Vorbemerkungen
Mit diesem Beitrag möchte ich, wie bereits angekündigt, eine Reihe biographischer Skizzen von adeligen Frauen der Frühen Neuzeit eröffnen. Neben dem rein Faktischen geht es mir auch darum, die vielen verschiedenen Fragestellungen, mit denen man das Leben einer frühneuzeitlichen Edelfrau untersuchen kann, anschaulich zu machen. In den Beiträgen werden regelmäßig unterschiedliche Quellen und Methoden im Fokus stehen, denn bekanntlich treten bestimmte Quellentypen in Abhängigkeit von der Fragestellung in den Vordergrund, während andere eher nur am Rande interessieren. Unterschiedliche Quellen verlangen jedoch andere Methoden zu ihrer Erschließung. Und manchmal kommt man zu ganz verschiedenen Ergebnissen, wenn man ein und dieselbe Quelle mit verschiedenen Methoden angeht. Indem ich also nicht nur kleine, abgerundete Biographien veröffentliche, sondern das geschichtswissenschaftliche ‚Handwerk‘, das dahinter steckt, offen lege, kann ich gleichzeitig einige Facetten des Forschungsbereichs ‚Adelige Frau‘ beleuchten, ohne zu theoretisch und abstrakt zu werden.
Maria Anna – eine besondere Edelfrau
Maria Anna Fürstin zu Salm wurde am 4. Mai 1624 als einziges Kind von Dietrich IV. Graf von Bronckhorst-Batenburg zu Anholt (1578-1649) und seiner zweiten Ehefrau Maria Anna von Immerzeel und Bokhoven auf Schloss Anholt geboren. Sie wuchs wahrscheinlich auf Schloss Anholt bei ihrem Vater auf. Über ihren Bildungsweg ist nichts weiter bekannt. Da ihr Vater verhältnismäßig hoch gebildet war, er sprach latein, italienisch und französisch und verfasste ein Alterswerk über Fragen der Moral und Politik (auf Französisch), so können wir davon ausgehen, dass auch Maria Anna eine der Zeit entsprechende Ausbildung bekommen hat. Ob sie nur Privatunterricht bekam oder auch ein adeliges Damenstift besuchte, ist nicht bekannt. Jedenfalls bezeugen die von ihr überlieferten Briefe, dass sie Französisch konnte. Ihre Familie zählte als ‘Bannerherrn’ des Herzogtums Geldern und der Grafschaft Zutphen seit dem Mittelalter zu den wichtigsten Adelsgeschlechtern der deutsch-niederländischen Grenzregion. Die Dynastie hatte sich allerdings im Spätmittelalter durch eine Reihe von Erbteilungen in mehrere Äste aufgespalten. Die Anholter Linie, der Maria Anna entstammte, ging zum Beispiel zurück auf ihren Ur-Ur-Ur-Großvater Dietrich I. (+1488). Was zum Zeitpunkt von Maria Annas Geburt noch niemand wissen konnte, mit ihr sollte die Zeit der Anholter Linie zu Ende gehen. Denn ihre Mutter starb im Wochenbett und da ihr Vater nicht wieder heiratete, war relativ schnell klar, dass Maria Anna Alleinerbin ihres Vaters werden würde. Als sogenannte ‘Erbtochter’ war sie eine Besonderheit unter den jungen heiratsfähigen Edelfrauen ihrer Zeit.
Heiratspläne
Zunächst einmal erhöhte ihr Status als Erbtochter Maria Annas Chancen auf dem Heiratsmarkt – was auch bitter nötig war, denn die Stellung der Familie in der adeligen Ranggesellschaft war alles andere als gefestigt. Ihr Vater Dietrich war nämlich erst 1621 zusammen mit seinem Bruder Johann Jakob vom Kaiser aus dem Freiherren- in den Reichsgrafenstand erhoben worden. Und so bedeutend und alt-eingesessen die Familie am Niederrhein auch sein mochte, für die Grafen und Fürsten des Reiches waren sie zunächst einmal Emporkömmlinge, denen man die Ranggleichheit nicht automatisch zugestehen durfte. War es grundsätzlich schwierig, in dieser Richtung geeignete Kandidaten für Maria Annas Hand zu finden, verbot es sich erst recht, die Heiratskandidaten ‘vor Ort’ zu suchen, wie man es in all den Jahrhunderten zuvor immer gehalten hatte. Denn die traditionellen Heiratspartner waren aus Sicht der nunmehr gräflichen Familie nicht mehr standesgemäß. Eine Fortsetzung des Konnubiums hätte die eigene Position noch weiter destabilisiert. Glücklicherweise kompensierte in gewisser Weise die Aussicht auf ein umfangreiches Erbe – Dietrich IV. war im Besitz mehrerer Herrschaften zwischen Anholt, Geldern und Kleve – den Makel des sozialen Aufstiegs. So verhandelte Dietrich in den 1630er Jahren gleich mit drei Grafenfamilien, allerdings kam es nie zu einer Eheberedung. Aus Sicht der Dynastie muss man sagen zum Glück, denn schließlich fand sich mit dem jungen Fürsten Leopold Philipp Carl zu Salm ein exquisiter Kandidat in Anholt ein. Die Familie Salm war zwar selbst erst 1623 in den Fürstenstand aufgestiegen, sie zählte aber unangefochten unter die altgräflichen Häuser im Reich. Einer von Leopold Philipps Vorfahren war im ausgehenden 11. Jahrhundert sogar Gegenkönig von Heinrich IV. gewesen. Für Dietrich von Bronckhorst-Batenburg war diese Verbindung also äußerst attraktiv. Über die Verhandlungen im Vorfeld der Eheberedung, die sicherlich einige Monate, wenn nicht sogar Jahre in Anspruch genommen haben werden, ist nichts weiter bekannt. Ein Mitspracherecht hatte Maria Anna bei dieser Angelegenheit nach allgemeiner Überzeugung nicht. Traditionell wurden die Verhandlungen zwischen dem Vater der Braut und dem Bräutigam, wenn er bereits mündig war, geführt. Es ist aber nicht auszuschließen, dass Maria Annas Vater sie ernsthaft um ihre Meinung gefragt hat. Vorbilder dafür gab es. Wie auch immer Maria Annas Einstellung gegenüber Leopold Philipp Carl war, am 22. Oktober 1641 schlossen die Parteien einen Ehevertrag. Und so wurde die junge Gräfin zu Bronckhorst-Batenburg die Ehefrau des dritten Fürsten zu Salm.
Das sog. Bronckhorster Galeriebild (168 cm x 247 cm) aus dem Jahr 1645 wurde vermutlich von Dietrich IV. in Auftrag gegeben. Es zeigt in der Mitte ein idealisiertes Porträt von Maria Anna. Um sie herum sind Porträts von Vorfahren und exemplarische Gemälde der damaligen Familiengalerie gruppiert. Kleine Porträts des Herrscherpaares finden sich auf der linken Seite unterhalb der Gottesmutter.
Eine privilegierte Ehefrau?
Maria Annas Ausgangsposition in dieser arrangierten Beziehung war unter den Umständen der Zeit etwas Besonderes. Dies zeigt sich schon darin, dass wahrscheinlich keine Brautfahrt stattgefunden hat, also die Übersiedlung der Ehefrau von der väterlichen Residenz in die des Mannes. Die ersten von Maria Anna überlieferten Briefe vom Jahreswechsel 1641/42 sind alle “de Anholt” gezeichnet. Die meiste Zeit ihres Lebens sollte sie auf dort verbringen, wenn sie nicht zu längeren Besuchen bei ihrer Schwiegermutter in Neuviller-sur-Moselle oder in der Abtei Rèmiremont bei ihren Töchtern war. Auch der Ehevertrag verrät sehr günstige eheliche Rahmenbedingungen für Maria Anna: Für den Fall, dass ihr Mann vor ihr stirbt, erhält sie, wenn sie zusammen Kinder haben, die Regierung und ein Jahrgeld von 6000 Franken lothringischer Währung. Stirbt aber ihr Mann ohne Erben, dann steht ihr nicht nur die Regierung zu, sondern sie erbt außerdem die drei Herrschafften Neuviller, Baion und Tonnau, die ihr Mann mit in die Ehe gebracht hat. In beiden Fällen wäre Maria Anna als Witwe mehr als ausreichend abgesichert, ja sogar in einer komfortablen Situation – etwas, das nicht der Regelfall für adelige Witwen war.
Für Maria Anna von Vorteil war weiterhin, dass Dietrich in diesem Ehevertrag der Tochter bereits zu seinen Lebzeiten die Verfügungsgewalt über ihr Erbe in Aussicht stellte – eine Konsequenz aus ihrem Status als Erbtochter. Diese Regelung wurde schließlich 1645 wirksam, als Dietrich und Leopold Philipp Carl die förmliche Regierungsübergabe beurkundeten. Darin übertrug Dietrich unter Verweis auf die bereits im Ehevertrag ausgesprochene donatio inter vivos all seine “Herrschaften und Güter” auf den Schwiegersohn – gegen eine jährliche Zahlung von 1.200 Reichstalern und eine standesgemäße Ausstattung mit “nötigen Diener und Pferden”. Welche Rolle Maria Anna in dieser Abmachung zukam, wird aus dem Dokument leider nicht deutlich. Allerdings gibt es einige Urkunden über Rechtsgeschäfte, bei denen sie zusammen mit ihrem Ehemann auftritt. Auch Maria Annas Testament (eine erste Version von 1656 und eine zweite von 1658) belegt ihre besondere Stellung als Erbtochter. Sie legte nämlich fest, dass all ihre Herrschaften und Güter, die sie von ihrem Vater geerbt hat, ungeteilt ihrem ältesten Sohn Carl Theodor Otto zufallen sollten. Ihre anderen Kinder erhielten lediglich Jahresrenten zwischen 400 und 800 Reichstalern.
Die Indizien sprechen bisher dafür, dass Maria Anna, weil sie Erbtochter war, im Vergleich zur ‘durchschnittlichen’ fürstlichen Ehefrau autonomer schalten und walten konnte – und das nicht erst als Witwe, denen man üblicherweise ein großes Maß Autonomie zuspricht. Ob die hier skizzierten Rahmenbedingungen für die Ehe in der Praxis gehalten haben, ob also Maria Anna tatsächlich über das übliche Maß hinaus selbstständig und selbstbestimmt agieren konnte, das lässt sich hier (noch) nicht klären. Zugang zum Lebensalltag einer Fürstin erhält man nämlich vor allem durch ihre Korrespondenz. Einblicke in Maria Annas Lebensalltag als Fürstin kann ich aber leider noch keine bieten. Zwar sind Überreste ihrer Korrespondenz im Fürstlich Salm-Salm’schen Archiv überliefert, diese sind aber noch nie ausgewertet worden. Eine Ersterschließung, so perspektivreich sie auch ist, wird jede Menge Zeit verschlingen (auch weil 90% der Briefe auf Französisch verfasst sind).
Bildnachweis:
Adriaan W. Vliegenthart: Die Bildersammlung der Fürsten zu Salm, Zutphen 1981.