateinamerika befinden sich über 6000 Stück –  entstanden zwischen 1868 und den 1930er-Jahren – in der Sammlung.

„Fotografien berühren“ lautet der Titel der aktuellen Ausstellung in Dahlem, die sich zum Ziel gesetzt hat, eben jene Fotografien aus Lateinamerika neu zu erschließen und dabei nicht die Forschungsreisenden oder Entdeckungen in den Fokus zu rücken, sondern die Abgebildeten.

Die Präsentation entstand in Kooperation des Ethnologischen Museums mit dem Museum für Asiatische Kunst in Berlin-Dahlem und ist Teil der dritten sogenannten Probebühne des Humboldt Lab. In Vorbereitung auf den Umzug der beiden Museen und ihrer Sammlungen in das im Bau befindliche Berliner Stadtschloss experimentieren Kuratoren und Gestalter mit neuen Ausstellungsformen, die vor allem neue Perspektiven auf die Sammlungen ermöglichen sollen.

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Quelle: https://www.visual-history.de/2013/12/12/wenn-bilder-ploetzlich-laecheln/

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Zu Gast bei Yva

Zu Gast bei Yva

Die Arbeitsräume von Fotografin Yva befanden sich in der vierten und fünften Etage des Hauses in der Schlüterstr. 45 in Berlin (heute das Hotel Bogota). (Foto mit freundlicher Genehmigung von Barbara Schledorn ©)

Dass Geschichte nicht in Geschichten, sondern in Bilder zerfalle – eine Feststellung Walter Benjamins –, ist unter Geschichtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern mittlerweile eine verbreitete Auffassung. Die historische und soziale Relevanz von Bildern, ihre Entstehungs-, Verbreitungs- und Wahrnehmungsbedingungen und nicht zuletzt ihre Bedeutung für die historische Forschung haben Bilder zu einem beliebten Arbeitsmaterial werden lassen. Noch nicht abschließend geklärt ist allerdings die Frage, wie visuelle Materialien in Forschung und Lehre nutzbar gemacht werden können, denn Historiker werden bisher nicht speziell dafür ausgebildet, mit Bildern als Medium zu arbeiten. In diesem Zusammenhang möchte das Online-Portal www.visual-history.de zu einem bedeutenden Arbeitsmittel und Forum für die historische Bildforschung werden. Die Plattform ist Teil des SAW-Verbundprojekts „Visual History.

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Quelle: https://www.visual-history.de/2013/08/22/bericht-auftaktveranstaltung-2013/

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