Ein Friedenswerk im Völkerringen – Kriegserinnerungen von Dr. Josef Schofer I

Über den Weltkrieg sind schon ziemlich viel Bücher erschienen. Die meisten berichten von dem kriegerischen Geschehen, die einen mehr von der Strategie, die andern mehr von den furchtbaren Opfern. Nur wenige erzählen direkt von der seelischen Welt im Völkerringen. Wo man solchen Versuchen begegnet, hat man da und dort den Eindruck, daß die geschichtliche Wahrheit nicht in allweg zur Geltung gelangt.

Es liegt in der Natur der Sache, daß der Feldgeistliche die seelische Welt zu beobachten besonders in der Lage war. Freilich, auch er war auf einen kleinen Ausschnitt aus dem ganzen angewiesen; allein, die Aussprachen, auch Konferenzen mit anderen erweiterten das Blickfeld und ergänzten und bereicherten die selbstgewonnenen Erkenntnisse. So dürften auch die Kriegserinnerungen eines Feldgeistlichen allgemein einiges Interesse bieten.

Von vielen Kameraden wurde der Wunsch ausgesprochen, ich sollte zur Feder greifen und meine Kriegserinnerungen niederschreiben und vorlegen. Diese Anregungen haben auf mich Eindruck gemacht. So habe ich denn meine Tagebücher und die spärlichen Aktenblätter gemustert und mich entschlossen, meine Kriegserinnerungen in schlichter Form dem Volke zu erzählen. Von der Seelsorge gehe ich aus und der Seelsorge zu nutzen ist eines meiner Ziele.

Nun soll die Erzählung auch einen Namen haben. So will‘s die Ordnung. Gut, dann sollen die schlichten Erinnerungen, die ich meinen Kameraden widmen möchte, die Überschrift haben: Ein Friedenswerk im Völkerringen.

1. Die Schicksalsstunde schlägt.

Die Kunde von der furchtbaren Mordtat in Sarajewo, die mich bei einer Pastorellen Aushilfe an der Liebfrauenkirche in Mannheim traf, ließ den entsetzlichen Ernst der Lage alsbald erkennen. Die Hoffnungen, daß der Friede erhalten bleibe, waren mehr auf dem lockeren Boden der frommen Wünsche, als auf dem Felsenfundament der sicheren Tatsachen aufgebaut. Die Verhandlungen der Staatsmänner führten tatsächlich in den Weltkrieg hinein. Damit war vorab meiner Vereinsarbeit ein jähes Ende bereitet; andere seelsorgerliche Aufgaben drängten dafür bald heran.

Tausende und Tausende folgten dem Ruf des Vaterlandes zu den Waffen. Freiburg war nicht der letzte Sammelplatz. Einquartierungen kamen und gingen. Noch nie sah ich allenthalben eine so hochgehende vaterländische Begeisterung; wohl alle im Volke erblickten in dem Krieg eine Abwehrmaßnahme zur Rettung des Vaterlandes; niemand unter uns dachte an Eroberungen. So stand es im gewöhnlichen Volk.

Die geographische Lage von Baden hatte unser Heimatland dem Krieg gleich zu Beginn unheimlich nahe gebracht. Gegenüber dem Oberelsaß und nur durch den Rhein getrennt von dem Vorstoß der Franzosen von Belfort her, liegt das badische Oberland. Es wäre, wenn ein französischer Übergang über den Rhein gelungen wäre, dem ersten Anprall des feindlichen Einmarsches ausgesetzt gewesen. Ehe aber noch die Stimme des Kriegs grollte über die Hügel, auf denen der Markgräfler wächst, erfolgte in den ersten Tagen der deutschen Mobilmachung von der Schweizergrenze her ein anderer Einmarsch: Der Strom Tausender von Deutschen aus der Schweiz, die in der Grenzstadt Lörrach ihrer militärischen Gestellungspflicht zu genügen hatten, mündete in Oberbaden. Er war so stark, daß er alle Vorkehrungen überstieg. Er brachte die erste große Einquartierung dieses Kriegs, tagelang bis in die Dörfer hinaus. Gleichzeitig kamen die langen Züge mit Reservisten und Landwehrmännern; von Freiwilligen aber gab‘s eine solche Menge, daß viele abgewiesen werden mußten. Sie versuchten ihr Glück dann weiter unten im Land, meist mit dem gleichen Geschick. Wenn sie kamen, war schon alles überfüllt.

Da war ein Junge, der wollte um jeden Preis mit. Er war über seine Jahre körperlich stark, aber noch nicht einmal 16 Jahre alt. Natürlich, er wird zurückgewiesen. Die Eltern verwehren ihm die Meldung. Er brennt ihnen aber heimlich durch. Gelingt‘s ihm nicht zu Land, denkt er, so vielleicht auf dem Wasser. In einem Militärzug kommt er bis an die Nordsee, nach Wilhelmshaven. Von unterwegs meldet er‘s den Seinen. Nach ein paar Tagen kommt er wieder vom Bahnhof zurück. Niedergeschlagen erzählt er, daß sie ihn auch an der Wasserkante nicht genommen. 10000 überzählige Freiwillige hätten sie dort zurückgewiesen! So muß er sich mit den anderen trösten, aber denken wird der Junge an seine Fahrt, sein Leben lang. Er hat von der ernsten Zeit doch etwas miterlebt. Das ist nur ein Beispiel für ungezählte.

Überall in jenen Tagen ein ernster, froher Mut der waffenfähigen Jugend, feste Entschlossenheit der Landwehrmänner. Es sind fast durchweg Familienväter. Sie wissen, wofür sie kämpfen. Trupp für Trupp, mit vaterländischem Sang, zum Bahnhof, um in die Züge verladen zu werden. So ging‘s Tag für Tag. Stark und beruhigend zugleich war der Eindruck, den dieses Vorspiel des gewaltigen Schicksals, das jetzt anhub, in der Bevölkerung zurückließ. Jedes fühlte: Wie reich ist das Vaterland an opferwilligen Menschen! Es weiß fast gar nicht, wohin mit all seinem Überfluß. Und wie entschlossen kommen alle seine Kinder zurück und wollen ihrer Mutter Heimat beistehen in der Stunde der Gefahr. Idealismus und Opfergeist beseelen so ziemlich das ganze Volk ohne Rücksicht auf Partei und Konfession.

Auf den Trubel der Mobilmachungstage folgte Ruhe. Aber es war eine unheimliche Ruhe. Friedevoll lag die schöne Landschaft da im üppigen Kleid eines prangenden Sommers. Aber die Menschen waren voll innerer Unruhe; wie ein schwerer Druck, wie die Last eines harten Schicksals lag‘s auch auf der Schönheit der Natur, auf den Herzen der Menschen. Noch sah man die Wirklichkeit des Krieges nicht, aber man hörte und fühlte ihn. Bald sollte man auch seine Opfer sehen. Die Offensive der Franzosen von Belfort her hatte begonnen. In dumpfen Schlägen kam der Kanonendonner über den Rhein herüber und rollte vom Istein her, wieder hinüber ins Elsaß. Unheimlich, wenn durch die Nächte der Donner grollte. Die gefährliche Nähe ward jedem zum jähen Bewußtsein, als die Nachricht kam: Mülhausen ist von den Franzosen besetzt! Ihre Patrouillen standen wirklich in den Elsässer Orten zunächst der badischen Grenze. Aber trotz der Nähe der Gefahr kann man nicht sagen, daß irgend etwas, wie eine Panik, unsere Bevölkerung ergriffen hätte. Dazu war das Vertrauen in unser Heer und seine Leitung damals viel zu stark. Aber ein begreiflicher Druck und eine unheimliche Spannung lag doch auf den Gemütern. Sie löste sich, als der Sieg der deutschen Truppen bei Mülhausen, ihr Sieg gegen eine Übermacht, nach schweren Stunden des Harrens bekannt wurde. Die Franzosen haben dann ihre Vorstöße im Oberelsaß drüben wiederholt und sind auch wieder vorgedrungen. Aber man könnte nicht sagen, daß sich die Bevölkerung gegenüber im nahen badischen Gebiet irgendwie dadurch allzu stark beunruhigt fühlte. Diese Stimmung der Zuversicht und des Vertrauens ist die ersten schweren Jahre über im allgemeinen geblieben. Kein Ereignis hat sie vorerst wesentlich erschüttern können. Aus dem evangelischen Markgräflerland zeichnete damals eine Feder folgendes religiöse Stimmungsbild:

„In Stadt und Land sind die Kirchen anhaltend überfüllt. Aus den Gemeinden heraus kommt das Verlangen nach mehr Gottesdiensten, Erbauung auch in der Woche. Ganze Schichten, die dem kirchlichen Leben entfremdet waren, nehmen wieder teil. Man wird diese Erscheinung gewiß nicht überschätzen dürfen und wird von vornherein auch mit ihrem Abflauen rechnen müssen. Aber sie wird ihre Frucht darum doch zurücklassen. Der Ernst dieser schweren Zeit wird seinen Segen an manchem Herzen dauernd wirken. Er wird auch äußerlich fester werden. Die religiöse Welle zeigte sich besonders stark auch in der katholischen Bevölkerung. Die Gotteshäuser waren täglich auffallend stark, besucht. Der Sakramentenempfang stieg Tag für Lag. Immer und immer wieder kamen sie, um Rosenkränze und Medaillen weihen zu lassen. Sie sollten den ausziehenden Krieger in den Gefahren seines Dienstes vor dem Feinde begleiten. Mich in den Dienst dieser tiefen Religiosität, in den Dienst der Seelen zu stellen, war mir alsbald ein förmliches Bedürfnis“

Das Wesentliche in diesem Bilde ist einer Korrespondenz aus Baden an die „Neue Züricher Zeitung“ vom 28. August 1914 entnommen. Sie stammt nach allem aus dem Markgräflerland.

Mit dem 2. August 1914 beginnt nun mein erstes Kriegstagebuch. Ich habe es bis zum 12. November 1918 fortgeführt. Daß ich es nicht ausführlicher und sorgfältiger geführt habe, bedauere ich heute über alle Maßen. Auch so enthalten indes diese Blätter aus dem Kriege vieles, was mir heute lieb und wertvoll ist. Die äußeren Kriegsereignisse treten darin zurück, die seelische Welt kommt dafür weit mehr zur Geltung. Vielleicht verdient gerade diese es nicht minder, festgehalten zu werden, wie es verdienen die Siege und Niederlagen, die Erfolge und Mißerfolge der Waffen, die dann zur Umgestaltung der zivilisierten Welt führten und noch führen. Das stille Heldentum verdient oft mehr unsere Bewunderung und Dankbarkeit wie jenes, das vor aller Augen veröffentlicht und auch mit viel Recht gepriesen wird. Die Seelenwunden und der Seelentod, die sittlichen Schlachten haben auch ihre Rechte und Ansprüche.

Man hat den Krieg schon gepriesen als „ein Stahlbad“, in dem sich die sittliche Größe eines Volkes erneuere. Ich teile diese Meinung im allgemeinen nicht. Der Krieg hat viel mehr nur allzu leicht den sittlichen Zerfall im Gefolge, vollends, wenn die vaterländische Begeisterung in den Verdacht umschlägt, daß so oder so die Menschenopfer auf dem Altäre des Mammons dargebracht würden und grad das Unrecht durch die Gewalt zum Siege gelange.

Wer in die Tiefen auch des sittlichen Zerfalls geschaut, wie es dem Seelsorger so oft beschieden war, in zerstörtes Familienglück, in die Abgründe des zerbrochenen Seelenfriedens, in die Ströme von Tränen und Blut, in die zerstörten Städte und Dörfer, in den Zusammenbruch von Disziplin und Ordnung, in den Sturz von Thronen und Kronen, der denkt nicht so sehr an „ein Stahlbad“ zur Gesundung, sondern an eine furchtbare Heimsuchung mit ungeheuerem Niederbruch. Aus ihm emporzusteigen, dazu bedarf‘s der natürlichen und übernatürlichen Lebenskräfte in einem außerordentlichen Ausmaß. Der Aufstieg ist nach dem dreißigjährigen Krieg, er ist nach den napoleonischen Zeiten gelungen, möge er auch nach dem Weltkriege wieder gelingen und gelten das Dichterwort, daß blüht aus den Ruinen neues Leben. Was Gottes Vorsehung gewollt, als sie die Geißel über das kultursrohe und übersättigte Europa kommen ließ, das ist uns im einzelnen verborgen. Eines aber wissen wir: eine Zeitperiode ist abgeschlossen, eine andere hat begonnen: allein auch für sie gelten die ewigen Gesetze Gottes. Auch sie ist an den Scheideweg für oder gegen Gottes Gesetz gestellt. Der Anfang der Weisheit, auch der Staatsweisheit, ist nun einmal die Furcht Gottes! Daran kann auch die neue Zeit-Periode nicht ungestraft vorbei.

(Fortsetzung folgt.)

Schofer, Josef: Ein Friedenswerk im Völkerringen. In: St. Konradsblatt Jg. 14 (1930), Nr. 7, S. 81–82.

Quelle: http://tagebuch.hypotheses.org/347

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Bis zur Einberufung im November 1914

Am 21. August 1914 erreichten Freiburg frohe Neuigkeieiten von der Front: „Siegreiche Schlachten zwischen Metz und den Vogesen“, titelte die Freiburger Zeitung in einer Extraausgabe.

Titelbild der Freiburger Zeitung zum 21.8.1914.

Titelbild der Freiburger Zeitung zum 21.8.1914.

„Deo gratias. Requiem aeternam donna eis Domine, eis den Tapferen, die solchen Sieg mit ihrem Herzblut erkauft haben. Jetzt ins Münster, um Gott zu danken“, kommentierte Mayer die Nachrichten. Mit diesen Worten der Freude enden im späten August 1914 vorläufig seine Aufzeichnungen der damaligen Geschehnisse. Erst im Zuge seiner Einberufung als freiwilliger Feldgeistlicher wird er Ende November wieder regelmäßig zur Feder greifen.

Das liegt sicher nicht am Mangel an Ereignissen. Für Freiburg und seine Bürger bedeutete das Ende des Sommers nicht das Ende einer aufregenden Zeit, sondern im Grunde erst deren Anfang.

Auf den großen Sieg bei Metz folgten Niederlagen, die für die Stadt eine reale Gefahrensituation erzeugte. Freiburg wurde zur Fronstadt, in der der Krieg allgegenwärtig erfahrbar wurde1 : durch die Einquartierung von Soldaten, den Verwundeten, die schon bald die Lazarette der Stadt überfüllten, und die „dumpfen Schläge […] des Kanonendonner[s] über den Rhein herüber“2 .

Gleichzeitig trennten sich die Wege der Bevölkerung. Die Soldaten der in Freiburg stationierten 29. Division zog es an die Front. Noch Anfang August kam es zu ersten Gefechten in den Vogesen, gegen Ende des Jahres wurde die Division dann in Flandern eingesetzt. Auch die 28. Division, der Mayer angehören würde, marschierte über Freiburg in den Krieg. Beide waren teil des 14. Armee-Korps, welches die badischen Truppen des Heeres umfasste. Alois Maier, der Divisionspriester der 28. Division und Mayers späterer Vorgesetzter, notierte die Ereignisse dieser Zeit, die bis November 1914 durch den Bewegungskrieg gekennzeichnet waren.3

„Am 2.8.: Kam ich in meiner Garnison Mülhausen i. Els. an, wohin mich ein Telegramm zurückrief, da ich in Schlesien im Urlaub war.

Vom 2.-5.8: Berichten und Abschiedsgottesdienste in Mülhausen i.E.

Am 6.8.: Meldung bei der 28. Division in Karlsruhe.

Vom 8.-15.8: Abtransport nach Freiburg, Marsch über Breisach und Ensisheim nach Mülhausen i.E. wo ich mit der großen Bagage am 11.8. anlangte. In den Lazaretten sehr viele Verwundete aus der Schlacht bei Mülhausen besucht.

Am 15.8.: Abtransport nach Ahrweiler.

Vom 16.-19.8: in Pfalzburg, wo ich die Lazarette besuchte und Beerdigungen vornahm.

Vom 20.-28.8: Vormarsch durch Lothringen über Cirey nach Baccarat. Ich war meistens bei dem 2. Sanitätstrup, um auf dessen Hauptverbandsplatz mich der Verwundeten annehmen zu können. Ich arbeitete auf den Hauptverbandsplätzen von Gunzweiler, Forsthaus Glasematten (Truppenhauptverbandsplatz), dem Schlachtfeld Hochwalsch, in Harzweiler, bei Forsthaus Hess. Besonders groß und aufregend war die Arbeit in Bertrichamp in der Nacht vom 26. zum 27.

Vom 28.8 bis 11.9. in Baccarat. Hier waren zum 1. Male Feldgottesdienste, zu dem bisher bei dem unaufhörlichen Vorrücken bei Tage und bei Nacht keine Gelegenheit war. Auch in der Kampffront bei Ménil ward Gottesdienst gehalten. Anfangs gab es für uns Divisionspfarrer auch sehr viel Arbeit in den Lazaretten, bis endlich die Lazarettpfarrer ankamen. Wiederholt habe ich beerdigt; wurde auch nachts zu Sterbenden geholt und hielt täglich Gottesdienst in der Kapelle der Kristallfabrik.

Am 11.9. Rückwärts bis Altville in Lothringen.

Vom 17.9. bis 20.9. Marsch über Remilly, Boin a/S, Borny nach Pagny.

Vom 21.-25.9. pastorierte ich von Pagny aus das Feldlazaret 12 in Vandières, den Verbandsplatz in Vilcey, s. Trey und Fey en Haye.

Vom 25.-30.9. in Thiaucourt. Hier und in Viéville Feldgottesdienste auf dem Hauptverbandsplatz in Viéville, zu dem wie bisher immer die Kirche und einige größere Häuser (Schule) verwandt wurden. Abtransport nach Nordfrankreich

Vom 3.-5.10. Fahrt von Metz über Namur bis Mons.

5.-10.10. Marsch über Boudé St. Amand, Orchies, Mons en Pévèle, Le-forest, Ostricourt, Bourrières, Harnes bis Loison (bei Lens). Hier blieben wir bis zum 12.10. Ich hielt mehrere Feldgottesdienste bei der Bagage und begab mich zu Pferd nach Hulluch, wo ich den Hauptverbandsplatz vorfand.

Vom 12.10.-21.10. Mit der Bagage zuerst drei Tage in Vendin le Vieil und dann vom 15/10 ab in Pont à Vendin einquartiert besuchte ich täglich den Hauptverbandsplatz der zuerst in Huluch, dann in Vendin sich befand und hielt oft Begräbnisse. Vor allem konnte ich für alle Truppen wieder regelmäßig Gottesdienst halten und beichten ansetzen. Die Gottesdienste fanden statt in der noch erhaltenen Kirche oder im Freien, in Pont à Vendin, Veudin le Vieil (alle Tage), Hulluch, Wingles, je einmal in Bouvin und Meurdin. Am 29.10 bereitete ich einen Soldaten auf den Tod vor, der wegen Mordes erschossen wurde.

Vom 21.-30.11. Die Division wurde verlegt und ich in der neuen Stellung im D. St. Quartier in Billy Montigny untergebracht. Hier, in Sallaumines und Lens hielt ich Gottesdienst und besuchte den Hauptverbandsplatz und das Feldlazarett in Lens. Die vielen Verwundeten in Lens bewogen mich, bald mich vom Stabe zu trennen und nach Lens überzusiedeln.“

Für die Daheimgebliebenen begann vor allem eine Zeit der Ungewissheit, um die Angehörigen an der Front, aber auch um die eigene Zukunft. „[D]ie Menschen waren voll innerer Unruhe“, berichtet Schofer4, schlimme Gerüchte über eine Gefährdung der Stadt schürten diese Nervosität:

„Gestern im Laufe des Tages verbreitete sich das Gerücht: Belfort sei erstürmt. Von anderer Seite hieß es: vier Zeppeline seien zugrunde gerichtet worden. Beides war natürlich ganz aus der Luft gegriffen. Neulich hörte ich bei Schermers, ein Augenzeuge habe berichtet, die Brücke zwischen Alt- und Neu-Breisach sei gesprengt worden, ein Hauptmann und sieben Mann seien tot am Brückenkopf gelegen – demnach hätten die Franzosen also schon die Festung Neu-Breisach haben müssen. Hinter stellte sich heraus, daß es sich um eine kleine Brücke bei Mülhausen gehandelt hätte.“5

Mit den ersten Verwundeten kam auch das Elend des Krieges in die Stadt, „ein erschütternder Anblick“, wie Charlotte Herder ihrem Tagebuch anvertraute.6

Auch das Umfeld des Freiburger Ordinariats erlebte die erste Phase des Krieges. Zwar war der Großteil des Klerus vom Dienst an der Waffe ausgenommen, vor allem die Theologiestudenten des Konvikts hatten aber zu dienen. Außerdem waren die hauptamtlichen Militärgeistlichen bei Ihren Divisionen an der Front, so der oben zitierte Alois Maier. Diese Priester erlebten den Krieg als Angehörige des Militärs von Anfang an.7

Für die regulären Diözesanpriester wie Fridolin Mayer begann Ende August zunächst eine Zeit des Wartens. „Auf den Trubel der Mobilmachungstage folgte Ruhe“, notiert Josef Schofer in seinen Erinnerungen.8

Diese Ruhe führte aber keineswegs zur Untätigkeit. Gerade im Umfeld von Konvikt und Missionsinstitut hatten viele, vor allem junge Priester, ähnliche Gedanken wie Schofer: „Ich hatte nur einen Wunsch: Bald fort zu kommen und den Soldaten Seelsorger sein zu können.“9

Schnell zeichnete es sich ab, dass sich dieser Wunsch bald erfüllen würde. Da die Zahl der regulären Militärgeistlichen auf eine Pastoration in Friedenszeiten ausgelegt war, stellte sie sich für die Realität des Krieges als hoffnungslos zu klein heraus. Daher wurden freiwillige Feldgeistliche aus den Diözesen gesucht, was auf großen Zuspruch stieß: „Um zur dringlichen, von hoher Kirchenbehörde gewünschten Hebung der bisher mangelhaften Feldseelsorge nach Kräften mitzuwirken, hat der gehorsamst Unterzeichnete sich dem H. H. Armeebischof für die Dauer des Krieges zur Verfügung gestellt […].“10

Ende November – der Bewegungskrieg war mittlerweile zum Stellungskrieg erstarrt -, rückten etwa 20 Diözesanpriester, darunter Fridolin Mayer, zu den Divisionen des 14. AK ins Feld ein.

Die Ereignisse bis zu diesem Zeitpunkt sowie die Vorbereitungen dieser Geistlichen sind durch einen Bericht von Dr. Josef Schofer bezeugt, der in den kommenden Wochen in loser Folge zusammen mit kleineren Quellen publiziert wird. Ab dem 30. November erscheinen dann täglich Mayers größere Berichte aus seiner Tätigkeit in Frankreich.

 

  1. vgl. hierzu Roger Chickering: Freiburg im Ersten Weltkrieg. Totaler Krieg und städtischer Alltag 1914-1918. Paderborn 2009.
  2. Josef Schofer: Ein Friedenswerk im Völkerringen. In: St. Konradsblatt Jg. 14 (1930), Nr. 7, S. 81–82, hier S. 81.
  3. Bericht des Divisionspfarrers Alois Maier vom 7. April 1916 in Karlsruhe, GLA 546 F 11 Nr. 370
  4. Vgl. Anm. 2
  5. Charlotte Herder: Mein Kriegstagebuch. Freiburg 1955, S. 15.
  6. Ebd., S. 18
  7. Vgl. zur Kriegsseelsorge Hans-Josef Wollasch: Militärseelsorge im Ersten Weltkrieg: das Kriegstagebuch des katholischen Feldgeistlichen Benedict Kreutz. Mainz 1987.
  8. Vgl. Anm. 2
  9. Vgl. Josef Schofer: Ein Friedenswerk im Völkerringen. In: St. Konradsblatt Jg. 14 (1930), Nr. 10, S. 126.
  10. Mayers Schreiben vom 23. Oktober 1914 an das Erzbischöfliche Ordinariat EAF B2-35/5, Vorgang 12075.

Quelle: http://tagebuch.hypotheses.org/489

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Der Erste Weltkrieg in bewegten Bildern

Der Erste Weltkrieg in bewegten Bildern:

Das European Film Gateway bietet seit Februar 2013 Zugang zu rund 2.900 historischen Filmen mit Bezug zum Ersten Weltkrieg. Im Rahmen des Projekts EFG1914 haben europäische Filmarchive große Teile ihrer Sammlungen zum Ersten Weltkrieg digitalisiert. Rechtzeitig zum 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs sind nun alle in den Archiven digitalisierten Filme über das European Film Gateway verfügbar.

Zu den ausgewählten Filmen zählen Wochenschauen, Dokumentar- und Spielfilme sowie Propaganda. Das Material ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, da heute nur noch geschätzte 20 Prozent aller zur Stummfilmzeit entstandenen Filme erhalten sind. Vor diesem Hintergrund bilden die im Rahmen von EFG1914 digitalisierten Filme einen erheblichen Teil der in den Archiven noch vorhandenen Bestände dieser Zeit ab.”1

Trailer des Projekts.

Schön gemacht sind auch die virtuellen Ausstellungen. Filme von religiösen Zeremonien konnten wir leider keine finden.

  1. Vgl. Ankündigkungstext.

Quelle: http://tagebuch.hypotheses.org/364

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