9. Niemand will mächtig sein (2/3)

Sagen Sie, kennen Sie den fahrigen Adligen aus dem Ersten, der sich über Bürger und Politikerinnen lustig macht? Seinem Amüsement pflichten viele seiner Zuhörer bei und stimmen ihm durch begeisterte Akklamation eigentlich im jedem Punkt zu. Denken Sie nicht, dass dies ein Beispiel dafür ist, dass Macht eben nicht immer Durchsetzung gegen den Willen anderer ist, sondern ebenso die geschickte, beispielsweise rhetorisch geschliffene Überzeugung zur Zustimmung?

Die Pointe des letzten Eintrags war eigentlich Folgende: Man kann Macht dekonstruieren (Applaus von den hinteren Sitzreihen, von hinten links, von Derrida). Sie ist kein Ziel an sich, sondern nur Mittel. Mittel ohne Ziel ist zwecklos. Also muss man sich zunächst über die Ziele im Klaren sein, wobei herauskommen kann, dass viele davon eigentlich keinerlei Machtposition bedürfen, die mit einer herausgehobenen Stellung einhergeht. Will man beispielsweise das Ziel verfolgen, ein glückliches Leben zuführen, sollte man sich tunlichst von herausgehobenen Stellungen fernhalten. Warum, werden wir gleich sehen.

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Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/595

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10. Niemand will mächtig sein (1/3)

Haben Sie Zeit? Der Artikel ist etwas länger als sonst. Ich würde mich freuen, Ihre Meinung zu hören.

Der Begriff der Macht ist allgegenwärtig. Dadurch wird er idealisiert und nervt (klasse Folgerung). Denn wenn man keine bessere Erklärung für die Motivation einer Person hat, heißt es entweder, sie habe sich finanziell bereichern wollen, oder die Ausübung von Macht sei im Spiel gewesen. In einer Definition, die man bei der Bundeszentrale für politische Bildung online findet, wird Macht definiert als „ein politisch-soziologischer Grundbegriff, der für Abhängigkeits- ober Überlegenheitsverhältnisse verwendet wird, d. h. für die Möglichkeit der Machthabenden, ohne Zustimmung, gegen den Willen oder trotz Widerstandes anderer die eigenen Ziele durchzusetzen und zu verwirklichen.

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Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/583

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12. Der Anfang vom Ende der Demut am Ende der Diss als Anfang

Wissen Sie was? Ich Ich bin zufällig wieder auf Marc Aurel (121 – 180 n. Chr.) gestoßen, den Philosophen-König. Und der hat ja ein Büchlein geschrieben, in dem er im Selbstgespräch seinen eigenen Charakter prüft, um zu schauen, ob er philosophischen Forstschritt gemacht hat, oder ob er „ein bisschen ein Otto gewordén ist“. Immer hat er da rein geschrieben, ganz klare und ehrliche Gedanken. Wirklich schön diese “Selbstbetrachtungen”.

Nur leider mache ich mir jetzt Sorgen. Um mich selbst aber auch um alle anderen Doktoranden, die bald ihre Promotion abschließen werden.

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Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/562

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13. Zwei Passagen aus Diogenes Laertios

Im Buch Von den Leben und den Meinungen berühmter Philosophen des Diogenes Laertios lernt man viel über merkwürdige Eigenheiten von Philosophen. Es gibt zum Beispiel eine interessante Passage über Platon: Platon soll nämlich einmal auf ein Pferd gestiegen sein und seltsamerweise im selben Augenblick auch wieder abgestiegen sein. Und das ist eine Anekdote wert. Denn auf die Frage, wieso er das gemacht habe, antwortete er, dass er Hochmut habe aufkommen fühlen (III, 1, 39). Interessant, wie er auf seine eigene Tugendhaftgkeit geachtet hat, oder?

Im Griechischen steht an dieser Stelle übrigens das Wort hyppo-typhia (ἱπποτυφίᾳ), das für gewöhnlich mit Stolz übersetzt wird. Aber irgendwie würde ich eher Hochmut oder etwas in diese Richtung vermuten.

Jedenfalls gibt es eine weitere Passage.

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Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/550

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16. Humor im wissenschaftsaffinen Philosophieblog? Ein Unding;

Wissen Sie, was ich mich frage? Mein Blog hat einen humoristischen Charakter, aber darf ich wirklich lustig über philosophische Themen schreiben? Ich weiß, dass es bei uns so ist, falls jemand fragt, ob er etwas dürfe, reflexartig “natürlich” geantwortet wird. “Wer kann mir das schon verbieten?” Wir leben irgendwie in einem voluntaristischen Zeitalter. Aber das ist nicht, was ich meine. Was ich meine, ist etwas ganz anderes: Ich möchte wissen, ob es angemessen ist, so zu schreiben. Die Angemessenheit einer Sache interessiert mich, wissen Sie? Ob es würdig genug ist, so zu schreiben. Schließlich ist Philosophie die Auseinandersetzung mit den wichtigsten Dingen überhaupt. Aber diese Dinge sind eben nicht lustig. Nun hat Aristoteles vor Kurzem über die lustige Komödie Folgendes geschrieben:

“Die Komödie ist, wie wir sagten, Nachahmung von schlechteren Menschen, aber nicht im Hinblick auf jede Art von Schlechtigkeit, sondern nur insoweit, als das Lächerliche am Hässlichen teilhat. Das Lächerliche ist nämlich ein mit Hässlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht, wie ja auch die lächerliche Maske hässlich und verzerrt ist, jedoch ohne den Ausdruck von Schmerz.” (Aristoteles’ Poetik 5, Übers. Manfred Fuhrmann)

Offenbar ist das Lustige in der Komödie auf eine eigentümliche Weise mit der Hässlichkeit und der Schlechtigkeit verbunden. Könnte es auch in diesem Blog der Fall sein? Mein Blog-Humor beschränkt sich einerseits auf lustige Beispiele (Ethik als Buffet) und Redewendungen (das Glück einer Gurke), unerwartete Gedankensprünge (laberrhabarber), dann darauf dass ich antike Philosophen zu modernen Fragestellungen so befrage, dass es zumindest nicht unwahrscheinlich ist, dass sie so abgebrüht etwas darüber sagen könnten (Platon über das Internet). Und schließlich hat man immer Freue daran, unwichtige Attribute der Protagonisten herauszuheben (Bärte, polierte Schienbeinschoner, eben alles, was zählt). Aber ist es angemessen, so über philosophische Fragen zu schreiben? Während Aristoteles eher die Ernsthaftigkeit in der Philosophie in den Vordergrund stellt – schließlich nennt er den Menschen mit gutem Charakter Spoudaios (übersetzt heißt das etwa: jemand, der etwas mit Ernst betreibt (vgl. z. B. Schottländer 1980: Der aristotelische Spoudaios)) – kennen wir die berühmte sokratische Ironie in Platons Dialogen (vgl. Vlastos 1987: Socratic irony), die offenbar das Gegenteil verfolgt. So regt sich beispielsweise Trasymachos, der Gesprächspartner des Sokrates, in der Politeia (337a) auf, weil Sokrates ihn mit seiner Art zu fragen und zu antworten nervt:

„Der lachte auf diese Worte hin lauthals und recht höhnisch heraus und sagte: ‘Bei Herakles, da ist sie, jene für Sokrates typische Ironie; ich wusste es ja und hatte es denen da gleich gesagt, dass du nicht antworten wolltest, sondern ironisch würdest und alles andere eher machtest als zu antworten, wenn dich einer etwas fragt.’” (Übers. Gottwein)

Bemerkenswert ist aber, dass Sokrates nur mit schlechten Gesprächspartnern trickreich umgeht. Wirklich lustig ist er, weil er mit seiner penetranten Art jeden zur Weißglut bringt, besonders bei Gorgias, Protagoras und auch mit dem genannten Trasymachos. Er scheint ein Talent dafür zu haben, die stolzen, aufgeblasenen Charaktere so zu reizen, dass sie zuerst platzen und dann anfangen nachzudenken. Aber im Gespräch mit der klugen Priesterin Diotima, mit dem begabten und interessierten Theaitetos oder mit dem viel älteren und weisen Parmenides suchen wir seine Ironie vergeblich. Er scheint sich also seinen Gesprächspartnern und den Situationen anzupassen.

Und nun? Welche Lehre ziehe ich daraus? Ist es unwürdig, so über Philosophie zu schreiben? Wenn das die einzige Annäherung wäre und es meinerseits kein Motiv gäbe, meine Leserinnen und Leser dazu zu bewegen, sich vielleicht in einem unerwarteten Moment an die eine oder andere Zeile hieraus zu erinnern und ohne die humoristische Komponente weiterzumachen, dann wäre es unwürdig. Ich aber glaube, ich kann wegen meiner guten Intention so weitermachen. Denn wenn ich nicht unterhaltsam schreiben würde, würde niemand mehr Lust haben, sich mit diesen philosophischen Inhalten auseinanderzusetzen. Diejenigen, die es ernst haben wollen und Zeit haben, sich intensiver mit der Philosophie auseinanderzusetzen, sind schließlich herzlich willkommen, die Ironie abzulegen und die Sache wirklich ernst zu betreiben, den Gedanken auf den Grund zu gehen, die Wahrheitsfindung zum eigenen Antrieb zu machen. In diesem Sinne und bis dahin aber hier ein Tipp für ein Buch, das Ihnen die Tränen in die Augen treiben könnte, falls Sie es möchten: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes.

Herzliche Grüße

D.

@philophiso

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/506

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17. Eine Lanze für die Antike („Was uns fremd scheint, ist so nah“) brechen.

Ich möchte eine Replik auf einen Artikel schreiben, den ich vor einigen Tagen gelesen habe, und der für die Beschäftigung mit der Antike eintritt, besonders für die klassischen Sprachen. Dem möchte ich noch einige eigene Gedanken beipflichten. Ob es plausibel ist, was ich schreibe, können Sie gerne selbst entscheiden und sich dann freuen, dass Sie für Ihre Kleinen doch Englisch, Französisch oder Spanisch gewählt haben (oder hui Chinesisch)! Was ich natürlich noch schöner fände ist aber, wenn Sie ihre Argumente pro und contra ebenfalls hinzufügen würden! Aber ich weiß ja, Sie haben keine Zeit. Niemand hat Zeit. Außer die antiken Texte, diese haben nämlich immer gemächlich gewartet; Darauf, dass sie entdeckt oder wiederentdeckt werden und vor allem darauf, dass sie gelesen werden und entzünden. Entzünden? „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst”, meinen einige, habe Augustinus gesagt. Können tote Sprachen dies noch? Entzünden?

Der Artkel, um den es geht, heißt „Was uns fremd scheint, ist so nah“ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/die-bedeutung-alter-sprachen-fuer-modernes-denken-13524589.html, 09.04,15), und die Autorin präsentiert Ihnen (ja „Ihnen“, da ich ja schon überzeugt bin) folgende Argumente dafür, dass die klassischen Sprachen und Inhalte auch im Schulunterricht nicht fehlen sollten: Denn die Antike sei der Grundstein unserer Identität, die Beschäftigung mit den Texten schulten das Denken und Fühlen, ließen Phantasie und kulturelle Kompetenz entwickeln und seien ganz einfach schön (ein Augenzwinkern von Seiten des Neuplatonismus: Einfach Schön).

Entzündet Sie das bereits? Oder würden Sie immer noch sagen, wird bräuchten lieber Wirtschaftsunterricht ab der 2. Klasse (Taschengeldkompetenzmodul), als die Zeit, von der wir so wenig haben, mit toten Sprachen zu verschwenden? Ja, ich bin polemisch, aber schauen Sie: Interessanterweise hat jede Beschäftigung mit der Antike zu einem geistigen, sozialen und kulturellen Feuerwerk geführt. Stichwort: Renaissance, Stichwort: Byzantinischer Humanismus, Stichwort: Hellenistisches Christentum (oder ist das selbst noch Antike?), Stichwort: Zweite Sophistik, Stichwort: Avicenna, Stichwort: Aufklärung, Stichwort: Milindapañha in Indien, Stichwort: Thomas von Aquin, Stichwort: Humanismus, Stichwort: Klassizismus in Architektur und Kunst. Stichwort: Die Liste könnte beliebig verlängert werden. Was würden Sie über einen „Gelehrten“ sagen, der im 14. Jahrhundert vor der Renaissance gesagt hätte, „die Beschäftigung mit der Antike ist Zeitverschwendung“, oder vor der Aufklärung „die Antike ist tot“ oder vor Thomas von Aquin, „Aristoteles ist Vergangenheit“? Sie würden diese Person gehässig auslachen („Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“ (angeblich von Wilhelm II.)) . Aber was wird man in Zukunft über Sie sagen? Über uns? Wird man sagen, wir seien teil einer weitsichtigen Generation gewesen?

Die Antike hat lange gewartet und wurde ohne eigenes Zutun immer wieder entdeckt. Unsere heutige Abneigung gegen sie ist drei Dingen geschuldet: Wir fühlen uns allen anderen Epochen gegenüber überlegen (und sind es natürlich auch in gewissen Bereichen, in anderen aber wiederum nicht). Zweitens glauben wir an den Fortschritt (den es ebenfalls offenkundig in vielen Bereichen gibt, aber natürlich nicht in allen und auch nicht absolut). Klarerweise gelten beide Aussagen jedoch nur für einige Teilbereiche des Lebens und einige Wissenschaften. Und drittens haben wir ein “Gustav-Schwab-Bild” der Antike, in dem es nur darum ging, wie sich ein paar (ganz lustige, aber ansonsten fragwürdige) Götter verkleideten. Dem ist aber natürlich nicht so. Inspiriert durch einen lüsternen Zeus und einen betrunkenen Dionysos errichten Sie keine Renaissance: Wir finden kaum in sonst einer Epoche so scharfe Argumente, so pointierte Aussagen über den Menschen und die Welt, so objektive Umzeichnungen wie in den antiken Texten. Kaum irgendwo so sachliche Auseinandersetzungen, so klare Gedanken und so tragische Dilemmata, nirgends so inspirierenden Zweideutigkeiten, Witz, Größe. Nirgends die Eloquenz und Beredsamkeit, die in vielen Bereichen (aber auch hier gilt: natürlich nicht in allen) Standards gesetzt hat. Und nirgends die notwendige Entfernung und gleichzeitige Ähnlichkeit, die uns den reinen Spiegel vorhalten kann.

Wieso sich also eher mit der Antike beschäftigen oder sich von ihr inspirieren lassen und sich damit in die großen Epochen der Weltgeschichte einreihen als noch ein Kompetenzmodul für den unmittelbaren Nutzen zu belegen? Sehen Sie, es geht doch nicht um das Entweder-Oder. Es geht um die gute Balance. Und da müssen wir uns fragen: Sind wir heute weitsichtig? Weitsichtiger als unsereiner in anderen Epochen, wenn wir so viel Wert auf Lehre und Bildung nur als Mittel legen und nicht als Ziel? Thomas Morus sagt wohl: „Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“ Ja, das gilt auch für die Beschäftigkung mit der Antike. Wenn Sie mir nicht glauben und sagen, ich sei voreingenommen, weil es mein Fach sei, lade ich Sie herzlich ein, sich ein genaues Bild zu machen, das über Gustav Schwabs Sagen des klassischen Altertums hinausgeht und die gedankliche und gefühlsmäßige Größe dieser Sprachen in den Blick nimmt. Wollen Sie dem Dilemma zwischen menschlichem Recht und göttlichem Gebot auf den Grund gehen? Lassen Sie sich von Aischylos’ Orestie inspirieren. Wollen Sie wissen, wie man neutrale Distanz zwischen verschiedenen Parteien negativ nutzen kann? Lassen Sie sich vom Melierdialog aus dem Peloponnesischen Krieg des Thukydides inspirieren. Brauchen sie Stütze im Alltag? Lassen Sie sich von Seneca inspirieren und bauen Sie auf diesen Fundamenten, was Sie möchten, übertreffen Sie die Standards, wenn Sie wollen.

Niemand soll müssen, aber irgendjemandem diese gedanklichen und gefühlsmäßigen Schätze gänzlich zu verwehren, die Möglichkeit zu nehmen, und damit möglicherweise auch die Inspiration für die Zukunft zu ersticken, wäre eine Schande. Befreien Sie sich vom „Gustav Schwab Bild“ der Antike und prüfen Sie, ob mein Argument mit der Weitsichtigkeit stichhaltig ist oder nicht. Die konstruktive und fruchtvolle Auseinandersetzung ist schließlich wunderbar in den platonsichen Dialogen in Vollendung zu betrachten.

Wenn es Sie also interessiert: Twitter: @philophiso

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/483

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18. Der Durchkreuzer Darwin – Ideenlehre läuft bei dir (nicht)

Es könnte alles so einfach sein. Es war alles so einfach, bis 1809, dem Geburtsjahr des Traumschiff-Superstars und Forschers Charles Robert Darwin, dem unangepasstesten Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts, dem Kopernikus der Biologie. Robert entwickelte nämlich eine Theorie, die die gesamte Wissenschaft auf den Kopf stellten sollte, auch die Philosophie (ja, Philosophie ist eine Wissenschaft (ja, sie ist die Wissenschaft schlechthin)). Aber was hat er angestellt, um in die Geschichtsbücher einzugehen? Warum waren seine Beobachtungen so wichtig, dass Sie sie leicht verändert auch heute noch lehren? Wie konnten Tagebücher über Korallenriffe und Forschungen an Tieren am anderen Ende der Welt zu den bedeutendsten Werken der Wissenschaft führen?

Die Antwort ist: „The survival of the fittest“. Das müsste Ihnen ein Begriff sein. Und hier trennt sich nun die Spreu vom Weizen: Sind Sie nämlich im Investmentbanking oder im Finanzsektor tätig, dann verstehen Sie unter fittest „Bester“. Nur die Besten kommen weiter. Und Sie gehören zu den Besten, weil Sie besonders durchsetzungsstark sind. Keine Teilnehmerurkunde, eine Siegerurkunde oder gar nichts ist die Lehre, die Sie aus der Natur schöpfen können. “Du bes ne ganz welde Tiger”. Sind Sie hingegen Absolvent eines Englischstudiums oder besitzen ein Wörterbuch, wissen Sie, fittest bedeutet Angepasstester. Die Angepasstesten überleben also. Ein Hurra auf die kommende Generation!

Und warum ist das jetzt eine Revolution? Empedokles (philosophierte von 492 v. Chr. – 432 v. Chr.) hatte doch schon vor 2300 Jahren eine Evolutionstheorie entwickelt. Was hat Darwin also, was Empedokles nicht hatte? – Ich sage es Ihnen. Robert hat die platonisch-aristotelische Philosophie im Hintergrund. Anders als Empedokles hatte er die etablierte Einsicht der platonisch-aristotelsichen Ideen und Formenlehre evolviert (super passendes Wort, ne?).

Trotz der gravierenden Unterschiede der Ontologien (der Lehren vom Sein) unserer beiden zentralen Büsten waren Sie sich in einem Punkt sicher einig. Die Arten, also Mensch, Hund, Pferd, Baum, Gras, Moos waren ewig. Sie manifestierten sich in immer neuen Individuen, waren aber an sich wesentlich unveränderbar und kamen schlichtweg immer wieder auf immer gleiche Weise immer hervor. Die kleinen Unterschiede haben eine andere Erklärung (auf die wir vielleicht im nächsten Eintrag eingehen können). Dafür dass es so ist spricht zwar einiges, Darwin hat aber gezeigt, dass diese Annahmen falsch sind. Und damit hat er eine Einsicht auf den Kopf gestellt, die sich sehr lange Zeit gehalten hat. Diese Leistung kann Empedokles nicht vorweisen. Er war offenbar angepasster an seine Zeit.

Nun, wäre jemand altra-antik eingestellt, könnte er mit zwei Strategien doch noch versuchen die Ideenlehre zu retten. Nein, nicht indem er hirnlos gegen Darwin poltert. Aber wäre es nicht möglich, die Entwicklung einer Art, sagen wir des Menschen aus dem Affen als Realisierung der Idee des Menschen zu begreifen? Die antiken Mittelbüsten meinten, dass jedes Individuum zuerst wachse und dann vergehe. Die Realisierung einer Idee oder Form in einem Individuum geschehe ja nicht plötzlich, sondern bedürfe der Zeit. Wenn jemand diese Ansicht nicht auf das Individuum, sondern auf die Art als Ganze anwendet, könnte er irgendwie die Ideenlehre mit dem Darwinismus zu vereinbaren suchen. Sicherlich ein schwieriges Unterfangen.

Leichter ist der andere Versuch. Denn laut Platon gibt es über den Ideen eine weitere Stufe von „Ideen“. Diese sind die sogenannten höchsten Gattungen (Obacht, auf Griechisch: megista genê). Alle fünf höchsten Gattungen sind notwendige Bedingungen für jede andere Existenz. Es handelt sich dabei um: Sein, Identität, Differenz, Bewegung, Stillstand. Diese höchsten Gattungen (lesen Sie mal den Dialog Sophistês) gehen allem anderen voraus, jeder Existenz, jedem Lebewesen, jedem Naturgesetz. Ohne diese höchsten Gattungen kann man keine Mathematik formulieren, keinen Urknall annehmen, keine Existenz begründen. Sie sind notwendig und plausibler Weise immer da. Könnte man so eine Teilvereinbarung zwischen Darwin und den Antiken bewerkstelligen? Möchten Sie sich nicht dieser Aufgabe annehmen?

Fällt Ihnen noch eine andere Weise ein, die Ideen und Formenlehre mit dem Darwinismus zu vereinigen? Es müsste sicher Tonnen an Literatur geben, oder?

Einen guten Start in die Woche.

D.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/470

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19. Das Wichtigste liegt natürlich immer in der Mitte

Die Beiträge werden seltener, die Schreibarbeit an meiner Doktorarbeit nimmt nämlich eigentlich die ganze Zeit weg. Aber das kann ich mir nicht entgehen lassen. Endlich kann ich nämlich mal mit erhobenem Zeigefinger auf unsere Büsten zugehen:

Das, was in der Mitte ist, ist immer wichtiger als das, was außen steht. Offensichtlich ging das geozentrische Weltbild genau von diesem Gedanken aus. So ist natürlich beim Menschen der Bauchnabel besonders wichtig, auf der Tastatur der Buchstabe H, für die Europäische Union die Gemeinde Westerngrund und in der Gleichung „Zwei plus Vier gleich Sechs“ die zweite Vier. Natürlich ist bei all diesen Beispielen der Ort zweitrangig und tritt hinter eine andere Struktur zurück, welche die Mitte in einer anderen Weise konstituiert.

Jetzt könnte man sagen, die Leute in der Antike hätten einfach nicht richtig hingeschaut. Schließlich sieht es ja so aus, als würde sich alles um uns drehen, wenn man einmal in den Nachthimmel blickt. Wissen sie aber, was ich merkwürdig finde? Seit den Platonikern gab es eigentlich keinen Grund mehr, die Erde konzeptionell in die Mitte des Kosmos zu setzen. Wenn man nicht banaler Weise die Mittigkeit des Ortes als Korrelat für seine Wichtigkeit  versteht, sondern beispielsweise den wichtigsten Ort für die Funktionalität der Sache metaphorisch als Mitte bezeichnet, beispielsweise für den Menschen das Hirn, das Herz oder das Zwerchfell, ist doch vieles gewonnen. Die Erde war für die Platoniker nur ein Abbild einer höheren Wirklichkeit, der platonischen Ideenwelt. Klar, die Ideenwelt hat keinen Ort. Aber dennoch: Die Unwichtigkeit der wahrnehmbaren Welt in den Augen der Platoniker nimmt doch auch die Notwendigkeit, diese in die Mitte zu setzen. Naja, das ist alles Spekulation. Aber auch Aristoteles hat die supralunare Welt, also alles, was über dem Mond ist, für beständiger gehalten, ohne sie in die Mitte zu setzen oder den unbewegten Beweger, die Ursache des Kosmos. Wieso also dabei bleiben, so einen Ort in die Mitte des Kosmos zu setzen, wenn es ein heliozentrisches Weltbild zu Lebzeiten des Sokrates schon gab? Ein gewisser Philolaos soll es als Erster vorgeschlagen haben.

Anders als unsere Büsten, gehen Sie davon aus, dass die unbedeutende Erde in zufälligerweise glücklicher Entfernung von der Sonne, in einem Seitenarm der Galaxie, in einem Teil eines Galaxienhaufens, eines Teiles eines Superhaufens in einem unwichtigen Filament des unkonzipierbar großen Unversums liegt, sodass sie zur Bedeutungslosigkeit verschwindet. Ein hauch Nihilismus macht sich breit. Auf der anderen Seite ist das Wenigste immer am wertvollsten. Wie wertvoll sind Sie also im Angesicht des riesigen Universums?

Lesen Sie doch mal Platons Dialog Timaios mit einer uralten Erzählung über die Entstehung der Welt, der Elemente und der Geschöpfe.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/463

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20. Die zähe Schreibarbeit am Anfang der Schlussphase

Manchmal ist es zäh, ein Doktorand zu sein. Man mischt und knetet und wenn man die rohe Mixtur zu Papier bringen will, ist man die einzige Person im Universum, die versteht, was da eigentlich steht. Deshalb möchte ich in weiser Voraussicht und im Sinne einer Jobgarantie für künftige Psychologinnen und Psychologen, die meine ständigen Vergleiche der Doktorarbeit mit italienischen Gerichten untersuchen werden, dieselbe als einen Pizzateig verstehen. Immer dann wenn man gerade denkt, der Inhalt sei verträglich, merkt man eigentlich, dass er noch zu dick ist, um als Pizza durchzugehen und dass der potenzielle Genießer sich im rohen Teil festbeißen und bestenfalls seine Dritten dort parken würde. Deshalb muss man mit dem Nudelholz der Klarheit immer und immer wieder drübergehen, bis sie für jedermann genießbar wird.

Genau das fiel mir gerade auf, als ich einen Vergleich zwischen den Ansichten meines Autors über die christliche Trinität und Iamblichs Trinität zum Hauptgang des ersten Kapitels zaubern wollte. Eigentlich ist nämlich nur klar, dass nichts darüber klar ist, was Iamblich damals meinte. Iamblich, der Philosoph des 3. und 4. Jhs. (aus Chalkis) ist so etwas wie Pizzawürze für fade Neuplatoniker. Er bringt mit seinen Aussagen über Theurgie und Mathematik (tatsächlich) etwas Schwung in den Ofen der intelligiblen Gerichte. Und man verwendet ihn zwar, um dem Ganzen etwas Geschmack zu geben, aber richtig natürlich ist er nicht. Das ist so einer, der die ganzen “E” auf der Zutatenliste präsentiert und dennoch das Label “ohne künstliche Zusatzstoffe” bekommt. Was ich damit sagen möchte? Bleibt unklar wie Iamblichs Mathematik und neuplatonische Trinitätslehre. Was ich aber damit meine, ist hingegen ganz einfach: Der Autor, den ich bearbeite, hatte im 11. Jahrhundert großes Interesse an neuplatonischen Zutaten und erhielt uns als einziger die Texte dieses Iamblich aus der Spätantike über die pythagoreische Mathematik. Das muss in meiner Darstellung klarer werden. Sehen Sie, wir haben nämlich durch meine Bearbeitung des Psellos ganze vier Lagen von Zutaten übereinander! Nämlich seine eigenen Ansichten, dann die des Iamblich und diejenigen, welche Iamblich auslegte, also die der pythagoreischen Schule. Über diese drei ergießt sich in aller Gemächlichkeit der Käse, den ich produziere zu einem einzigartigen Gericht. Was für eine Freude für mich und mein Kapitel. Für die richtige Mischung muss ich allerdings selbst jetzt genauer verstehen, was in der zweiten Lage so steht. Diese Erkenntnis habe ich besser zu spät (also jetzt) als nie, sodass ich mich noch einmal an´s Lesen machen muss. Juhuu!..

Sollten Sie das inhaltslose Geplänkel also auch leid sein und sich endlich wieder mit Inhalten auseinandersetzen wollen, dann nehmen Sie beherzt Gabel, Messer und folgendes Buch in die Hand und sagen sie mir, was Iamblich da so erzählt. Da mein Autor sich mit ihm auseinandergesetzt hat, bleibt mir nichts übrig, als auch genau zu verstehen, was er so verstanden hat. Grüße nach einem langen Arbeitsteig am Schreibtisch:

Dominic J. O'Meara: Pythagoras Revived. Mathematics and Philosophy in Late Antiquity. Clarendon Press, Oxford 1997

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/449

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20. Die zähe Schreibarbeit am Anfang der Schlussphase

Manchmal ist es zäh, ein Doktorand zu sein. Man mischt und knetet und wenn man die rohe Mixtur zu Papier bringen will, ist man die einzige Person im Universum, die versteht, was da eigentlich steht. Deshalb möchte ich in weiser Voraussicht und im Sinne einer Jobgarantie für künftige Psychologinnen und Psychologen, die meine ständigen Vergleiche der Doktorarbeit mit italienischen Gerichten untersuchen werden, dieselbe als einen Pizzateig verstehen. Immer dann wenn man gerade denkt, der Inhalt sei verträglich, merkt man eigentlich, dass er noch zu dick ist, um als Pizza durchzugehen und dass der potenzielle Genießer sich im rohen Teil festbeißen und bestenfalls seine Dritten dort parken würde. Deshalb muss man mit dem Nudelholz der Klarheit immer und immer wieder drübergehen, bis sie für jedermann genießbar wird.

Genau das fiel mir gerade auf, als ich einen Vergleich zwischen den Ansichten meines Autors über die christliche Trinität und Iamblichs Trinität zum Hauptgang des ersten Kapitels zaubern wollte. Eigentlich ist nämlich nur klar, dass nichts darüber klar ist, was Iamblich damals meinte. Iamblich, der Philosoph des 3. und 4. Jhs. (aus Chalkis) ist so etwas wie Pizzawürze für fade Neuplatoniker. Er bringt mit seinen Aussagen über Theurgie und Mathematik (tatsächlich) etwas Schwung in den Ofen der intelligiblen Gerichte. Und man verwendet ihn zwar, um dem Ganzen etwas Geschmack zu geben, aber richtig natürlich ist er nicht. Das ist so einer, der die ganzen “E” auf der Zutatenliste präsentiert und dennoch das Label “ohne künstliche Zusatzstoffe” bekommt. Was ich damit sagen möchte? Bleibt unklar wie Iamblichs Mathematik und neuplatonische Trinitätslehre. Was ich aber damit meine, ist hingegen ganz einfach: Der Autor, den ich bearbeite, hatte im 11. Jahrhundert großes Interesse an neuplatonischen Zutaten und erhielt uns als einziger einige wichtige Texte dieses Iamblich aus der Spätantike über die pythagoreische Mathematik. Das muss in meiner Darstellung klarer werden. Sehen Sie, wir haben nämlich durch meine Bearbeitung des Psellos ganze vier Lagen von Zutaten übereinander! Nämlich seine eigenen Ansichten, dann die des Iamblich und diejenigen, welche Iamblich auslegte, also die der pythagoreischen Schule. Über diese drei ergießt sich in aller Gemächlichkeit der Käse, den ich produziere zu einem einzigartigen Gericht. Was für eine Freude für mich und mein Kapitel. Für die richtige Mischung muss ich allerdings selbst jetzt genauer verstehen, was in der zweiten Lage so steht. Diese Erkenntnis habe ich besser zu spät (also jetzt) als nie, sodass ich mich noch einmal an´s Lesen machen muss. Juhuu!..

Sollten Sie das inhaltslose Geplänkel also auch leid sein und sich endlich wieder mit Inhalten auseinandersetzen wollen, dann nehmen Sie beherzt Gabel, Messer und folgendes Buch in die Hand und sagen sie mir, was Iamblich da so erzählt. Da mein Autor sich mit ihm auseinandergesetzt hat, bleibt mir nichts übrig, als auch genau zu verstehen, was er so verstanden hat. Grüße nach einem langen Arbeitsteig am Schreibtisch:

Dominic J. O’Meara: Pythagoras Revived. Mathematics and Philosophy in Late Antiquity. Clarendon Press, Oxford 1997

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/449

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