Identität: »Frei.Wild«
#Musik
Am 13. März 2015 veröffentlicht die Südtiroler Musikgruppe »Frei.Wild« ihr neues Studioalbum »Opposition«. Bereits mit der Wahl des Titels knüpft die Band inhaltlich nahtlos an ihre früheren Alben an. Eine inhaltliche Analyse der Liedtexte aus früheren Veröffentlichungen bietet einen Einblick in das Identitätsangebot an ihre Fans.

»Frei.Wild« ist zurück auf der Bühne: Album-Veröffentlichung im März 2015, Tour im April und Mai, danach reiht sich ein Festival an das andere. Wie bei den vergangenen Veröffentlichungen bedeutet dies wohl: Goldene Schallplatte für das Album und eine ausverkaufte Tour. »Frei.Wild« machen mit ihrem Schaffen ein Identitätsangebot, das von hunderttausenden Menschen dankend angenommen wird. In den Liedtexten der Band wird die Identität sowohl über Geburt und Herkunft eines Individuums (Nativismus) als auch über die gemeinsame Feindschaft einer Gruppe aus eben jenen Individuen (Negativismus) definiert. Zur Schicksalsgemeinschaft ist es dann nicht mehr weit.
Heimat
Den Schwerpunkt des nativistischen Identitätsangebotes bildet das nationalistische Gedankengut, das sich vorrangig in zwei, für die Bandgeschichte äußerst bedeutsamen, Liedern wiederfindet: »Südtirol« (2003) und »Wahre Werte« (2010). Das Lied »Südtirol« widmet »Frei.Wild« seiner Heimat. Darin heißt es: »Südtirol, wir tragen deine Fahne/Denn du bist das schönste Land der Welt/Südtirol, sind stolze Söhne von dir/Unser Heimatland, wir geben dich nie mehr her/Südtirol, deinen Brüdern entrissen/[…]/Südtirol, du bist noch nicht verlor´n/In der Hölle sollen deine Feinde schmor´n«. Mit diesen deutlichen Aussagen positioniert sich »Frei.Wild« eindeutig in dem spannungsgeladenen Verhältnis Südtirols zu Italien. Die Band wendet sich gegen die mehrheitlichen VerfechterInnen des politischen Status quo, die sich gegen eine Loslösung Südtirols von Italien aussprechen. Obwohl Südtirol nach dem Zweiten Weltkrieg und den Beschlüssen zweier Autonomiestatute heute umfangreiche Rechte genießt, klagt »Frei.Wild« über massive Einschränkungen und mangelnde Freiheiten seitens der italienischen Regierung. Politisch befindet sich die Band damit in Gesellschaft der SeparatistInnen, deren militanter und neonazistisch geprägter Teil bis in die frühen 1990er Jahre Attentate auf Personen und Anschläge verübt hat.
In der Rockballade »Wahre Werte« konstruiert »Frei.Wild« eine »Wir-Gruppe«, die aus dem »gesund patriotischen« Tiroler Volk besteht, und eine »Ihr-Gruppe«, die ihre Heimat hasst, sich für sie schämt und Heimatliebe tabuisiert: »Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen/Wenn ihr euch Ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen/(…)/Sehe schon die Nachwelt klagen und fragen/Warum habt ihr das verkommen lassen/Die Wurzel des Landes, wie kann man die hassen«. Mit »Wahre Werte« begibt sich »Frei.Wild« in das Geflecht von Patriotismus und Nationalismus, das durch eine ein- und ausschließende Wirkung gekennzeichnet ist. Im Mittelpunkt des dazugehörigen Musikvideos stehen Aufnahmen des »Unabhängigkeitstages« des rund 5.000 Mitglieder umfassenden »Südtiroler Schützenbundes«, der sich dem »Schutz der Heimat und der Tiroler Lebens- und Wesensart« und der »Einheit des Landes Tirol« verpflichtet fühlt. Der Fortbestand der Tiroler Identität wird metaphorisch mit der zu schützenden »Wurzel des Landes« umschrieben. Würde diese »Wurzel« nicht genährt und geschützt, drohe schließlich der Volkstod: »Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat/Ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk«. Indem der drohende Volkstod und ein homogenes Volk besungen werden, wird Migration und einer heterogenen Gesellschaft eine Absage erteilt – Immigration und Multikulturalismus gefährdeten demnach den Fortbestand des Tiroler Volkes. »Frei.Wild« geht aber noch einen Schritt weiter; als Referenz für ihren Liedtext wird eine Gedenktafel für den terroristisch agierenden »Befreiungsausschuss Südtirol« mit der Inschrift »Sie lebten für die Freiheit und Einheit Tirols/Ihre Opfer bleiben uns Verpflichtung« eingeblendet.
»Politik des Unpolitischen«
Um Kritik an der Band abzuwehren, wird die wenig originelle Behauptung des »Unpolitischen« in Stellung gebracht. Der Versuch, sich ein unpolitisches Image zu geben, hat zweierlei Gründe: Einerseits kann er als »reine Schutzbehauptung« gewertet werden, um sich gegen Vorwürfe aus dem eigenen Publikum zu immunisieren, dadurch finanzielle Einbußen zu minimieren und zugleich das Publikum zu maximieren. Andererseits entspricht die unpolitische Bezeichnung angeblich der Selbstwahrnehmung. Beispielsweise beschreibt Sänger Philipp Burger in einem Videobeitrag (»Klare Worte«, Herbst 2012) die Identitätssuche des Menschen als natürliches Streben nach nationaler Identität, wonach ein positiver Bezug zu Heimat und Volk ein natürlicher Drang und somit vollkommen unpolitisch sei. Angesichts der seit Jahrzehnten mit großer Intensität geführten Auseinandersetzung um den Status von Südtirol – in den 1960er Jahren gab es auf Seiten der italienischen Behörden sowie der SeparatistInnen zahlreiche Tote – gewinnen Begriffe wie Heimatliebe, Volk und Patriotismus im Diskurs um die Unabhängigkeit Südtirols einen enormen politischen Gehalt. Das kann Philipp Burger nicht entgangenen sein, insofern sind seine Ausführungen zum »unpolitischen« Charakter der Band und deren Liedtexte wenig geeignet, Erhellendes zu der Debatte beizutragen.
Freund-Feind-Denken
Ein stark polarisierendes Freund-Feind-Denken bildet den Kern des negativistischen Identitätsangebotes. Die Konstruktion des Feindes richtet sich allgemein gegen den »linken Mainstream« und schließt sämtliche JournalistInnen und Institutionen (antifaschistische Initiativen, Bands und Parteien) ein, die kritisch über »Frei.Wild« berichten. Laut Sänger Burger bilden sie eine »Anti-Frei.Wild-Liga«, die sich gegen die Band verschworen hat. Das Lied »Gutmenschen und Moralapostel« (2012) charakterisiert das konstruierte Feindbild mustergültig: »Ich scheiß auf Gutmenschen, Moralapostel/Selbsternannt, political correct/Der die Schwachen in die Ecke stellt/Und dem Rest die Ärsche leckt«. Aus Geldgier würden kritisch berichtende JournalistInnen »nur Hass« schüren: »Sie richten über Menschen, ganze Völker sollen sich hassen/Nur um Geschichte, die noch Kohle bringt, ja nicht ruhen zu lassen«. Mit ihrer eingängigen Rockmusik vertont »Frei.Wild« das, was im rechten Spektrum – sei es der Stammtisch oder die diversen Publikationen – Minimalkonsens ist: der Hass auf »politische Korrektheit«, die ganze Gesellschaften zu SklavInnen von Minderheiten mache und die natürliche Ordnung abschaffen möchte, der Hass auf Linke und auf KritikerInnen, die als Spaltpilze agierten und daraus finanzielle Vorteile zögen. Dass die Band, die sich hier als »die Schwachen in der Ecke« bezeichnet, mit ihrer Heimatduselei und Beleidigungen einen beträchtlichen Umsatz erzielt, bleibt selbstverständlich unerwähnt. Last but not least darf die »Nazikeule« nicht fehlen. In »Schlagzeile groß, Hirn zu klein« (2013) wird das Markenzeichen des konstruierten Feindes, die »Nazikeule«, beschrieben: Jede Form der Heimatliebe werde automatisch als »rechtsextrem« eingestuft. Mit der »Nazikeule« übten vor allem JournalistInnen nicht nur an »Frei.Wild« Kritik, sondern allgemein an Menschen mit einem »gesunden Patriotismus«. Dies führe zur Tabuisierung der Heimatliebe, die von »Frei.Wild« ebenso wie die »Nazikeule« selbst konstruiert wird.
Opferstilisierung
Eng verknüpft mit der Freund-Feind-Konstruktion ist die Opferstilisierung: Der »linke Mainstream« habe sich gezielt »Frei.Wild« als »Feindbild Nr. 1« ausgesucht, um sie in den finanziellen Ruin zu treiben. Die Ursache für ihre Opferrolle sieht die Band in ihrem Mut, »unangenehme Wahrheiten« auszusprechen. Im Lied »Wir reiten in den Untergang« (2012) setzt die Band ihre angebliche Verfolgung mit der industriellen Ermordung von Juden und Jüdinnen im Nationalsozialismus gleich. Die Folge ist eine Verharmlosung des Holocaust: »Nichts als Richter, nichts als Henker/Keine Gnade, und im Zweifel nicht für dich/Heut gibt es den Stempel keinen Stern mehr/Und schon wieder, lernten sie es nicht«. Laut »Frei.Wild« soll das Lied »auf provokative und (…) übertriebene Art und Weise (…) wachrütteln und zeigen, wie schnell sich die Geschichte wiederholen« könne.
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Extremismus
Der Vorwurf, die KritikerInnen würden mit der »Nazikeule« die Meinungsfreiheit der Musiker missachten, ist wesentlicher Bestandteil der Konstruktion einer guten Mitte zwischen den beiden (wiederholt als »politische Übermotivation« umschriebenen) Polen »Links- und Rechtsextremismus«. Während »Frei.Wild« »für Menschlichkeit, Toleranz, Meinungsfreiheit und vor allem gegen jede Form der Ausgrenzung« stehe, gipfeln Zuordnungen zum »Linksextremismus« gelegentlich in Faschismusvorwürfen: »Wer andere Meinungen nicht zulässt, ausgrenzt, ausschließt (…), braucht nicht über den Faschismus schimpfen, denn er lebt ihn selbst«. Zwischen den beiden konstruierten Extremen sieht die Musikgruppe keinen Unterschied; stattdessen gilt die eigene Positionierung als gesunde Mitte. Als wichtiges Beispiel für die Gleichwertigkeit der Extreme dient die 2012 gestartete Kampagne »Frei.Wild gegen Rassismus und Extremismus«.
Wir sind Südtirol
Das von »Frei.Wild« konstruierte Identitätsangebot ist breit gefächert. Ihre HörerInnen bekommen viele Anknüpfungspunkte für die eigene Identität. Maßgebend ist jedoch das Bild vom unterdrückten Underdog, der sich gegen seine VerschwörerInnen zur Wehr setze. Das sind, in Verbindung mit einer auf Herkunft basierenden Identität bei ständiger Negierung der politischen Dimension des eigenen Tuns, vorgetragen mit der rebellenhaften Attitüde der Rockmusiker im musikalischen Mainstream angekommene rechte Einstellungen.
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Absolution
#Musik
Abhandlungen über die Band »Frei.Wild« gibt es mittlerweile zu Genüge. Die jüngste Veröffentlichung mit dem Untertitel »Südtirols Konservative Antifaschisten« von Klaus Farin hat der Band rechtzeitig zum neuen Album Aufmerksamkeit außerhalb ihrer Fangemeinde verschafft.

Das 1998 von Klaus Farin mitgegründete »Archiv der Jugendkulturen«, beziehungsweise die Partnerinstitution »Archiv der Jugendkulturen Verlag« – bei dem »Frei.Wild – Südtirols Konservative Antifaschisten« erscheint – forscht, sammelt und veröffentlicht als Schnittstelle zwischen eigener Szenenähe und Wissenschaft zu dem, was Jugendkulturen in Deutschland zu bieten haben. Gegen allen Kulturpessimismus werden Jugendkulturen als positive Sozialisierungsinstanzen verteidigt, ohne dabei problematische Entwicklungen zu beschönigen.
Der Jugendforscher Klaus Farin wird als Experte für Jugend(sub)kulturen gehandelt. In den vergangenen Jahrzehnten hat er sich intensiv mit Skinheads und Gruftis beschäftigt. Dabei hat er sich nicht gescheut, Kontakte zu problematischen Szenen und deren musikalischen VertreterInnen zu knüpfen. Die Einblicke, die er dabei gewonnen hat, sind integraler Bestandteil seiner Veröffentlichungen.
Das neue Buch von Farin ist geeignet, den guten Ruf des »Archivs der Jugendkulturen« zu schädigen. Das »Archiv der Jugendkulturen« legt deshalb trotz der anhaltenden Verquickung mittlerweile Wert auf die Feststellung, dass Archiv und Verlag zwei eigenständige Institutionen sind und Farin seit 2011 nur noch Mitglied und nicht mehr Leiter des Archivs ist. Grundregeln seriöser journalistischer oder wissenschaftlicher Arbeit hat Farin über Bord geworfen. Das Buch ist PR, es geht keineswegs nur darum, Bands und Fans »selbst zu Wort kommen« zu lassen, damit sich ein jeder »ein eigenes Urteil« bilden kann. Stattdessen beschönigt es und verfolgt damit einen Zweck: die Band gegen Kritik zu immunisieren. Dass auch ein paar »Frei.Wild«-Kritikerinnen zu Wort kommen, ändert nichts an dieser Grundkonstellation. »Frei.Wild« haben jetzt eine prominente Verteidigungsschrift auf dem Markt. Und Farin selbst hat mit dem Buch einen Kassenschlager. Die Band bewirbt das Buch großzügig; die Verkäufe laufen gut. Eine zweite Auflage ist in Arbeit. Es gab sogar eine gemeinsame Buchpräsentation des Autoren und der Band, inklusive Autogrammstunde.
Ein schönes Buch
Schon der erste Eindruck des Buchs »Frei.Wild – Südtirols Konservative Antifaschisten« macht klar, dass es hier nicht um eine objektive Annäherung an eine umstrittene Band geht. 400 Seiten, Hardcover mit geprägtem Bandlogo, lassen eher auf ein Fanbuch schließen. Die Aufmachung erinnert an das »Buch der Erinnerungen – Die Fans der Böhsen Onkelz« aus dem Jahr 2000 von Farin. Beim Durchblättern verfestigt sich dieser Eindruck. Unzählige Fotos – sowohl von Fans als auch den Musikern beigesteuert – zeichnen den Werdegang der 2001 gegründeten Band nach. Der Textanteil wird von der Bilderflut in den Hintergrund gedrängt. Zu Wort kommen Fans, die Bandmitglieder, verschiedene AutorInnen und natürlich äußert sich auch Klaus Farin selbst. »Wenn es gegen ‹rechts› geht, sind viele schnell dabei«, kritisiert er gleich zu Beginn. Zwei Sorten Menschen seien beim Kampf gegen Rechts laut Farin besonders engagiert: »moralisch-emotional motivierte« Gutmenschen, die immer alarmiert sind, vom Thema aber leider keine Ahnung haben. Und dann gebe es die »Profiteure«, »Geschäftsleute«, für die ihre Kampagnen eine »Gelddruckmaschine« seien, denen es um Macht und die »Selbsterhaltung ihrer aufgeblähten Strukturen« gehe. Dass Farin und das »Archiv der Jugendkulturen« selbst schon so manchen Förder-Euro aus den Programmen gegen Rechts eingeworben haben, bleibt unerwähnt. 2010 kassierte das »Archiv der Jugendkulturen« für die Erforschung der »Autonomen« hingegen mehr als 20.000 Euro aus Fördertöpfen zur Bekämpfung des »Linksextremismus«. 2015 brachte Klaus Farin zum gleichen Thema ein Buch heraus. Die in düsteren Farben gemalte Anti-Rechts-Industrie mit ihren naiven Fußtruppen sei schuld, so legt es Farin im »Frei.Wild«-Buch nahe, dass eine durch und durch anständige und obendrein »antifaschistische« Musikgruppe Verfolgungen ausgesetzt sei. Farin geriert sich als Meinungsrebell und biedert sich mit solchen Passagen dem Anti-Gutmenschen-Lamento und »Lügenpresse«-Gerufe der entsprechenden Milieus an.
Das Ergebnis seiner »Frei.Wild«-Forschung präsentiert Farin am Ende des Buches: »Frei.Wild distanzieren sich eindeutig und glaubwürdig von Faschismus jeglicher Art und sind auch als Personen nicht Teil der rechten Szene.« Ihr »Patriotismus« sei »konservativ, aber nicht ausgrenzend und nicht nationalistisch«. Der schale »Kern« der »Frei.Wild«-Kritik sei, »dass sie keine ‹linke› Band sind«. Sänger »Philipp Burger geht mit seiner Vergangenheit als rechter Skin (…) vor rund 15 Jahren offensiv und geradezu vorbildhaft um und verschweigt nichts.« Tatsächlich war Philipp Burger bis 2001 Sänger der Neonazi-Band »Kaiserjäger« – inklusive Hitlergrußposen. Burger insistiert jedoch beharrlich, beispielsweise gegenüber den »Ruhr Nachrichten«: Kaiserjäger »war keine Naziband, sondern eine Band von drei Jugendlichen.« Auch gegenüber Farin gab er die gleiche Auskunft: »Philipp sieht seine Zugehörigkeit zur rechten Skinhead-Szene heute noch als ‹unpolitische› Phase.« Burger selbst: »Man hat sich die Hörner abgestoßen, nicht mehr und nicht weniger.« Kann man solche Äußerungen wirklich als »offensive und geradezu vorbildhafte« Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit adeln?
Nichts Neues
Beliebtes Thema bei »Frei.Wild« ist der selbst verliehene Opferstatus (s. drr Nr. 152). So auch im Song »Wir reiten in den Untergang«. Die Band werde verfolgt, so wie damals die Nazis die Juden verfolgt hätten. Einziger Unterschied zu damals: »Heut gibt es den Stempel, keinen Stern mehr.« Gitarrist Jonas Notdurfter entschuldigt im Buch diese Entgleisung als ein Versehen, die Provokation sei nicht beabsichtigt gewesen: »Wenn wir das im vornherein geahnt hätten, hätten wir es anders formuliert.« Philipp Burger wird die gleiche Frage gestellt. Seine Antwort: »Ich habe mir natürlich schon gedacht, dass es ein paar Leute stören könnte, aber damit kann ich leben.« Überhaupt ärgern ihn die ständigen Sprechverbote: »Selbst das Wort Jude darfst du in Deutschland nirgendwo mehr nennen, dabei ist es doch eine der Weltreligionen überhaupt und ein ganz normales Wort.« Himmelschreiend, aber von Farin wieder nicht kommentiert: Plattenmillionäre tun in einem Lied so, als stünden sie kurz vor der Deportation ins Konzentrationslager und der Sänger sieht in der Kritik an einer solchen Geschmacklosigkeit ein angebliches Verbot, das Wort »Jude« in den Mund zu nehmen. Und: War der Song nicht als Provokation gedacht, wie Jonas Notdurfter sagt, oder eben doch, wie es Philipp Burger beschreibt? Warum fragt Farin nicht nach? Lieber arbeitet er mit Suggestivfragen, beispielsweise an Burger: »Gibt es für dich einen Unterschied zwischen Patriotismus und Nationalismus – abgesehen davon, dass ihr als Südtiroler eigentlich gar keine Nationalisten sein könnt – ihr seid ja nicht mal eine…«. Der Sänger greift die Vorlage dankbar auf: »Nein, Südtirol ist kein Staat, uns wegen unseren Texten über dieses Land Nationalismus vorzuwerfen, grenzt schon an politisch-geschichtliche Missbildung.« Seit wann braucht es einen eigenen Staat, um Nationalist zu sein? Noch suggestiver ist eine spätere Frage an Burger. Der ehemalige RechtsRock-Bandleader und regionale Neonazi-Skin-Anführer wird von Farin allen Ernstes gefragt: »Warum bist du kein Neonazi geworden?« Burger antwortet: »Allein schon von meinem Herzen aus könnte ich das nicht vereinbaren.«
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Südtirol gegen Gutmenschen
Das professionelle und bewusst gewählte Image von »Frei.Wild« fußt auf einem starken Bezug auf die »Liebe« zur Heimat Südtirol, auf die eigene »Bodenständigkeit« und auf die »patriotischen« Texte. Die entsprechenden Lieder zählen bei »Frei.Wild«-Fans zu den populärsten. Genauso gehört zu »Frei.Wild« ein Bekenntnis, irgendwie »unpolitisch« zu sein sowie eine aggressive Abwehr jeder Kritik. Leute, die »Frei.Wild« kritisieren, seien »die größten Kokser, die zu Kinderstrichern gehen«, geifert es im Lied »Gutmenschen und Moralapostel«. Der »Frei.Wild«-Erfolg in Deutschland beruht auch darauf, dass die Fans mit ihrer Band den unverdächtigen »Patriotismus« der Südtiroler gern für sich selbst in Anspruch nehmen. Im bei Fans beliebten Lied »Südtirol« heißt es: »Ich dulde keine Kritik an diesem heiligen Land, das unsere Heimat ist«. Ein Land für »heilig« zu erklären und keine Kritik daran zu dulden, das ist radikaler Nationalismus. Farin hingegen umschreibt das Lied mit der Nullvokabel »umstritten« und findet im Text lediglich einen »religiös-patriotischen Pathos«. Ein Argument von »Frei.Wild«-VerteidigerInnen ist, dass Südtirol eine andere Geschichte als Deutschland habe. Die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols habe unter dem – italienischen – Faschismus gelitten und sei darum mehr oder minder immun gegen jede Sorte von Totalitarismus. Eines der besseren Kapitel im Buch ist der Geschichte Südtirols gewidmet. Die Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung in Südtirol habe in den 1930er Jahren gehofft, dass die von vielen verehrte Lichtgestalt Adolf Hitler Südtirol »heim ins Reich« holen würde, ist dort zu erfahren. Am Mussolini-Faschismus störte weniger dessen faschistischer Charakter, als der Fakt, dass er italienisch war und die deutsche Minderheit mit Repressionen belegte. Als die Wehrmacht 1943 Südtirol besetzte, wurde sie als Befreierin begrüßt. Kurzum: Der Antifaschismus in Südtirol ist ein Mythos. Farin schreibt: »Südtirols antifaschistische Haltung ist zu erheblichen Teilen zugleich eine pro-nationalsozialistische. So werden bezeichnenderweise zum Zeichen des Widerstandes gegen die FaschistInnen Hauswände mit Hakenkreuzen verziert.« Diese historischen Einordnungen sind hilfreich und verdeutlichen den Kontext der leeren »Frei.Wild«-Abgrenzungen gegen »Faschismus«. Warum nur trägt das Buch trotzdem den Titel »Südtirols konservative Antifaschisten«? Eine mögliche Erklärung für diesen Wirrwarr wäre übrigens, dass Farin gar nicht alleiniger Autor des Buches ist. Selbst der Sprachstil weicht in unterschiedlichen Kapiteln des Buches auffallend stark voneinander ab. Entsprechend zieht sich das begriffliche Chaos durch das ganze Buch. So lässt Farin kaum eine Gelegenheit aus, den Begriff der »Grauzone« als Bezeichnung für das Lavieren von Bands wie »Frei.Wild« als ungeeignet zu denunzieren. Das Wort diene Linken nur dazu, alle Nicht-Linken als »irgendwie doch rechts« abzuqualifizieren. Andererseits wird der der Begriff im Farinbuch selbst verwendet: Der SPD-Sachbuchmillionär Thilo Sarrazin, der MigrantInnen für weniger intelligent als Deutsche hält, wird als ein »Grauzone-Autor« kritisiert.
Farin beschreibt in seinem Buch alles Mögliche. Umso spannender ist darum, dass er die zentralen Begriffe Rassismus und Nationalismus nicht diskutiert, geschweige denn definiert. Im Zweifel segelt alles unter Labeln wie »Patriotismus« und »Konservatismus«. Fängt Rassismus denn erst beim Ku-Klux-Klan an und Nationalismus erst bei Hakenkreuzen? »Frei.Wild« ist keine Neonazi-Band. Die allermeisten »Frei.Wild«-Fans sind keine Neonazis. Die Band ist in erste Linie eine auf hohem Niveau geführte Marke für als Rebellion verpacktes Kleinbürgertum – allen Tätowierungen und Piercings zum Trotz – und: ein ökonomischer Erfolg. Leider wird hier die Gelegenheit verpasst, mit den Fans über ihre Ängste, Wünsche und Projektionen kritisch zu diskutieren. Stattdessen wird weiter am Produkt »Frei-Wild« gearbeitet. Zur Selbstbestätigung der »Frei.Wild«-Fans mag es taugen, als Bildungsmaterial ist es völlig ungeeignet.
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