Abraham und die Sterne am Himmel

Undank ist der Welten Lohn! Da ruft die GEO in einem Sonderheft die 100 größten Forscher aller Zeiten aus und übergeht dabei den größten, weil ersten, Forscher. Die Rede ist natürlich vom Begründer der Astronomie: von Abraham.

“Moment”, wird jetzt sicher der eine oder andere denken, “Abraham?” Als Stammvater der Israeliten kennt man ihn aus der Bibel, aber nun auch Stammvater der Astronomen, das scheint doch arg weit hergeholt.

Abraham als Vater der drei Weltreligionen. Moulins, bibliothèque municipale classée, Manuscrit 1, f. 256r. 12. Jahrhundert.

Abraham als Vater der drei Weltreligionen. Moulins, bibliothèque municipale classée, Manuscrit 1, f. 256r. 12. Jahrhundert.

Ist es auch, und zwar aus der jüdischen Antike, genauer den Antiquitates Judaicae, den Jüdischen Altertümern des Flavius Josephus.1 Dieser schrieb über Abraham, der zunächst in Chaldäa lebte, folgende Zeilen:

(158) Eine Erwähnung unseres Vaters Abraham findet sich bei Berosos, nicht namentlich, aber mit folgenden Worten: Nach der Sintflut, in der zehnten Generation, gab es bei den Chaldäern einen gerechten und bedeutenden Mann, erfahren auch in Himmelskunde.“ ((Flavius Josephus: Antiquitates Judaicae, 1,1-2,200. Vorveröffentlichung der Übersetzung des Institutum Judaicum Delitzschianum, 1,154-157, S. 21.))

Und weiter:

(154) Abraham […] gewann ungeheuer leicht Einsicht in alle Dinge und wirkte überzeugend auf alle, die ihm zuhörten und ging in seinen Einschätzungen nie fehl. (155) Daher begann er mehr als die anderen über Tugend nachzudenken und beschloss daraufhin, das allgemein übliche Gottesverständnis neu und anders zu fassen. So wagte er als erster, zu lehren, dass Gott Schöpfer des Alls sei, einer; und wenn von den übrigen (Mächten) eine etwas zum Lebensglück beitrage, tue dies jede nach seiner Anordnung und nicht aus eigener Kraft. (156) Er schloss das aus den wechselnden Vorgängen auf Erde und Meer und all dem, was sich mit Sonne, Mond und allen Himmelskörpern abspielt: Hätten sie (eigene) Kraft, würden sie ihre eigene Ordnung selbst regeln (so lehrte er); doch dass sie über keine solche verfügten, sei offensichtlich, und gar nichts zu unserem Nutzen beitragen könnten aus eigener Vollmacht, sondern dass sie entsprechend der Stärke des (ihnen) Befehlenden Dienst leisten müssten, dem gebührenderweise allein die Ehre und der Dank zu erweisen seien. (157) Als deswegen die Chaldäer und die übrigen Mesopotamier sich gegen ihn erhoben, hielt er es für gut umzusiedeln und bekam nach dem Willen und mit der Hilfe Gottes das kanaanäische Land; dort ansässig geworden, errichtete er einen Altar und brachte Gott ein Opfer dar.2

Abraham war nach Flavius Josephus nicht nur ein Experte in der Astronomie, mit Hilfe seiner Sternkunde erfand er nebenbei auch noch den Monotheismus (man beachte die Reihenfolge!). Daneben war Abraham exzellent in der Lehre, wovon vor allem die Ägypter profitierten.

(166) Die Ägypter hatten (damals) an anderen Sitten Gefallen (als andere) und machten die Lebensregeln anderer schlecht, wurden deswegen (sogar) unter sich feindselig; da besprach er sich mit ihrer jedem, spottete über die Begründungen, die sie für ihre eigenen (Ansichten) vorbrachten, und wies nach, dass sie gehaltslos waren und nichts Wahres an sich hatten. (167) Er wurde folglich von ihnen bewundert in diesen Zusammenkünften als überaus verständig und als ein Mann mit enormer Begabung nicht nur nachzudenken, sondern auch mit seinen Worten zu überzeugen in allem, was er zu lehren sich vornahm; so schenkte er ihnen die Arithmetik und vermittelte ihnen die gesamte Astronomie. (168) Denn vor dem Kommen Abrahams nach Ägypten waren die Ägypter in diesen Dingen unwissend; von den Chaldäern kamen sie nach Ägypten, von wo sie auch zu den Griechen gelangten.3

Das astronomische Wissen der Antike, der Ägypter und Griechen sei also weniger deren eigener Verdienst, sondern ginge in Wahrheit auf Abraham zurück. Damit ist es letztlich gar nicht heidnischen Ursprungs, sondern wurzelt im monotheistischen Judentum und dient auch als Möglichkeit der Gotteserkenntnis.

Ab dem 11. Jahrhundert tritt Abraham übrigens vermehrt als Nutzer eines astronomischen Instruments auf, von dem hier schon vermehrt die Rede war, dem Astrolab.4 Und das wohl nicht ohne Grund. Während Astronomie gerade im frühen Mittelalter vor allem auf tradiertem Buchwissen basierte (nicht nur, aber vor allem), begannen Gelehrte wie Hermann von der Reichenau und Wilhelm von Hirsau mit der Beobachtung und Messung des Sternenlaufes, unter anderem anhand des Astrolabs.5

Abraham mit Astrolab. Ausschnitt aus Paris, BNF Lat. 12117, f. 106r. 11. Jahrhundert.

Abraham mit Astrolab. Ausschnitt aus Paris, BNF Lat. 12117, f. 106r. 11. Jahrhundert.

Diese wissenschaftliche Tätigkeit stieß nicht überall auf Gegenliebe. Das lag wohl weniger an der Wissenschaftfeindlichkeit des Mittelalters, sondern an der Erwartung, dass Mönche sich eigentlich auf das Gebet konzentrieren sollten. Verdächtig war darüber hinaus auch die Herkunft des Wissens bzw. des Instrumentes, dem sich die Forscher bedienten: dem muslimischen Orient.6

Durch die Verbindung ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit mit Abraham konnten monastische Wissenschaftler gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie entkräfteten zum einen den Vorwurf, einer heidnischen Tätigkeit nachzugehen; zum anderen stellten sie ihre wissenschaftliche Tätigkeit dem täglichen Gebet zumindest ein bisschen gleich. Wenn schon Abraham die Sternenkunde als Weg zur Gotteserkenntnis diente, konnte sie für den einfachen Mönch so falsch nicht sein.

Auch der alte Abraham hatte dadurch – Dank der Vermittlung des Flavius Josephus – seinen Anteil an der Entwicklung der modernen Naturwissenschaft. Ob das einen Platz unter den wichtigsten 100 Forschern in der GEO rechtfertigt, das sei anderen überlassen.

  1. Zu den Gründen, die Flavius Josephus zu dieser Verknüpfung von Abraham und Astronomie bewogen haben vgl. Reed, Annette Yoshiko: Abraham as Chaldean scientist and father oft he Jews. Josephus ant. 1.154-168 and the Greco-Roman discourse about astronomy/astrology. In: Journal for the Study of Judaism 35,2 (2004), S. 119-158.
  2. Ebd.
  3. Ebd., S. 22.
  4. Vgl. Borrelli, Arianna: Aspects of the astrolabe: architectonia ratio in tenth- and eleventh-century Europe. 2008, S. 170 und 212f.
  5. Vgl. Wiesenbach, Joachim: Wilhelm von Hirsau: Astrolab und Astronomie im 11. Jahrhundert. In: Schreiber, Klaus (Hg.): Hirsau St. Peter und Paul 1091-1991, Bd. 2. Stuttgart 1991, S. 109-154.
  6. Vgl. ebd., 145/146.

Quelle: http://quadrivium.hypotheses.org/355

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