DH-Videoclip Adventskalender – Tür 14

Der Beitrag zum dritten Advent schlägt sanfte Töne an –  The Virtual Chopin, ein Projekt an der University of Cambridge zeigt ein Beispiel für Digital Humanities aus der Musikwissenschaft.

Fryderyk Chopin is one of the most enduring composers of all time, universally celebrated for the originality and expressive power of his music. But Chopin is as frustrating as he is fascinating, because he rarely left behind just one version of his works. More often, there are three, four or more versions — any number of which might be an authoritative representation of how he wanted the piece to sound. Listeners, performers and researchers alike may find this liberating as well as bewildering because there are so many options from which to choose.

John Rink, Professor of Musical Performance Studies at the University of Cambridge, is director of a project that is transforming the way in which we understand Chopin’s work by bringing this compositional cornucopia together in one place. Launched in 2005 with funding from the Andrew W. Mellon Foundation, the Online Chopin Variorum Edition will eventually provide digital images of all the available primary sources of Chopin’s music — including sketches, complete manuscripts, first editions and later impressions. Thousands of pages from these documents are already available, and the entire site is free of charge. Users anywhere in the world can explore, compare and combine elements from the composer’s music, comment on it as they go, and ultimately construct their own version of the Chopin work to an extent that has never before been possible.

In this film John Rink explains why Chopin’s music retains such a hold on us. Referring to the composer’s boundless genius, he describes the sources and provides examples of interesting and revelatory changes of mind on Chopin’s part. His demonstrations on a Pleyel “pianino” from 1846 are accompanied by images of manuscripts and editions alike, along with action shots of the OCVE website.

(Quelle: http://youtu.be/GJDnc_nZT-A)

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4470

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Archivwissenschaft an der Unversität Bayreuth oder: Was machen Jugendämter mit Kaugummiautomaten?

„Nun ist euer Universitätsarchiv gerade einmal ein halbes Jahr alt und ihr habt es bereits geschafft, die Archivwissenschaft an der Universität Bayreuth in die Lehre zu bringen! Wie habt ihr das gemacht?“ Die Bewunderung, die in dieser Frage mitklingt, die mir seit dem Wintersemester 2013/14 von Kolleginnen und Kollegen aus ganz Deutschland hin und wieder gestellt wurde, konnte ich stets auf die Kulturwissenschaftliche Fakultät unser Universität Bayreuth und hier besonders auf die Facheinheit Geschichte hinlenken. Von hier ging es aus, das Fach in der Studienordnung des BA-Studiengangs „Europäische Geschichte“ (und neuerdings auch des interdisziplinären Studiengangs „Kultur und Gesellschaft“) unter der Kursbezeichnung „Historische Dokumentation und Archivierung“ als einsemestriges Pflichtmodul mit zwei Wochenstunden zu verankern.[1] Das wirklich Besondere daran ist, dass die Studierenden hier in die Arbeit des Archivars eingeführt werden, während ihre Befähigung, mit Archiven selbst als Nutzer umzugehen, nicht der zentrale Gegenstand dieses Studiengangmoduls sein soll. Wenn das Fach in Bayreuth nun auch älter ist als das Universitätsarchiv und keineswegs mit dessen Zutun eingerichtet worden ist, ist seine in den letzten beiden Jahren gestiegene überregionale Beachtung vor allem auf die Öffentlichkeitsarbeit des Archivs in den Social Media zurückzuführen.[2] Indem dort in unregelmäßigen Abständen auf einzelne Sitzungen und deren Themen hingewiesen wurde, zeigte das Archiv jedem an seinen Nachrichten Interessierten, dass sich der Unterricht am aktuellen Stand der internationalen archivwissenschaftlichen Fachdiskussion ausrichtet und Traditionen nicht ohne kritische Auseinandersetzung und Infragestellung weitergibt.

Um der Praxisbezogenheit, die die Studienordnung von der Übung fordert, gleichermaßen wie dem Ziel der Befähigung der Studierenden zur Reflexion archivischer Methoden gerecht zu werden, besteht die Lehrveranstaltung  insgesamt aus zwei Teilen. Während im Mittelpunkt des praktischen Teils die Archivalienerschließung mit Fachsoftware steht, wechselt der Schwerpunkt des theoretischen Teils von Semester zu Semester.


Slide aus der Lehrveranstaltung, Thema "Bewertung der Archivwürdigkeit"

So lag im Wintersemester 2013/14 die Betonung auf der Makrogenese von Verwaltungsschriftgut und Archivbeständen, also auf den Grundlagen von Schriftgutorganisation und auf der Bestimmung der sog. „Archivwürdigkeit“ von Akten und anderem Verwaltungsschriftgut. Im laufenden Semester liegt der Fokus auf dem Archivrecht und der Erschließungstheorie.


Slide aus der Lehrveranstaltung, Thema "Erschließungsstandards"

Für ein weiteres Semester käme beispielsweise ein intensivierter Blick auf das „Archiv 2.0“, auf die Rolle von Social Media und Web 2.0-Technologie für das archivarische Kerngeschäft in Frage.[3] Wie man sieht, wäre auch ein mehrmaliges Belegen des Kurses keineswegs nur Wiederholung.

Nicht zuletzt profitieren die Studierenden von der Einbindung des Universitätsarchivs in die archivwissenschaftliche Forschung. Das Archiv der Universität Bayreuth ist ein gefragter Ansprech- und Gesprächspartner vor allem in Fragen der Erschließungslehre. Es wirkte beratend am Fachkonzept für die Zugänglichmachung des rwandischen Gacaca-Archivs mit und beteiligt sich protagonistisch bei der Umsetzung internationaler Erschließungsstandards, unter anderem in engem Kontakt mit dem deutschen Team des „Archives Portal Europe Network of Excellence“ (APEx).

Mit der praxisorientierten Archivwissenschaft im Rahmen des Geschichtsstudiums bietet die Universität Bayreuth Studieninteressierten und den Studierenden eine echte Perle. Die  viel zitierte „Schwellenangst“ des Historikers vor dem Archiv wird hier beim Umgang mit originalen Archivalien in geradezu spielerischer Weise überwunden, archivarische Arbeitsweisen und deren Gründe lernen die Studierenden zu verstehen und in ihr eigenes Nutzerverhalten zu transferieren. Gerade das sind zwei wichtige Voraussetzungen für die angehenden Historikerinnen und Historiker, Forschung durch die Einbeziehung der Quellen fundiert zu betreiben und fundierte Forschungsergebnisse erzielen zu können.

Ach ja, da waren noch die Kaugummiautomaten! Was machen denn nun Jugendämter mit Kaugummiautomaten? Nichts! Hat das überhaupt etwas mit Archiv und Archivwissenschaft zu tun? Ja, durchaus! Jenes „nichts“ war die völlig richtige Antwort des Kurses auf jene Frage, die sich illustrierend im Zusammenhang mit der Untersuchung von Ursächlichkeiten für die Entstehung von Behördenakten stellte. Weitergehende Ausführungen würden diesen Beitrag aber in jeder Hinsicht sprengen. Wer dennoch mehr dazu erfahren will, der kann am nächsten Kurs im Wintersemester 2015/16 teilnehmen oder das Thema auf dem APEx-Blog vertiefen.[4]

Quelle: http://unibloggt.hypotheses.org/212

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RIDE – Review Journal for Digital Editions – issue 2 erschienen

Die zweite Ausgabe des vom Institut für Dokumentologie und Editorik (IDE) herausgegebenen Rezensionsjournals Review Journal for Digital Editions (RIDE) ist erschienen.

Diese Ausgabe von RIDE enthält 5 ausführliche Rezensionen (4 englisch, 1 deutsch), die öffentlich zugängliche digitale Editionen kritisch betrachten.

Enthalten sind:

  • 16th Century Chronicle to 21st Century Edition: A Review of The Diary of Henry Machyn, by Misha Broughton
  • Der Zürcher Sommer 1968: Die digitale Edition, by Friederike Wein
  • The Digital Edition of the Becerro Galicano de San Millán de la Cogolla, by Francisco Javier Álvarez Carbajal
  • The Fleischmann Diaries, by Merisa A. Martinez
  • The Shelley-Godwin Archive: The edition of Mary Shelley’s Frankenstein Notebooks, by Frederike Neuber

Alle Rezensionen stehen frei unter http://ride.i-d-e.de zur Verfügung. Alle Rezensionen sind auch als TEI Dokumente verfügbar. Übersichtliche Factsheets zur jeweils besprochenen digitalen Edition ergänzen die Rezensionen.

Mehr zu RIDE, unseren Zielen und unserer Vorgehensweise finden Sie im Editorial: http://ride.i-d-e.de/about/editorial/

Wir freuen uns außerdem über Beiträge für die nächsten Ausgaben. Alle Informationen finden Sie hier: http://ride.i-d-e.de/reviewers/

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4483

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Die Rostocker Stadtbefestigung

Rostock war und ist die bedeutendste Stadt in Mecklenburg. Damit einher geht das Erfordernis sich auch in diesem Rahmen verteidigen zu können. Im Mittelalter konnte dies mit eindrucksvollen Toren durchaus umgesetzt werden, doch verliert sich dieser Machtausdruck mit der Notwendigkeit … Weiterlesen

Quelle: http://fortifica.hypotheses.org/85

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„Hier wird regiert!“ – eine Ausstellung in Wolfenbüttel

Ausstellungen zur Geschichte der Frühen Neuzeit bringen regelmäßig Aktenschriftstücke als Exponate, aber sie eröffnen keine methodischen Bezüge zur Aktenkunde. Das ist bei dieser Ausstellung in der Neuen Kanzlei in Wolfenbüttel anders.

Die Neue Kanzlei in Wolfenbüttel. Eigenes Bild, CC-BY-SA

Die Neue Kanzlei in Wolfenbüttel. Eigenes Bild, CC-BY-SA

Die Neue Kanzlei beherbergte seit ihrer Fertigstellung 1590 auch die Schreibstube und das Archiv der Verwaltung im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel. Die Fassade hat seit einem historisierenden Umbau Mitte des 19. Jahrhunderts wenig Ähnlichkeit mehr mit dem ursprünglichen Anblick. Das Besondere ist aber, dass sich im Erdgeschoss die markanten Teile der Innenausstattung des Archivs - nach heutigem Verständnis: der Registratur - erhalten haben, nämlich wandhohe Einbauschränke mit hölzernen Aktenladen, daneben auch Archivtruhen von beeindruckenden Ausmaßen (Bild).

Man kann sich leicht vorstellen, wenn man in diesen Gewölben steht, wie geschäftige Sekretäre und Registratoren schreiben, abstreuen und siegeln, Konzepte von Raum zu Raum bringen, Laden öffnen und schließen, Akten ausheben und reponieren.

Die Idee der Macher, ausgerechnet hier eine Ausstellung zur Herrschaft im Zeitalter des "Policey"-Staates und zu deren verschriftlichter Praxis zu inszenieren, ist deshalb brillant. Der Titel der Ausstellung ist ihr Programm: Genau hier wurde regiert. Der zeitliche Bezug ist die Regierungszeit Herzog Anton Ulrichs (Mitregent 1685, allein 1704-1714), eine wichtige Epoche der braunschweigischen Landesgeschichte. (Offizielle Ausstellungsbeschreibung)

Heute beherbergt die Neue Kanzlei die archäologische Abteilung des Braunschweigischen Landesmuseum, das für dieses Projekt mit dem Standort Wolfenbüttel des Niedersächsischen Landesarchivs kooperiert hat. Die Ausstellung läuft bis zum 3. Mai 2015.

Die Ausstellungsmacher haben sich große Mühe gegeben, durch ein ansprechendes, aber nicht krampfhaft zeitgemäßes Design die Ausstellung für ein breites Publikum interessant zu machen; das Symbol der Ausstellung ist die Silhouette eines Würdenträgers mit barocker Perücke und zur "Merkel-Raute" gelegten Händen. Die ungünstigen Öffnungszeiten (Mi. 15-19 Uhr, Fr.-So. 10-17 Uhr) werden dem Publikumserfolg trotz dieses Bemühens um Zugänglichkeit aber wohl Grenzen setzen. Die "Braunschweiger Zeitung" titelte in ihrer Ausgabe vom 19. November 2014 "Mehr Bürokratie wagen" und findet die Ausstellung ganz interessant, auch wenn es viel olles Papier zu sehen gibt. Da ist wohl etwas nicht ganz 'rübergekommen.

Außenaufgang zur Loggia des 1. Stocks (ehemaliger Audienzsaal). Eigenes Bild, CC-BY-SA

Außenaufgang zur Loggia des 1. Stocks (ehemaliger Audienzsaal). Eigenes Bild, CC-BY-SA

Es ist ein Begleitband mit Miszellen zur Herrschaft Herzog Anton Ulrichs erhältlich, der mit Abbildungen zahlreicher Exponate illustriert ist, aber keinen Ausstellungskatalog im eigentlichen Sinne darstellt (Bei der Wieden u. a. 2014). Aus aktenkundlicher Sicht sind aus dem Inhalt besonders hervorzuheben Brage Bei der Wiedens verwaltungsgeschichtlicher Abriss "Die Fürstlichen Kollegien und ihre Organisation" (S. 42-57) und Markus Friedrichs "Regierungspraxis und Archivbenutzung in Wolfenbüttel zur Zeit Anton Ulrichs (S. 136-155) - letzteres ein Zeugnis der erfreulichen Hinwendung der Geschichtswissenschaft zur Archivgeschichte und zum Archiv als Element des Machtapparats der Obrigkeit.

Die Ausstellung ist von der Menge der Exponate her klein, aber aussagekräftig. Das Landesmuseum hat eine Anzahl interessanter Realien von der Münzwage bis zum Richtschwert gestellt. Für hilfswissenschaftlich Interessierte stehen natürlich die Archivalien das Landesarchivs im Vordergrund, die mit dieser Ausstellung in den räumlichen Zusammenhang ihrer Entstehung, administrativen Wirksamkeit und jahrhundertelangen Aufbewahrung zurückkehren. (Die Neue Kanzlei diente vor ihrer Widmung zum Museum bis 1956 als Staatsarchiv.)

Der besondere Reiz dieser Ausstellung liegt in der fassbaren Inszenierung pragmatischer Schriftlichkeit der frühneuzeitlichen Obrigkeit. Diese Erfahrung nutzt auch der praktischen Anwendung der Aktenkunde. Mit einem plastischen Bild von den physischen Verhältnissen vor Augen fällt es leichter, den Geschäftsgang eines frühneuzeitlichen Schriftstücks nicht nur zu rekonstruieren, sondern auch zu verstehen.

Literatur

Bei der Wieden, Brage/Wendt-Sellin, Ulrike/Derda, Hans-Jürgen, Hg. 2014. Hier wird regiert! Die Beamten im Dienste des durchlauchtigsten Herzogs Anton Ulrich. Kleine Reihe des Braunschweigischen Landesmuseums 6. Braunschweig.

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/282

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Das Poster ist der neue Vortrag

Haben Sie sich auch schonmal gefragt, was diese Menschen tun, die auf Flughäfen und in viel zu engen Zug-Abteilen mit viel zu großen Posterrollen auf dem Rücken herumlaufen? Vermutlich sind die meisten ihrer Träger Nachwuchswissenschaftler der Physik oder Chemie. Bar jeder Vorerfahrung und ohne Vorbilder im eigenen Fach habe ich vor wenigen Monaten selbst dieses neue Medium bei der Jahrestagung der AG-Ass in Münster ausprobiert. - Ein Erfahrungsbericht für diejenigen, die noch weniger Ahnung davon haben als ich. Learning by Doing Wenn man einer […]

Quelle: http://grammata.hypotheses.org/565

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Adressbüros-Habil „Die ersten Suchmaschinen“ erscheint bei Wagenbach

Tantner_Suchmaschinen_Cover_klAch wie schön, ich werde zum Koautor von Arlette Farge, Ulrike Meinhof, Gracchus Babeuf, Peter Brückner, Peter Burke, Ingeborg Bachmann, Natalie Zemon Davis, Carlo Ginzburg, Pier Paolo Pasolini, Boris Vian und Albert Soboul, denn: Kommenden Jänner [österreichisch für: Januar] erscheint eine überarbeitete und gekürzte Version meiner Habilitationsschrift bei Wagenbach; die Eckdaten:

Tantner, Anton: Die ersten Suchmaschinen. Adressbüros, Fragämter, Intelligenz-Comptoirs. Berlin: Wagenbach, erscheint Januar 2015.
176 Seiten. 1,7 x 2,5 cm. Gebunden mit Schutzumschlag
19,90 €
ISBN 978-3-8031-3654-1
http://www.wagenbach.de/buecher/demnaechst-erscheinen/titel/985--die-ersten-suchmaschinen.html

Ankündigungstext:
Der Historiker Anton Tantner erzählt die Geschichte derer, die nicht zueinander kommen, weil sie nicht voneinander wissen. Und wie dem abgeholfen wurde. Dahinter steht die Frage: Wie war die Gesellschaft vor ein paar hundert Jahren organisiert, und wie ist sie es heute?

Was heute Dating- Apps, Tauschbörsen, Finanzmakler, Jobcenter und Carsharing- Anbieter übernehmen, leistete früher eine einzige Institution: das Adressbüro. Wer im 17. Jahrhundert etwas kaufen oder verkaufen wollte, Arbeit, Wohnung, ein Hausmädchen oder einen Arzt suchte oder zu vermitteln hatte, konnte dort sein Anliegen gegen Gebühr in ein Register eintragen lassen oder Auszüge aus diesem Register erhalten. Solche Adressbüros gab es in vielen europäischen Städten, etwa in London die registry oder das intelligence office, in der Habsburgermonarchie die Frag- und Kundschaftsämter und in anderen deutschsprachigen Städten Adresscomptoirs und Berichthäuser.
Anton Tantner schreibt eine Ideengeschichte des Sammelns, Organisierens und Weitergebens von Informationen und Wissen – aus der Perspektive unserer Gegenwart, in der wir ohne google kaum mehr leben können, social media scheinbar alles und – andererseits – Datenschutz ein zentrales Thema ist. Dass man aber die richtige Form für das Vermitteln von Information kaum unterschätzen kann, beweist Tantners eigener, bisweilen vergnügt erzählender Stil.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022377615/

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Japans „glückliche“ Jugend – Im Gespräch mit Carola Hommerich

Carola Hommerich ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am DIJ Tokyo. Hier arbeitet sie zu Glück und sozialer Ungleichheit in Japan und erforscht insbesondere die Zusammenhänge von objektiver Prekarität und subjektivem Exklusionsempfinden. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen der umfragegestützten, interkulturell vergleichenden Einstellungs- und Werteforschung sowie der soziologischen Ungleichheitsforschung.

Carola Hommerich ist Wissenschaftliche
Mitarbeiterin am DIJ Tokyo. Hier arbeitet sie zu Glück und sozialer Ungleichheit in Japan und erforscht insbesondere die Zusammenhänge von objektiver Prekarität und subjektivem Exklusionsempfinden.
Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen der umfragegestützten,  interkulturell vergleichenden Einstellungs- und Werteforschung sowie der soziologischen Ungleichheitsforschung.

Frau Hommerich, war früher wirklich alles besser?

Das kommt darauf an, was man unter „früher“ versteht. Vergleicht man die Situation der heute 20- bis 30-jährigen Japaner mit der ihrer Eltern in den 1970er und 1980er Jahren, dann ist beispielsweise der Einstieg ins Berufsleben heute sicherlich schwieriger und mit mehr Risiken behaftet. Damals war es noch einfacher, eine unbefristete Festanstellung zu finden. Heute liegt der Anteil nicht-regulär Beschäftigter bei den 15-24-jährigen Berufstätigen bei 32,3 Prozent. Ein Wechsel in eine reguläre Anstellung im späteren Berufsverlauf ist nur schwer möglich. In Zeiten des wirtschaftlichen Booms konnte man vermutlich noch etwas unbeschwerter jung sein als heute. Das gilt nicht nur für Japan. Deutschland hat eine ähnliche Verschiebung hin zu befristeten und prekären Jobs erlebt, und in vielen europäischen Ländern ist die Lage der jungen Berufseinsteiger weitaus kritischer. Auffällig ist aber, dass die jungen Japaner stark verunsichert sind: Aus einer international vergleichenden Umfrage des japanischen Kabinettbüros von 2013 geht hervor, dass sich die japanische Jugend große Sorgen macht – um ihre berufliche Zukunft, um ihre Rente, um die wirtschaftliche Situation Japans allgemein, um soziale Beziehungen am Arbeitsplatz. Insgesamt sind diese Ängste stärker ausgeprägt als in den Vergleichsländern Deutschland, den USA, Schweden, Korea und Frankreich – dabei sind junge Menschen etwa in Frankreich objektiv größerer Prekarität ausgesetzt als in Japan.

Sie haben sich 2009 in einer Monographie für die Reihe des Deutschen Instituts für Japanstudien (DIJ) mit dem Thema „Jugend und Arbeit“ auseinandergesetzt. Woher kam Ihr Interesse für dieses Thema?

Die Idee für den Vergleich entstand während eines Auslandssemesters in Tokyo im Winter 2001/2002. Mir fiel auf, dass meine japanischen Freunde sich mit ähnlichen
Themen befassten wie meine deutschen Kommilitonen und ich: Wie soll es nach dem Studium weitergehen? Soll ein Job vor allem gut bezahlt werden, oder sollen Inhalt und individuelle Gestaltungsfreiheit im Vordergrund stehen? Mich hat damals interessiert,
ob es in Japan langfristig zu einer Individualisierung kommt, in dem Sinne, dass Selbstverwirklichung als wichtiger bewertet wird als finanzielle Sicherheit. Mit dem Eintritt ins Berufsleben verschieben sich die Prioritäten aber, da die Realität des Arbeitsmarktes
den idealistischen Ansprüchen nicht gerecht wird. Nach einigen Jahren in prekären Jobs, die zwar Raum für Selbstverwirklichung, Hobbys und Freunde lassen, aber bei denen man finanziell immer an der Armutsgrenze lebt, rücken materielle Aspekte letztendlich
doch stark in den Vordergrund – gerade wenn es irgendwann darum geht, eine Familie zu gründen. In der Hinsicht waren sich junge Japaner und junge Deutsche sehr ähnlich. In Deutschland habe ich mir damals die gut ausgebildete „Generation Praktikum“ angeschaut. Davon schafften es die meisten nach einer Art „Leidenszeit“ in verschiedenen Praktika doch auf eine feste Stelle. Im stark segmentierten japanischen
Arbeitsmarkt ist der Übergang in eine reguläre Beschäftigung dagegen meist nur schwer möglich. So verfestigt sich die Prekarität im Lebensverlauf. Mittlerweile sehen junge Japaner nicht-reguläre Jobs nicht mehr als Möglichkeit, etwas auszuprobieren, oder als Chance auf Freiheit und Selbstbestimmung. Das hat sich vor allem nach der internationalen Finanzkrise noch verstärkt: Bei den jungen Absolventen stehen heute wieder finanzielle Sicherheit und Planbarkeit an erster Stelle.

In Ihrer Monographie „‚Freeter‘ und ‚Generation Praktikum‘ – Arbeitswerte im Wandel? Ein deutsch-japanischer Vergleich“ beschreiben Sie eine verlorene Generation. Von der japanischen Bevölkerungsgruppe zwischen 15 und 24 Jahren waren 2003 9,8 Prozent arbeitslos. Durch die steigende Jugendarbeitslosigkeit ist vor allem Südeuropa mit ähnlichen Problematiken konfrontiert. Wie ist Japan mit diesen kritischen Entwicklungen umgegangen?

Im Vergleich zu Jugendarbeitslosenraten von über 55 Prozent, wie in Griechenland oder Spanien, klingen fast 10 Prozent nicht besonders problematisch. Es kommt aber darauf an, an was eine Gesellschaft gewöhnt ist. In Japan lag die Arbeitslosenrate von Anfang der 1970er bis Mitte der 1990er Jahre unter 3 Prozent. Dagegen sind 10 Prozent Jugendarbeitslosigkeit erschreckend viel. Man kann allerdings nicht behaupten, dass die japanische Regierung besonders viel unternommen hätte, um den jungen Menschen den Berufseinstieg zu erleichtern. Politische Maßnahmen richteten sich eher an ältere Arbeitnehmer, die die Zeit nach der Pensionierung mit 60 Jahren bis zum Beginn der Rentenzahlungen mit 65 Jahren überbrücken müssen. In dieser Gruppe war der Anteil Arbeitsloser ebenfalls stark – auf 8 Prozent – angestiegen. Die Hauptstrategie zur Reduktion von Arbeitslosigkeit in Japan war Deregulierung. So kommt es, dass so hohe Anteile junger Menschen in atypischen, meist befristeten Jobs sind. Empfehlenswert finde ich diese Vorgehensweise nicht. Eine neue Studie von Wei-hsin Yu von der Universität Texas zeigt für Japan, dass sich eine nicht-reguläre Beschäftigung langfristig negativer auf die individuelle Karriere auswirkt, als eine Phase der Arbeitslosigkeit. Allerdings müsste man das in weniger stark segmentierten Arbeitsmärkten überprüfen und auch psychologische Aspekte einbeziehen. In der Hinsicht ist eine Beschäftigung, auch wenn sie prekär ist, immer noch besser als keine. Das zeigen Daten einer landesweiten Befragung, die ich 2009 für das DIJ in Japan durchgeführt habe: Arbeitslose fühlen sich sehr viel stärker von der Gesellschaft ausgeschlossen als atypisch Beschäftigte. Diese Exklusionserfahrung wirkt sich stark negativ auf das subjektive Wohlbefinden aus.

Der „Jugend von heute“ wurde erst kürzlich in einem „Weckruf “ der FAZ wieder vorgeworfen, sie würde sich zu wenig auflehnen. Gibt es in Japan einen vergleichbaren Diskurs und wenn nicht, warum?

In Japan wurde die Jugend über die letzten Jahrzehnte hinweg immer wieder für ihre Passivität und ihr politisches Desinteresse kritisiert. Durch ihr selbstzentriertes und in sozialen Belangen apathisches Verhalten würde sie der Gesellschaft schaden. Die Gründe für dieses Verhalten werden unterschiedlich interpretiert. Der junge Soziologe Noritoshi Furuichi beispielsweise behauptet, die Jugend wisse, dass sie kaum politischen Einfluss habe – durch die starke demografische Alterung ist die Jugend als Wählergruppe eher uninteressant – und dass es für sie keine Aussicht auf sozialen Aufstieg gäbe. Statt nach Höherem zu streben oder für ihre Rechte zu kämpfen, habe sie sich mit ihrer Situation arrangiert und sei damit zufrieden. Ich denke, seine Einschätzung ist nicht ganz falsch, zumindest was die Desillusion betrifft. In einem zentralen Punkt würde ich ihm aber widersprechen: Was ich an Daten kenne, spricht eindeutig gegen eine „glückliche“ Jugend. Im Gegenteil: Ein Großteil der jungen Japanerinnen und Japaner ist unzufrieden und zutiefst verunsichert, steht unter immensem Leistungsdruck und hat Angst, den Anschluss an die Gesellschaft zu verlieren. Das gilt auch für die besonders gut Ausgebildeten. Ähnlich wie in Deutschland handeln sie stark „Lebenslauf-gesteuert“ – bei Handlungsentscheidungen wird immer auch abgewogen, wie etwas in der Bewerbungsmappe wirkt.

Sowohl Japan als auch Deutschland sind einem massiven demografischen Wandel ausgesetzt. Wie wirkt sich dieser Ihrer Meinung nach auf den Jugendbegriff beider Gesellschaften aus? Kann man hier noch von „Generationen“ sprechen?

Politische Maßnahmen richteten sich eher an ältere Arbeitnehmer, die die Zeit nach der Pensionierung mit 60 Jahren bis zum Beginn der Rentenzahlungen mit 65 Jahren überbrücken müssen.

Politische Maßnahmen richteten
sich eher an ältere Arbeitnehmer, die die
Zeit nach der Pensionierung mit 60 Jahren
bis zum Beginn der Rentenzahlungen
mit 65 Jahren überbrücken müssen.


Von Generationen kann man sicherlich auch weiterhin sprechen. Allerdings verschiebt sich die Bedeutung, die den Problemen einzelner Generationen zugeschrieben wird. Die Vernachlässigung der japanischen Jugend durch die Politik ist meiner Ansicht nach ein schwerwiegendes Problem. Das zeigt sich bereits am oben erwähnten Beispiel von
Arbeitsmarktmaßnahmen, die sich mehr auf die finanziell gut abgesicherte, aber zahlenmäßig starke Generation der Älteren richteten, als auf die prekäre, aber mit Blick auf Wählerstimmen eher unbedeutende Generation der Jungen. Auch in Bezug auf Familienpolitik passiert in Japan zu wenig. Als sei die niedrige Fertilitätsrate kein existentielles Thema. Das ist es aber natürlich, wenn ein Viertel der Bevölkerung älter als 65 Jahre ist. Zukunftsweisend ist eine solche Politik nicht.

Stichwort: „30 ist das neue 40“ – junge Menschen scheinen sich immer früher alt zu
fühlen. Das steht im Gegensatz zu unserer tatsächlichen Lebenserwartung und körperlichen Fitness. Definiert sich die deutsche Gesellschaft gegenwärtig mehr über das Alter als über andere Merkmale? Und wie geht man in Japan mit dem Älterwerden um?

Die Quarterlife Crisis auf die Sie sich beziehen, ist tatsächlich ein Problem. Ich glaube aber, dass es dabei nicht um die Frage geht, wie alt man ist oder sich fühlt, sondern darum, dass viele junge Menschen einen Leistungsdruck erleben, der sie überfordert.
Das beginnt in der Schule, zieht sich durchs Studium und dann weiter hinein ins Berufsleben. Unter meinen deutschen und japanischen Interviewpartnerinnen und -partnern hatten viele die Vorstellung, dass dieser Druck mit dem Eintritt ins Arbeitsleben aufhört. Die Realität sah aber meist anders aus: Die Anspannung wuchs noch, weil der erste Job auf wenige Monate befristet war, oder hohe Leistung bei extremen Arbeitszeiten forderte. Einige hielten diesem Druck nicht stand und erlebten eine Art Burn-out bis hin zu starken psychischen Problemen. Das gab es in Deutschland genauso wie in Japan. Im Großen und Ganzen ist mein Eindruck aber, dass die jungen Deutschen mit den Risiken postmoderner Erwerbsbiographien besser umzugehen wissen als ihre japanischen
Altersgenossen. Das liegt möglicherweise daran, dass sie nicht mit der Erwartung aufgewachsen sind, ein Leben lang bei einer Firma zu arbeiten. In Japan ist das immer noch die Idealvorstellung. So steht etwa bei der Wahl der Universität und des Studienfachs nicht die Frage im Vordergrund, was man einmal inhaltlich machen möchte, sondern wie hoch der Anteil von Absolventen dieser Universität ist, der bei einem großen Unternehmen festangestellt wird. Von beruflicher Selbstverwirklichung ist man da weit entfernt.

Quelle: http://gab.hypotheses.org/1493

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DH-Videoclip Adventskalender – Tür 12

Nach dem Clip des County of Grande Prairie No. 1 zu Open Data / Open Government am Dienstag macht Tür Nummer 12 heute weiter mit dem Thema Linked Open Data.

Das Video, ein Fundstück auf dem EuropeanaEU’s channel, zeigt die Funktionsweise von Linked Open Data “und warum es ist eine gute Sache, sowohl für Nutzer als auch für Data Provider” ist. (Quelle: YouTube http://youtu.be/I17KxXVCrvw)

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4405

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