September 2022

In der September-Ausgabe zeigen Susanne Götze und Annika Joeres, warum der deutsche Wald in Gefahr ist – und was wir dagegen tun können. Bee Wilson beleuchtet die verheerenden Auswirkungen der Produktion von Palmöl, dem meistgenutzten Fett der Welt. Nancy Fraser analysiert die selbstzerstörerischen Tendenzen des Kapitalismus. Thomas Greven beschreibt, wie die Republikaner die US-Demokratie schleifen. Michael R.
Im Jahr 1992 eskalierte die rassistisch motivierte Gewalt
#Chronik
In erster Linie gerieten Asylbewerber*innen in den Fokus der Rechtsradikalen, aber auch Antirassist*innen.
Eine unvollständige Auflistung von Juni bis November 1992.
Juni 1992
Mindestens elf Angriffe und Brand- und Sprengstoffanschläge auf Flüchtlingsheime, Unterkünfte für Asylbewerber*innen oder ähnliche Einrichtungen und dafür vorgesehene Gebäude in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen. Einige der Gebäude brennen vollständig aus.
2.6., München/Bayern: Ein Obdachloser wird zusammengeschlagen, schwer verletzt und stirbt nach 13-tägigem Krankenhausaufenthalt.
5.6., Piffelbach/Thüringen: Neonazis stürmen eine Tanzveranstaltung und verletzen vier Personen teils schwer.
6.6., Eberswalde/Brandenburg: Etwa 60 Skinheads versuchen eine Diskothek zu stürmen, verletzen in der Stadt zwei Personen schwer und gehen mit Steinen und Flaschen auf die 40 eingesetzten Polizist*innen los.
7.6., Nudow/Brandenburg: Skinheads überfallen einen Zeltplatz, bedrohen Jugendliche mit Knüppeln und Ketten und verletzen zwei Personen.
Mitte Juni, Cottbus/Brandenburg: In einem Brief an den Deutschen Akademischen Austauschdienst erklären 15 ausländische Student*innen, wegen rassistischer Attacken Cottbus verlassen zu wollen. Der Sicherheitsdezernent der Stadt kommentiert, die ausländischen Student*innen sollten die Ausländer*innenfeindlichkeit in der Stadt nicht überbewerten.
17.6., Höhenkirchen/Bayern: 250 Bürger*innen demonstrieren gegen die vorzeitige Aufstellung von Containern für rund 150 Asylbewerber*innen.
20.6., Berlin-Hellersdorf: Skinheads überfallen mit Feldspaten und Baseballschlägern fünf Personen, alle Opfer müssen ins Krankenhaus eingeliefert werden.
26.6., Hamburg: Nach der Niederlage der bundesdeutschen Fußballnationalmannschaft kommt es in der Hamburger Innenstadt als auch auf St. Pauli zu schweren Auseinandersetzungen zwischen 200 Nazi-Hooligans und Passant*innen beziehungsweise der Polizei.
26.6., Neumünster/Schleswig Holstein: Unter Rufen von rassistischen Parolen greifen 250 Hooligans und Skinheads mit Biergläsern, Flaschen, Dosen und Pflastersteinen Passant*innen und Migrant*innen an. 25 Personen wurden verletzt, darunter vier Polizist*innen.
29.6., Nadrensee/Mecklenburg-Vorpommern: Nachdem sie die polnisch-deutsche Grenze überquert haben, werden die Flüchtlinge Grigore Velcu und Eudache Calderar in einem Kornfeld von Jägern erschossen.
29.6., Leipzig/Sachsen: Der Kreisvorsitzende des »Bundes der Vertriebenen« vom Kreisverband Leipzig fordert »eine asylantenfreie Stadt Markkleeberg«. Die Gelder für die Betreuung der Asylsuchenden sollten »besser zur pauschalen Entschädigung der Heimatvertriebenen« bereitgestellt werden.
Juli 1992
Mindestens elf Angriffe und Brandanschläge auf Flüchtlingsheime, Unterkünfte für Asylbewerber*innen oder ähnliche Einrichtungen und dafür vorgesehene Gebäude in Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt.
1.7., Neuruppin/Brandenburg: Neonazis schlagen den 50-jährigen obdachlosen Emil Wendland zusammen und erstechen ihn.
4.7., Herborn/Hessen: Maskierte Männer schlagen zwei Pakistani vor einem Wohnheim für Asylsuchende mit Stangen nieder, treten auf sie ein und verletzen sie mit Messerstichen in Brust und Oberschenkel.
8.7., Ostfildern-Kemnat/Baden-Württemberg: Bei einem Angriff zum »Polacken klatschen« auf ein Arbeiterwohnheim erschlagen Neonazis den 56-jährigen Sadri Berisha mit einem Baseballschläger.
15.7./16.7., Leipzig/Sachsen: Mit Baseballschlägern und Schrotflinten bewaffnet dringen Vermummte in die Wohnung eines vietnamesischen Ehepaars ein und schlagen einen 21-jährigen Vietnamesen brutal zusammen.
Mitte Juli: Im deutsch-polnischen Grenzgebiet gehen Gruppen von Neonazis »bürgerwehrähnlich« auf Menschenjagd.
18.7./19.7., Berlin: 20 Skinheads schlagen einen Polizisten zusammen und treten ihn mit Stiefeln an seinen Kopf und seinen Rücken.
19.7, Erfurt/Thüringen: Neonazis werfen halbe Schweineköpfe mit Drohungen gegen die jüdische Gemeinde und Schmähungen gegen den Vorsitzenden und Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland sowie Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski, in den Garten der jüdischen Synagoge.
31.7., München/Bayern: Ein Italiener wird auf dem Hauptbahnhof niedergestochen, nachdem ein Unbekannter ihn zuvor gefragt hatte, ob er Ausländer sei.
August 1992
Mindestens 30 Angriffe und Brandanschläge auf Flüchtlingsheime, Unterkünfte für Asylbewerber*innen oder ähnliche Einrichtungen und dafür vorgesehene Gebäude in Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Einige Gebäude brennen nieder.
1.8., Bad Breisig/Rheinland-Pfalz: Zwei Neonazis schlagen den 49-jährigen Dieter Klaus Klein zusammen und erstechen ihn mit einem Kampfmesser, nachdem er sich über den Lärm und die »Sieg Heil!«-Rufe beschwert hatte.
1.8., Thiendorf/Sachsen: Neonazis überfallen einen Reisebus mit dänischen Pfadfinder-Kindern, schlagen mit Knüppeln auf den Bus ein und werfen mit Flaschen und Steinen.
3.8., Stotternheim/Thüringen: Drei Skinheads schlagen Ireneusz Szyderski zusammen und treten mit Füßen auf den bewusstlos am Boden liegenden Mann ein. Wenig später stirbt Szyderski.
6.8., Hamburg: Rohrbombenanschlag auf einen Hamburger Pastor wegen seines Engagements für Flüchtlinge.
12.8., Oelixdorf/Schleswig-Holstein: Bewaffnete Mitglieder einer »Bürgerwehr« gegen die dortige Zentrale Aufnahmestelle streifen nachts durchs Dorf.
17.8./18.8., Schuld/Rheinland-Pfalz: Brandanschlag auf drei Wohnwagen einer 20-köpfigen Sinti-Familie, die zu der Zeit auf dem dortigen Schützenplatz lebt.
24.8., Koblenz/Rheinland-Pfalz: Ein bewaffneter Neonazi schießt mit einer großkalibrigen Pistole gezielt in eine Gruppe überwiegend junger Leute. Der 35-jährige wohnungslose Frank Bönisch stirbt, fünf weitere Personen werden schwer verletzt.
29.8., Berlin-Charlottenburg: Zwei Neonazis schlagen auf zwei Männer mit einem Baseballschläger ein und verletzen sie so schwer, dass der 58-jährige Günter Schwannecke später seinen Verletzungen erliegt.
30.8./31.8., Berlin-Tiergarten: Sprengstoffanschlag auf ein jüdisches Mahnmal.
30.8./31.8., Wunsiedel/Bayern: Skinheads überfallen sechs polnische Arbeiter in einem Wohncontainer mit Eisenstangen und verletzen eine Person schwer.
September 1992
Mindestens 151 Angriffe, Schüsse und Brand- bzw. Sprengstoffanschläge auf Flüchtlingsheime, Unterkünfte für Asylbewerber*innen oder ähnliche Einrichtungen und dafür vorgesehene Gebäude in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Einige Gebäude brennen nieder.
1.9., Ödenstockach/Bayern: Neonazis schleudern einen Brandsatz gegen ein fahrendes Auto.
4.9., Berlin-Weißensee: Unbekannte schänden den jüdischen Friedhof der Gemeinde Adass Jisroel.
4.9., Prenzlau/Brandenburg: 50 Personen verhindern die Unterbringung von Asylbewerber*innen in einer Schule, ein Bus wird durch Steinwürfe beschädigt.
8.9., Hamburg: Eltern blockieren die Zufahrt zu einer Grundschule, um den Bau eines Containerdorfes für Asylsuchende zu verhindern.
10.09., Stendal/Sachsen-Anhalt: Neonazis überfallen eine Klasse mit lernbehinderten Kindern und schlagen auf die Kinder ein.
14.9., Saarlouis/Saarland: Polizei verhindert im letzten Moment einen Anschlag mit einer Rohrbombe auf das Asylbewerber*innenheim, die Sprengkraft hätte ausgereicht, das dreistöckige Gebäude zu zerstören.
22.9., Brandenburg: 25 Skinheads greifen eine Demonstration gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit an.
22.9., Region Erfurt/Thüringen: Auf einem Bundeswehrgelände trainiert eine neofaschistische Wehrsportgruppe mit Waffen den Sturm auf Flüchtlingsunterkünfte.
22.9., Schwerin/Mecklenburg-Vorpommern: Das Innenministerium teilt mit, das Flüchtlingsheim in Wismar solle nach den tagelangen Attacken verlegt werden.
24.9., Löbach/Sachsen: Neonazis überfallen Polizeistationen in der ?SFR und erbeuten dabei Waffe.
25.9., Halle/Sachsen-Anhalt: Nach einem Konzert der »Benjamins« wird deren Schlagzeuger von mehreren Neonazis mit Baseballschlägern und Äxten überfallen und brutal zusammengeschlagen. Der Bus der Band wird demoliert.
25.9., Sachsenhausen/Brandenburg: Brandanschlag auf das Jüdische Museum des ehemaligen Konzentrationslagers.
25.9., Schwedt/Brandenburg: Brandanschlag auf ein China-Restaurant.
27.9., Senftenberg/Brandenburg: 80 vermummte Neonazis greifen die Polizeiwache an und errichten mit brennenden Autos und Müllcontainern eine Barrikade.
27.9., Halle/Sachsen-Anhalt: Ein 36-jähriger Vietnamese wird vor seinem Wohnhaus mit einem säbelartigen Gegenstand niedergestochen. Die Täter*innen umringen das Opfer und stechen ihm mehrfach in die Brust.
Oktober 1992
Mindestens 46 Angriffe, Schüsse und Brand- und Sprengstoffanschläge auf Flüchtlingsheime, Unterkünfte für Asylbewerber*innen oder ähnliche Einrichtungen und dafür vorgesehene Gebäude in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Einige Gebäude brennen nieder.
3.10., Südbrandenburg: Neonazis überfallen auf der Autobahn Cottbus-Berlin einen polnischen Kleinbus.
3.10., Schwandorf/Bayern: In einem Wald wird die Leiche eines Asylbewerbers entdeckt, der mit mehreren Schüssen getötet wurde.
3.10., Halle/Sachsen Anhalt: 30 Neonazis greifen eine antifaschistische Filmveranstaltung an, verwüsten die Einrichtung des Kinos und fünf Autos. Eine Frau erleidet schwere Kopfverletzungen, mehrere Personen Schnitt- und Kopfverletzungen.
5.10., Magdeburg/Sachsen-Anhalt: Neonazis überfallen einen Imbiss, schlagen auf die Gäste ein und demolieren die Einrichtung.
7.10., Karlsruhe/Baden-Württemberg: Auf dem Hauptfriedhof werden 15 jüdische Gräber geschändet.
8.10., Hanau/Hessen: Schüsse auf das Wohnwagenlager einer Sinti- und Roma-Familie. Ein Projektil durchschlägt eine Wagenwand.
8.10., Chemnitz/Sachsen: Angriff auf das örtliche Jugendzentrum.
11.10., Geierswalde/Sachsen: Neonazis provozieren vor einer Diskothek und schlagen Waltraud Scheffler mit einer Holzlatte auf den Kopf. Sie erliegt später ihren schweren Verletzungen.
11.10., Ortrand /Brandenburg: Überfall auf einen polnischen Kleintransporter, zwei Personen, die in dem Auto geschlafen hatten, müssen mit schweren Kopfverletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert werden.
13.10., Metz/Frankreich: Deutsche Neonazis verprügeln einen 20-jährlgen Studenten und zwingen ihn, auf die Knie zu fallen und Hitler zu danken.
14.10., Schwedt/Brandenburg: Eine Gruppe von 20 Skinheads überfällt wiederholt polnische Tourist*innen und raubt ihre Einkäufe.
14.10., Saarbrücken/Saarland: Neonazis überfallen einen 60-jährigen Italiener und verletzen ihn schwer.
15.10.: Es wird bekannt, dass die neonazistische »Deutsche Alternative« den Aufbau eines »Mobilen Einsatzkommandos Ost« plant, das Aktionen planen, koordinieren und durchführen soll.
16.10., Leipzig/Sachsen: Eine Wachfrau eines Asylbewerber*innenheims wird niedergeschlagen und muss ins Krankenhaus gebracht werden.
17.10., Bad Freienwalde/Brandenburg: 50 Neonazis randalieren in einem Jugendclub und zerstören Einrichtungsgegenstände und einen PKW.
17.10., Hann. Münden/Niedersachsen: Die Firmenleitung eines Unternehmens droht der Stadtverwaltung mit der Schließung des Werkes, wenn in der Stadt eine Zentrale Anlaufstelle für Asylsuchende eingerichtet wird. Die Belegschaft schließt sich dieser Forderung an.
18.10., Plieningen/Baden-Württemberg: Zwei Skinheads überfallen eine Gaststätte, bedrohen den Wirt und drei Angestellte mit Waffen und rauben 12.000 DM.
19.10., Goldberg/Mecklenburg-Vorpommern: 100 Einwohner*innen und der Bürgermeister blockieren die Zufahrt zum Asylbewerber*innenheim. Die Aktion richtete sich gegen 40 Asylsuchende, die von der Polizei eskortiert in Bussen auf dem Weg zur Unterkunft sind.
21.10., Greifswald/Mecklenburg-Vorpommern: 60 vermummte und mit Baseballschlägern bewaffnete Neonazis greifen 20 ausländische Student*innen an.
21.10., Ravensbrück/Brandenburg: Brandanschlag auf die Mahn- und Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers.
23.10., Überlingen/Baden-Württemberg: Auf dem Friedhof für die Opfer des Konzentrationslagers Dachau werden rund 50 Grabkreuze offenbar mit einem Vorschlaghammer abgeschlagen.
24.10./25.10., Greifswald/Mecklenburg-Vorpommern: Nach einer antirassistischen Demonstration greifen Neonazis mit Baseballschlägern ausländische Student*innen in einem Klub an und verletzen eine Frau schwer. Anschließend attackieren sie ein Polizeifahrzeug mit Baseballschlägern, Steinen und Gasdruckpistolen.
27.10., Niederrad/Hessen: Ein 52-jähriger Deutscher sticht mit einem Messer auf einen 29-jährigen Türken ein und verletzt ihn an der Schulter.
31.10., Nordhausen/Thüringen: Neonazis greifen linke Jugendliche an und verletzen eine Person schwer.
31.10., Heide/Schleswig-Holstein: 30 Neonazis greifen Teilnehmer*innen einer antirassistischen Demonstration an und verletzen zwei Personen.
Ende Oktober, Gelbensande/Mecklenburg-Vorpommern: Bei einem Telefonanruf im Asylbewerber*innenheim droht der Bürgermeister, er werde »die Skins« holen , wenn man dort nicht endlich für Ordnung sorge.
November 1992
Mindestens 37 Angriffe, Schüsse und Brand- und Sprengstoffanschläge auf Flüchtlingsheime, Unterkünfte für Asylbewerber*innen oder ähnliche Einrichtungen und dafür vorgesehene Gebäude in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Einige Gebäude brennen nieder.
1.11., Jüterbog/Brandenburg: Drei Personen schlagen einen sudanesischen Asylbewerber zusammen und rauben ihn aus.
Stuttgart/Baden-Württemberg: Die städtischen Kindergärten werden angewiesen, in ihre Vormerklisten keine Asylbewerberkinder mehr aufzunehmen, soweit sie in Sammellagern leben.
3.11., Wuppertal-Barmen/Nordrhein-Westfalen: Zwei 13- und 14-jährige Schüler schänden den jüdischen Friedhof und verwüsten 90 Gräber.
4.11., Schauenburg/Hessen: Nachdem der Bauunternehmer und der Architekt von Reihenhäusern für 50 Flüchtlinge Morddrohungen erhalten haben, steigen sie aus dem Projekt mit einer Wohnbaugesellschaft aus und der Vertrag platzt.
5.11., Wolgast/Mecklenburg-Vorpommern: Zwei Jugendliche misshandeln einen 22-jährigen Südafrikaner, so dass er auf dem linken Auge erblindet, ein Schädeltrauma und zahlreiche Prellungen erleidet.
Neubrandenburg/Mecklenburg-Vorpommern: Ein 16-jähriges Mädchen wird von vier Jugendlichen geschlagen, weil sie für eine Ausländerin gehalten wird.
Frankfurt/Oder, Brandenburg: Brandanschlag auf das Studentenwohnheim der Europa-Universität »Viadrina«.
7.11., Kolpinsee/Brandenburg: Zwei Neonazis misshandeln den 52-jährigen wohnungslosen Rolf Schulze so schwer, dass er stirbt. Seine Leiche übergießen sie mit Benzin und zünden sie an.
7.11., Berlin-Lichtenfelde: Unter »Sieg Heil!«-Rufen stecken Jugendliche auf einem Kita-Gelände einen mit Papier gefüllten Container in Brand. Die Kita soll zur Unterbringung von etwa 100 Flüchtlingen aus Krisengebieten genutzt werden.
9.11., Rostock/Mecklenburg-Vorpommern: Etwa 40 Neonazis greifen mit Baseballschlägern eine Demonstration zum Gedenken an die Reichspogromnacht und gegen Fremdenhass an.
Köln/Nordrhein-Westfalen: Nach dem Konzert »Rock gegen Fremdenhass« entführen zwei Skinheads einen 27-jährigen Mann. Er wird 24 Stunden später mit Schnittverletzungen und Prellungen am Kopf in Metz freigelassen.
13.11., Wuppertal/Nordrhein-Westfalen: Zwei Skinheads verletzen den 53-jährigen Karl-Hans Rohn durch Tritte lebensgefährlich, übergießen ihn mit hochprozentigem Schnaps und zünden ihn an. Das sterbende Opfer transportieren sie im Wagen des Wirts über die Grenze in die Niederlande.
14./15.11., Kassel/Hessen: Brandanschlag auf eine Moschee.
21.11., Berlin-Friedrichshain: Neonazis erstechen den 27-jährigen Silvio Meier und verletzen zwei linke Jugendlichen schwer.
21.11., Wülfrath/Nordrhein-Westfalen: In einem Altersheim beschimpft und schlägt ein ehemaliger SS-Obersturmführer den 92-jährigen Holocaustüberlebenden Alfred Salomon wegen seiner jüdischen Herkunft. Salomon erleidet einen Herzinfarkt und stirbt.
23.11., Mölln/Schleswig-Holstein: Bei einem Brandanschlag auf zwei Wohnhäuser kommen Bahide Arslan, Ayse Yilmaz und Yeliz Arslan ums Leben. Neun weitere Menschen werden schwer verletzt. Die beiden Häuser brennen völlig aus.
23.11., Wiesbaden/Hessen: Der spätere Mörder von Walter Lübcke (CDU), Stephan Ernst, sticht in der Toilette des Hauptbahnhofs einen türkischen Imam nieder.
24.11., Bad Salzuflen/Nordrhein-Westfalen: Zehn maskierte Männer schlagen einen 49-jährigen Türken zusammen.
27.11., Berlin-Moabit: Brandanschlag auf zwei türkische Imbissstuben und einen türkischen Teppichladen.
29.11., Hannover/Niedersachsen: Neonazis schießen mit Signalmunition auf mehrere Libanesen.
30.11., Langenfeld/Nordrhein-Westfalen: Brandanschlag auf das Fachwerkhaus einer türkischen Familie. Das türkische Ehepaar und seine drei Kinder können sich in Sicherheit bringen.
Der Beitrag Im Jahr 1992 eskalierte die rassistisch motivierte Gewalt erschien zuerst auf der rechte rand.
Im Namen des Volkes
#KonformistischeRevolte

Dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen ging eine monatelange Hetzjagd gegen Asylsuchende voraus. In Leserbriefen und Zeitungsartikeln beklagten Anwohner*innen die Zustände auf der Wiese vor der »Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber« (ZAst), die meist nicht auf das politische Versagen, sondern auf ein essenzielles So-Sein der dort Ausharrenden zurückgeführt wurden, und drohten damit, die Sache selbst »in die Hand zu nehmen«, wenn »die Politik« nicht für Ordnung sorge.
Kommunal- und Landespolitiker*innen wiederum schoben die Verantwortung für das politische Versagen sowohl vor als auch nach dem Pogrom der jeweils höheren Ebene zu: Oberbürgermeister Klaus Kilimann betonte gegenüber der Ostsee-Zeitung (OZ), dass er dem Innenminister Lothar Kupfer Druck gemacht habe. Dieser wiederum erläuterte, dass er »höhere Gewalt: die Bonner Asylgesetzgebung« als Ursache des Pogroms ausmache. Denn diese, so sagte Kupfer, mache »den ungewollten, ungezügelten und unbeherrschbaren Asylbewerberstrom möglich.« (Norddeutsche Neueste Nachrichten, 26.08.1992) Einerseits stellten sich Politiker*innen in Stadt und Land als empathische Versteher*innen der Lichtenhäger*innen dar, andererseits betonten sie ihre Ohnmacht gegenüber der Regierung in Bonn. Noch am Abend vor dem Pogrom sagte der Rostocker Innensenator Peter Magdanz, dass er hoffe, »daß die Herren in Bonn bald aus ihrer Sommerpause aufwachen.« (OZ, 21.08.1992) Doch auch zahlreiche Bundespolitiker*innen beteuerten, dass ihnen die Hände gebunden und sie dem Asylgesetz ohnmächtig unterworfen seien. Nur eine Änderung des Grundgesetzes könne zu diesem Zeitpunkt noch helfen, um dem Chaos wieder Herr zu werden und die Ordnung wiederherzustellen.
Genau hier gilt es, hellhörig zu werden. Ausgerechnet in der Anwendung des geltenden Asylrechts soll demzufolge die Ursache für das Fehlen einer staatlichen Ordnung liegen: Das geltende Recht treibe den Staat förmlich in den Notstand und schade der eigenen Bevölkerung. Wenn nun also Leserbrief-Autor*innen und Lichtenhäger Anwohner*innen von der Politik forderten, die Ordnung wiederherzustellen, dann bezog sich dies meist auf die Abschaffung oder zumindest Verschärfung des Asylrechts und darauf, dass die Politik im Sinne der eigenen Bevölkerung handeln solle.
Konformismus der Rebellierenden
Die Deutlichkeit, mit der selbst Vertreter*innen des Staates dessen angebliche Schwäche zur Schau trugen, schienen die Angreifer*innen als Aufforderung zu verstehen, selbst tätig zu werden. Die Brandsätze, die sie im August 1992 auf die ZAst und das benachbarte Wohnheim vietnamesischer Vertragsarbeiter*innen warfen, galten einerseits dem angeblich gesetzlosen Verhalten der Asylbewerber*innen und andererseits der vermeintlich untätigen Politik und dem Gesetz, dem das »Volk« ohnmächtig unterworfen sei. Ein Anwohner aus Lichtenhagen beschwerte sich im Juni 1992, dass die Zustände rund um die Einrichtung eine »Auswirkung der nicht zu Ende gedachten Asylantenpolitik [sei]. Es stinkt hier im Sinne des Wortes zum Himmel.« (NNN, 26.06.1992) Das Bild des Zum-Himmel-Stinkens ist eindeutig: In der Situation, wie sie im Frühjahr und Sommer 1992 vor der ZAst entstand, erkannte dieser Anwohner also den vermeintlichen Verrat der Politik am »Volk«.
Doch anstatt etwa vor das Rathaus oder den Landtag zu ziehen und dort beispielsweise für eine bessere Unterbringung der Asylbewerber*innen zu protestieren, waren im August 1992 mehrere tausend Menschen bereit, Seite an Seite mit Neonazis vor die ZAst zu ziehen und den Tod von Asylbewerber*innen und vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen zumindest in Kauf zu nehmen. Dieser Umstand gibt nicht nur Auskunft über die dem Rassismus und Antiziganismus inhärente Gewaltbereitschaft, sondern ebenso über den Konformismus der Angreifenden.

Denn einerseits trachteten die Angreifenden danach, gegen den Staat, der nicht im Interesse des »Volkes« handele, aufzubegehren. Dem stand andererseits das gleichzeitige Bedürfnis gegenüber, sich den Autoritäten zu unterwerfen und damit zu dem ersehnten Kollektiv der Deutschen zu gehören. In der konformistischen Revolte erfahren diese beiden ambivalenten Bedürfnisse Befriedigung – die Rebellion geschieht herrschaftskonform: Die Aggressionen, die eigentlich den Autoritäten gelten, werden mit deren Einverständnis gegen Schwächere gerichtet. Dieses Einverständnis muss dabei keineswegs in Form eines direkten Befehls gegeben werden, es genügt die Antizipation der Zustimmung, die angesichts der »Das Boot ist voll«-Rhetorik gegeben war.
Die konformistische Revolte verfolgt also keineswegs das Ziel, die Politiker*innen anzugreifen oder grundsätzlich in Frage zu stellen, sondern vielmehr, sie zum Handeln zu zwingen. So ist auch eine Frau zu verstehen, die am Tag nach den Ausschreitungen in der OZ zitiert wurde: »Aber wenn die Herren Politiker jetzt endlich aufwachen und jeder – ob in Bonn, Schwerin oder Rostock – endlich seine verdammten Pflichten entdeckt, die ihm die Wähler auferlegt haben, hat das alles vielleicht einen Sinn gehabt.« (OZ, 26.08.1992)
ABO
Das Antifa Magazin
alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.
Antiziganismus als Basis
Im Fokus der sich zuspitzenden Situation standen von Beginn an die ankommenden rumänischen Asylbewerber*innen. Bereits seit Monaten wurden diese in Zeitungsberichten, Äußerungen von Politiker*innen und in Gerüchten der Anwohner*innen kollektiv zu »Zigeunern« gemacht: Ihnen wurden Eigenschaften zugeschrieben, die sie zu einer gefährlichen Negativfolie der Vorstellung eines deutschen »Volkes« machten. Angeblich würden sie illegal und massenhaft über die Grenzen kommen, betteln, stehlen, verwüsten und zerstören. Diesen antiziganistischen Zuschreibungen, die die Berichterstattung sowie die politische Debatte dominierten, widersprach in der Dominanzgesellschaft niemand. Antiziganismus zeichnet sich durch eine kaum gebrochene Kontinuität in der deutschen Gesellschaft aus. Vor allem weil der nationalsozialistische Völkermord an den Rom*nja und Sinti*zze in den 1990er Jahren noch nahezu keine Aufarbeitung erfahren hatte, waren antiziganistische Ressentiments nicht tabuiert, sondern leicht abrufbar. In dem Angriff auf die rumänischen Asylbewerber*innen glaubten die Autoritären also, sich der Zustimmung der Herrschenden sicher sein zu können.
Erst während des Pogroms gerieten auch die vietnamesischen Nachbar*innen in das Fadenkreuz der Angreifer*innen: Gerät die Masse erst einmal in Bewegung, benötigt sie keinerlei Befehl oder Einverständnis mehr. Und so war jegliche zuvor betonte angebliche Differenzierung hinfällig: Im Pogrom gab es nun nur noch Deutsche und Ausländer*innen.
Nach dem Pogrom
Den Forderungen der Angreifer*innen von Lichtenhagen sowie der Verfasser*innen zahlreicher Kommentare in den Lokalzeitungen wurde schließlich von der bundesdeutschen Politik nachgegeben: Auf ihrem Parteitag im November 1992 gab die SPD ihre grundsätzliche Blockade gegen Asylrechtsverschärfungen auf. Der für eine Grundgesetzänderung notwendigen Zweidrittelmehrheit stand nichts mehr im Wege. Am 6. Dezember 1992 einigten sich Union, FDP und SPD schließlich auf den Asylkompromiss. Die Neufassung des Artikels 16a des Grundgesetzes bot kaum noch legale Möglichkeiten, nach Deutschland zu kommen und Asyl zu beantragen. Mit dem Asylkompromiss wurde neben »sicheren Herkunftsländern« ebenso die »Drittstaatenregelung« beschlossen: Ein Asylantrag konnte so nur noch im ersten betretenen EU-Land gestellt werden, so dass eine Einreise nach Deutschland auf dem Landweg nahezu unmöglich wurde. Mit dem Beschluss über die umfassenden Verschärfungen war die vermeintliche Ordnung, die von den Autoritären über Monate beschworen wurde, wiederhergestellt.
Spätestens 2015, als »besorgte Bürger« bundesweit vor Geflüchtetenunterkünfte zogen, den Menschen »Wir sind das Volk!« entgegenbrüllten und Medien wie Der Spiegel nahezu dieselben Titelbilder wie 1992 hervorkramten, wurde die Erinnerung an Lichtenhagen wieder wach. Wie schon der Mob vor der ZASt 1992 forderten sie die Schließung von Unterkünften in Wohngebieten sowie Asylrechtsverschärfungen. Mit der Verharmlosung, sie als »besorgte Bürger« zu bezeichnen, ihnen zuhören und sie ernst nehmen zu wollen, wurde der Gesellschaft ein Bärendienst erwiesen. Denn offensichtlich dürfen Rechte in Deutschland brandschatzen und morden, das »Volk« sind sie dennoch – oder vielleicht gerade deswegen.
Der Beitrag Im Namen des Volkes erschien zuerst auf der rechte rand.