Was Atari und iPhone gemeinsam haben

Voraussagen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. Das klassische Bonmot kann immer herausgeholt werden, wenn man sich im Nachhinein die Voraussagen anschaut, die alle nicht eingetroffen sind (und das sind die meisten). Kürzlich geisterte im Netz ein Artikel der Welt herum, in dem sich die Autoren über die Voraussage der Stiftung Warentest aus dem Jahre 1984 lustig machen, dass dem Heimcomputer keine große Zukunft beschieden sei, da sich keine vernünftigen Anwendungsmöglichkeiten finden ließen. Ho, ho, ho, die Trottel. Wenn man aber genau hinschaut, hatte die Stiftung Warentest jedoch mit ihrer Einschätzung völlig Recht. Um das zu verstehen, müssen wir ihre Prognose genauer anschauen. 

Problematisch empfanden die Tester, die "verzweifelt nach Anwendungsmöglichkeiten suchten", nämlich nicht die Möglichkeiten des Geräts per se, sondern seine aktuellen Grenzen. Die schrottigen Eingabegeräte (effektiv unbrauchbare und völlig unergonomische Tastaturen), die grausame Grafikqualität, die teilweise das Lesen unmöglich machte, das Nicht-Vorhandensein von Speicherplatz und vieles andere Mankos machten die damaligen Heimcomputer (nicht zu verwechseln mit den als Arbeitsgeräte gedachten Personal Computern) zu ziemlich teuren technischen Spielzeugen, die damals eine Modeerscheinung wie das erste iPhone 2007 waren. Auch dem wurde keine Zukunft vorausgesagt, weil es letztlich für seinen Preis viel zu wenig Anwendungsmöglichkeiten bot (man denke daran, dass erst das iPhone 2 Apps besaß). 

Ebenfalls auffällig war, dass über die Hälfte der Käufer angab, gerne an den Geräten spielen zu wollen, was für rund 70% der stolzen Besitzer denn auch der Haupteinsatzzweck der Geräte wurde. Nicht gerade das Kompetenzfeld, das die Hersteller mit ihrer Betonung der Büro- und Verwaltungsoptionen immer anpriesen und das, wie die Stiftung Warentest korrekt vermerkte, angesichts der geringen Grafikfähigkeiten der Rechner auch eher ungenügend ausgefüllt wurde. 
Beide Voraussagen waren daher für ihr jeweiliges Produkt korrekt - sofern diese Mankos nicht ausgeräumt wurden, gab es für die breite Mehrheitsbevölkerung eigentlich keinen ernsthaften Grund, sich die überteuerte Hardware zuzulegen. Den Durchbruch auf den Massenmarkt schafften die Geräte daher auch erst, als eben diese Mankos ausgeräumt waren. Dies gelang für die Heimcomputer vor allem durch einfach zu bedienende Betriebssysteme und Programme, allen voran Microsofts DOS und die Office-Anwendungen dazu.

Man würde aber die Stiftung Warentest auffordern, ihr Mandat ziemlich zu missachten, wenn man sie aufforderte, einen Blick in die Glaskugel abzugeben und mögliche zukünftige Produkte einzuschätzen. Was sie bewerteten war das Produkt, das ihnen zur Verfügung stand - und das waren schwer defizitäre, völlig überteuerte Heimcomputer ohne vernünftige Anwendungsmöglichkeiten.


Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2014/12/was-atari-und-iphone-gemeinsam-haben.html

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Hans-Ulrich Wehler ist tot

Von Stefan Sasse

Hans-Ulrich Wehler ist heute im Alter von 82 Jahren gestorben. Wehler gehört zu den profiliertesten deutschen Historikern des 20. Jahrhunderts. Seit den 1970er Jahren pionierte er die Sozialgeschichte als neues, ja dominantes Feld der deutschen Geschichtsforschung und kann damit das Verdienst für sich an Anspruch nehmen, von den ewigen Geschichten großer Männer, politischer Konferenzen und Kriege als Haupterklärmuster der Geschichtswissenschaft abgekommen zu sein, unter dem gerade die angelsächsische Geschichtsforschung sehr häufig noch leidet. 

Gleichzeitig ist meine eigene Beziehung zu Wehler sehr zwiespältig. Als ich seinerzeit 2005 mein Geschichtsstudium begann, setzte sich mein allererster Proseminar ausgerechnet mit seiner Sonderwegsthese auseinander. Sie gehört immer noch zu den Standarderklärmustern der neueren deutschen Geschichte, auch wenn sie gerade durch das Weltkriegsjubiläum dieses Jahr stärker unter Beschuss gerät als je zuvor. Die Idee, dass Deutschland gewissermaßen unnatürlich sei und daher der Weg in den Nationalsozialismus erklärbar, ging immer davon aus, dass Frankreich und Großbritannien irgendwie ein Normalfall wären - was sie leider nicht sind. Wehler beging damit ironischerweise denselben Fehler wie Fritz Fischer, dessen Alleinschuld-Narrativ er mit zu verdrängen half. 

Doch bleiben wird Wehlers Leistung auf anderem Gebiet: der Sozialforschung. Er entwarf in fünf dicken Bänden ein detailliertes Bild der deutschen Gesellschaft zwischen 1800 und der Wiedervereinigung, auf der man heute noch aufbaut. Dazu inspirierte er zahllose weitere Historiker, von liebgewonnen Klischees und Betrachtungsweisen abzukommen und öffnete die Tür für eine Reihe emanzipatorischer Geschichtsbilder, die eine ungeheuer vielschichtere Lesart der Geschichte ermöglichen als ehedem. Mit Wehler geht eine Menge Sicherheit über die deutsche Geschichte verloren, wird alles diffuser und komplexer. Er hat den Zugang zur Geschichte sicher nicht vereinfacht, wie so mancher Schüler sicher bestätigen kann. Aber er hat sie präziser gemacht und der Politisierung entrückt. Das ist eine Leistung, die wir ihm nie vergessen werden.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2014/07/hans-ulrich-wehler-ist-tot.html

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6. Juni 2014 – Auch für Deutsche ein Grund zur Freude?

Von Stefan Sasse

Amerikanische Truppen bei der Anfahrt auf "Omaha", 6.6.1944
Am 6. Juni 2014 jährt sich die Invasion der Alliierten in der Normandie zum 70. Mal. Seit 2004 sind auch deutsche Vertreter bei den Jubiläumsfeierlichkeiten in Frankreich zugegen, bei denen der alliierten Opfer gedacht wird. Wie in der Debatte um den 8. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen deutschen Kapitulation, stellt sich für uns die Frage, ob wir diesen Tag ebenfalls mitfeiern können. Die Antwort darauf ist nicht ganz so einfach, wie sie scheint. Selbstverständlich kann es für uns Deutsche keine Alternative sein, den Gang der Ereignisse an jenen Tagen zu bedauern. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs müssen unsere Sympathien bei der alliierten Sache liegen, so schizophren das für uns als Deutsche manchmal auch anmuten mag. 

Warum also entsteht überhaupt eine Debatte zum Thema? Schließlich war die Eröffnung einer zweiten Front in der Normandie am 6. Juni 1944 ein weiterer Sargnagel für das Regime und brachte das Kriegsende binnen eines letzten, blutigen Jahrs herbei. Ein erstes Argument betrifft den westlichen Fokus des Tags. Historisch war die Westfront wesentlich unbedeutender als die Ostfront, wo am 21. Juni 1944 die Bagration-Offensive der Sowjetunion die Heeresgruppe Mitte pulverisierte und die Front über 300km nach Westen verschob. 9 von 10 deutschen Soldaten kämpften im Osten; die Sowjets mobilisierten (und verloren) ungleich mehr Soldaten als die Westmächte. Sollte daher nicht ihnen der Löwenanteil des Danks an der Niederwerfung Nazi-Deutschlands zukommen? 

Wladimir Putin (CC-BY-SA 3.0 Kremlin.ru)
So bedenkenswert dieses Argument auch ist, es hat in den politischen Realitäten des Jahres 2014 wenig Boden. In Berlin fuhr die Springerpresse noch vor kurzem eine erfolglose Kampagne, die sowjetischen Denkmäler (etwa die ausgestellten Panzer und Kanonen) entfernen zu lassen. Nach den Ereignissen in der Ukraine und der völligen propagandistischen Zweckentfremdung des "Großen Vaterländischen Krieges" durch Putin ist eine unvoreingenommene Auseindersetzung mit dieser Frage von keiner Seite zu erwarten; das Eingeständnis der sowjetischen Bedeutung würde im aktuellen Konflikt Putin stärken, was für die Bundesregierung offensichtlich keine Option darstellt. 

Es bleibt daher die Frage, ob dem (wesentlich kleiner dimensionierten) westlichen Gegenentwurf zu dieser aktuellen russischen Propaganda - dem Verschweigen des sowjetischen Anteils und einer Konzentration auf die Landung als scheinbar kriegsentscheidendes Ereignis - ein deutscher Anteil zukommen sollte. Die politischen Erwägungen sprechen derzeit klar dafür, da man sich für das westliche Bündnis gegen Russland positionieren will. Doch auch hier gibt es ein Problem, das man nicht wegdiskutieren kann: die Gedenkveranstaltungen des 6. Juni drehen sich hauptsächlich um die alliierten Opfer, die an diesem Tag zu beklagen waren.

Kanadischer Soldatenfriedhof, Normandy (Burtonpe, GNU 1.2)
Haben deutsche Politiker also überhaupt das Recht, die Deutschen nun gewissermaßen nachträglich auf die Seite der Sieger zu stellen und mitzufeiern und damit dem Eindruck Vorschub zu leisten, dass der Zweite Weltkrieg und der Nationalsozialismus eigentlich keine wirklich deutsche Sache waren, sondern den Deutschen vielmehr unwillig aufgezwungen worden seien? Diese Frage ist keinesfalls einfach von der Hand zu weisen, denn sie hat Implikationen. Die Veteranen des D-Day, so sie noch leben, könnten daran durchaus Anstoß nehmen, und nicht ganz zu Unrecht. Und für unsere Vergangenheitsbewältigung ist der entsprechende Eindruck auch ein Problem. 

Nichts desto trotz bin ich trotzdem dafür, den 6. Juni (und natürlich auch den 8. Mai) als Gedenktag zu begehen und auch an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Wir müssen uns aber gleichzeitig immer des Spagats bewusst sein, der hier begangen wird. Deutschland ist nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer Rekordgeschwindigkeit nicht nur als Nation wieder aufgenommen, sondern auch als Freund begrüßt worden. Das ist keine Selbstverständlichkeit, bei allem Eigennutz, den die Sieger daraus zogen. Es steht uns auch 70 Jahre später nicht an, dies einfach zu vergessen. Unsere historische Verantwortung zwingt uns, dem Nationalsozialismus eine klare Absage zu erteilen, zu der aber eben auch die Akzeptanz seiner Lasten gehört. Und die verbietet eine allzu billige Fraternisierung mit den Siegern, nicht nur des guten Geschmacks willens, sondern aus dem Respekt ihnen gegenüber. Und das betrifft auch die sowjetischen Monumente am Brandenburger Tor.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2014/06/6-juni-2014-auch-fur-deutsche-ein-grund.html

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Dinge wachsen im Garten, nicht in der Historie

Von Stefan Sasse

Bequemer Sündenbock: Nikita Chruschtschow
In der Diskussion um die Krimkrise des Jahres 2014 konnte man das Argument vernehmen, die Grenzen entsprächen keiner "historisch gewachsenen" Situation und die Ukraine sei ein junges Land, das innerlich zerrissen sei. Auch von einem unnatürlichen Gebilde konnte man - ich paraphrasiere - lesen. Hintergrund ist dabei, dass die Krim 1954 in einem innerparteilichen Machtkampf an die damalige Sowjetrepublik Ukraine abgegeben wurde - obwohl dort ethnische Russen leben. Bei der Unabhängigkeit 1991 blieb die Krim dann beim neuen ukrainischen Staat. Putins Apologeten stützen sich nun auf zwei Argumente: einerseits sei die Ukraine ein Staat, dessen Grenzziehung willkürlich vonstatten ging (in diesem Fall Chruschtschows Zug 1954) und er gewissermaßen "historisch" keine Berechtigung habe und zum anderen lebten dort nicht mehrheitlich Ukrainer. Ich halte beide Argumente für Unsinn. 

Um die Diskussion vernünftig führen zu können müssen wir erst einmal klären, wann Grenzen überhaupt legitim sind. Viele Grenzen sind und wahren stets Gegenstand heftiger Streitereien, und Grenzrevisionen gehören nach wie vor zum Standardforderungskatalog in vielen Länder. War etwa die deutsche Staatsgrenze in Elsass-Lothringen 1871-1919 legitim? Ist die Grenze des heutigen Kosovo legitim? Aus Fällen der Vergangenheit wie der Gegenwart lassen sich einige Kriterien herausarbeiten, die offensichtlich die Legitimität einer Grenze schaffen. 

Bismarck und Napoleon III. bei Sédan
1) Das Völkerrecht. Gibt es irgendeine Art von völkerrechtlicher Festschreibung einer Grenze (etwa die 2+4-Verträge für die deutsche Oder-Neisse-Grenze oder den deutsch-französischen Friedensschluss von 1871), so gilt die Grenze im allgemeinen als legitim. 

2) Die Anerkennung. Erkennen wichtige Staaten (Großmächte und direkte Nachbarn) die Grenze an, so gilt sie als legitim. Die Grenze des Kosovo etwa wird von der NATO und mit ihr assoziierten Staaten anerkannt und garantiert, während die deutsche Nachkriegsgrenze von 1871 nie von Frankreich anerkannt wurde. Die späteren Entente-Mächte schlossen sich dieser Meinung später an, was den Boden für die Revision in Versailles bereitete (Deutschland erkannte die Grenze erst nach 1945 an). 

3) Die Zustimmung der Bevölkerung. Es ist im allgemeinen schwierig, gegen den expliziten Wunsch der Bevölkerung eine Grenze aufrechtzuerhalten. Möchte die Bevölkerung das Land überwiegend verlassen, sie es durch Unabhängigkeit, sei es durch Anschluss an einen Nachbarn, so steht die Legitimität der Grenze in Frage. Wir können dies etwa im Falle Montenegros oder des Sudans sehen. 

Verteidigungsministerium in Belgrad, 1999
4) Machtpolitische Realitäten. Haben wichtige Staaten (Großmächte und bedeutende Nachbarn) ein Interesse am aktuellen Grenzverlauf und garantieren ihn, so werden andere Faktoren selten eine Rolle spielen. Deutschlands Macht etwa garantierte, dass ohne Krieg keine Revision in Elsass-Lothringen zu erreichen war; die Menge an Feinden, die Serbien auf sich vereinigte, machte es dagegen unmöglich, an seinen in Frage gestellten Grenzverläufen festzuhalten. 

Zu diesen Fakten kommen einige legitimatorische Konstrukte. Dazu gehören sowohl irgendwelche ethnischen Betrachtungen (wie etwa auf der Krim oder 1938 im Sudetenland), geographische Gegebenheiten (der Wahn der "natürlichen Grenzen", der besonders im 19. Jahrhundert gepflegt wurde) als auch das Argument der Geschichte (von "gewachsenen" Grenzen). Ebenfalls beliebt ist der Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, was auf den ersten Blick identisch mit Punkt 3 zu sein scheint, dies aber nicht ist: Vorgebracht wird dieses Argument nämlich gerne von jenen, die überhaupt nicht dort leben, sei es die nazi-deutsche Regierung im Fall des Sudetenlandes oder jetzt Putin im Falle der Krim. 

Das war übrigens zu allen Zeiten so. Das Mittelalter etwa kannte ebenfalls hochkomplexe Konstrukte zur Legitimierung von Grenzen, ebenso die Neuzeit und die Antike. Fast immer spielten irgendwelche Schriftstücke eine Rolle (die Römer beriefen sich auf irgendwelche Verträge, im Mittelalter spielten die Lehensurkunden und Lehensverträge eine entscheidende Rolle und in der Neuzeit wurden diese um verschriftlichte Absprachen zwischen den Monarchen ergänzt) oder aber die Berufung auf die Tradition (alte Siedlungsräume und ehemalige Kolonien, die lange Dauer des Lehensvertrags, frühere Zugehörigkeit zu einem Vorfahren).

Gemein ist aber all diesen Konstrukten, dass es stets um Legitimation ging. Der reale Grenzverlauf wurde einzig und allein durch die Akzeptanz der Nachbarn bestimmt - wie in den vier Punkten beschrieben. Kein mittelalterlicher Fürst ließ sich von einem Verweis auf Tradition und gewachsene historische Grenzen von einem Anspruch auf ein Land abbringen, Friedrich der Große interessierte sich nicht für die lange Zugehörigkeit Schlesiens zur Habsburger Erbmasse, niemand kümmerte sich in den polnischen Teilungen um die Existenz des polnischen Großreichs.

Das Argument von der jungen Lebensdauer der Ukraine und der "unnatürlichen" Grenzziehung ist daher wenig tragfähig. Grenzziehungen sind immer willkürlich. Vollkommen absurd wird es, wenn einem Staat wie Frankreich die Legitimität seiner Grenzen zugesprochen wird, weil diese eben "historisch gewachsen" seien, der Ukraine aber nicht. Grenzen wachsen grundsätzlich nicht. Sie werden festgelegt, entweder in gegenseitiger Übereinkunft in einem Vertrag (selten) oder durch die Beilegung vorangegangener kriegerischer Aktivitäten (häufig). Die Grenzen des heutigen Frankreich entstanden in einem historischen Prozess von Ausbreitung und Konflikt, der jederzeit hätte unterbrochen werden können. Genauso ist es durchaus nicht realitätsfern anzunehmen, dass die Ukraine in hundert Jahren ein ungeheuer stabiles Gebilde wäre, mit eigener Identität ähnlich der heutigen französischen, das sich niemand mehr aus Europa wegdenken kann. Eine Grenze kann nur dann Gewohnheit werden, wenn man sie lässt. 

Bildnachweise: 
Verteidigungsministerium in Belgrad - David Orlovic, CC-BY-SA 3.0

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2014/03/dinge-wachsen-im-garten-nicht-in-der.html

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Erinnerungskultur und Erster Weltkrieg

Von Stefan Sasse

Der Beginn des Ersten Weltkriegs jährt sich dieses Jahr zum hundertsten Mal. Wenig überraschend ist daher, dass er in der öffentlichen Diskussion eine Rolle spielt wie seit der Fischer-Debatte nicht mehr. Ebenso wenig überraschend ist, dass die öffentliche Debatte andere Formen annimmt als die der historischen Zunft. Einige davon kann man belächeln, andere dagegen sind eher Besorgnis erregend. So fällt auf, dass besonders zwischen der deutschen und der britischen konservativ orientierten Presse (Blätter wie die Daily Mail auf der einen und die Welt auf der anderen Seite) geradezu ein neuer Streit über die Schuldfrage ausgetragen wird. Während im konservativen Teil Großbritanniens, wo die Erinnerungskultur ohnehin von den Tories massiv politisch vereinnahmt wird, die Ursache des Krieges als klare Notwehr gegen ein aggressiv-imperialistisches Deutschland gesehen wird, versucht die Welt, den deutschen Teil der Kriegsschuld in den größeren Kontext einer allgemein unvorteilhaften Atmosphäre zu stellen. Es ist im Kleinen ein Wiederaufflammen der Kriegsschulddebatte, die so unnötig wie ein Kropf und ähnlich gesund ist. 

Der Krieg ist mittlerweile 100 Jahre alt. Bereits vor diesem Jahr hat er als Vergleichsmaßstab ebenso wie die Endphase der Weimarer Republik im Kontext der Euro-Krise an Aufmerksamkeit gewonnen, wo er mal besser, mal schlechter als historischer Vergleichsmaßstab herhalten muss. In Deutschland rächt sich gerade der übermäßige Fokus, den der Zweite Weltkrieg und die Nazi-Zeit bislang in der öffentlichen Debatte hatten. Bis vor kurzem war der Erste Weltkrieg den meisten Menschen hauptsächlich als Vorbedingung für den Zweiten bekannt, und das zeigt sich in der Debatte. Nur so ist es erklärbar, dass viele Zeitungen die Erkenntnis, dass Fischers Thesen nicht unbedingt als Erklärung ausreichen, als gewaltigen Tabubruch feiern - eine Erkenntnis, die den Historikern seit 50 Jahren geläufig ist und seither unzählige Male relativiert wurde. Und selbst diese Relativierungen selbst sind inzwischen durch neue Relativierungen abgelöst worden (etwa Wehlers Sonderweg-These). 

Aber diese Historiker-Debatten haben, das macht die aktuelle Diskussion deutlich, die Öffentlichkeit offensichtlich nie erreicht. Stattdessen steigt man hier in ideologische Schützengräben, die man eigentlich seit den 1960er Jahren überwunden geglaubt hatte, und debattiert von Neuem die Frage der "Kriegsschuld", ein moralisch aufgeladener Begriff, der kaum einen Erklärungswert besitzt und nachhaltig das Klima vergiftet. Nur so ist es möglich, dass Historiker Clark (dessen Buch "Die Schlafwandler" derzeit eine ungeheure Popularität genießt) im konservativen Deutschland wie eine Art Schutzschild geschwungen wird, um die alleinige Kriegsschuld von sich zu weisen - als ob die noch von irgendjemandem außerhalb der Torie-Sphäre ernsthaft debattiert würde. 

Aber genau hier liegt der Kern des Problems, der der deutschen Nabelschau zu entgehen scheint: die anderen Länder haben den Krieg nicht wie wir Deutschen vergessen (mit Ausnahme der Russen, vermutlich). In Großbritannien wie in Frankreich, wo die Formulierung vom "Großen Krieg" (Great War bzw. Grande Guerre) noch nicht durch die Nummerierung abgelöst wurde, ist die Erinnerung an 1914 noch wesentlich lebendiger. In Großbritannien finden sich prominent die Gefallenentafeln, ist die Erinnerung an Flandern noch immer wachgehalten. Auch die Franzosen haben aus naheliegenden Gründen den Ersten Weltkrieg nicht so schnell vergessen wie die Deutschen nach 1945. Für Großbritannien wie Frankreich ist der Sieg heute noch für die Psyche ein wichtiger Einschnitt, der in offiziellen Feiertagen (wie dem Armistice Day in Großbritannien am 11.11.) auch heute noch begangen wird. 

Gleichzeitig wird ein solcherart politisch erinnerter Konflikt, der wesentlich zur Bildung einer nationalen Identität verwendet wird, auch immer politisch vereinnahmt. Sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich ist die Frage nach dem Stolz auf die erbrachten Leistungen und Opfer stets auch ein Glaubensbekenntnis. So etwa wird in Großbritannien darum gestritten, ob auch pazifistische Einstellungen bei den offiziellen Feiern zu Wort kommen dürfen. Wenn es nach den Tories geht, würde jedenfalls das Narrativ eines tapferen Verteidigungskrieg gegen den üblen deutschen Imperialismus obsiegen, der vom gesamten britischen Volk einig geführt und gewonnen wurde. 

Solche Debatten führen wir in Deutschland nicht. Zurecht hat man sich davon verabschiedet, die Geschichte der Kriege als sinnstiftenden Identitätsquell zu nutzen. Dies führt jedoch gleichzeitig zu einem Unverständnis gegenüber den Vorstellungen und Mentalitäten der unmittelbaren Nachbarn, die den Krieg ganz anders erlebt haben und ihn auch ganz anders erinnern. Doch auch in Deutschland zeigen sich in der Debatte erneut die Risse und politischen Konflikte, die den Krieg noch immer umgeben. Das erklärt auch die Heftigkeit, mit der die Welt die britische Selbstdarstellung (die rein nach innen gerichtet ist und daher von uns genauso gut ignoriert werden könnte) attackiert. Die ständigen Vergleiche eines nach der europäischen Vorherrschaft strebenden Deutschland kommen zur politischen Unzeit. Schon länger greift die Linke etwa die Krisenpolitik Deutschlands als neues Hegemonieprojekt an, eine Sichtweise, die besonders in den betroffenen Ländern noch wesentlich virulenter ist. Ein Akzeptieren dieses Narrativs hätte daher in der heutigen europäischen Union Nebenwirkungen. 

Und so verbindet sich die Deutung des Ersten Weltkriegs in seinem Jubiläumsjahr aufs Neue mit politischen und ideologischen Zielsetzungen. Die eigentlichen Ansichten der Historiker, ihre Debatten und ihre differenzierten Analysen kommen dabei kaum zu Wort und werden allenfalls selektiv wahrgenommen. Es steht daher zu hoffen, dass die eigentlichen Gedenkfeierlichkeiten davon unbeeindruckt in einem nüchternen Rahmen ablaufen und sich der moralischen Fragen weitgehend zugunsten des Konsenses, dass das Trauma eines europäischen Krieges sich unter keinen Umständen wiederholen darf, enthalten werden. Die Frage der Kriegsschuld ist keine, die uns sonderlich weiter bringt. Viel wichtiger muss es sein, die richtigen Schlüsse aus den Ereignissen zu ziehen. 

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2014/01/erinnerungskultur-und-erster-weltkrieg.html

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Historical accuracy, games and World War II

Crosspost von The Nerdstream Era. 

Practically every game that takes place in the World War II era has one selling point in common, whether it's a stategy game or a shooter: historical accuracy. They all pride themselves on conveying the details of the epoch right, able to give the player that unique feeling. The shooters, like Medal of Honor or Call of Duty, went over great lengths to incorporate the correct sounds of all weapons, for example, the physics, the looks. In the Hearts of Iron series, you can equip your divisons and brigades with the contempory leaders and weaponry. And if you browse the Company of Heroes forums, you find people asking themselves how accurate the depiction of the Sturmgeschütz III Ausführung E in comparison to Ausführung F is. There's a great emphasis on getting the details right.

Detail, with a capital D

But I would argue that this entirely misses the point. While World War II has been a playground for amateur historians most of the time, in their minds winning the crucial battles by a simple change in the deployment of troops, seldom is the question asked whether these games really depict the time accurately, or whether this should be a goal in the first place. 

Before you get me wrong, most of these games do a marvellous job to simulate the equipment that was used by the combattants. Firing a M1 carabine feels different than the KAR98, for example, and commanding Tiger tanks is different to ordering an advance with Shermans. Often, the weapon effects also seem very realistic, with explosions tearing up the battlefield, and said battlefield is often carefully reconstructed from historic photographs and other sources.

Depicted: stuff happening
But I seriously doubt that this comes down to giving you a realistic feel of the conflict. It often gives you a feel of how it would feel to fire a special weapon in a totally controlled, cartoon-like environment. It's like the old war movies, with their John-Wayne-like antics, where heroes would shine and prove themselves in the line of fire while nameless guys are dying in dignity all around them to show how dangerous the situation is.



But unfortunately, the dying seldom is dignified, as death in combat often comes unexpected and gruesome, and apart from the short intervals of brutal combat, the feeling that all soldiers of all times agree on is boredom. This doesn't mean that you should try to make the dying as gory as possible in a vein attempt on even more "realism". If you really do this, there can be only two possible outcomes. One, the game becomes unplayable, not a game anymore, but an experience that wants to make you hurl. Or, second, it degrades the game only further by using the gore to justify other lackluster elements, like especially unnecessary violent setpieces. This often feels like one of Uwe Boll's rat-ass ideas, like showing the Auschwitz gas chamber POV style. That's violence porn.



The master himself.


So, with that out of the way, where is the problem? I want to single out three games or game lines, because they all attempt at varying degrees of realism for a World War II setting and all fail at it: Paradox Interactive's "Heart of Iron" series, Activision's "Call of Duty" series, and Relic Entertaintment's "Company of Heroes". In each of those games, you are thrown into the setting in some capacity, influencing historic events.



The "Heart of Iron" series is the flagship of Paradox Entertaintment, a small Scandinavian firm that specializes in strategy titles so complex and user-unfriendly that they are only for the most dedicated of gamers. You take the control over a country during the period of 1936 to 1949 (extended by later expansions to 1953) - any country. Play as the German Reich and unleash the Wehrmacht on Europe, or try to establish an empire as Yemen.

Is it a game? Art? Torture? Exam? You decide.


In the game, you have control over various bloated menus and sliders, where you produce units, research technology, balance the domestic politicies and manage foreign policy. On a world map, you then proceed to send the produced units into foreign countries to paint their provinces in your own color. This sounds derivative, and in part it is. I played Hearts of Iron for many, many hours, and I thoroughly enjoyed it, make no mistake. But in the end, the pleasure comes from painting a map. Since we are on a grand strategic level, many decisions and details get swamped (like geography and such, which is highly abstracted).



But the most interesting thing I find is that the game, for all its meticulous details and totally overloaded menues, is not really realistic. For example, logistics don't really play a role. Fighting starts when you send your (oftentimes ridiculously large) armies into a province. Sliders move, a side wins, marches in, the province is painted. Yes, there are partisans and such, but the idea that by moving into a foreign country you "own" it hasn't worked for any invader anywhere, anytime.



See? All red.
Also, you don't need to plan offensives in this game. You order the an army of several millions to march into a swamp, and literally a minute later, they will move. I'm still waiting for a war game that tries to really show us how a war on the strategic level feels and not what many amateur leaders wanted it to feel (although, incidentally, this is how the Germans managed to loose two World Wars on the military side of things: an obcession with the idea that the map is the land, and that you can simply paint it).



Going down on the other end of the spectrum, we meet Call of Duty, a series of First-Person-Shooters set in the age of World War 2. As a disclaimer, I only played Call of Duty 5, but I'm told the others are very similar. Here you are one single soldier, shooting your way through hordes and hordes of enemies. The developers tried to give you the feeling that you are a cog in the machinery of war by letting stuff happen - soldiers running around, tanks driving and firing, explosions - but in the end, the nature of the genre makes it impossible for you not to shoot hordes of enemies and survive improbable stuff. It's an action game, after all.



Things tend to become easy when viewed over a rifle's sights.
But that means that the feeling is more Captain America than Saving Private Ryan. Although they are copying scenes from all the great war movies (often blatantly so), the set pieces don't really fall together. The games are also guilty of shamelessly unloading every war movie cliche and reinforcing popular cliches about World War II - Japanese soldiers as totally dishonorable, Russians as cold-blooded killers, and so on. If the Wehrmacht soldiers come around as the nice team while I'm playing Russians, something is going wrong. Seriously.



The last series takes the fighting to the tactical level. Company of Heroes is a Real-Time-Strategy game, allowing you to command squads of three to six soldiers and some vehicles on tightly confined battlefields, conveniently empty of civilians (something that Call of Duty does, too, even if there should be some). The fighting feels realistic, and the option to retreat units rather than to simply send them to the slaughter makes for an important gameplay aspect.



Depicted: Stuff happening
On the other hand, every feeling of immersion that the realistic and not at all glorious depiction of the actual combat could bring is destroyed by a lackluster voice acting and of course the almost unsulting campaign that comes with the game. In the campaign, you revisit all bad cliches about the Soviets in the war, while the game mechanics manage to mindlessly send literally endless waves of soldiers into machine guns to die - until you silence them. No one will ever stop sending those guys in otherwise. Mechanics like this are just so utterly stupid, they defy any resemblance of sense.



And the voice acting! Whoever wrote these lines must have played too much Command&Conquer. The Russian Penal Battailon, historically a unit for all those who dared to speak up or try to shirk that had to perform the most dangerous duties, greets you with such uplifting lines as "Do you need a suicide squad?" when clicked. Other troops display a similar detached sense of heroism in their comments that totally doesn't match the things going on.



Because nothing screams heroism like being burned alive.




I don't have a recipe for making a truly "realistic" World War II game. I seriously doubt that this is something anyone in their right mind wants anyway. But please, stop to distort the real events to match history to the tropes of video game storytelling. The Russians aren't the Orcs, and the Germans aren't the Alliance.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2014/01/historical-accuracy-games-and-world-war.html

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The one movie that ruined it for the Eastern Front

Crosspost von The Nerdstream Era

Von Stefan Sasse

In 2001, a slightly unusual World-War-II-movie hit theaters: "Enemy at the Gates". It was unusual because the heroes of the story were the Soviet soliders in Stalingrad, not the heroic American soldiers storming the beaches of Normandy or holding out in the grim winter against the German onslaught in the Battle of the Bulge. Since there isn't exactly a flood of movies about the Eastern Front in World War 2, "Enemy at the Gates" came to shape the view on that part of the conflict for pretty much everyone who saw it. And that's not exactly a good thing.
It had Jude Law in it!
The story of the movie is as follows: the Russian soldier Vassily Zaytsev is a natural sniper, and he survives a bloody, useless assault on a German hideout where his comrades did not. By chance he recues the life of commisar Danilov, with whom he becomes friends. Danilov recognizes what a propaganda tool Zaytsev can be and shores up his reputation. Zaytsev only shoots German officers, inspiring fear into the heart of the enemy, who dispatches his own elite sniper, Major König. The ensuing duel is complicated by the love that Zaytsev and Danilov have for the same female soldier...
Handsome, handsome sniper.
The plot isn't exactly complicated or anything, and must twists and turns can be seen coming from a mile around. It also takes some liberties with historic accuracy in the duel in favor of a suspenseful storyline, which is no problem in and of itself (Zaytsev killed König in the shootout that König survives in the movie and is later killed himself in the battle of Stalingrad). 

No money for guns, but red flags, no problem.
Problematic is the depiction of the fighting nature of the Soviet army, especially the first assault that Zaytsev takes part in. The soldiers don't get enough weapons. Every second man gets a rifle, the other one three bullets. Predictably, they are slaughtered. When they try to retreat, they are mowed down by their own machine guns stationed in their back, because no one retreats one step. For the motherland! 
It's "rodina" in Russian.
While such an action was actually reported in the early days of Operation Barbarossa, the German surprise attack on the Soviet Union in the summer of 1941, by the point of the battle of Stalingrad in fall 1942, the Soviet army had enough rifles and ammo for their men, and such attacks weren't conducted because the Soviet commanders got their shit together (unlike the Japanese, who continued their Banzai-bullshit until the closing days of the war). 

On the other hand, they used Bushido instead of machine guns.
The Soviets as essentially bad guys, but not quite as bad as the Germans, is of course a sexy narrative. While rooted in historical truth (Hitler and Stalin surely share the same highlighted place in hell), the scene got a status as representative for Soviet war tactics it doesn't deserve. By 1942/43, the Soviet army had essentially closed the gap in equipment and tactics to the Germans that they lacked before. Sending their own men mindlessly into closely guarded positions wasn't considered as something one does anymore. 
Because this result is foreseeable.
Sadly, the picture influenced a whole generation of people watching the movie. You can almost be sure that it will be invoked or even recreated everytime something popular covers the Eastern Front. For example, in "Call of Duty 5", you play a Soviet soldier who takes part in such suicidal attacks and then has to snipe his way through Stalingrad. In the recently released "Company of Heroes 2", the opening cinematic all but inserts the scene of the Wolga crossing from "Enemy at the Gates". 
Red and many
But the "inspiration" isn't reduced to recreating the images of the movie. What's more disturbing is that the flat-out insane disregard for human life is transported into these games as some kind of thing that makes the Soviets cool for the player. They are essentially what the Zerg are for "StarCraft", sending droves of badly equipped, weak units at the technically superior enemy to overwhelm him. While it is true that for Soviet commanders, a human life wasn't exactly a consideration (Stalin charmingly put it in a proverb: "A single death is a tragedy, a million deaths are statistic"), it's also true that by 1943, the Soviet army was as formidable as the German one in terms of tactic, equipment and strategy. 
Almost indistinguishable.
Yet games as well as popular historic accounts rely massively on the myth that Soviet equipment and tactic were inferior and that the high quality German troops were defeated by pure numbers. While it's true that the Soviets had a numerical advantage, it's also true that German commanders didn't particularily care about the lives of their soldiers neither, especially not so in the closing stages of the war. 
Or does anyone think there was any military sense to that battle?
But this is never part of these narratives, which are content in putting the German side in the position of the hopeless yet brave defender, reinforcing the old tale of superior German soldiering and strangely elevating the Wehrmacht, which was a murderous instrument in an even more murderous war. While it is laudable that games and other popular works try to adress the issue of the ambivalence of the Red Army (fighting with the Allies against Hitler, but being a pretty unpleasant instrument itself), the Germans don't get such scrutiny. This caricature of World War II needs to stop.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/10/the-one-movie-that-ruined-if-for.html

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Warum Vergangenheitsbewältigung so wichtig ist

Von Stefan Sasse

Die Forderung, endlich einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen und mit der fast obsessionshaften Beschäftigung mit der "Vergangenheit, die nicht vergehen will" aufzuhören, kommt in Deutschland mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder hoch. Bislang hat die Forderung, obwohl grundsätzlich populär, jedoch keinen bleibenden Einfluss erwirken können. Weder die Totalitarismusdiskussion des Historikerstreits in den 1980er Jahren, noch die Forderung nach der Historifizierung des Nationalsozialismus, noch die Wiedervereinigung konnten dem grundsätzlichen deutschen Konsens etwas anhaben, dass Deutschland eine furchtbare Schuld auf sich geladen hat, die es nicht einfach wird abschütteln können und der es sich stets aufs Neue zu stellen hat. Was passiert, wenn ein solcher Konsens nicht existiert, lässt sich immer wieder in Japan beobachten. 


Die Beziehungen Japans mit China und Korea bleiben wegen des ungeklärten Verhältnisses zur Vergangenheit des Zweiten Weltkriegs noch immer gespannt. Sowohl Korea als auch China litten unter japanischer Besatzung und besonders im Fall Chinas der Verübung brutaler Kriegsverbrechen, etwa im Nanking-Massaker (siehe auch im Beitrag "Das blutige 20. Jahrhundert"). Offiziell entschuldigt hat sich Japan nie, und noch heute stehen Schreine für die Kriegsgefallenen, inklusive der Kamikazepiloten, ohne Unterscheidung überall in Japan. Der Besuch dieser Schreine gehört vor allem für konservative Politiker noch zur politischen Routine und belastet die Beziehungen zu den Opfern japanischer Aggression bis heute. Für die Japaner ist es undenkbar, einen Vergangenheitsbewältigungskurs wie Deutschland einzuschlagen. Für sie ist der verlorene Krieg eben ein verlorener Krieg, ein falscher Krieg vielleicht, aber nichts, das eine ernsthafte Auseinandersetzung erfordern würde. Angesichts des Ausmaßes japanischer Verbrechen im Krieg selbst ist diese Haltung kaum nachvollziehbar, doch das Beharren auf der "nationalen Ehre" macht eine Umkehr dieses Kurses extrem schwierig. 

Aus dieser Geisteshaltung ist es auch zu erklären, wie der konservative Bürgermeister von Osaka, Toru Hashimoto, auf die Idee kommt, die Einrichtung des Systems der "Trostfrauen" als notwendig zu verteidigen. Die "Trostfrauen" waren vor allem chinesische und koreanische Frauen, die im Krieg zur Zwangsprostitution an japanischen Soldaten gezwungen worden waren, denen sie "Trost" spenden sollten. Auch bei ihnen hat Japan sich bis heute nicht entschuldigt. Hashimoto erklärte, die "Trostfrauen" seien notwendig gewesen, um die Disziplin aufrechtzuerhalten und den Soldaten, die "ihr Leben riskierten eine Pause zu ermöglichen". Warum über 200.000 Frauen für die Pause der japanischen Aggressoren leiden mussten, erklärt Hashimoto leider nicht.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/05/warum-vergangenheitsbewaltigung-so.html

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Aufstieg und Niedergang der Geschichtswissenschaft als Schrittmacher der Gesellschaft

Von Stefan Sasse

Leopold von Ranke
Die Geschichtswissenschaft ist, verglichen etwa mit den Naturwissenschaften, keine besonders alte Disziplin. Zwar gab es immer wieder einzelne Personen, die historische Abhandlungen schrieben - man denke etwa an Tacitus, Thukydides oder Polybios in der Antike -, doch diese erfüllten keinesfalls die Standards, die die Geschichtswissenschaft prägen und waren eher große Erzählungen, häufig mit direkter politischer oder moralischer Zielrichtung. Erste methodische Zusammenstellungen tauchten im 18. Jahrhundert auf - Schiller etwa war ein begeisterter Hobby-Historiker-, doch erst im 19. Jahrhundert entstanden vor allem in Deutschland die Geschichtswissenschaften mit der expliziten Zielsetzung "zu zeigen, wie es gewesen", um das berühmte Wort Leopold von Rankes zu benutzen. Dieser Anspruch purer Objektivität wird heute als Irrtum angesehen, nicht wegen der Intention, sondern wegen seiner Unmöglichkeit. Wir können Geschichte zwangsläufig immer nur durch die Brille unserer eigenen Zeit wahrnehmen und haben keine Möglichkeit, ein "objektives" Geschichtsbild zu erstellen. Objektive Geschichte existiert nicht, und seit diese Erkenntnis auch Eingang in die Lehrpläne gefunden hat stöhnen die Schüler über dieser Komplexität. 

Im Deutschland des 19. Jahrhunderts war Geschichte ein unglaublich populäres Feld, vergleichbar nur mit der Physik zwischen den Weltkriegen und der Ökonomie seither. Keiner dieser Disziplinen ist das Schlaglicht des Ruhms gut bekommen. Der plötzliche Ruhm, den die Vertreter der jeweiligen Disziplin dadurch genossen, stieg einigen nicht nur zu Kopf sondern weckte Erwartungen an ihre Arbeit, die diese unmöglich erfüllen konnte - ein Irrtum, der aus der erwähnten Eitelkeit nicht aufgedeckt wurde. Die Geschichtswissenschaftler des 19. Jahrhunderts sahen ihre Aufgabe hauptsächlich darin, eine Meistererzählung der deutschen Geschichte zu schreiben. Der junge Nationalstaat, der vor kurzem noch aus kleinen Nationen wie Hessen-Nassau oder Baden bestanden und nicht über ein übermäßiges, schon gar nicht ethnisches, Zusammengehörigkeitsgefühl verfügt hatte, verlangte nach einer solchen. Die Historiker lieferten sie und zogen eine direkte Linie von Arminius, den man flugs "Hermann" taufte, und nahmen dankbar Tacitus Zivilisationskritik für bare Münze, um eine in den germanischen Urwäldern herumstreifende, edle Stammesgesellschaft als Urgrund der Deutschen zu konstruieren. Urwüchsige Natur, eine natürliche Ordnung und große Männer, die ihre Stammesbrüder für Großtaten wie den Kampf gegen die Römer zusammenschmiedeten - gerne erkannten sich die Deutschen darin wieder. 

Karl der Große
Über Karl den Großen konstruierte man direkt einen Zusammenhang ins Mittelalter, wo die diffizile Machtpolitik der Lehensfürsten flugs zu einer Kulturmission der deutschen Sendung umdefiniert wurde. Der Dreißigjährige Krieg wurde so zu einem Grundübel, das von außen heraufbeschworen worden war, von Böhmen, Österreichern und Schweden, vor allem aber den Franzosen. Die "Erbfeindschaft" konnte so auch hier auf eine lange Ahnentradition zurückblicken, die sich mit der Aufspaltung von Karls Großreich auch beliebig bis ins Mittelalter verlängern und gegebenenfalls mit Verweis auf Kämpfe zwischen Kelten und Germanen nicht zuletzt während der Völkerwanderung auch in die mystische Urgeschichte ziehen ließ. Echten Erklärungsgehalt für zeitgenössische Phänomene besaß das alles natürlich nicht, aber der Mantel der Geschichte wurde mit all seinem Gewicht gerne jeglicher Politik umgehängt, die einer solchen Rechtfertigung bedurfte. Wer konnte etwa das Kolonialisierungsprogramm kritisieren wenn man sich vor Augen hielt, dass die Bekehrung und Zivilisierung der Barbaren seit Karl dem Großen deutsche Tradition und deutsche Sendung war? Zu versuchen, gegen die Geschichte zu argumentieren, war praktisch aussichtslos, und es verwundert nicht, dass auch die entschiedenen Gegner auf die Geschichte zurückgriffen: Karl Marx postulierte nicht umsonst geschichtliche Gesetzmäßigkeiten, die seiner Theorie die Aura einer religiösen Offenbarung verliehen.

Sein Ende fand all diese Geschichtsklitterei mit den Weltkriegen. Bereits der Erste Weltkrieg sorgte für eine schwere Erschütterung in der Vorstellung, die Deutschen seien alle durch ein mystisches Band des Nationalstaats miteinander verknüpft, und spätestens die Brachialvulgarisierung historischer Ereignisse im Nationalsozialismus trieb jeglichen Anspruch an eine gesamtgesellschaftliche Deutungshoheit aus der Geschichtswissenschaft. Sie verlegte sich auf bescheidenere Ziele, die auch in ihrem Vermögen lagen: ein möglichst detailliertes und aussagekräftiges Modell zu entwickeln und gegebenenfalls der Vereinnahmung der Geschichte durch Laien vor allem in der Politik eine differenzierte Analyse gegenüberzustellen. Die Wissenschaft ist dadurch reicher geworden, reicher an Interpretationen, an Erklärungsmustern, an Ansätzen und an Erkenntnissen. Ohne den Anspruch, eine Meistertheorie bieten zu können, die dem Leben und Streben der Menschen Struktur und Sinn bietet. Für die Hybris der Geschichtswissenschaft musste bitter gebüßt werden. Die Physik hatte Glück; der Kalte Krieg bewahrte sie vor diesem Schicksal, und sie zog sich still wieder auf ihr Fachgebiet zurück. Der Ökonomie ist dieses Glück nicht beschieden, und die aktuelle Debatte um Rogoff und Reinhard zeigt, auf welch fatalen Irrwege die Verabsolutierung von Theorien und Modellen führen kann.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/04/aufstieg-und-niedergang-der.html

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Der Ursprung des Anti-Amerikanismus

Von Stefan Sasse

Typische anti-amerikanische Darstellung
Der Anti-Amerikanismus ist in Deutschland tief verwurzelt. Wir schleppen ihn bereits seit langer Zeit in unserer historischen DNA mit herum. Man begegnet ihm in verschiedenen Formen, ob es in der pauschalen Aburteilung der Amerikaner als ein "kulturloses" Volk ist - Stichwort Hollywood - oder ob es die oftmals blutigen Interventionen in anderen Staaten ist. Obwohl die Deutschen bereits im 19. Jahrhundert eine Meinung zu den Amerikanern hatten (Friedrich Daniel Bassermann etwa zog die USA in seinem Aufruf zur Wahl einer Nationalversammlung 1848 ausführlich und explizit als Vorbild heran), entwickelte sich das eigentliche, spannungsgeladene Verhältnis zu Amerika erst in den 1920er Jahren. Die Amerikaner waren für Deutschland vorher keine echte Größe. Das ausgehende "lange 19. Jahrhundert" (1789-1914/18) war so eurozentristisch gewesen, dass der langsame Aufstieg der USA zur Großmacht eher unbemerkt vonstatten ging, noch dazu, da die Amerikaner dem Kolonialismus offen abschworen. Ihr entscheidender Eintritt in den Ersten Weltkrieg, ihr demokratisch-liberales Versprechen der "14 Punkte" und der von den Deutschen als Verrat empfundene Gang der Friedensverhandlungen in Versailles schleuderten die USA mit einem Mal jäh in die deutsche Aufmerksamkeit.

Der Anti-Amerikanismus der 1920er Jahre war vornehmlich eine konservative Erscheinung. Nicht nur verübelten die Rechten den USA ihre Teilnahme am Weltkrieg gegen Deutschland. Der wirtschaftliche Erfolg Amerikas und seine wichtige Rolle für die Finanzierung Deutschlands, das mit amerikanischen Krediten die Reparationen aus dem Versailler Vertrag bediente, sorgten ebenfalls für Animositäten. Zum Teil aus einem Minderwertigkeitskomplex heraus, zum Teil auch einfach aus Chauvinismus entwickelten die Rechten einen Anti-Amerikanismus, der sich vor allem durch seinen konstruierten Gegensatz von Zivilisation und Kultur auszeichnete. Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert hatten deutsche Vordenker gerne einen solchen Gegensatz zwischen Deutschland und England gezeichnet, der nun nahtlos auf die USA übertragen wurde, wo er auf deutlich furchtbareren Boden fiel. 
Man beachte die Sprache.

Dieser Lesart zufolge habe Deutschland "Kultur" - man muss sich im Geiste dazu Goethe, Mozart und Hegel denken - während die USA zwar die Annehmlichkeiten der "Zivilisation" besitzen - also Kühlschränke, Autos und Telefone - aber eben jegliche geistige Entwicklung vermissen ließen. Verstärkt wurden diese Vorurteile durch Reiseberichte, die im Tenor negativ die neuen Entwicklungen und Trends aus den USA in den Fokus rückten, vor allem den Jazz, Radio und den aufkommenden Massenkonsum. Da diese Entwicklungen zeitverzögert auch in Deutschland ankamen und im konservativ und völkisch geprägten Rechts-Milieu auf Ablehnung stießen, konnte der Anti-Amerikanismus massentauglich werden, war man doch mit dem "amerikanischen Sittenverfall" bereits vor der eigenen Haustüre konfrontiert. Zusätzlich eigneten sich die USA mit ihrer schwarzen Bevölkerung und der vergleichsweise geringen Diskriminierung von Juden als Projektionsfläche für rassistische Ressentiments. Diese Entwicklung verstärkte sich in der Nazi-Diktatur natürlicherweise noch und fand ihren Höhepunkt während des Krieges.

Nach dem Krieg jedoch war Anti-Amerikanismus auf Seiten der Rechten ein Randphänomen der Extremisten, vor allem der Neo-Nazis. Die Konservativen und Bürgerlichen warfen sich dem neuen Freund, der ihren bürgerlichen Staat gegen den drohenden Kommunismus zu garantieren schien, um den Hals. Zwar lebten die Ressentiments gegen die "Zivilisation" fort, blieben jedoch auf die heimischen Wohnzimmer begrenzt, wo man den Nachwuchs möglichst lange von der aufkommenden amerikanischen Popkultur von James Dean bis Elvis fernzuhalten gedachte. Da die deutsche Kulturszene aber kein eigenständiges Angebot machen konnte, war der Siegeszug der amerikanischen Unterhaltungsindustrie nicht aufzuhalten, und das Meckern verkam zu einer reinen Symbolgeste, mit der man seine eigene Intellektualität unterstrich. 

Anti-amerikanische Demo 1984
Stattdessen entwickelte sich auf der Linken in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein gänzlich anderer Strang deutschen Anti-Amerikanismus. Für sie war Amerika bisher weder Urquell alles Bösen noch großer Magnet der Hoffnungen gewesen. Der Ost-West-Konflikt aber schleuderte sich als links begreifende Menschen fast automatisch in eine antagonistische Position zu den USA (und eine freundliche zur Sowjetunion). Die sowjetische Propaganda verstand dies geschickt auszunutzen, indem sie den USA einen neo-kolonialen "Imperialismus" vorwarf (der sich nicht von ungefähr noch heute im linken Standardrepertoire findet) und sich selbst quasi per sozialistischer Selbstzuschreibung für immun erklärte. Dies ist, nebenbei bemerkt, praktisch eine Umkehrung der amerikanischen Position aus dem 19. Jahrhundert, in der man wohlfeil den europäischen Mächten Kolonialismus vorwarf, während man sich selbst im Pazifik ein Kolonialreich zusammeneroberte und dies mit Verweis auf seine demokratische Verfassung heftig bestritt. 

Diese Frontstellung der Linken gegen die USA zog sich durch die gesamte Zeit des Ost-West-Konflikts hindurch. Sie ist auch die Hauptwurzel des linken Anti-Israelismus, der praktisch nichts mit Anti-Semitismus zu tun hat, wie es seine rechte Spielart tut. Auch die Frontstellung gegen Israel ist ein eher zufälliges Produkt des Ost-West-Konflikts, denn die USA unterstützten Israel, die Sowjetunion seine Gegner. Dieser Frontstellung konnte sich praktisch niemand entziehen, weder auf der einen Seite (wo Kritik an den USA lange Zeit Vaterlandsverrat fast gleichgestellt war) noch auf der anderen Seite (wo die USA spätestens seit Vietnam der Feind Nr. 1 waren). 

Anti-amerikanisches Graffiti in Venezuela
Der konservative Anti-Amerikanismus hat sich im Gedächtnis der Bevölkerung besser gehalten, weil er unpolitisch ist. Ein Verweis auf die mangelnde Bildung und Kultur der Amerikaner ist schnell gemacht, wird praktisch überall goutiert und verlangt keine tiefer gehende Beschäftigung mit dem Gegenstand. Der linke Anti-Amerikanismus dagegen ist zutiefst politisch und stigmatisiert die USA als Inbegriff des verhassten radikal-kapitalistischen Systems und des "Imperialismus". Er erfordert einen größeren Grad an politischem Bewusstsein, ist aber in diesen Kreisen dafür umso wirkmächtiger. Seine oftmals radikale und ultimative Ablehnung der USA korrespondiert mit der gleichermaßen emphatischen Ablehnung der USA durch die extreme Rechte, die in alter Tradition ebenfalls den Radikallapitalismus ablehnt (der freilich so auch an der Wallstreet nicht existiert), die "Vernegerung" des Landes beschreit und die USA als "Besatzungsmacht" ablehnt. Die Kritikflächen scheinen zwischen linkem und rechtsradikalem Anti-Amerikanismus ähnlich, insbesondere in der Ablehnung der Unterstützung für Israel und der Ablehnung des Kapitalismus, aber das ist reiner Zufall. Linke und Rechte werden fundamental unterschiedlichen Motivationen in ihre Ablehnung gegen die USA getrieben. Trotzdem oder gerade deshalb ist es ihren Gegnern aber ein leichtes, sie in denselben Topf zu werfen und damit in der breiten Bevölkerungsmehrheit zu disavouieren, damals wie heute.

Bildnachweise:
Teheran - Bertil Videt (GNU 1.2)
Demo -  Bundesarchiv, Bild 183-1984-0909-406 / Schindler, Karl-Heinz / CC-BY-SA
Venezuela -  Erik Cleves Kristensen (CC-BY-SA 2.0)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/11/der-ursprung-des-anti-amerikanismus.html

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