Antike „Aussteiger“: Askese an heiligen Orten im Heiligen Land

Sie haben das gutsituierte, aber auch klar vorgezeichnete Leben der römischen Oberschicht hinter sich gelassen und neue Herausforderungen gesucht: Melania die Ältere und Paula von Rom gehören im letzten Viertel des vierten Jahrhunderts zu jenen vornehmen christlichen Witwen, die sich durchaus aufsehenerregend für eine asketische Lebensführung entschlossen, ihre Familien verließen und zu einer Bildungsreise bzw. Wallfahrt zu den Mönchen Ägyptens und ins Heilige Land aufbrachen. An exponierten Stellen errichteten sie dort mit ihrem reichlich vorhandenen Vermögen großzügige Klosteranlagen für Frauen und Männer, in denen sie auch selbst lebten: Melania die Ältere zusammen mit Rufinus von Aquileia ab 378 am Ölberg in Jerusalem, Paula gemeinsam mit ihrer Tochter Eustochium und Hieronymus, den sie schon in Rom kennengelernt hatte, ab 386 in Bethlehem. Die Gebäudekomplexe dienten dabei nicht nur als Orte des Rückzugs und des wissenschaftlichen Arbeitens vor allem für ihre gelehrten Begleiter, sondern wurden auch zu wichtigen Anlaufstätten vieler reisender Christen und sind daher heute am ehesten mit privat geführten Bildungs- bzw. Gästehäusern vergleichbar.

Blick vom Ölberg, Jerusalem (Foto: Michael Hölscher)
Blick vom Ölberg Richtung Altstadt, Jerusalem (Foto: Michael Hölscher)
Statue des Heiligen Hieronymus vor dem Eingang der Katharinenkirche, Bethlehem; Foto: Thomas Hieke
Statue des Hieronymus vor dem Eingang der Katharinenkirche, Bethlehem (Foto: Thomas Hieke)

Konkurrenz zwischen Klöstern

Dass sich Melania und Paula persönlich kannten, lässt sich nur vermuten. Sicher bezeugt sind dagegen die zunächst freundschaftlichen Beziehungen der beiden Studienfreunde Rufinus und Hieronymus. Doch entzündete sich ein heftiger Streit nicht nur um die Rechtgläubigkeit des Origenes und die Frage nach der angemessenen Übersetzung seiner Texte ins Lateinische, sondern auch um richtige asketische Lebensführung. Die benachbarten Klöster konkurrierten zudem um Förderer und Gönner. Während sich Hieronymus der Sympathie zahlreicher Römer versicherte, wurde Rufinus u.a. durch den Bischof von Jerusalem unterstützt, dazu durch einflussreiche Mitglieder der kaiserlichen Familie. Ob die vornehmen Gäste in Jerusalem nicht ganz auf ihren gewohnten Lebensstil verzichteten, was immerhin mehrfach Hieronymus‘ scharfe Kritik hervorrief?

Krise der Klöster

Am Ende des vierten Jahrhunderts gerieten beide Institutionen in Schwierigkeiten. Rufinus reiste 397 nach Italien zurück. Auch Melania trat 400 einen mehrjährigen Heimataufenthalt an und kehrte erst kurz vor ihrem Tod (um 410) nach Jerusalem zurück. Tatsächlich war es ihr gelungen, die Enkelin Melania die Jüngere für eine Nachfolge zu begeistern.

In Bethlehem erkrankte schließlich Paula schwer und starb nach zweijähriger Krankheit 404, was vermutlich die finanziellen Schwierigkeiten von Eustochium und Hieronymus noch steigerte.

Relief über dem Hieronymusgrab, das sich ebenso wie die Gräber der Paula und der Eustochium im nördlichen Teil des Grottensystems unter der Geburtskirche in Bethlehem befindet (Foto: Patrick Strosche)
Relief über dem Hieronymusgrab, das sich ebenso wie die Gräber der Paula und Eustochium im nördlichen Teil des Grottensystems unter der Geburtskirche in Bethlehem befindet (Foto: Patrick Strosche)

Fehden mit der Feder

Als Hieronymus bald darauf seinen Nachruf auf Paula (Ep. 108) verfasste, beabsichtigte er daher keineswegs nur, die trauernde Eustochium zu trösten. Sein Text ist auch als überbietender Gegenentwurf zur hagiographischen Stilisierung der Melania der Älteren zu verstehen, die u.a. Paulinus von Nola (insbesondere Ep. 29) betrieb. Aus Rufins Umfeld stammte dagegen Palladius von Helenopolis, der in seiner 419/20 verfassten Historia Lausiaca an mehreren Stellen (vgl. HL 36; 41) vor allem mit Hieronymus scharf abrechnete.

Und heute?

An den selben Orten in Jerusalem und Bethlehem stehend, bemerken wir, vielleicht mehr, vielleicht weniger erstaunt: So fremd sind uns die Menschen der Antike nun auch wieder nicht …

Literatur in Auswahl:

Alciati, Roberto/ Giorda, Mariachiara, Possessions and Asceticism: Melania the Younger and her slow way to Jerusalem, in: Zeitschrift für Antikes Christentum 14 (2010) 425/44.

Cain, Andrew, Jerome’s Epitaphium Paulae. Hagiography, Pilgrimage, and the Cult of Saint Paula, in: Journal of Early Christian Studies 18 (2010) 105/39.

Heyden, Katharina, Orientierung. Die westliche Christenheit und das Heilige Land in der Antike (= Jerusalemer Theologisches Forum 28). Münster 2014.

Moine, Nicole, Melaniana, in: Recherches Augustiniennes 15 (1980) 3/79.

Mratschek, Sigrid, Der Briefwechsel des Paulinus von Nola. Kommunikation und soziale Kontakte zwischen christlichen Intellektuellen (= Hypomnemata 134). Göttingen 2002.

Ein Beitrag von Heike Grieser

Quelle: http://spuren.hypotheses.org/574

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Die Anker-Kirche bei Tiberias

Wenn es eine Lebensweisheit gibt, die sich im Verlauf unserer Exkursion immer wieder bewahrheitet hat, dann ist es wohl die folgende: Erstens es kommt anders, und zweitens als man denkt! Das trifft auf die sogenannte Anker-Kirche bei Tiberias gleich in doppelter Hinsicht zu. Zum einen konnten wir aufgrund des zu lange dauernden Auf- und Abstiegs die geplante Besichtigung der Ausgrabungsstätte dieser byzantinischen Basilika, die sich auf dem Stadtberg Berenike oberhalb von Tiberias befindet, nicht realisieren (die beigefügten Bilder stammen daher notwendigerweise aus Wikimedia Commons). Zum anderen wurde das Archäologenteam um Yizhar Hirschfeld, der die Ausgrabungen in Tiberias in den frühen 90ern leitete, mehr als nur einmal von den steinigen Überresten auf dem Gipfel des Berges überrascht.

Überraschungen während der Ausgrabungen

Bevor die Ausgrabungen begannen, vermuteten die Archäologen auf dem Berenike-Berg Überreste eines Herodes-Palastes, von dem Josephus in seiner Vita berichtet. Entgegen ihren Erwartungen legten sie aber die Grundmauern einer großen Basilika frei, die vermutlich unter der Herrschaft Justinians (527-565) erbaut wurde (48 x 28 Meter; Atrium an der Vorderseite mit großer quadratischer Zisterne; Mittelschiff; Presbyterium; Apsis).

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Anker-Kirche auf dem Berg Berenike bei Tiberias (Foto: Bukvoed ; Lizenz: CC BY 3.0, via Wikimedia Commons)

Einer weiteren Überraschung verdankt die Basilika ihren heutigen Namen. Denn unter dem Altar fand sich an der Stelle des Reliquiars ein riesiger Basaltstein mit einer Öffnung zur Vertäuung.

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Vermeintlicher Ankerstein unter dem Altar (Foto: Bukvoed ; Lizenz: CC BY 3.0, via Wikimedia Commons)

Ähnlich aussehende Basaltsteine kleineren Formats wurden rund um den See Genezareth als Anker verwendet. Die spezifische Art und Weise, mit welcher das Loch in der Mitte des Steines gebohrt wurde, legt allerdings nahe, dass es sich ursprünglich um einen bronzezeitlichen Kultstein gehandelt haben muss (wie er rund um den See mehrfach belegt ist), der eine christliche Umdeutung erfahren hat. Der Fundort des Steines unter dem Altar spricht jedenfalls dafür, dass das ankerförmige Gebilde sowohl für die Erbauer als auch für die Besucher der Kirche eine sakrale Bedeutung hatte.

Das Erdbeben von 749 zerstörte nicht nur große Teile des römisch-byzantinischen Stadtkerns und des antiken Hafens von Tiberias sondern auch Teile der byzantinischen Basilika auf dem Berenike-Berg. Allerdings wurde die Basilika bereits im 8. Jh. unter der Dynastie der Abbasiden – und auch das überraschte die Archäologen – sorgfältig auf dem Fundament der ursprünglichen Basilika wiederaufgebaut. Ein teilweise erhaltenes Bodenmosaik mit schwarz-weißen Zirkeln im Vorhof der Basilika könnte ein Zeugnis dafür sein, wie islamische Architektur die Gestaltung christlicher Kirchenbauten zu dieser Zeit beeinflusst haben könnte.

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Bodenmosaik im Vorhof (Foto: Bukvoed ; Lizenz: CC BY 3.0, via Wikimedia Commons)

Funktion und Bedeutung der Basilika

Da über die Basilika in byzantinischer Zeit keinerlei schriftliche Zeugnisse überliefert sind, kann über ihre tatsächliche Funktion und Bedeutung letztendlich nur spekuliert werden. Die große Zisterne und die Überreste eines Klosters in der Nähe der Kirche könnten darauf hindeuten, dass man eine Pilgerfahrt zu dem ankerförmigen Gedenkstein entwickeln wollte. Die eindrucksvolle Lage der Basilika am höchsten Punkt des Stadtgebiets spiegelt weiterhin womöglich das Anliegen wider, die Vormachtstellung der östlichen Reichskirche im Heiligen Land zu manifestieren.

Literatur

Hirschfeld, Yizhar, Roman, Byzantine, and Early Muslim Tiberias: A Handbook of Primary Sources, Tiberias 2005.

Hirschfeld, Yizhar (Hrsg.), Excavations at Tiberias, 1989-1944 (IAA Reports 22), Jerusalem 2004.

Hirschfeld, Yizhar, The Anchor Church at the Summit of Mt. Berenice, Tiberias. In: Biblical Archaeologist, Vol.57 No.3 (1994), 122/33.

Kuhnen, Hans-Peter, Der geologische „Hot Spot“ Tiberias. In: Das Heilige Land 1/2014, 26/31.

Stemberger, Günter, Juden und Christen im spätantiken Palästina (Hans-Lietzmann-Vorlesungen 9), Berlin u.a. 2007, v. a. 20/33.

Quelle: http://spuren.hypotheses.org/516

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