Die Romantik des Obstbaums

Die Vorbereitung auf das Seminar zur Lebensreform geht weiter. Am Wochenende dann auch mal ganz praktisch: Ein Ausflug zur Obstbaukolonie Eden in Oranienburg stand auf dem Programm. Da ich gerade von Berlin aus arbeite, bot sich das ja an.

Eden ist eine Siedlungskolonie, die im Jahr 1893 in Berlin (übrigens in Moabit – mein Stadtteil!) gegründet wurde, als vegetarische Obstbaukolonie. Hier verbanden sich Lebensreform, Ernährungsreform und Bodenreform zu einem einzigartigen Projekt. Das Logo der Kolonie, das man dort an jeder Ecke findet, symbolisiert mit seinen drei Bäumen diese drei Reformstränge.

Logo von Eden

Das “Logo” von Eden mit den drei Bäumen – Lebensreform, Ernährungsreform, Bodenreform Foto: A. Schlimm, CC-BY-SA

Eden war nicht die einzige Siedlungskolonie, das bei weitem nicht. Aber doch die erfolgreichste. Die Genossenschaft besteht noch (bzw. wieder – nach der Wende neu gegründet), und ein bisschen „Reform“ ist auch noch zu spüren, wenn man den selbstgebackenen Vollkorn-Obstkuchen im Vereinscafé genießt, danach einen Spaziergang durch die Kolonie macht, vorbei an KiTa und Reformschule, und dabei ein Storch über dem Kopf (also sehr weit über dem Kopf) kreist.
Eden war auch lange Zeit wirtschaftlich ziemlich erfolgreich – wer öfter im Reformhaus einkauft, kennt vielleicht die Marke „Eden“, die um die Jahrhundertwende hier entwickelt wurde, nach dem Zweiten Weltkrieg dann ihren Sitz im Taunus hatte und schließlich 1991 in die Schweiz verkauft wurde. Vor allem Obstprodukte und vegetarische Fleischalternativen wurden hier hergestellt und vermarktet.
Auch bei Bilz (Ihr erinnert Euch?) spielte das Obst eine wichtige Rolle. Er forderte viel mehr Möglichkeiten für Obstanbau, weil das (angeblich) so wenig Arbeit bei extrem hohen Erträgen mache und natürlich außerdem gesund sei; außerdem sollte man viele Südfrüchte, zum Beispiel auch Datteln, essen.
Überhaupt spielte Obst in der Lebensreform und in der Ernährungsreform eine große Rolle. Woran mag das wohl liegen? Möglicherweise hat es etwas mit der Vorstellung zu tun, naturbelassene Nahrung – nicht erhitzt, nicht stark bearbeitet – sei die beste, natürlichste Ernährungsform. Ich glaube aber auch, dass der Obstbaum als Symbol für die nährende Natur eine Rolle spielte. Die bildlichen Darstellungen zeigen das, wie etwa hier im Terrakotta-Relief am Genossenschaftshaus. Auch sprachlich wird die Verknüpfung natürlich deutlich gemacht – Eden hieß ja nicht umsonst Eden, sondern war der Versuch, ein Paradies (wieder)herzustellen, das Leben (und Nahrung) zu spenden versprach.

Mensch und Obstbaum, Terrakotta

Teil des Terrakotta-Mosaiks am Genossenschaftshaus in Eden, ursprünglich vom Edener Bildhauer Wilhelm Groß, in den 1990er Jahren erweitert vom Keramiker Christian Richter; Foto: A. Schlimm, CC-BY-SA

Ich frage mich nun: Lassen sich Verbindungen aufspüren zwischen dieser reformorientierten Wertschätzung für Obst und den Versuchen, in Bernried am Starnberger See die Obstkultivierung voranzutreiben, um die Ernährungslage der ortsansässigen Bevölkerung zu verbessern? Dort wurde 1912, also noch mitten in der Zeit der Reformbewegungen, ein Obst- und Gartenbauverein gegründet. Mit diesem Verein sollte ich mich noch einmal eingehender beschäftigen. Direkte Verbindungen werden es wohl kaum sein, aber es wäre doch interessant, den verschlungenen Wegen nachzugehen, die eine solche Obst-Wertschätzung von lebensreformerischen Bestrebungen bis in die dörflichen Obstgärten durchmacht – oder eben auch nicht. Vielleicht waren ja diese dörflichen Vereinsbestrebungen aus ganz anderen Quellen gespeist. Aber vielleicht habe ich hier eine „Kontaktzone“ gefunden – zwischen der lebensreformerischen, medial präsenten Obstromantik und dem Bernrieder Vereinsleben. Ganz unwahrscheinlich ist das nicht.

 

Eden ist einen Besuch wert: Entweder mit der Bahn bis Oranienburg, von dort aus nach Westen, erst über die Havel, dann über den Oranienburger Kanal – dann ist man schon mittendrin; den gleichen Weg kann man auch mit dem Rad machen. Oder man fährt mit dem Auto, über die B96 bis zur B273, dann ist man praktisch da. Sonntags von 14 bis 17 Uhr ist im Presshaus (Struveweg 505) nicht nur das Café geöffnet, sondern auch eine kleine Ausstellung über die Geschichte der Siedlung; außerdem kann man Apfelsaft an einem einmaligen Automaten ziehen – in 5-Liter-Säcken. Bei gutem Wetter kann man sehr schön durch die Siedlung stromern, auch wenn wahrlich nicht mehr alle Häuser das Flair der Jahrhundertwende versprühen. Mehr Informationen unter http://www.eden-eg.de/
Baumgartner, Judith: Die Obstbaukolonie Eden, in: Buchholz, Kai u.a. (Hg.): Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst, Bd. 1, Darmstadt 2001, S. 511-515.

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/102

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