“Big Data” als Herausforderung an die “Digitale Pädagogik” – Ein Plädoyer für die Verwendung der “Grounded Theory”

Big Data als Herausforderungen an eine Digitale Pädagogik 

“Big Data” sind in der breiten Massenkultur angekommen. Sehen einige darin den Untergang der Privatheit durch die umfangreiche Überwachung und Analyse von Nutzerverhalten, so werden die Möglichkeiten der durch die Vernetzung und Interoperabilität von großen Daten-Mengen erzeugten neuen Daten stellenweise schon frenetisch gefeiert. Der Gewinn sich im Zuge von “Big Data” nun endlich mit den methodisch-reflexiven und praktischen Herausforderungen einer DH-affinen bzw. digitalen Pädagogik zu stellen, soll hier in Angriff genommen worden. Zu lange sind wir im Tal der Ahnungslosen verblieben bzw. haben uns darauf verlassen, dass es zu generellen Impulsen kommen wird, die aber seit langer Zeit ausgeblieben sind. Es sollen hier erste Anstösse gegeben werden, dass wir durch den Umgang mit “Big Data” und durch die Nutzung von “Big Data” die Chance ergreifen können die Potentiale, die die “Big Data” für die (Weiter-)Entwicklung der Digitalen Pädagogik birgt, zu nutzen. Dabei spielt die Einsicht von Arthur Conan Doyle “It is a capital mistake to theorize before one has data” (Doyle 1891) eine wichtige Rolle, da wir noch viel zu wenig das Augenmerk auf bereits vorhandene und zu gewinnende Daten bei digitalen Lehr- und Lernprozessen und -kulturen gelegt haben und die Auswertung dieser Daten bisher noch aussteht bzw. diese nur peripher genutzt werden. Es soll hier eine Lanze dafür gebrochen werden, dass wir im Umgang mit “Big Data” und “Big Data Technologien” vor neue Herausforderungen – auch und insbesondere in der Vermittlung – gestellt sind – dies würde auch wohl keiner mehr mit Ernst bezweifeln wollen.

Big Data und die “Grounded Theory” – Ein neuer Ansatzpunkt für die “Digitale Pädagogik”?

Bisher sind viele Potentiale von Big Data und Big-Technologien nicht genutzt worden, wenngleich immer wieder angeführt wird, dass wir durch die technische Umsetzung noch sehr begrenzt sind. Ich halte dies für ein Schein-Argument, da wir schon über viele Daten verfügen, die aber in konzeptionell-methodischer Hinsicht noch nicht aufgearbeitet sind. Erst durch die “datengestützte Theoriebildung” scheint es mir möglich überhaupt technische Anforderungen und weitergehende wechselseitig Bestimmung von Technik und pädagogischer Praxis zu formulieren, die dann wieder in die jeweilige weitere Ausformulierung des Zusammenspiels münden können. Ich gehe davon aus, dass die Big Data und ihre Technologien als Praktik, um die in den Daten schlummernde pädagogische Theorie zu entdecken. Ein theoretischer Ansatz könnte dabei in der “Grounded Theory” gesehen werden, die durch systematisches Erheben und Analysieren von Daten, die sich auf das entdeckte Phänomen beziehen, entdeckt, ausgearbeitet und vorläufig bestätigt. Folglich stehen Datensammlung, Analyse und die Theorie in einer wechselseitigen Beziehung zueinander, die wiederum dazu genützt werden können die technischen Anforderungen an eine neue Form von “digitaler Pädagogik” auszuarbeiten. Mit den vorhandenen Big Data und den vorhandenen Big Data-Technologien könnte die „Methode des permanenten Vergleichs“ angewendet werden. Bei dieser Methode finden die Datensammlung sowie das Kodieren und Analysieren der Daten parallel statt. Für die Kodierung werden substantielle und theoretische Codes verwendet: Die substantiellen Codes werden in offene und selektive Codes unterteilt. Zu Beginn der Analyse werden offene Codes verwendet (offene Kodierung). Offene Codes sind z. B. bestimmte Worte, die in den Daten wiederkehrend vorkommen. Es werden anhand der offenen Codes Unterschiede, Gemeinsamkeiten, Handlungsmuster usw. mit dem Ziel, Kategorien bilden zu können, gesucht. Die Klassifizierungen können gebildet werden, sobald diejenigen Verhaltensmuster identifiziert wurden, die Bedeutung oder Nicht-Bedeutung zugeschrieben bekommen. Diese Verhaltensmuster werden auch Kernvariablen genannt. Im zweiten Teil der Analyse wird nur noch selektiv (selektive Kodierung) kodiert, d. h. anhand der entwickelten Kategorien. Diese Analyseschritte könnten sowohl von forschenden Personen als auch durch Maschinen-lesbare Serialisierung der Daten vorangetrieben werden. So könnten  „Themengruppen“ und „Strategien“, anhand derer die einzelne Datensegmente gruppiert werden können, erhoben werden und systematisch für die Generierung von neuen Materialien im Lern- und Lehrprozess genutzt werden bzw. auf methodisch-reflektierter Ebene zur Fundierung von pädagogischen Mitteln und Methoden genutzt werden.. Das Ziel ist, dadurch Beziehungen und Zusammenhänge herausarbeiten zu können (Polit, Tatano Beck & Hungler, 2004), die dann wiederum in Theorie und Praxis einer “Digitalen Pädagogik” genutzt werden könnten. Es steht damit in Frage, ob bisher die “Digitale Pädagogik” noch zu sehr an dem positivistisch-funktionalistischen Paradigma des Hiatus von Theorie, Praktik und Technik aufsass und damit auch “Big Data” in eine Ecke gezwungen wurde, die das negative Bild prägte. Es wird hier vorgeschlagen Big Data im Zuge einer interaktionistisch-pragamtistischen Perspektive zu sehen. In dieser Sicht sind in den Big Data Interaktionen  zu beobachten, die helfen die Bedeutung von sozialen Objekten, Situationen und Beziehungen, die im symbolisch vermittelten Prozess der Interaktion/Kommunikation hervorgebracht werden, zu analysieren und zu nutzen.

Ein Neu-Ansatz der “Digitalen Pädagogik” im Angesicht der Möglichkeiten von Big Data und Big Data-Technologien müsste auf theoretischer Ebene bei einer interaktionistisch-pragmatistischen Wissenssoziologie anfangen, um in diesen die eingelagerten Interaktionszusammenhängen in der Wissensgenese und die vermittelnde Rolle von Daten und Datafakten im Zusammenklang von theoretisch-konzeptuellen und methodischer Impulse nutzen zu können. Durch diese Sicht können wir ein Miteinander von quantitativer und qualitativer Sozialforschung für die Entwicklung neuer Formen der “Digitalen Pädagogik” Neu-Ansatz der “Digitalen Pädagogik” im Angesicht der Möglichkeiten von Big Data und Big Data-Technologien müsste auf theoretischer Ebene bei einer interaktionistisch-pragmatistischen Wissenssoziologie anfangen, um in diesen die eingelagerten Interaktionszusammenhängen in der Wissensgenese und die vermittelnde Rolle von Daten und Datafakten im Zusammenklang von theoretisch-konzeptuellen und methodischer Impulse nutzen zu können.

Die Verwendung von Big Data in diesem unteraktionistisch-pragmatistischen Horizont weist dabei auf die Unterscheidung von Medium und Form auf, die das Re-entry der Form der Daten und ihrer Modellierung in die Form der Daten erlaubt.

Big Data: die Revolution, die die digitale Pädagogik verändert?

Das von Hirsch (2012) in Anschlag gebrachte Ungleichgewicht zugunsten der Fragen um die Forschungsmethoden, den Theorien und Ergebnissen gegen die kritischen und den aktuellen Praktiken des Unterrichtens, kann m.E. durch Nutzung von “Big Data” als Medium und Form eines pädagogischen Grundprinzips abgemildert werden. Gerade das Miteinander von Methoden der Datenerfassung, der Verteilung und Speicherung, sowie die im Zusammenhang mit Lehr- und Lernmaterialien entstandenen Daten zu durchsuchen, zu analysieren und zu visualisieren, um daraus wiederum Rückschlüsse, Ansätze für die Neugestaltung und Individualisierung von Lehr- und Lernmaterialien können den allzu oft künstlich hergestellten bzw. heraufbeschworenen Hiatus zwischen Digitaler Pädagogik und Big Data überwinden. Durch die Datenerfassung, das Tracing von Datenströmen, des IR als Bestandteil von Feedback-Schleifen durch Analyse und Visualisierung können sowohl für die Produktion und Entwicklung als auch als Maßnahme der Qualitätssicherung von Schulungsmaterialien Grundlagen aus den Big Data gewonnen werden. Durch die Nutzung und Analyse von Nutzerverhalten bei vorhandenen Schulungsmaterialien können wichtige Rückschlüsse daraus gezogen werden, wie diese benutzt werden, und für individuell nutzbare, aber trotzdem im Sinne eines “mass-customizing” sowie bei der Anpassung, der Aufarbeitung und Neugestaltung genutzt werden können. Insbesondere das Data-Mining mit dem Ziel, neue Muster zu erkennen, könnten genutzt werden, um die Lehr- und Lernmaterialien optimaler zu positionieren und durch die Big Data-Technologien von einem “mass-customizing” einer Lernplattform zu individualisierten Lerninseln vorstossen zu können. Die Big Data aus den Schulungsmaterialien mit den Schulungsmaterialien selbst sind dabei der Anfang des Knowledge Discovery in Databases-Prozesses (KDD) (Ester/Sander 2000) zu verstehen.

Die KDD als pädagogisches Mittel und Methode der Digitalität
Die bereits vorhandenen Erfahrungen der Nutzung und die vorhandenen Daten zum Schulungsmaterial könnten die vorbereitenden Untersuchungen und die Transformation der auszuwertenden Datensätze mit bedingen, die wiederum eine Dimension des Knowledge Discovery in Databases sind. Die Schulungsmaterialien selbst sind dabei auch als KDD anzusehen. Ziel wäre es damit zunächst die Erkennung bislang unbekannter Zusammenhänge aus vorhandenen Datenbestände aus und in Form und Medien von Schulungsmaterialien zu erschließen. Durch die Nutzung von Big Data-Technologien, wie z.B. die Clusteranalyse, die Outlier-Erkennung und die Analyse und Generierung von Indexstrukturen, könnten neue Data-Mining-Algorithmen entwickelt werden, um Schritte der Wissensentdeckung (Datenauswahl, Datenbereinigung, Datenreduktion, Modellbildung, Visualisierung usw.) gezielter für die (Weiter-)Entwicklung und neuer Schulungsmaterialien zu nutzen, indem Regelmäßigkeit, Gesetzmäßigkeiten und verborgene Zusammenhänge extrahiert werden und auf das vorhandene Schulungsmaterial zurückgeführt werden, welches in “real-time” dem Lehr- und Lernprozess des KDD angepasst wird. Big Data-Technologien können sowohl die Daten dabei als Medium als auch Form der Clusteranalyse, der Klassifikation, der Assoziations- und Regressionsanalyse der bestehenden Daten dienen. Hierdurch wird es möglich Daten für die Erstellung von neuen Schulungsmaterialien zu gewinnen, die wiederum Anstoss für weitere notwendige Theoretisierungen im Bereich der Digitalen Pädagogik . Durch die Verwendung von Big Data-Technologien, die durch das Daten-Mining von Schulungsmaterialien gewonnen werden können, könnte es möglich werden von Daten hin zur Theoretisierung und ausgehend von dort wiederum zur konkreten Umsetzung in neue Formen und zu Medien der Lehr- und Lernmaterialien zu gelangen. Die Verwendung von Big Data weist dabei eine Unterscheidung von Medium und Form auf, die das Re-entry der Form der Daten und ihrer Modellierung in die Form der Daten erlaubt. Durch diese Sicht können wir ein Miteinander von quantitativer und qualitativer Sozialforschung für die Entwicklung neuer Formen der “Digitalen Pädagogik” nutzen.

Ein Neu-Ansatz der “Digitalen Pädagogik” im Angesicht der Möglichkeiten von Big Data als KDD und Big Data-Technologien müsste auf theoretischer Ebene bei einer interaktionistisch-pragmatistischen Wissenssoziologie anfangen, um in diesen die eingelagerten Interaktionszusammenhängen in der Wissensgenese und die vermittelnde Rolle von Daten und Datafakten im Zusammenklang von theoretisch-konzeptuellen und methodischer Impulse nutzen zu können.

Es stellt sich damit aber umso dringender die Frage nach dem Anspruch eines solchen Ansatzes. Ist eine “Digitale Pädagogik” immer eine Pädagogik der DH oder ist die “Pädagogik der DH” nicht vielleicht doch das Nahziel.

Big Data: Medium und Form – Ansätze für eine “Digitale Pädagogik” oder Pädagogik der DH?
Der Soziologe Niklas Luhmann unterschied zwischen Medium und Form, wobei der von einer Kritik der üblichen Definition des Medienbegriffs ausging, die durch die zwei Aspekte “Vorstellung einer Vielzahl von Elementen und die Funktion des Vermittelns”charakterisiert sei, ohne daß ihr Zusammenhang klar werde. Nach Luhmann setzt gerade ein Medium Elemente voraus, die temporär gekoppelt werden und solchermaßen im Medium als unterscheidbare Formen erscheinen können.Ein Medium wird durch eine Differenz von loser und fester Kopplung seiner Element gekennzeichnet: “Wir müssen dann die Einheit dieser Unterscheidung als Medium bezeichnen, nennen diese lose gekoppelten Elemente mediales Substrat und die festen Kopplungen (deren Außenseite jeweils das mediale Substrat ist) Formen. Ein Medium (…) ist eine Unterscheidung (also selbst eine Form!) auf deren Innenseite Elemente fest und auf deren Außenseite Elemente lose gekoppelt sind” (Luhmann 2000, 30).

Das Medium ist selbst nicht beobachtbar, sondern nur Fortbildungen innerhalb des Mediums. Es soll hier die These vertreten werden, dass vieles dafür spricht, dass Big Data und die damit verbundenen Technologien als ein KDD-Prozess aufgefasst werden können, die sich für die Nutzung auf die Medium-Form-Unterscheidung stützen könnten. So betont Luhmann, dass allein die Formseite anschlussfähig ist, was aufgrund des temporären Charakters der Form zu ständiger (Re-)Aktualisierung von Formbildung zwingt, wie wir es auch bei Data-Mining-Prozessen bei den Big Data-Technologien erleben. Das Medium ist hingegen zeitlich weitaus stabiler, es verbraucht sich nicht durch Fortbildungen. Durch das Data-Mining findet eine Sinnoperation statt, die als re-entry der Form in die Form zu werden ist: “Als operative Einheit aus Unterscheidung und Bezeichnung ist Sinn eine Form, die sich selbst enthält, nämlich die Unterscheidung von Unterscheidung und Bezeichnung. Eine Form ist letztlich eine Unterscheidung, die in sich selbst als Unterschiedenes wieder vorkommt” (Luhmann 1998, 57).

Big Data und ihre Technologien als Medium sorgen somit für die kommunikative Autopoiesis der Daten, indem hier nicht mehr davon ausgegangen wird, dass Informationen einfach übertragen werden, sondern her- und zugestellt werden können, die wiederum in eine Form (hier die Schulungsmaterialien) einfließen können. Durch Big Data als Form der digitalen Pädagogik wird die Markierung einer Unterscheidung möglich (Luhmann 1997,198). Big Data als lose gekoppelte Elemente können in eine feste Kopplung überführt werden, indem sie mit den üblichen Verfahren des Data-Mining gebunden werden und bei jeder neuen Verwendung reproduziert werden, wobei sie immer beliebig oft verwendbar sind. Durch das Data-Mining werden die Big Data zum autopoetischen System, wenn sie als KDD betrachtet werden, das sie das eigene Medium zur eigenen Form binden (Luhmann 1997,197). Die Form ist also eine sich selbst entfaltende Selbstreferenz. Durch die Nutzung von Big Data-Technologien kann es gelingen das Schulungsmaterial der Lern- und Subjektkultur im Wechselspiel des Lernenden und Lehrenden anzupassen. Der individuell hinterlassene Datenstrom kann genutzt werden, um das Lehr- und Lernmaterial anzupassen. Auch dies umfasst die Änderung von einem positivistisch-funktionalistisch zu einem interaktionistisch-pragmatistischen Paradigma der Big Data als KDD.

Big learning data – Ansatzpunkte für eine Revolution der “Digitalen Pädagogik”
Big Data erlauben es also eine für ein breit ausgelegtes Publikum erstelltes Schulungsmaterial auf die jeweilige Lehr- und Lernkultur im Prozess der KDD anzupassen, um so ein “mass-customized” Schulungsmaterial zu einem individuell nutzbaren zu machen und dies in Echtzeit. Dabei können sowohl die Aspekte Volume, Velocity und Variety Berücksichtigung finden als auch notwendiges Feedback geben, die Motivation steigern, individuelle Lernprozesse abbilden und gestalten, die Kollaboration in Datenherstellung, -nutzung und -austausch steigern, die Lehr- und Lernkultur und -prozesse besser steuerbar machen, die Begleitung besser gestalten und das Verstehen von Lehr- und Lernprozessen als Medium und Form zu befördern. Durch die Gewinnung der Daten durch die Verwendung von Big Data als Medium und Form von pädagogischen Prozessen, deren Abbildung und Realisierung der Clusteranalyse, der Klassifikation, der Assoziations- und Regressionsanalyse, kann es gelingen, dass wir in eine höchst produktive und kreative Phase der DH eintreten können und jedem unmittelbar der Nutzen von Digital Humanities verdeutlichen können. Wir können dann wirklich von Daten ausgehen, auf deren Grundlage wir die Theoretisierung und notwendige und in der Dringlichkeit nicht abzustreitende Theoriearbeit der Digitalen Pädagogik weitertreiben zu können und zu müssen. Die Nutzung von Big Data und der damit in Zusammenhang stehenden Technologien könnte somit auch eine Revolution der Digitalen Pädagogik im interaktionistisch-pragmatischen Sinn herbeiführen, die sich von einer blossen Medienpädagogik endlich ablöst und die Big Data aus der Schmuddelecke des Feuilleton befreit.

 

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3794

Weiterlesen

DARIAH-DE – Workshop “Forschungsdaten für Andere”

Lizenzen, so könnte man es positiv formulieren – sollen es ermöglichen Daten(sätze)und Datafakten innerhalb der Grenzen der geltenden Gesetze so öffentlich verfügbar zu machen wie möglich. Demgegenüber stehen die Unsicherheiten und die Unkenntnis darüber, was überhaupt lizensiert werden kann und darf, was die diversen Lizenzen auf dem Markt zu leisten vermögen, wie sich die jeweiligen Lizenzen in welchem Punkt unterscheiden. Auch herrscht meist Unklarheit darüber, wie Schutzkraft von Lizenzen einzuschätzen ist. Was schließen die jeweiligen Lizenz ein und was schließen sie aus? Wo liegen die jeweiligen Stärken und Schwächen, Chancen und Grenzen der Lizenz und wie komme ich überhaupt an diese? Angesichts möglichst freier, überregionaler und langfristiger Zugriffe auf Daten zu gewährleisten, sind gerade Lizenzen ein unumgänglicher Teil im Prozess der globalen Austausches. Allerdings erscheinen Lizenzprozesse und -entscheidungen für viele Wissenschaftler ein kaum zu bewältigendes und überschaubares Minenfeld zu sein. Dies führt teilweise zu falschen Entscheidungen in Bezug auf die Lizenzierung, so dass eine freier, überregionaler und langfristiger Zugang schwierig ist, oder es wird keine Lizenz vergeben, ohne zu bedenken, dass ohne eine explizierte Lizenz die Weiterverwendung stark beschränkt ist.

Durch das enorm gewachsene Interesse am offenen Zugang zu Forschungsdaten bzw. deren Bereitstellung in den historisch arbeitenden Wissenschaften, wird es immer dringlicher eine Regelung für die offene Frage der Urheber- und Verwertungsrechte an Forschungsdaten zu finden, da Forschungsdaten Grundpfeiler wissenschaftlicher Erkenntnis darstellen und Grundlage weiterer Forschung sind.[1] Zudem ergeben sich aus Projekten (wie z.B. WissGrid) und durch die gesteigerten Anforderungen durch Geldgeber immer mehr Notwendigkeiten sich mit dem “Datenmanagement” zu beschäftigen, welches auch die Beschäftigung mit Datenlizenzierung und Entscheidungsprozessen für eine Lizenz mit impliziert.

Diese und andere Problemkonstellationen waren Anlass am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz zusammen mit dem Deutschen Archäologischen Institut in Berlin als Partner in DARIAH-DE am 12./13.06. 2014 ausrichtete. Der Workshop war explizit zur Lizensierung von Forschungsdaten und Datafakten für die historisch arbeitenden Wissenschaften gedacht. In theoretischer und praktischer Perspektive wurden die Lizensierungsmöglichkeiten, die Lizensierungsprozesse und -entscheidung in den Blick genommen und diskutiert.

Am ersten Tag (12.6) wurde mit Experten in Input-Talks auf die Grundlagen der Forschungsdatenlizensierung eingegangen und die Themenkomplexe Urheberrecht, Nutzungsrechte und Datenschutz behandelt. Einzelne Projekte und Einrichtungen stellten ihre Modelle und Lösungen mit Lizenzierungsentscheidungen und -prozessen für den nationalen und internationalen Datenaustausch vor.

Zunächst stellte WIBKE KOLBMANN (Berlin) das Infrastrukturprojekt DARIAH-DE vor und verdeutlichte die Notwendigkeit an und von europäischen Infrastrukturprojekten zur Schaffung von Interoperabilität von Datenbeständen bzw. Datafakten sich stärker als bisher mit Fragen rund um die Lizensierung von Forschungsdaten zu beschäftigen.

JOHANNES PAULMANN (Mainz) als Direktor des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte unterstrich in seinem Grußwort die Dringlichkeit der Fragen nach den sozialen und wissenschaftlichen Regeln für Bereitstellung und Nutzung von Daten. Er verwies dabei auf die Notwendigkeit des freien Zugangs zu Forschungsdaten und Publikationen in Form von Open Access und Open Data. Er verwies dabei auf die eigenen Erfahrungen mit dem Projekt Europäische Geschichte Online und den in diesem Projekt bereitgestellten Metadaten zu Beiträgen und Multimediaelementen. So wies er darauf hin, dass die Beiträge zumeist unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht würden und dadurch potentiellen Nutzern die Bedingungen für die (Weiter-)Nutzung deutlich gemacht würden und müssten.

Der Jurist und Kulturmanager PAUL KLIMPEL (Berlin) gab einen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen für wissenschaftliche Daten. Er machte nochmals deutlich, dass zunächst wissenschaftliche Daten nicht grundsätzlich einem urheberrechtlichen Schutzbereich angehören und damit diese nicht per se geschützt sind. Vielmehr tritt hier die Notwendigkeit von Lizenzen und Lizensierungsprozessen zutage, denn in juristischer Hinsicht sind Lizenzen rechtsverbindliche Verträge, die den Gebrauch und Nutzung von Daten(-beständen) eindeutig regeln. So machte Klimpel auch darauf aufmerksam, dass der Lizenzhinweis ein wichtiges Element darstelle, insbesondere dann, wenn dieser maschinenlesbar ist (z.B. als RDF), da dieser dann als rechtlich Metadatum gelten könne.

Die Leiterin des Arbeitspaketes “Standards und Richtlinien” im Projekt APEx (ArchivPortal Europa Exzellenznetzwerk) am Bundesarchiv SUSANNE WAIDMANN (Berlin) vertiefte den Aspekt zur Angabe des Lizenzhinweises anhand von archivischen Daten im Kontext des Archivportals Europa und dem Europeana-Projekt. Sie erläuterte anhand der Aufarbeitung der archivischen Daten in XML-Dateien das Format EAD (Encoded Archival Description) und die anschließende Konvertierung in das Europeana Daten Modell (EDM), wobei in diesem Schritt die Rechteinformationen mit in die Dateien eingebaut würden. Auch in Bezug auf die Metadaten kann METS (Metadata Encoding and Transmission Standard) als Containersystem für digitale Objekte und deren Präsentation in Kombination mit METSRights eine Einbindung von Rechteinformationen über digitale Objekte erreicht werden. Allerdings gäbe es keine Einigkeit über die Nutzung von Lizenzen (so z.B. bei Europeana CC) bei Erschließungsangaben bzw. Informationen, was allerdings teils auch an den nationalen Gesetzgebungen, so dass auf CC-By-Lizenzen zurückzugreifen wäre, wie es auch das Bundesarchiv mit CC BY-NC-SA mache. Es könne aber keinen generellen Aussagen darüber gemacht werden, wann und wie Lizenzen genutzt werden, sondern hänge immer noch stark vom jeweiligen Einzelfall ab, was ein zeit- und kostenintensives Unternehmen ist. Es müsse von daher ein valider Workflow entwickelt werden, der Arbeitsaufwand und Nutzen in ein rechtes Verhältnis setze.

ALINE DEICKE und ANNA NEOVESKY (Mainz) von der Digitalen Akademie verdeutlichten in ihrem Vortrag zu OpenAccess im Akademienprogramm zunächst die Rahmenbedingungen von OpenAccess und Lizensierungen unter der spezifischen Perspektive der Akademieprogramme. Sie berichteten aus den aktuellen Projekten im Umgang mit dem Einsatz von Lizenzen und stellten sowohl grundlegende Gedanken an und brachten diese in Zusammenhang mit gewonnenen Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag. Sie machten darauf aufmerksam, dass es keinen Automatismus zwischen der Online-Verfügbarkeit und OpenAccess gäbe, insbesondere wenn die zur Verfügung gestellten Daten unter keine Lizenz gestellt wurden, da die Unklarheit der rechtlichen Lage zur Nicht-Nutzung führen würden. In den Projekten in den Akademieprogrammen würden sich Tendenzen zu CC-Lizenzen in der Form von CC-BY-SA abzeichnen, aber die Entscheidung über Lizenzen würde immer wieder an die Erfordernisse  des Projektes abgestimmt. Einige Projekte haben für eine Entscheidung die General Public License genutzt, um zu einem Ergebnis zu kommen. Für Deicke/Neovesky sei es allerdings offen, wie es mit Lizenzen, Entscheidungen und Prozessen angesichts von kollaborativen Projekten umgegangen werden müsse und wie die Lizensierung sich auch auf die Möglichkeiten der Langzeitarchivierungsstrategien auswirken würden.

MICHAEL KAISER (Bonn) von der Max-Weber-Stiftung in seinem Beitrag “Wissen, Bewusstsein, Praktikabilität” auf die rechtlichen Implikationen des digitalen Publizierens hin. Er zeigte dies an dem von ihm betreuten Projekt perspectivia.net und betonte, dass im Durchlaufen der Phasen von der Konzeptionierung bis zum Alltagsbetrieb die lizenzrechtliche Klärung immer ein wichtiges Element darstelle. Auch die Rollenverteilung zwischen den beteiligten Akteuren auf jeder Ebenen in allen Phasen der Konzeption und Durchführung von “digitalen” bzw. hybriden Projekten spiele eine wichtige Rolle. Er konstatierte, dass die Akzeptanz von und das Bewusstsein für Lizenzen auf allen Ebenen und Dimensionen der Projektphasen noch steigerungsbedürftig seien, wobei oft der Aspekt des Designs der Lizenzierung allzu oft in den Hintergrund gerät und das Spektrum der angebotenen Lizenzen bei weitem nicht genutzt wird. Er machte am Schluss seiner Ausführung darauf aufmerksam, dass auch die Internationalisierung von Lizenzen bisher noch unzureichend bedacht und umgesetzt ist, so dass sich Probleme bei dem Umgang mit der Mehrsprachigkeit und den Konflikt mit ausländischen Rechtsnormen noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt würde, wenngleich dies nicht zu einem Alarmismus führen sollte.

Am zweiten Tag (13.6) wurden verschiedene Tools zur Lizenzentscheidung und -erstellung vorgestellt.

THOMAS KOLLATZ (Essen) stellte die Creative Commons Lizenzen mit Chancen und Grenzen vor und deren Lizensierungsportal Choose a license vor. Er zeigte auf, wie die CC-Lizenzen in verschiedenen Datenformaten Verwendung finden können (z.B. TEI, (x)html, EDM XML).

NIKO BEER (Paderborn) stellte das Licensing decision tool als Teil des OER IPR Support Project vor. In diesem Projekt werden umfangreiche Informations- und Hilfsmaterialien, sowie Werkzeuge zur Verfügung gestellt und verschiedenste Wege der Offenheit der Daten und ihrer Lizensierung mit bedacht werden kann.

WIBKE KOLBMANN (Berlin) stellte wiederum den Public Domain Calculator des Projektes Europeana Connect vor. Dieser entstand im Zuge der Suche nach einem Europeana Licensing Framework und soll die Klärung der Rechtslage und Empfehlung für Datenanbieter im Hinblick auf die Lizenzierung ihrer Daten für Europeana fördern. Er ist ein Instrument zur Bestimmung, ob Schutzfristen für ein Werk ausgelaufen sind, ob andersweitige Fakten vorliegen oder ob es sich um ein neu entstandenes Werk handelt, welches freiwillig als gemeinfrei veröffentlich werden kann. Allerdings wies Kolbmann in ihren Ausführungen nochmals darauf hin, dass der Anwendungsbereich des Tools durch die Auswahl der Medienformate eingeschränkt und zudem nicht für die Evaluierung von Metadaten geeignet sei.

Abschließend testeten die Teilnehmer an eigenen Rechnern die vorgestellten Tools, die sie bei der Lizenzentscheidung und -erstellung unterstützen können anhand ihrer eigenen Daten. Jeweilige Anwendungsfragen konnten direkt mit den jeweiligen BeraterInnen von DARIAH-DE diskutiert und gelöst werden.

In der Abschlussdiskussion wurde nochmals deutlich, dass es einen enormen Bedarf an Aufklärungs- und Beratungsarbeit in Bezug auf die Entscheidungsprozesse für oder wider eine Lizenzart gibt. Es war allgemeiner Konsens, dass es eine zentrale Stelle geben sollte, um sich bei Fragen der Lizensierung von Daten und Datafakten in den historisch arbeitenden Wissenschaften beraten zu lassen. Grundsätzlich wurde aber die Notwendigkeit für die Verwendung und den Nutzen der Lizenzierung von Forschungsdaten nicht mehr in Frage gestellt, was wiederum auch ein wichtiges Ergebnis des Workshops darstellt.

Workshopübersicht

Begrüßung Johannes Paulmann (Mainz)

Einführung Wibke Kolbmann (Berlin), Lizenzen als Thema von Infrastrukturprojekten – DARIAH-DE

Theorie und Praxis – Perspektiven und Herausforderungen der Datenlizenzierung

Paul Klimpel (Berlin), Rechtliche Rahmenbedingungen für wissenschaftliche Daten – Ein Überblick

Susanne Waidmann (Berlin), Rechteangaben rund um archivische Daten im Archivportal Europa und Europeana

Aline Deicke / Anna Neovesky (Mainz), OpenAccess im Akademienprogramm – Anwendung und Herausforderungen

Michael Kaiser (Bonn), Wissen, Bewusstsein, Praktikabilität – rechtliche Implikationen des digitalen Publizierens

Methoden und Tools ? Praktische Perspektiven der Datenlizenzierung

Thomas Kollatz (Essen), creative commons 4.0

Niko Beer (Paderborn), OER Licensing Decision Tool

Wibke Kolbmann (Berlin), Public Domain Calculator

Fragen und Perspektiven

Hands-on-Session mit den vorgestellten Tools anhand von eigenen Daten und Datafakten und anschließender Diskussion mit Teilnehmern und Veranstaltern.

[1] So die Wissenschaftsallianz in ihren Grundsätzen zum Umgang mit Forschungsdaten. Die DFG sieht hierin auch die Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3773

Weiterlesen