Wissenschaftlich schreiben und lesen

Unter dem Titel “Orte der Einkehr” berichtet die duz von der Expansion universitärer Schreibzentren, von der zunehmenden Vernetzung der entsprechenden universitären Akteure und der Gründung der Gesellschaft für Schreibforschung und Schreibdidaktik. Die duz schließt sich dem Appell der Gesellschaft an: Es braucht mehr Geld, das konstant und damit erwartbar zur Verfügung stehe; Schreibausbildung sei ein zentraler Bestandteil des Bologna-Studiums. Es brauche auch einen sichtbaren Ort, der für Beratung, Workshops und Gruppenarbeit genutzt werden könne. Personell seien mindestens ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, ein Koordinator und mehrere studentische Hilfskräfte nötig. Zudem sollten Universitäten in die Weiterbildung dieser Mitarbeiter investieren.

Wahrscheinlich wird eine solche Forderung jene, die sie überhaupt wahrnehmen, eher polarisieren; die einen werden sie für einen Ausdruck der Bologna-Bulimie halten (Techniken ohne Inhalte), andere werden darin einen Beitrag zum Erwerben der gegenüber Fachinhalten viel wichtigeren Schlüsselkompetenzen sehen.

Produktiver ist jedoch wohl ein dritter Weg: die Integration der Schreib- und Leseschulung in das fachwissenschaftliche Studium, ausgerichtet an fachlichen Inhalten, die zugleich auch Fachkompetenz, Selbstkompetenz und Sozialkompetenz schulen. Im Studiengang B.A. Geschichte (Kernfach) gibt es gegenwärtig eine Übung Historische Darstellung im Modul Grundlagen, Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft (1./2. Semester), die die Sensibilität für die textliche Verfasstheit historischer Erkenntnisse fördern soll. Hier sind Lesen und Schreiben in einer Veranstaltung miteinander integriert. Zugleich wird das Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten in vier Proseminaren eigens thematisiert – keine Mainzer Errungenschaft, sondern ein Standard in der geschichtswissenschaftlichen Ausbildung. Hört man sich jedoch in anderen geisteswissenschaftlichen Fächern um, so scheint die Erkenntnis, dass man Lesen und Schreiben schulen muss, nicht überall verbreitet. Häufiger ist das Klagen, das Studierende ohne Lesemotivation und ohne besondere Talente im Schreiben an die Universtät kommen. Das wird jedoch nicht durchweg in eine universitäre Aufgabe übersetzt.

Die Universität Mainz geht tendenziell verschiedene Wege: Manche Fachbereiche bemühen sich um fachbereichsweite Angebote, andernorts integrieren Fächer das Lesen und Schreiben in ihr Curriculum. Die Universität organisiert über die Universitätsbibliothek eine “Lange Nacht der Hausarbeiten”, in denen nicht nur Lesen und Schreiben angesprochen, sondern auch viele weitere Themen berührt werden. Als offenes Angebot hat das einen hohen Wert. Und im Rahmen des Qualitätspaktes Lehre wurde ein Angebot geschaffen, in dem sich Lehrende und studentische Tutoren intern in der aktivierenden Textarbeit weiterbilden können.

Braucht es dann noch Schreibzentren? Im Sinne der inneruniverstären wisseschaftlichen Weiterbildung sicherlich. Ob man aber die Arbeit mit Studierenden in Schreibzentren auslagern darf, ist zumindest ambivalent: Es entlastet die Fächer, die sich dann wieder auf ihre Inhalte konzentrieren können, zu sehr: Sie werden aus der Pflicht entlassen, sich selbst darum zu kümmern. Mein Eindruck ist, dass sie eher stärker in die Pflicht genommen werden müssten. Auch das peer-to-peer Gespräch über Texte, die man liest, und solche, die man schreibt, scheinen vom innerfachlichen Gegenstand, an den sie in der oben genannten Übung gebunden sind, zu profitieren. Und die textliche Verfasstheit der fachwissenschaftlichen Erkenntnisse differiert so deutlich, dass es lohnen dürfte, diese Aufgabe ins Fach zu geben. Die Studierenden – und die Lehrenden – werden hiervon sicherlich profitieren.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/88

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Bologna am Ende?

Heute nur ein kurzer Eintrag – auch wenn es eine kleine Revolution anzuzeigen gilt. Die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Novosti verkündet das Ende der Bologna-Studiengänge an den Militärhochschulen des Landes. Was ist passiert? Ist das die Wende, von der Bologna-Kritiker seit Jahren träumen; steht hier ein Land gegen die Zumutungen der Studienreformen auf?

Vielleicht lohnt ein kurzer Blick auf die Kernziele der Bologna-Reformen. Da ging es vorrangig um die internationale Mobilität der Studierenden, um die internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse (ausgedrückt unter anderem in Leistungspunkten, aber vor allem – ausgehend von den Dublin Descriptors – in Niveaustufen eines Qualifikationsrahmens, der erstmalig grenzüberschreitend Niveaubeschreibungen skizzierte) und um die employability der Studierenden (was nicht das Gleiche ist wie eine Orientierung an den kurzfristigen Beschäftigungsperspektiven von Unternehmen).

Vielleicht ist ja die Mobilität der russischen Kadetten nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit der russländischen Armee; vielleicht ist ihre employability auf einem internationalen Arbeitsmarkt auch nicht das Hauptausbildungsziel. Für die Studiengänge, die von manch einem Bologna-Kritiker bespielt werden, dürfte das anders aussehen.

(Kurze Apologie: Das mag so wirken, als sei ich mit allem, was sich unter dem Label “Bologna” verbirgt, glücklich; das wäre falsch verstanden. Ich habe aber meine Schwierigkeiten mit dem üblichen Bologna-Bashing, das auch in höheren Universitätskreisen betrieben wird; den Spieß wollte ich wenigstens einmal umdrehen.)

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/54

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Wie Studierende denken, wenn man der FAZ Glauben schenken möchte …

Es mag schon eine ältere Veröffentlichung sein, aber sie hat mich nachhaltig geärgert und irritiert:Am 24.06.2012 schrieb der Soziologe Georg Kamphausen unter dem Titel “Wie Studenten denken” über Studierende, die seinen Ansprüchen in einer Klausur offenbar nicht gerecht geworden waren. Aufhänger seiner Polemik war eine Karikatur, auf der ein Lehrer mit blauem Auge der Mutter eines Skinheads erklärt: “Ihr Sohn ist kein Choleriker. Er ist einfach emotional intelligent.”

Nachdem Kamphausen die vermeintliche Verschulung der Wissenskultur an der Universität (“Mit der Bachelor- und Modularisierung ihrer Studiengänge schließt die Universität nahtlos an die schulische Praxis der Wissensvermittlung an, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu vermitteln, ohne die lästige Frage zu stellen, was sich denn eigentlich zu wissen lohnt, und die Kunst zu lehren, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.”) und die wachsende Relevanz von Lehrbüchern, Skripten und PowerPoint-Präsentationen kritisiert hat, kommt er auf seinen eigentlichen Punkt zu sprechen: “Was, aber vor allem wie denken unsere Studenten?”

Ausgangspunkt ist die bereits erwähnte Karikatur. Nach Kamphausens eigener Auskunft bestand die Klausuraufgabe darin, diese Karikatur zu “kommentieren”.Dabei ging es ihm “darum festzustellen, ob junge Leute mit Abitur in der Lage sind, ein eigenständiges Urteil zu begründen”. Ausführlich legt er dann Auszüge aus den Klausuren vor, die vor allem eines dokumentiere: Die Studierenden kommen mit der gestellten Aufgabenicht klar.

Ist das ein Wunder? “Kommentieren Sie die Karikatur” ist keine präzise Aufgabenstellung; selbst ein Zusatz wie “… und begründen Sie Ihr Urteil” würde diesen Mangel nicht heilen. Ein Studierender kann eine solche Aufgabe gar nicht zufriedenstellend lösen; er kann alles Mögliche kommentieren (und beispielsweise laut darüber nachdenken, wieso diese Karikatur nicht in Farbe abgedruckt wird), ohne dass eine Abweichung von der Zielsetzung der Aufgabe deutlich würde.

Viel interessanter und aussagekräftiger aber sind die Antworten, wenn man versucht, aus Ihnen Rückschlüsse über die der Klausur zugrundliegende Vorlesung (“Einführung in die Soziologie”) zu ziehen. Viele Antworten bemühen sich sichtlich, einen der soziologischen Klassiker (Max Weber, Theodor W. Adorno u.v.a.) heranzuziehen, um in deren Diktion eine Reaktion auf die unglückliche Aufgabenstellung zu formulieren. Offenkundig bestand die Vorlesung aus einer in solchen Einführungsvorlesungen leider üblichen Reihung soziologischer Klassiker – viele Lehrbücher, die in die Soziologie einführen, sind genauso aufgebaut. Ein problemorientierter Ansatz würde anders aussehen.

Vielleicht ist das dem Autor selbst undeutlich klar, denn er schreibt einleitend:

“Ein Problem als Problem zu behandeln, eine Frage als Frage zu erörtern ist daher nicht das Ziel modularisierter Vorlesungen. Es werden nur Fragen gestellt, auf die es auch eine Antwort gibt, Beobachtungen gemacht, aus denen sich Regeln ableiten lassen.”

Sollte er seine eigene Vorlesung so aufgebaut haben wie beschrieben, als Reihung von Klassikern ohne Problemorientierung, dann würden die studentischen Klausurantworten Sinn ergeben. Und eine solche Vorlesung würde auch die Aufgabenstellung erklären helfen: Wer nicht so recht weiß, wie er Studierende in soziologisches Denken (und eben nicht in Klassiker!) einführt, der weiß auch nicht recht, wie er entsprechende Prüfungsaufgaben stellen sollte.Kompetenzorientieres Prüfen heißt zuerst: Studierende vor Probleme stellen, die sie nur lösen können, wenn sie die fachspezifischen Standards des Problemlösens beherrschen. Das stellt für Vorlesungen natürlich eine besondere Herausforderung dar.

“An den Universitäten herrscht eine große Hilflosigkeit vor Texten und ein Mangel an Urteilskraft” – so fasst Kamphausen seine Eindrücke zusammen. Was viel mehr erschüttert, ist seine Hilflosigkeit vor Lehre und Prüfungen und sein Mangel an Selbstreflexion.

Quelle: http://geschichtsadmin.hypotheses.org/35

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