Jürgen Elsässer oder: Welche Farbe hat das Chamäleon?
#Portrait
»Panta rhei« – alles fließt – wusste der antike griechische Philosoph Heraklit. Wir heutigen Normalsterblichen, die wir weniger weise sind, wissen trotzdem, dass sich alles verändert. Nichts bleibt, wie’s mal war. Manche Dinge verschwinden ganz, manche mutieren langsam und graduell, andere wiederum wechseln völlig ihre Gestalt.

Die Monatszeitung ak gibt es immer noch. Einstmals hieß sie mit vollem Namen »arbeiterkampf« und war das Organ des Kommunistischen Bundes (KB); heute steht ak für »analyse + kritik«. Als der ak noch »arbeiterkampf« hieß, schrieb dort regelmäßig ein gewisser »jü./Stuttgart«. Die Konspirativität gebot das Kürzel, die Eingeweihten wussten trotzdem, dass es sich bei dem Autor um einen gewissen Jürgen Elsässer, einen Berufsschullehrer für Geschichte und Deutsch aus Stuttgart handelte. Der heutige ak käme niemals auf die Idee, diesen Autor, egal unter welchem Namen, für sich schreiben zu lassen. Nicht weil ak einen völlig anderen Kurs eingeschlagen hätte, sondern weil besagter Elsässer die Seiten gewechselt hat.
Der 1957 geborene Jürgen Elsässer stammt aus Pforzheim, geboren in einfachen Verhältnissen. Er war ein Kind der Aufstiegsgesellschaft der alten Bundesrepublik, konnte studieren. Seine politische Sozialisation erfolgte als Schüler. 1974 trat er dem »Bund Demokratischer Jugend – Ring Bündischer Jugend« bei. Es spricht einiges dafür, dass er sich im Organ dieser in der Tradition der Bündischen Jugend stehenden und durch die 68er-Bewegung nach links radikalisierten Organisation, der »Kämpfenden Jugend«, die ersten Sporen als Autor verdiente. 1976, damals Student in Freiburg, schloss er sich der dortigen KB-Gruppe an. 1989 wurde er in das »Leitende Gremium« des KB gewählt. Mit 55 Prozent und damit dem schlechtesten Ergebnis aller Kandidierenden. Manches verändert sich eben doch nicht. Streitbar und umstritten war Elsässer schon immer.
Dies galt erst recht in der Zerfallsphase des KB, deren Katalysator der Anschluss der DDR gewesen war. Die Fetzen flogen. Öffentlich wurde Elsässer aus den eigenen Reihen vorgeworfen, sich vom kambodschanischen Diktator Pol Pot nur dadurch zu unterscheiden, dass ihm dessen Machtmittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele fehlten. War in den Jahren zuvor eine flexible Bündnispolitik ein Markenzeichen des KB gewesen, setzte Elsässer angesichts der deutschen Großmachtambitionen auf strikte Konfrontation. Im Februar 1990 sah er im ak die »kulturrevolutionäre Aufgabe« der radikalen Linken in der »Zerstörung des deutschen Staates und seiner Ersetzung durch einen Vielvölkerstaat, sowie der Auflösung des deutschen Volkes in eine multikulturelle Gesellschaft«. »Die Deutschen« seien besonders anfällig für die Propagierung expansionistischer und faschistischer Ziele.
Heute, 30 Jahre später, klingt das alles ganz anders bei Jürgen Elsässer. Der Beginn der Kundgebungswelle gegen Refugees im Jahr 2015 war der Beginn seiner neuen Karriere als Volksredner und Volkstribun. »Ich bin Deutscher, und ich werde nicht zulassen, dass unser Deutschland vor die Hunde geht«, verkündete er im Dezember 2016 zu Beginn seiner Rede bei PEGIDA in Dresden, um gleich anschließend im Duktus der extremen Rechten gegen den laufenden »Bevölkerungsaustausch« zu wettern. »Aber wir lieben unser Land so sehr«, ergänzte er in Zwickau, dass »wir« das nicht zulassen werden. »Meine Zielgruppe ist das Volk«, ergänzte an gleicher Stelle der, der einstmals die »Auflösung des deutschen Volkes« gefordert hatte. Was einstmals für ihn deutscher Imperialismus war, war inzwischen längst zum Freiheitskampf des Volkes geworden. »Wir haben die historische Route von 1989 für die Freiheitsbewegung zurückerobert«, verkündete er vor den jubelnden Massen in Leipzig nach dem Marsch um den dortigen Innenstadtring.
Diesen veränderten Jürgen Elsässer rechnet der Soziologe Wilhelm Heitmeyer in seinem Buch »Rechte Bedrohungsallianzen« zu einem Netzwerk, dessen Publikationsorgane die Ideologie des autoritären Nationalradikalismus verbreiten und dessen Handeln legitimieren«. Zentral sei dabei der Bedeutungsrahmen des »Bevölkerungsaustauschs«, mit dem die extreme Rechte bis hin zu klandestinen Netzwerken und terroristischen Zellen ihr Handeln als angebliche Notwehr begründen. Er betätige sich, so Heitmeyer, als »Ideologieaufrüster«.
ABO
Das Antifa Magazin
alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.
Eines aber ist klar: Der Jürgen Elsässer, der 1992 in seinem Buch »Antisemitismus – das alte Gesicht des neuen Deutschland« von der deutschen Nation als »kollektiver Halluzination« schrieb, ist schwerlich vereinbar mit jenem Jürgen Elsässer, der die September-Ausgabe seines aktuellen Publikationsortes, der Monatszeitschrift »Compact«, mit dem Zeichen der antisemitischen Verschwörungserscheinung »QAnon« schmückt. Er unterscheidet sich vom Jürgen Elsässer des Jahres 2009, der damals im ersten Band seiner »Compact«-Buchreihe schrieb: »Wer vom ‹Zionismus› nicht reden darf, muss auch vom Faschismus schweigen.« Und der an gleicher Stelle ergänzte: »Compact ist das Gegengift zur politischen Korrektheit, also zur Ideologie der Neuen Weltordnung, die in den Massenmedien und auch in der linken Presse zum unantastbaren Tabu geworden ist.«
2009 also war bei ihm die Ideologie der extremen Rechten bereits vollständig ausgeformt, auch wenn er sich damals noch immer als »Linker« bezeichnete und am 10. Januar dieses Jahres, bei der Gründung seiner kurzlebigen und wenig erfolgreichen »Volksinitiative gegen das Finanzkapital« beteuerte, zwischen seinem neuen Projekt und Nazis »jedweder Couleur« stehe »eine Feuerwand der Ablehnung«. Dass allerdings bereits damals die NPD für ein »unverkrampftes« Herangehen an Bündnisse mit ihm warb, war keineswegs ein Missverständnis, sondern angesichts der Namensgebung und seiner Wortwahl nur folgerichtig.
Überraschend kam diese Entwicklung für jene, die seinen Weg verfolgt hatten, keineswegs. »Wie der Dschihad nach Europa kam« lautete der Titel seiner Buchveröffentlichung aus dem Jahre 2005. Die französische Übersetzung erschien ein Jahr später. In einem Verlag der Neuen Rechten. Zur Werbung für den Band erfolgte zeitnah ein Interview in dem Monatsblatt »Choc du mois«, einem Debattenorgan der extremen Rechten. Die weiteren Interviewpartner in der Ausgabe waren Jean-Marie Le Pen und dessen langjähriger Kronprinz Bruno Mégret. O-Ton Elsässer in dem Gespräch: »Auf dem Balkan ist die Hauptkraft der Destabilisierung die albanische Mafia, die Drogen und Waffen von ihren Brüdern in Afghanistan und anderswo bezieht.« Daneben gab es die fast schon üblichen Verschwörungsmythen zum 11. September.
Jede revolutionäre Bewegung, und als solche verstehen sich die Zuhörer*innen Elsässers, braucht ihre Intellektuellen. Deren Bedeutung und Glaubwürdigkeit steigert sich noch, wenn es sich bei ihnen um ehemalige Gegner handelt. Natürlich trifft das besonders auf jemanden zu, der für sich stolz in Anspruch nimmt, einer der Gründungsväter der Strömung der Antideutschen gewesen zu sein, und der heute beteuert, das deutsche Volk zu lieben. Neu ist dieses Phänomen nicht. Der israelische Faschismusforscher Zeev Sternhell hat umfassend die Bedeutung ehemaliger linker Intellektueller für die Entstehung und Verbreitung der faschistischen Ideologie hingewiesen. Bei Elsässer verlief der Weg von der Negativfixierung auf das »deutsche Volk« hin zu dessen Vergötzung. Revolutionär ist er geblieben, aber seine Revolution ist zur völkischen geworden. Die Revolution ist nicht mehr das Mittel gegen den Kapitalismus, sondern gegen die Demokratie, die den »Bevölkerungsaustausch« und damit die »Abschaffung des deutschen Volkes« ermögliche.
Ein solcher Weg hat sich weder in der Vergangenheit bruchlos vollzogen, noch war dies bei Jürgen Elsässer in der Gegenwart der Fall. Der ehemalige Lehrer belehrte weiterhin. Mittels der Tageszeitung »Junge Welt«, dann mittels der Wochenzeitung »Jungle World«, nachdem sich diese von der erstgenannten abgespalten hatte, dann bei der Monatszeitschrift »konkret«, danach wiederum bei der »Jungen Welt«. Es ist müßig zu spekulieren, wo und wann sowie aus welchen Gründen sich sein politisches Weltbild grundlegend veränderte, welche ideologischen Elemente dabei erhalten blieben.
Eigentlich erstaunlich, dass Elsässers aktuelle Publikation »Compact«, die seit nunmehr zehn Jahren erscheint, angesichts dieses Vorlaufs noch immer gelegentlich als »Querfront-Projekt« beschrieben wird. Artikelüberschriften wie »Revolution der Herzen. Stürzen Querdenker die Corona-Diktatur?« (9/20), »Ein Traum, der niemals endet. Die Reichsidee nach 1945« (10/20) oder »Endkampf um Amerika. Donald Trump gegen den Tiefen Staat« (11/20) lassen zwar auf Verkaufstalent schließen, nicht jedoch darauf, dass sich Linke angesprochen fühlen könnten. Auch die wenigen linken Autoren waren schon nach den ersten Ausgaben abgesprungen. Nein, keine Querfront. Faschismus. Einfach nur schnöder Faschismus.
Der Beitrag Jürgen Elsässer oder: Welche Farbe hat das Chamäleon? erschien zuerst auf der rechte rand.
Quelle: https://www.der-rechte-rand.de/archive/7820/juergen-elsaesser-chamaeleon/
Rechte Entwicklung
#Stiftung
Nach der Bundestagswahl wird die rechte »Desiderius-Erasmus-Stiftung« voraussichtlich ein Millionenbudget erhalten. Was zu erwarten ist und was uns das angeht.

Rechte und rechtsradikale Parteien, Regierungen und ihnen nahestehende Organisationen bedrohen weltweit Kämpfe für grenzüberschreitende Solidarität, für soziale Gerechtigkeit und die Menschenrechte. Jair Bolsonaro in Brasilien, Viktor Orbán in Ungarn oder Rodrigo Duterte auf den Philippinen sind nur die prominentesten Beispiele einer globalen Entwicklung, die auf verschiedenen Ebenen auch medico international und unsere Partnerorganisationen in Asien, Afrika und Lateinamerika betrifft.
In Deutschland sammeln sich reaktionäre Kräfte mit anhaltendem (Wahl-)Erfolg in der »Alternative für Deutschland« (AfD). Gegen ihr reaktionäres Projekt des Rückbaus sozialer Rechte und emanzipatorischer Errungenschaften beteiligen wir uns an verschiedenen Mobilisierungen der Zivilgesellschaft. Deshalb unterzeichnen wir das Manifest »Keine Minute warten im Kampf gegen rechts« und setzen uns gemeinsam mit bildungspolitischen und anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen die rassistische Spaltung der Gesellschaft ein, die die AfD vorantreibt. In den Vordergrund rückt dabei auch die ihr nahe stehende »Desiderius-Erasmus-Stiftung«, deren Aktivitäten schon jetzt darauf abzielen, Demokratie, Solidarität und Menschenrechte zu schädigen. Nach der kommenden Bundestagswahl wird die Stiftung voraussichtlich staatliche Fördergelder erhalten und ihre destruktive Arbeit ausweiten – auch ins Ausland.
Die Ziele der AfD in der Außen- und Entwicklungspolitik sind eindeutig: Der Schutz vermeintlich nationaler Interessen in der internationalen Zusammenarbeit, die Migrationsabwehr und der Zusammenschluss mit rechten Kräften stehen im Vordergrund. Mit einer staatlichen Förderung ihrer Stiftung in Millionenhöhe bekommt die AfD auch die Möglichkeit, Auslandsbüros zu eröffnen und in politisch instabilen Regionen der Welt rechtsradikale Projekte zu unterstützen, die hart erkämpfte demokratische und soziale Fortschritte bedrohen.
Dabei bleibt die AfD wie in anderen Politikfeldern auch ihrer Strategie treu, zunächst einmal alles zertrümmern zu wollen, was zum alten »System« gehört. Für ihre entwicklungspolitische Agenda gilt dasselbe wie für ihre übrigen Aktivitäten: Sie zeichnet sich durch eine Mischung aus Konzeptlosigkeit, Ignoranz und Vorurteil aus. Über die Zustände in anderen Regionen denkt man in der AfD vor allem wegen hier ankommender Migrant*innen nach. Entsprechend fordert die Partei »einen grundsätzlichen Strategiewechsel in der Entwicklungspolitik«. Ihr Ziel ist es, die Entwicklungshilfe gänzlich deutschen Interessen unterordnen. Um das sicherzustellen, soll das Entwicklungsministerium abgeschafft werden und das Außenministerium die verbleibenden Aufgaben übernehmen. Deutsche Zuwendungen erhielte dann nur noch, wer sicherheitspolitisch oder wirtschaftlich für Deutschland relevant oder eben Herkunftsland von Flüchtlingen ist. »Allen anderen streichen wir die Mittel«, erklärte Alexander Gauland 2017. Diese Perspektive liegt auch der Arbeit von AfD-Politiker*innen im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zugrunde. Mithilfe kleiner und großer Anfragen versuchen sie, Hilfsorganisationen unter Druck zu setzen und ihre Arbeit zu diskreditieren. Markus Frohnmaier, Sprecher des AfD-Arbeitskreises »Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung«, wird vom Verfassungsschutz bescheinigt, dass seine Äußerungen zum Islam und zum Umgang mit Geflüchteten gegen die Menschenwürdegarantie des Artikel 1 Grundgesetz verstoßen.
ABO
Das Antifa Magazin
alle zwei Monate
nach Hause
oder ins Büro.
Uns begleitet die Auseinandersetzung mit rechtsradikalen und rassistischen Akteur*innen in Deutschland und ihre internationale Vernetzung schon lange: Von den Beziehungen deutscher Neonazis zum südafrikanischen Apartheid-Regime in den 1980er Jahren bis in die Gegenwart und zur syrischen Diktatur. Zuletzt infolge der Flucht, die Millionen Menschen aus Syrien nach Europa antreten mussten, entstand für rechte Parteien in Europa ein Feindbild, das sie für ihre Zwecke instrumentalisieren. Doch »Syrien ist sicher« heißt es nicht nur von der AfD, sondern aus vielen deutschen Innenministerien – insbesondere vor den Innenministerkonferenzen, auf denen jedes Mal wieder darum gerungen wird, wenigstens Teile Syriens trotz Krieg und Verfolgung zum sicheren Herkunftsland zu erklären, in das abgeschoben werden kann.
Angefeuert wird dieser Diskurs von der AfD, von der inzwischen mehrmals Bundestags-Abgeordnete in Syrien waren, um die Legende von der »Normalität« Syriens zu verbreiten. Das kommt gut an bei der rechten Basis. Vor drei Jahren sammelte die der AfD nahestehende »Identitäre Bewegung« Gelder für vermeintliche Hilfsprojekte in den Camps syrischer Geflüchteter im Libanon. Ihr »patriotisches Hilfsprojekt« sollte, so die Außendarstellung, Mittel an Geflüchtete vergeben, die sich nicht nach Europa aufmachen. medico-Kollege Till Küster sagte damals der Zeitung Neues Deutschland: »Sie missbrauchen die Bedürfnisse der Menschen vor Ort, mit dem Ziel Menschen abzuwehren. Dabei setzen sie sich in keiner Weise mit der politischen Situation vor Ort und den Gründen für Flucht auseinander.«
Doch das Problem ist größer als rechtsradikale Splittergruppen und eine reaktionäre Fraktion im Bundestag: Wenn man sich die Programme zur sogenannten »Freiwilligen Rückkehr« anschaut, die die Bundesregierung inzwischen auflegt, um Menschen ihren Anspruch auf ein Asylverfahren abzukaufen und auch in unsichere Länder abschieben zu können und wenn man die längst stattfindende Verknüpfung deutscher Entwicklungshilfe mit der Migrationsabwehr im nördlichen Afrika anschaut, entsteht der Eindruck, die radikale Rechte wäre bereits Stichwortgeberin für Teile der Außen- und Entwicklungspolitik. Mehr Ressourcen, mehr Geld und mehr Einfluss für sie lassen nichts Gutes für die Zukunft erahnen.
Der Beitrag Rechte Entwicklung erschien zuerst auf der rechte rand.
Quelle: https://www.der-rechte-rand.de/archive/7814/desiderius-erasmus-stiftung-entwicklung/