Ein besonderes Geburtstagsgeschenk hat Klaus Graf, Mitglied der Redaktion von de.hypotheses, der Blogplattform zum dritten Geburtstag gemacht: Einen bedeutenden Handschriftenfund publizierte er nicht etwa in einer Fachzeitschrift, sondern in einem Wissenschaftsblog, dem Frühneuzeit-Blog der RWTH((1)). Damit besitzt die geisteswissenschaftliche Blogosphäre fortan ihren eigenen Beleg dafür, dass Blogs das Potential haben, wissenschaftliche Diskurse zu prägen und dass sie Zeitschriften als Publikationsort durchaus Konkurrenz machen können.
Die ersten Rückmeldungen und Glückwünsche von Germanisten und Mediävisten sind eingegangen, weitere Publikationsangebote liegen vor, der Beitrag ist in zwei Bibliothekskatalogen nachgewiesen((2)), und früher oder später wird auch die Qualitätspresse auf diesen Fund aufmerksam. Weitgehend unbeachtet blieb in der wissenschaftlichen und bibliothekarischen Welt bisher jedoch die Form dieser Publikation, der Publikationsort selbst: einen “Fehdehandschuh (den) Klaus Graf da hingeworfen hat”((3)). Das ist erstaunlich, denn die Publikation des Sensationsfundes in einem Blog ist in dieser Form eine “Bombe”, so Eric Steinhauer, und weiter: “Hier wird ein Text im einem Blog publiziert, an dem NIEMAND, der sorgfältig wissenschaftlich arbeitet, vorbeigehen darf, will er sich nicht den Vorwurf unsauberer Arbeit gefallen lassen. Damit zwingt Klaus Graf die Zunft quasi ins Internet und in die Blogosphäre.”((4)).
Wissenschaftsblogs, so hatte ich es für die Blogparade #wbhyp formuliert, geben Auskunft darüber, welches Verständnis von Wissenschaft die Bloggenden haben und wie sie sich im Wissenschaftsbetrieb verorten((5)). Auch an dieser Publikation ist neben den Inhalten das Medium die Botschaft: Das Blog ermöglichte die schnelle Publikation, die frei zugänglich ist und keine Beschränkungen (Inhalt, Textlänge, Verlinkungen, Abbildungen) aufweist. Eine Zweitpublikation in einer Fachzeitschrift oder das Einstellen in einem Repositorium (Vorschlag Eric Steinhauer) kann auch später noch erfolgen, sofern überhaupt gewünscht. Denn das Frühneuzeit-Blog der RWTH ist bibliothekarisch gesehen eine vollwertige fortlaufende Publikation, sie besitzt eine eigene ISSN, die Inhalte werden von OpenEdition archiviert.
Als Geschenk erscheint die Publikation deshalb, weil sie eine hervorragende Antwort auf die häufig gestellte Frage bietet, ob Blogs den wissenschaftlichen Diskurs beeinflussen können. Bisher war deutlich, dass Blogs Metadiskurse über den Einsatz von sozialen Medien allgemein und das Wissenschaftsbloggen im Besonderen prägen. Beispiele, in denen Blogs wissenschaftliche Diskurse prägen, sind schwieriger beizubringen, nicht zuletzt deshalb, weil das Entstehen eines Diskurses einige Zeit benötigt und weil es keine klaren Maßstäbe für die Messung seiner Entstehung gibt. In den Naturwissenschaften gibt es die Beispiele aus der Zeitschrift “Science”, bei denen kontroverse und kritische Berichte in Wissenschaftsblogs dazu geführt haben, dass dem ursprünglichen Beitrag in der Zeitschrift ein erweiterter Kommentar zur Seite gestellt wurde((6)). In den Geisteswissenschaften ist das wissenschaftliche Bloggen momentan noch weniger anerkannt als in den Naturwissenschaften, aber Beiträge wie der von Klaus Graf stellen Meilensteine in der Geschichte des wissenschaftlichen Bloggens dar. Und das nicht nur, was die Anerkennung anbelangt, sondern auch, was die Nutzung anbelangt: Allgemein gelten Blogs als Orte, die “Forschung im Entstehen” zeigen. Sie dokumentieren den Forschungsprozess, die Phase vor der Publikation der Forschungsergebnisse. Das ist hier anders und sollte beachtet und diskutiert werden.
Der Handschriftenfund selbst kann als kleine Sensation bezeichnet werden, die von Mediävisten und Germanisten auch so eingeschätzt wird: Dazu Klaus Graf: “Seit dem Jahr 1725 war von dem gereimten “Ehrenbrief” (1462) des bayerischen Adeligen Jakob Püterich von Reichertshausen, der wichtigsten Quelle für das literarische Leben des Adels im 15. Jahrhundert, nur eine einzige Handschrift (um 1600) bekannt, die 1997 in einem finanziellen Kraftakt mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder und der Bayerischen Landesstiftung mutmaßlich für einen Millionenbetrag von der Bayerischen Staatsbibliothek angekauft wurde. Im Februar 2015 konnte ich mit der sogenannten Trenbach-Chronik des Niederösterreichischen Landesarchivs St. Pölten (1590) eine zweite Handschrift publizieren, vermutlich die unmittelbare Vorlage der Münchner.”((7)).
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Abbildung: Autorenbild Püterichs in der bisher einzig bekannten Handschrift Cgm 9220.
- Klaus Graf: Fiktion und Geschichte: Die angebliche Chronik Wenzel Grubers, Greisenklage, Johann Hollands Turnierreime und eine Zweitüberlieferung von Jakob Püterichs Ehrenbrief in der Trenbach-Chronik (1590). In: Frühneuzeit-Blog der RWTH vom 10. Februar 2015
http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1847.
- Vlg. Klaus Graf, Nicht weniger wichtig als ein Parzival-Schnipsel, in: Archivalia, 2.3.2015, http://archiv.twoday.net/stories/1022403078/.
- Eric Steinhauer, Der Fehdehandschuh, in: BiblioViel:), 12.2.2015, http://esteinhauer.tumblr.com/post/110815859485/der-fehdehandschuh.
- Ibid.
- Mareike König, Wissenschaftsbloggen – quo vadis? Vier Aufrufe und zwei Lösungen, in: Redaktionsblog, 19.1.2015, http://redaktionsblog.hypotheses.org/2674.
- Beispiele bei Merja Mahrt, Cornelius Puschmann, Science blogging: an exploratory study of motives, styles, and audience reactions, in: Journal of Science Communication 13/2014 3, S. 1. Als PDF online unter: http://jcom.sissa.it/archive/13/03/JCOM_1303_2014_A05/JCOM_1303_2014_A05.pdf.
- Graf, Nicht weniger wichtig als ein Parzival-Schnipsel, http://archiv.twoday.net/stories/1022403078/.
Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/2727