Dilema veche | 534 (2014)
Quelle: http://www.eurozine.com/journals/dilemaveche/issue/2014-05-14.html
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A Postcolonial Reading of the Sonderweg: Marxist Historicism Revisted
This article deals with the Sonderweg thesis by reconciling David Blackbourn and Geoff Eley’s criticism of the German Sonderweg with a postcolonial critique of Marxist historicism. The global trajectory of Marxist historiography shows that the «singularity » of the Sonderweg came to be conceptually translated as «particularity» within the Eurocentric and capitalocentric «universality». This sublime transmutation of the singularity into the particularity through the Leninist trope of the «Prussian path» implies the temporalisation of historical spaces in a linear development scheme, which accommodates global historicist time in a twisted form of «first in Europe, then elsewhere». A postcolonial reading of the Sonderweg throws light on Marxist historiographical debates on colonial modernity versus Sonderwege by subjecting the Eurocentric conception of the «Prussian path» to the complexity of global modernity.
Eine postkoloniale Lektüre der Sonderwegthese: eine neue Version marxistischen Geschichtsdenkens
Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit der These vom Sonderweg. Er wird David Blackbourns und Geoff Eleys berühmte Kritik an der Annahme eines deutschen Sonderweges mit der postkolonialen Kritik am marxistischen Geschichtsdenken in Verbindung bringen. Im Rahmen der globalen Ausbreitung marxistischer Historiografie wurde die «Singularität» des Sonderweges konzeptionell übersetzt als die «Partikularität
» inmitten einer eurozentrischen und auf das Kapital zentrierten «Universalität». Die sublime Verwandlung der Singularität in Partikularität durch die leninistische Trope vom «preußischen Pfad» in der deutschen Geschichte impliziert die Verzeitlichung historischer Räume in einem Schema linearer Entwicklung, das
globale historistische Zeit in eine Form presst, die immer dem gleichen Muster folgt: «erst in Europa und dann woanders». Eine postkoloniale Lektüre der Idee des Sonderwegs beleuchtet marxistische historiografische Debatten über die Alternative koloniale Modernität oder Sonderweg und konfrontiert dabei das eurozentrische Konzept des «preußischen Pfades» mit der Komplexität der globalen Moderne.
Rationales of Humanitarianism:
The Case of British Relief to Germany, 1805–1815
This article examines the British humanitarian relief campaign initiated by the Committee for Relieving the Distresses in Germany and Other Parts of the Continent (1805–1815). It demonstrates the significance of two aspects for the campaign: the activism of London-based immigrant communities on the one hand, and British solidarity with allied countries during the Napoleonic Wars and the related matter of national mobilisation against France on the other. While immigrant activism was a major driving force of the campaign, its impact depended on the integration of immigrants into British society and on the mobilisation of Britons. Moreover, while the alliance with German states was often underlined in the publicity efforts of the campaign, wider humanitarian concerns were also addressed.
Gründe und Begründungen des Humanitarismus: Der Fall britischer Hilfe für Deutschland, 1805–1815
Dieser Artikel untersucht die humanitäre Hilfskampagne des Committee for Relieving the Distresses in Germany and Other Parts of the Continent(1805–1815). Er beleuchtet die Bedeutung von zwei Aspekten: zum einen die Rolle von Immigrantenkreisen in London, zum anderen die britische Solidarität mit alliierten Ländern während der Napoleonischen Kriege und der damit zusammenhängenden Frage nationaler Mobilisierung gegen Frankreich. Der Aktivismus von Einwanderern war zwar eine wesentliche Triebkraft der Kampagne, doch hing deren Durchschlagskraft von der Integration in die britische Gesellschaft und der Mobilisierung der Briten ab. Auch wenn die Allianz mit deutschen Verbündeten in der Öffentlichkeitsarbeit der Kampagne
häufig hervorgehoben wurde, spielten altruistische Motive auch eine Rolle.
Recent Historiography of the First World War
Locating recent international historiography on the First World War within the long-term context, this article discusses above all the internationalisation of the topic and the trend towards transnational history. It asks why the war is almost entirely unknown in the history and memory of some states, while it has powerful symbolic value in others. Was the war a kind of «laboratory» for later radicalised practices, or was there even a continuity of total war from the First to the Second World War? Is the debate in historiography between «coercion» and «consent» now resolved? How we should understand the «culture of war» – as the product
of totalising tendencies driven by ever more militarised states, or of a process of popular self-mobilisation from below? Is the cultural history of war now the new orthodoxy?
Jüngste Historiografie des Ersten Weltkrieges
Dieser Aufsatz beschäftigt sich hauptsächlich mit der Internationalisierung der neueren Historiografie über den Ersten Weltkrieg und mit der transnationalen Geschichte im Zusammenhang der Geschichtsschreibung seit 1918. Der Text geht einer Reihe von Fragen nach: Warum ist der Krieg in der Geschichte und im Gedächtnis
einiger Länder unbedeutend, während er in anderen hohe Symbolkraft genießt? War der Krieg eine Art «Laboratorium» für radikalere Gewaltpraktiken, gibt es sogar eine Kontinuität des totalen Krieges zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg? Ist die lang anhaltende Kontroverse, ob die kriegführenden Staaten
durch Zwangsherrschaft oder Konsensbildung regiert wurden, inzwischen gelöst? Wie ist die «Kultur des Krieges» zu verstehen – als Ergebnis totalisierender Tendenzen militarisierter Staaten oder als ein Prozess sich selbst mobilisierender Gesellschaften? Ist die Kulturgeschichte des Krieges die neue Orthodoxie?
«A Great Host of Sympathisers»: The Doukhobor Emigration and its International Supporters, 1895–1905
Between September 1898 and July 1899, 7500 members of the non-resistant Doukhobor sect emigrated from Russia to Canada. This article investigates the networks of moral, logistical and financial support that made this emigration possible. Members of the Society of Friends in England and America, Tolstoyan Christian anarchists and opponents of the Tsarist regime worked, through their own networks and together, to raise funds and raise the Doukhobors’ profile. Their relationships with each other, with the Doukhobors and with external audiences were complicated by their own very different investments in the cause. This article explores the aims, activities and impact of this campaign, along with its value for the campaigners. It offers a case study of the complex relationships in such a campaign between humanitarianism, solidarity and self-interest.
«Eine Heerschar von Sympathisanten»: Die Emigration der Duchoborzen und ihre internationalen Unterstützer, 1895–1905
Zwischen September 1898 und Juli 1899 emigrierten 7500 Mitglieder der Duchoborzen, einer dem Prinzip der Gewaltlosigkeit verpflichteten Religionsgemeinschaft, von Russland nach Kanada. Der Aufsatz beleuchtet die Netzwerke, die durch moralische, logistische und finanzielle Unterstüzung die Auswanderung ermöglichten.
Mitglieder der Religiösen Gemeinschaft der Freunde (Quäker) in England und Amerika sowie christlich-anarchistische Tolstojaner und Gegner des zaristischen Regimes bemühten sich über die Lage der Duchoborzen aufzuklären. Ihre Beziehungen untereinander sowie das Verhältnis mit den Duchoborzen und der breiteren Öffentlichkeit gestalteten sich alledings schwierig. Der Beitrag untersucht die Ziele, Aktivitäten
und Auswirkungen der Kampagne sowie ihre Bedeutung für die Aktivisten selbst. Der Fall der emigrierten Duchoborzen beleuchtet somit den komplexen Zusammenhang zwischen humanitaristischer Grundeinstellung, solidarischem Verhalten und dem Verfolgen eigener Interessen.
Minority Rights and Humanitarianism: The International Campaign for the Ukrainians in Poland, 1930–1931
In October 1930, violent actions of the Polish security forces against the Ukrainian population in Eastern Galicia resulted in an international campaign for the Ukrainians in Poland. Its central claim was the condemnation of these incidents as a violation of the Minorities Treaty of the League of Nations. The article focuses on the involved British extra-parliamentary groups and their international federations as well as leftist intellectuals, socialist parties and the Labour and Socialist International. In most cases, the commitment of the activists was motivated by the desire to expose a humanitarian scandal while the implementation of minority rights played a minor role. When it turned out that the first reports had presented an exaggerated
version of the events, they shifted their focus to the Polish opposition, whose persecution started in November 1930.
Minderheitenrechte und Humanitarismus: Die internationale Kampagne für die Ukrainer in Polen, 1930–1931
Im Oktober 1930 begann eine internationale Protestkampagne gegen das gewaltsame Vorgehen der polnischen Sicherheitskräfte gegen die ukrainische Bevölkerung in Ostgalizien. Eine der zentralen Forderung der Beteiligten war die Verurteilung dieser Aktion als Verstoß gegen den Minderheitenschutzvertrag durch den
Völkerbund. Der Artikel fokussiert auf die an der Kampagne beteiligten britischen Vereinigungen und ihre internationalen Zusammenschlüsse sowie linke Intellektuelle, sozialistische Parteien und die Sozialistische Arbeiterinternationale. Diese sahen ihr Engagement nur vordergründig als Einsatz für Minderheitenrechte und
reagierten vor allem auf die scheinbar eklatanten Menschenrechtsverletzungen. Nachdem deutlich wurde, dass die Vorkommnisse keinen humanitären Skandal größeren Ausmaßes darstellten, verschob sich das Interesse der Beteiligten weg von den Ukrainern hin zur im November 1930 einsetzenden Repression der polnischen Opposition.
Solidarity and the Academic Community: Refugee Scholars and their Support Networks in the 1930s
Recent scholarship on humanitarianism has drawn attention to the intertwined nature of humanitarianism and politics and questioned narratives that present charity and humanitarianism as purportedly universal values. Additionally, research on refugees has pointed to the role of refugee issues in disputes over the meaning
of citizenship, national belonging and exclusion. Yet these discussions have not been applied to the history of the scholars who were forced into exile by the National Socialists from 1933 onwards. The article focuses on two organisations for academic refugees, the British Academic Assistance Council and the Notgemeinschaft
deutscher Wissenschaftler im Ausland, which facilitated emigration and placed scientists at host institutions abroad. It argues that the aid efforts of these organisations were to a considerable extent shaped by professional considerations and remained dependent on well-established national infrastructures and concerns.
Solidarität unter Akademikern: Wissenschaftliche Flüchtlingshilfe in den 1930er Jahren
Neuere Forschungen zur Geschichte des Humanitarismus heben die enge Verknüpfung zwischen humanitären Idealen und politischen Motiven hervor und betonen die Bedeutung der Kategorie des Flüchtlings für Diskussionen über nationale Zugehörigkeit und die Durchsetzung staatsbürgerschaftlicher Prinzipien. Allerdings sind diese Ansätze bisher nur selten auf die Geschichte akademischer Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland angewandt worden. Im Zentrum dieses Aufsatzes stehen mit dem britischen Academic Assistance Council und der Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland zwei Hilfsorganisationen, die verfolgten Wissenschaftlern die Emigration aus Deutschland ermöglichten. Die
humanitären Hilfsmaßnahmen dieser Organisationen, so das Argument, folgten einem professionellen Selbstverständnis, das die Hilfsmaßnahmen in universitäre Handlungslogiken auf nationaler Ebene einband.
Fourth World Activism in the First World: The Rise and Consolidation of European Solidarity with Indigenous Peoples
Against the backdrop of massive assaults and acts of violence against indigenous peoples in South America, specialised advocacy organisations emerged in several European countries from the late 1960s onwards. Embarking on the idea to inform the Western public on the plight of vulnerable and threatened ethnic minority
groups, they developed different strategies of activism. This article examines the repertoires of action of organisations such as Survival International, the Gesellschaft für bedrohte Völker and the International Work Group for Indigenous Affairs. Their activities involved information-gathering, public awareness campaigns, support of capacity-building processes, and the provision of humanitarian aid and of access to aid agencies. Moreover, specific attention is given the relationship between western advocacy and mounting indigenous activism.
Vierte-Welt-Aktivismus in der Ersten Welt: Aufstieg und Konsolidierung europäischer Solidaritätsbewegungen mit indigenen Völkern
Vor dem Hintergrund massiver Übergriffe und Gewalttaten in Südamerika formierten sich ab Ende der 1960er Jahre in mehreren westeuropäischen Staaten Vereine und Organisationen, die sich für die Rechte indigener Völker einsetzten. Angetreten mit dem Ziel, die westliche Öffentlichkeit auf das Schicksal verwundbarer und bedrohter ethnischer Minderheiten hinzuweisen, entwickelten sie unterschiedliche Strategien des zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsaktivismus. Der Artikel untersucht das Handlungsrepertoire von Organisationen wie Survival International, der Gesellschaft für bedrohte Völker oder der International Work Group for Indigenous Affairs: Informationsbeschaffung, öffentliche Kampagnen, ideelle und materielle Unterstützung von Selbstorganisationsprozessen bis zur Bereitstellung humanitärer Hilfe bzw. Vermittlung
von Kontakten zu Trägern der Entwicklungshilfe. Darüber hinaus wird die Beziehung zwischen westlichen Interessenvertretern und dem erstarkenden indigenen Aktivismus kritisch beleuchtet.
Aid, Activism and the State in Post-War France: AMANA, a Charity Organisation for Colonial Migrants,
1945–1962
The article uses the case of AMANA, a charity organisation for colonial migrants, to analyse the humanitarian and political underpinnings of social assistance in postwar France. AMANA was created in 1945 to provide education to North Africans and its origins were linked to French colonial history: the growing migrant population was a product of the empire and AMANA’s director, Jacques Ghys, had previously been a missionary with the order of the White Fathers. The article discusses the early years of AMANA, based on its recently deposited papers. It shows how the organisation drew upon colonial experiences in the creation of programmes aimed at immigrant adaptation. Organisations such as AMANA helped to shape views on the immigrants’ ability to adapt to French culture. In doing so, such bodies contributed to the definition of assimilation from a colonial project to a republican imperative.
Humanitäre Hilfe, Aktivismus und der Staat im Nachkriegsfrankreich: AMANA, eine karitative Organisation für
Migranten aus den Kolonien, 1945–1962
Dieser Aufsatz analysiert den Fall AMANA, einer karitativen Organisation für Migranten aus den Kolonien, um die humanitäre und politische Grundierung sozialer Hilfe im Nachkriegsfrankreich zu beleuchten. AMANA wurde 1945 gegründet, um Nordafrikanern Bildung zu ermöglichen. Ihre Ursprünge liegen in der französischen
Kolonialgeschichte: Die wachsende Zahl von Migranten war eine Folge des Kolonialreiches; zudem war der Direktor von AMANA ein ehemaliger Missionar des Ordens der Pères Blancs. Der Artikel rekonstruiert anhand der seit Kurzem zugänglichen nachgelassenen Dokumente die Anfangsjahre von AMANA. Er verdeutlicht, wie sehr die Organisation sich auf die koloniale Erfahrung stützte, wenn es Programme zur Eingewöhnung der Immigranten entwickelte. Akteure wie AMANA formten maßgeblich die öffentliche Diskussion darüber, ob Einwanderer in der Lage seien, sich an die französische Kultur anzupassen. Somit trugen diese Körperschaften zur Transformation des Begriffes Assimilation bei: von einem kolonialen Projekt zu einem
republikanischen Imperativ.
Inside the Humanitarian Cloud: Causes and Motivations to Help Friends and Strangers
This introductory essay examines humanitarianism as both a concept and a practice. The piece discusses the tropes and ideas that sustained the construction of humanitarian causes – from compassion and solidarity to moral outrage. It subsequently focuses on strategies and mechanisms that sustained humanitarian campaigns, in particular the use of «information politics». Finally, it sheds light on the ways in which activists viewed the objects of their campaigns. In this context, the tension between identification and self-interest emerges as a major theme. The essay seeks to capture the different features of humanitarianism and its protagonists through the metaphor of the «humanitarian cloud».
In der humanitären Wolke: Gründe und Motivationen für die Unterstützung von Freunden und Fremden
Dieser einleitende Aufsatz setzt sich mit Humanitarismus als Konzept und Praxis auseinander. Er beleuchtet Ideen und Tropen, die bei der Konstruktion humanitärer Anliegen zutage treten – darunter Mitleid, Solidarität und Empörung. Er untersucht Strategien und Mechanismen, die bei humanitären Kampagnen eine Rolle spielten, insbesondere bei der Informationspolitik. Zuletzt wird das Verhältnis zwischen Aktivisten und den Menschen, für die sie sich engagierten, eruiert. In diesem Zusammenhang erweist sich das Spannungsfeld zwischen Identifikation und Eigeninteresse als ein zentrales Thema. Der Aufsatz versucht, die verschiedenen Charakteristika des Humanitarismus und seiner Protagonisten mit dem Bild der «humanitären Wolke» einzufangen.