Die Formulierungen folgen auf die Positionierungen: »Weit rechts«, »noch rechter« oder »äußerst rechts«. Ein wiederkehrendes Ritual in Politik und Medien, wenn sich die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel, oder der AfD-Fraktionschef in Thüringen, Björn Höcke, mal wieder getreu ihrer Gesinnung eindeutig äußern. Ein Mantra, das auch nach Programmentscheidungen und Provokationen der selbsternannten »Alternative für Deutschland« (AfD), angestimmt wird. Wie rechts darf eine Person oder Partei im Land der Täter*innen und Mitläufer*innen aber sein? Immer weiter rechts – bis wohin?
Keine Partei, die unter dem Label »Mut zur Wahrheit« Lüge um Lüge verbreitet, konnte nach 1945 die Bundesrepublik so weit nach rechts bewegen. Der gesellschaftlich-politische Kontext war schon lange vorher aus der Mitte der Gesellschaft mit vorangetrieben worden. Das Sag-, Wähl- und Handelbare haben nicht die Weißmanns und Kubitscheks allein nach weit rechts ausgedehnt. Die politischen Koordinaten verschiebt gerade ein ehemaliger Bundesverfassungsschutzpräsident und Bundestagskandidat aus der CDU ohne großen parteiinternen Widerspruch. Die Biografie und der Habitus aus der Mitte sind der Nimbus, der vor klaren Termini schützt. Das Böse ist nach Hannah Arendt bekanntlich banal – und bürgerlich. Elite und Mob, vereint im Pöbeln und Agieren gegen emanzipatorische Hoffnungen, egalitäre Ideen und demokratische Vorstellungen, könnten, statt erneut wieder als »jetzt aber weit rechts« eingeordnet, mal als faschistoid diskutiert werden.
Die Mitte faschistisch? Die AfD eine faschistische Partei? Bitte, geht es noch pauschaler, noch ungenauer? Die Mitte, das sind doch wir und das ist ja klar: Wir sind keine Faschist*innen! Die AfD, ihre Mitglieder und ihre Wähler*innenschaft ebenso nicht. Ein paar Ressentiments gegen Geflüchtete, gegen LGBTQI, Muslim*innen, Jüdinnen*Juden, Obdachlose oder Gutmenschen machen doch nicht gleich einen Faschismus. Viel Verständnis wird den sogenannten besorgten Bürger*innen immer wieder entgegengebracht. Sie sollen ja auch nicht mit zu harten Bezeichnungen verprellt werden. Das Hinterherlaufen ist allerdings hier und da langsam zu Ende.
Im Februar dieses Jahres legte Robert Vehrkamp für die Bertelsmann Stiftung eine Analyse zu »Rechtsextremen Einstellungen der Wähler*innen vor der Bundestagswahl 2021« vor. Die Studie, für die 10.055 Teilnehmende online befragt wurden, offenbart, dass »,mehr als die Hälfte der AfD-Wählerschaft (…) latent oder manifest rechtsextrem eingestellt« ist. Die AfD sei »die erste mehrheitlich durch rechtsextreme Einstellungen geprägte Wählerpartei im Deutschen Bundestag«, so Vehrkamp. Und er hebt hervor: »Ihr ideologisches Wählerprofil ähnelt mehrheitlich eher der rechtsextremen NPD.« Der Wahlerfolg bei der Bundestagswahl 2017 sei noch »vor allem ein Erfolg rechtspopulistischer Wählermobilisierung im Schatten der Flüchtlingskrise gewesen«, vor der kommenden Bundestagswahl 2021 zeige sich jedoch, dass »die AfD als eine mehrheitlich durch rechtsextreme Einstellungen ihrer Wähler:innen geprägte Partei« zu bezeichnen ist, »deren rechtsextreme ihre ursprünglich eher rechtspopulistische Orientierung inzwischen dominiert«. Diese Partei zerstöre das »eigene Werte- und Rechtsfundament« der Republik, so Vehrkamp.
Diese AfD ist insofern keine Partei neuen Typs. Sie verachtet – getreu den alten Typen des Faschismus – die Werte einer humanistischen Zivilisation und emanzipatorischen Kultur. Die »Umwertung der Werte«, wie Friedrich Nietzsche gegen die bürgerliche Welt polterte, will sie vorantreiben. Aus dieser Intention erfolgen die gegenwärtigen Angriffe auf »die Gutmenschen«, wird eine Cancel-Culture beklagt. Wer mit einstimmt, ist selber schuld, wenn vermeintlich plötzlich unvorhersehbar keine Werte mehr schützen.
Ideologie-geschichtlich ist der Faschismus am Ende des Ersten Weltkriegs mit Benito Mussolini verortet. Das Signet seiner Bewegung in Italien war das römische Rutenbündel – lateinisch fasces – als Symbol des Zusammenhalts. Keine Frage, nicht alle Charakteristika »des Faschismus« finden sich bei der AfD. Schon die Unterscheidung von Bewegung und Staatsmacht weist auf Differenzen hin. Der Partei fehlt denn auch das unwidersprochene Führerprinzip und die paramilitärische Parteiorganisation. Doch müssen denn alle Affinitäten gegeben sein, um mit einer Klassifizierung zu provozieren? Die kulturstiftenden Mythen wie die der »deutschen Nation« oder die identitätsgenerierenden Erzählungen von dem »Großen Austausch« fehlen nicht. Die antreibende Motivation gegen Liberalität und Parlamentarismus ebenso wenig. Ein Totalitätsanspruch ist nicht minder gegeben.
Der von dem AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Alexander Gauland als »Seele« und »Mitte« der Partei bezeichnete Björn Höcke kann als Faschist bezeichnet werden. Ein Auftreten von ihm vor Parteipublikum belegt auch schon einen Personenkult, um »den Björn«, »den Höcke«. In den vergangenen Jahren ist der unumstrittene Führer des offiziell aufgelösten »Flügels« nicht nur unter #hoeckeisteinFaschist als solcher bezeichnet worden. Eine Klage folgte bisher nicht. In seinem Gesprächsband »Nie zweimal in denselben Fluss« von 2018 warnt Höcke nicht nur vor dem »Volkstod durch Bevölkerungsaustausch« und benennt Andersdenkende als »brandige Glieder«. Er stellt auch fest, dass bei der von ihm angestrebten Umwälzung »wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind« mitzumachen. Und, und, und. Wenn das die Seele der Partei ist, dann ist ihre Gesinnung klar.
Die Fotoagentur »ddp images« gerät durch eine Übernahme unter Einfluss des stramm rechten Medien-Unternehmers Moritz Hunzinger.
Moritz Hunzinger übernimmt ddp-images und damit auch die Fotoagentur Laif
Eine der künftig größten Bildagenturen der Welt wird von Moritz Hunzinger mitgeführt. Durch die Übernahme von »ddp images« durch die von ihm mitgeleitete Agentur »ActionPress« entsteht ein großer und einflussreicher Anbieter von Fotos.
Wo Hunzinger politisch steht, ist klar: 2020 verteidigte er in einem Interview in der neu-rechten Zeitschrift »Blauen Narzisse« ein Treffen mit dem AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen und sprach sich gegen »politisch-korrektes Geschwurbel« und »Mainstream-Gender-Quatsch« aus. Der »ActionPress« Co-Geschäftsführer ist Mitglied der CDU und war Schatzmeister der CDU-Sozialausschüsse (CDA). Inzwischen schwärmt er auch für den reaktionären Ministerpräsident von Ungarn, unter dessen Regierung Medienfreiheit eingeschränkt wird: »Orbáns Staatskunst schätze ich hoch.«
Anfang 2020 sorgte Hunzinger für einen Skandal, als er in einem Kommentar im Internet von »scheußlicher Masseneinwanderung von Wilden« schrieb: »PR-Berater Moritz Hunzinger ergeht sich auf Facebook in klassischem Rassismus«, schrieb dazu die Tageszeitung Frankfurter Rundschau. Selbst BILD fragte: »Wann fliegt Hunzinger aus der CDU?«, als er im selben Jahr Frauen im Zusammenhang mit der Debatte um Quoten als ‚Flaschen‘ bezeichnete. Selbst für BILD war das eine »unerträgliche Facebook-Attacke vom bekannten PR-Mann«.
Gegen Hunzigers Übernahme der Agentur gibt es nun auch Protest von Fotograf*innen aus der zu »ddp« gehörenden Agentur »Laif«. Ein Fotograf sagte uns: »Leider werde ich wahrscheinlich gezwungen sein, die Agentur Laif als langjähriges Mitglied zu verlassen. Laif ist eine der letzten Agenturen die es geschafft hat sowohl moralisch als auch qualitativ international auf höchstem Niveau zu arbeiten. Durch den Kauf der Actionpress AG mit Moritz Hunzinger, dem Möchtegern-Steve-Banon, sehe ich leider wenig Chancen, dass selbst das engagierteste Team dieses Niveau aufrechterhalten kann. Zudem ist es für mich unmöglich, Teil eines Netzwerkes zu sein mit einem rechtskonservativen Rassisten an der Spitze und gleichzeitig für Antirassismus in der Gesellschaft zu demonstrieren.«
Wir haben auch bei Kolleg*innen von Agenturen nachgefragt, mit denen wir zusammenarbeiten. Mark Mühlhaus von der AgenturFocus sagt: »Ich war entsetzt, als ich die Nachricht am Samstag bekam, wer Laif gekauft hat (…) Fotograf*innen, die sich mit ihren Bildern gegen Rassismus und Faschisten engagieren wie gegen die AfD und dann hast du an der Spitze deiner Agentur, die dich vertritt, genau so einen Typen, einen Rassisten und Hetzer.«
Wenn ein rechter Medien-Unternehmer nun eine der weltweit größten Fotoagenturen mitbesitzt, hat das politische Bedeutung und Einfluss auf Medien und die Beschäftigten. An Silvio Berlusconi, Fox-News oder Donald Trump wurde das klar: Rechte Regierungen und rechte Medien agierten Hand in Hand.
In den aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl liegt die AfD zwischen neun und zwölf Prozent, ein Wiedereinzug in den Bundestag auf dem Niveau von 2017 liegt im Bereich des Möglichen, eine deutliche Steigerung zeichnet sich jedoch nicht ab.
Das sah schon einmal ganz anders aus, denn bis zum Beginn der Corona-Pandemie lag die »Alternative für Deutschland« (AfD) bei den großen Umfrageinstituten relativ kontinuierlich über ihrem letzten Bundestagswahlergebnis von 12,6 Prozent. Bis zu 18 Prozent wurden zwischenzeitlich für die AfD gemessen, wohingegen sie seit dem letzten Jahr die Marke von 12 Prozent nicht mehr überschritten hat. Bei allen Unwägbarkeiten von Umfragen und der Unvorhersehbarkeit der nächsten Monate scheinen sich zwei Dinge abzuzeichnen: Von einer steten Aufwärtsbewegung der AfD kann nicht mehr die Rede sein. Gleichzeitig ist es ihr gelungen, eine Stammwähler*innenschaft herauszubilden, die die Partei aus inhaltlicher Überzeugung wählt. Den immer wieder selbst formulierten Anspruch einer »Volkspartei« kann sie in Ostdeutschland ausfüllen, im Westen bleibt sie dagegen eine kleine bis mittelgroße Partei, schwankend um die Marke von 10 Prozent.
Die Wahlergebnisse der AfD seit der Bundestagswahl 2017 spiegeln diese Entwicklung: Deutliche Ergebnisse über 20 Prozent in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, zuletzt auch in Sachsen-Anhalt. Wobei die herausragenden Ergebnisse in den ersten drei Ländern 2019, also noch vor dem Corona-Einschnitt, erzielt wurden. Bei allen vier Wahlen danach in Hamburg, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt musste die Partei Verluste hinnehmen.
Die Bundestagswahl 2017 fiel mitten in die Aufschwungphase der Partei, die mit einer Rechtsradikalisierung und der bundespolitischen Dominanz des zentralen AfD-Themas Flucht und Migration einherging, und bis 2019 anhielt. Danach zeigt sich eine stärkere Diversifizierung der AfD-Ergebnisse mit einem eindeutigen Schwergewicht in Ostdeutschland. Nach dem Bedeutungsverlust des Themas Flucht und Migration ist es der Partei mit keinem anderen Thema gelungen, ähnliche Mobilisierungserfolge zu erzielen. Klimaleugnung, Corona-Verschwörungsmythen, »Umvolkung« oder »Great Reset« – mit all diesen Themen und Kampagnenversuchen konnte die AfD zwar wichtige Teile ihres Publikums bedienen. Sie schaffte es aber nicht, neue Spektren zu erschließen.
Kontinuität und Professionalisierung
Beim Blick auf Personal und Inhalte für den Bundestagswahlkampf zeigt sich vor allem Kontinuität. Die bisherigen Listenaufstellungen der AfD in den Ländern beinhalten wenige Überraschungen und ein großes Maß an personeller Kontinuität. Wichtige Ideologen der völkischen Rechten wie Gottfried Curio, Karsten Hilse, Stephan Brandner oder Jens Maier werden wieder in den Bundestag einziehen. Hinzu kommen Strippenzieher des Höcke-Lagers wie Torben Braga aus Thüringen. Aber auch die Nationalkonservativen setzen auf personelle Kontinuität, sodass es ein Wiedersehen mit dem Chef der AfD in Nordrhein-Westfalen Rüdiger Lucassen, Beatrix von Storch oder dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses Peter Boehringer geben wird. Ohne Zweifel will die Partei die Professionalisierung, die sie in vier Jahren Bundestag erworben hat, für die nächste Wahlperiode nutzen. Anders als 2017 wird man jetzt auch mit einer eingespielten Mitarbeiter*innenschaft an den Start gehen. Schon in der ablaufenden Wahlperiode hatte die Fraktion eine relativ schnelle Professionalisierung durchlaufen und die vorhandenen parlamentarischen Mittel für sich zu nutzen gewusst. Darauf wird sie zukünftig aufbauen und versuchen, über inhaltliche Kompetenz dort Anerkennung zu bekommen, wo ihr heute noch vor allem Ablehnung entgegenschlägt: in der konservativen bürgerlichen Presse. Mit dem Gewöhnungseffekt an eine extrem rechte Partei im Parlament und notwendigen konservativen Lücken, die ein mögliches schwarz-grünes Bündnis lassen würde, könnte ein Akzeptanzgewinn gelingen.
Unklar ist zum jetzigen Zeitpunkt, wie sich die neue Bundestagsfraktion im innerparteilichen Gefüge mehrheitlich einordnen wird. Die Auswahl des Spitzenpersonals für den Wahlkampf gibt erste Hinweise, denn mit Alice Weidel und Tino Chrupalla haben sich hier die Kandidat*innen der völkischen Rechten gegen das von Co-Parteichef Jörg Meuthen favorisierte Duo Jona Cotar und Joachim Wundrak durchgesetzt. Ob damit auch eine Vorentscheidung für die zukünftigen Fraktionsvorsitzenden gefallen ist, wird entscheidend vom Wahlergebnis abhängen. Sollte sich dieses im Bereich von 2017 bewegen, haben die beiden gute Chancen, die neue Fraktion zu führen und damit den Einfluss der völkischen Rechten, auf deren Ticket beide unterwegs sind, zu untermauern.
Wahlkampfthemen
Inhaltlich wird die Partei die Themen im Wahlkampf stark machen, mit denen sie öffentlich verbunden wird und für die ihr in Teilen Kompetenzen zugeschrieben werden. Strikte Begrenzung von Zuwanderung und Aufnahme von Geflüchteten, verbunden mit einer völkisch begründeten Ablehnung von Migrant*innen aus bestimmten Regionen; eine »Deutschland zuerst!«-Politik, verbunden mit der Forderung nach Einstellung deutscher Zahlungen für die EU; eine sozialpolitisch verkleidete Form der Demographie-Politik mit dem Ziel, die Anzahl »deutscher« Kinder zu vergrößern, verbunden mit einem tradierten Rollen- und Familienbild; die Inszenierung als »Autofahrerpartei«, verbunden mit der Leugnung des menschengemachten Klimawandels und schließlich einer Thematisierung der Corona-Folgen, mit der ein verschwörungsaffines Publikum bedient werden kann. Das auf dem Bundesparteitag in Dresden verabschiedete Wahlprogramm bildet diese Punkte ab. Auch hier ist es der völkischen Rechten gelungen, symbolträchtige Verschärfungen durchzusetzen. Dennoch ist nicht damit zu rechnen, dass die Partei im Wahlkampf zum Beispiel eine offene Kampagne für einen EU-Austritt Deutschlands starten wird, würde sie so doch nur bürgerliche Wähler*innen abschrecken. »Standortnationalismus, völkischer Nationalismus, autoritärer Staat« überschreibt Helmut Kellershohn seine Analyse des AfD-Wahlprogramms in der Zeitschrift des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung DISS-Journal und trifft damit das Wahlangebot der AfD recht genau.
Für eine erfolgreiche Wahlkampagne wird es für die AfD darauf ankommen, die ganze Spannbreite ihrer heterogenen Wähler*innenschaft zu erreichen. Insofern ist das Duo Weidel/Chrupalla vielleicht doch geeignet, diesen Spagat zu repräsentieren. Denn neben allen heftigen Flügelstreitigkeiten gibt es nach wie vor eine indifferente Parteibasis, der es vor allem auf den weiteren Erfolg ankommt. So ist auch das recht klare Votum für das Spitzenduo nicht in jedem Fall eine inhaltliche Stellungnahme im internen Lagerkampf. Auch die AfD hat nur eine begrenzte Zahl an bundesweit bekannten Personen, die in der Mediendemokratie gebraucht werden, um erfolgreiche Wahlkampagnen zu organisieren.
Strategische Optionen im Wahlkampf und danach
Nach der Personalentscheidung in der Union und auch nach den Erfahrungen der letzten Wahlen in Sachsen-Anhalt ist jeder Gedanke an eine wie auch immer geartete Regierungsbeteiligung der AfD nach der Wahl obsolet. Er war es schon vorher, doch ist durch Sachsen-Anhalt der strikte Abgrenzungskurs der CDU zur AfD fürs Erste bestätigt worden. Die Partei wird also vor allem konservative CDU/CSU-Wähler*innen mit dem Schreckgespenst eines schwarz-grünen Bündnisses umwerben. Das könnte umso besser gelingen, je deutlicher sich die Union in den Umfragen vor die Grünen schiebt. Ein knappes Rennen um Platz 1 könnte diese Gruppe an die Union binden.
Trotzdem bleibt fraglich, ob für die AfD hier noch viel zu holen ist. Trotz verbesserter Umfragen liegt die Union bei 28 Prozent, gut vier Prozent weniger als bei den letzten Wahlen. Und dennoch kann die AfD gegenwärtig nicht weiter von dieser Schwäche der Union profitieren. Anders als 2017, als das stark mit der AfD verbundene Thema Flucht und Migration absolut dominant war, zeichnet sich im Moment kein unbedingtes Gewinnerthema für den Wahlkampf der AfD ab.
So wird die Partei vier weitere Jahre Zeit bekommen, ihre strategische Ausrichtung und damit auch eine Machtperspektive zu klären. Die Übernahme des völkischen Modells in Ostdeutschland für die Gesamtpartei oder die Annäherung an die Union unter Abspaltung der radikalen Teile der völkischen Rechten scheinen sich hier gegenüber zu stehen. Klügere Leute in der AfD werden versuchen, einen Weg zwischen diesen Extremen zu gehen. Unklar bleibt, wie dieser Weg konkret aussehen kann.
Stellen wir uns einmal vor, wir wären Innenminister*in und Mitglied einer demokratischen Partei – egal welcher. Stellen wir uns vor, wir wären selbstverständlich nicht »linksradikal«, sondern bürgerliche Demokrat*innen, die auf der Grundlage des Grundgesetzes stehen und diesen Staat stützen und schützen. Stellen wir uns vor, wir würden die deutsche Geschichte genau kennen und wären uns, insbesondere aufgrund der Zeit zwischen 1933 und 1945, unserer immensen Verantwortung in der Gegenwart bewusst. Wir würden selbstverständlich seit Jahren die Berichterstattung der wichtigsten Presseerzeugnisse von konservativ bis liberal verfolgen, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen historische Dokumentationen und die Berichte der politischen Magazine schauen – und auch nicht wegschalten, wenn es einmal um Neonazis oder die rechtsradikale »Alternative für Deutschland« (AfD) geht. Die Artikel und Berichte stehen zudem – wir sind ja Innenminister*in – in unserem täglichen Pressespiegel, den wir jeden Morgen aufmerksam studieren. Und stellen wir uns dann noch vor, wir würden die Berichte aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Geheimdiensten der Länder nicht nur zur Kenntnis, sondern auch ernst nehmen – immerhin sind wir ja die jeweiligen Chef*innen.
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Stellen wir uns darüberhinausgehend vor, wir würden zu irgendeinem Zeitpunkt – vielleicht im Frühsommer 2021 – vor die Presse treten und verkünden, dass die »Neue Rechte«, über die renommierte Wissenschaftler*innen und unermüdliche Antifaschist*innen seit Jahrzehnten schon alles Wichtige und Notwendige zusammengetragen haben, jetzt nun auch – hochoffiziell weil amtlich bestätigt – eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat darstellt. Und nicht nur das – stellen wir uns vor, dass wir uns inzwischen auch über die Gefährlichkeit diffuser und auf den ersten Blick abseitiger Bewegungen wie »Reichsbürger«, RechtsRocker, völkische Siedler*innen, »Querdenker*innen« und den »Flügel« der AfD im Klaren geworden sind. Weil wir um die Zustimmung bei Wahlen von bis zu 25 Prozent in einigen Bundesländern für die AfD, fundierte soziologische Einstellungsuntersuchungen mit erschreckenden Zustimmungswerten für rassistische, antisemitische und verschwörungsideologische Aussagen, die steigenden Zahlen von offiziell erfassten »Rechtsextremisten« wüssten und uns Warnungen aus der demokratischen Zivilgesellschaft zu Herzen nähmen. Außerdem – nur als völlig abwegige Idee – beunruhigte uns stark, dass seit etwa ein, zwei Jahren fast täglich neue Fälle bekannt werden, in denen Angehörige von Spezialeinheiten der Polizei und Elitesoldaten, aber auch einfache Beamt*innen rechtsradikale Chatgruppen betreiben, in denen geheime Infos weitergegeben oder für den »Ernstfall« mit gestohlener Munition trainiert werden sollen. Und stellen wir uns dann noch vor – aber das wäre ja eigentlich nur etwas für schlechte Filme – unser ehemaliger oberster Geheimdienst-Chef treibt sich in einem Milieu herum, das kaum mehr als demokratisch zu bezeichnen ist.
Was würden wir tun, wenn das alles wahr wäre und wir es wüssten? Würden wir ernsthaft darüber nachdenken, der AfD-nahen »Desiderius-Erasmus-Stiftung« ohne gesetzliche Grundlage – also: ohne Not und aus freien Stücken – jedes Jahr mehrere Millionen Euro hinterherzuwerfen? Im Wissen darum, dass selbst unser eigener Geheimdienst – der bekanntermaßen beim Blick nach Rechts den Kopf nicht dreht – vor der Partei warnt? Würden wir ein Gesetz, das großspurig als das »Wehrhafte-Demokratie-Gesetz« der Sozialdemokratie initiiert wurde – und in seiner jetzigen Fassung auch niemanden wehrhaft macht, aber immerhin – sehenden Auges scheitern lassen? Würden wir weiter und weiter jenen Forscher*innen Geld zukommen lassen, die seit Jahren die Gefahr von Rechts kleinreden oder leugnen? Würden wir unseren »Experten« des Geheimdienstes vertrauen, die in den 1990er Jahren zwar in der Lage gewesen wären, Neonazi-Mörder und ihre Strategien aufzudecken, aber lieber akademische Texte während der Dienstzeit schrieben? Würden wir uns allen Ernstes mit der Peinlichkeit entblößen, öffentlich darüber nachzudenken, »die Antifa« zu verbieten? Würden wir die historischen Parallelen, die uns bewusst sind, weiter ignorieren, dass es Konservative und Bürgerliche waren, die damals 1933 den Nazis den Weg zur Macht ebneten – und auch heute relevante Teile der CDU/CSU keine verlässliche Kraft gegen den Zugriff auf die Macht durch die AfD sind? Würden wir zuschauen, wenn die Bundeszentrale für politische Bildung angewiesen wird, die Definition von »Linksextremismus« eines Extremismus-Forschers noch einmal zu verschärfen, damit diese ordentlich antikommunistisch und geheimdiensttauglich ist? Würden wir – rein fiktiv – ein fundiertes Buch mit Recherchen über rechte Netzwerke im Sicherheitsapparat zurückhalten? Würden wir …?
Stellen wir uns einmal vor – ganz spekulativ natürlich –, wir würden ernst nehmen, was unser eigenes Amt aufgeschrieben hat. Und stellen wir uns vor, wir meinten es ernst mit der Verteidigung der Republik vor den Angriffen von »Extremisten«: Warum verbieten wir dann nicht die AfD? Warum lehnen wir die Förderung einer ihr nahestehenden Stiftung nicht einfach ab? Warum versetzen wir rechtsradikale Beamte nicht dorthin, wo sie nie wieder Einfluss mit und Freude an ihrer Arbeit haben? Warum fördern wir nicht konsequent und dauerhaft quer durchs Land die Initiativen, die durch ihre Arbeit das Grundgesetz verteidigen? Warum müssen wir überall »Linksextremismus« wittern, nur weil jemand gegen Rechts ist? Warum weisen wir die furchtbaren Jurist*innen, die unsägliche Deals mit Neonazis abschließen wollen, nicht an, es zu lassen? Warum verstehen wir nicht, dass unser kleinteiliges formales Bestehen auf eingeübten Wegen staatspolitischer Verantwortung und Abläufe irgendwann nicht mehr funktioniert, wenn die radikale Rechte – die auf solche Gepflogenheiten pfeift und bei erster Gelegenheit nach der Macht greifen wird – in der Stärke ist, real Einfluss auszuüben? Warum wissen wir nicht, dass entschiedene Schritte gegen die Bedrohung der Republik von Rechts dann zu spät sind, wenn die radikale Rechte die Macht übernommen hat? Warum sehen wir nicht, dass die Unterwanderung von Sicherheitsbehörden im Fall der Fälle ein reales Problem für einen demokratischen Staat darstellt? Warum haben wir – ganz blöd gefragt – aus der deutschen Geschichte nichts gelernt? Warum?
»Man muss sehen, dass wir damals ein außergewöhnlich günstiges Umfeld hatten, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise«, so analysiert Michael Frisch, der rheinland-pfälzische Spitzenkandidat der »Alternative für Deutschland« (AfD) die Verluste seiner Partei. Rheinland-Pfalz wählte am 14. März einen neuen Landtag. Die AfD kommt auf 8,3 Prozent und verliert fast ein Drittel ihrer bisherigen Mandate. Bei der Landtagswahl 2016 war die AfD aus dem Stand mit 12,6 Prozent und 14 Mandaten in den Mainzer Landtag eingezogen. In Zukunft werden es nur noch 9 Abgeordnete sein.
Rheinland-Pfalz
Unerwartet an der Spitze der Partei
Spitzenkandidat Frisch, ein ehemaliger Berufsschullehrer, führt seit November 2019 überraschend den Landesverband. Sein Vorgänger Uwe Junge versuchte nach außen das Bild einer bürgerlich-konservativen und geschlossenen Partei zu vermitteln. Der ehemalige Bundeswehroffizier entwickelte sich jedoch zum Sinnbild für die Zerrissenheit des Landesverbandes. Nach dem Mord an der 15-jährigen Mia durch ihren afghanischen Ex-Freund mobilisierten im Frühjahr 2018 extrem rechte Gruppierungen aller Couleur in die rheinland-pfälzische Gemeinde Kandel. Während AfD-Funktionär*innen die Aufmärsche mitorganisierten, zögerten Landesspitze und Fraktion; Junge distanzierte sich gar. Die Parteibasis aber machte Druck, woraufhin der Landesverband den Schulterschluss mit den Demonstrierenden suchte und Junge an Rückhalt verlor. Im Herbst 2019 gab er seinen Rückzug aus der Landespolitik bekannt und kündigte an, für den Bundesvorstand – letztlich erfolglos – zu kandidieren.
Als designierter Nachfolger von Junge galt Joachim Paul, ein »Alter Herr« der extrem rechten »Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn«. Doch auf dem Weg an die Landesspitze stolperte der Vorsitzende des Medienausschusses im rheinland-pfälzischen Landtag über seine Abwahl aus dem Gremium. Vertreter*innen von CDU, Grünen und SPD hatten ihn zuvor wegen »rechtsextremen Gedankenguts« als im Amt des Vorsitzenden nicht mehr tragbar bezeichnet. Neuer Landesvorsitzender der AfD wurde der bis dahin unauffällige Michael Frisch. Paul gelang jedoch, was Junge vorbehalten blieb: die Wahl in den Bundesvorstand.
Wiederkehrende Grabenkämpfe
Ob die zukünftige Fraktion ein geschlosseneres Bild als zuvor abgeben wird, bleibt abzuwarten. In ihrer ersten Legislaturperiode gab die AfD ein katastrophales Bild ab und schrumpfte von 14 auf 11 Fraktionsmitglieder. Jens Ahnemüller wurde wegen Kontakten zum damaligen NPD-Funktionär Sascha Wagner ausgeschlossen. Weitere Abgeordnete verließen die Fraktion im Zuge von Grabenkämpfen. Diese prägten auch den Wahlkampf.
Immer wieder warfen sich die verfeindeten Lager – nicht grundlos – eine zu große Nähe zum extrem rechten Spektrum vor. Wenige Wochen vor der Wahl veröffentlichte der SWR, ein ehemaliger NPD-Kandidat (später aktiv für die »Identitäre Bewegung«) arbeite für den Trierer AfD-Kreisverband unter der Führung des als bürgerlich-konservativ geltenden Michael Frisch. Schon heute ist abzusehen, dass auch er den Landesverband nicht einigen können wird. Frisch, ausgestattet mit dem biederen Charme eines pensionierten Studienrats und dem Spektrum der christlich-fundamentalistischen Abtreibungsgegner*innen zuzurechnen, konnte kein wahlkampftaugliches Profil liefern.
Während die AfD 2016 auf das Thema Geflüchtete setzte, gelang es ihr diesmal nicht, mit einem emotional-aufgeladenen Thema bestehendes Protestpotenzial von der Straße an die Urne zu bewegen. Dies zeigt die Wahlanalyse: Der Erfolg 2016 basierte auch auf der Mobilisierung von 80.000 Nicht-Wähler*innen. Dieses Potenzial konnte die Partei 2021 nicht mehr abrufen. Hier lag der größte Verlust der Partei: Rund 61.000 AfD-Wähler*innen gaben diesmal keine Stimme ab.
Wie bereits in den vergangenen Jahren wird auch die künftige Fraktion durch Korporierte geprägt sein. Die beiden Burschenschafter Joachim Paul und Damian Lohr (»Germania Halle zu Mainz«, ehemals Bundesvorsitzender der »Jungen Alternative«) ziehen erneut in den Landtag ein. Den Einzug verpasst hat Alexander Jungbluth (»Raczeks zu Bonn«). Passend zum korporierten Seilschaften-Prinzip wurden in den vergangenen Jahren gezielt Fraktionsmitarbeiter aus burschenschaftlichen Kreisen angestellt und regionale Parteifunktionen mit ihnen besetzt – so Karsten Sieling (»Dresdensia-Rugia zu Gießen«) und Michael Büge (»Berliner Burschenschaft Gothia«). Als einzige Frau im Männerbund wird Iris Nieland Teil der Fraktion werden.
Klassische extrem rechte Parteien ohne Wahlantritt
Die NPD hat aktuell weder das Personal noch die Strategie, um sich als erfolgreiche Akteurin der extremen Rechten zu behaupten. Auch außerparlamentarisch gibt die Partei ein schwaches Bild ab. Erstmals seit 30 Jahren scheiterte die NPD daran, zur Landtagswahl anzutreten. Auch »Der III. Weg« und »Die Rechte« traten nicht an. Während »Der III. Weg« zumindest über einzelne regionale Verankerungen verfügt, erweist sich »Die Rechte« landesweit als nicht handlungsfähig. Auch »Die Republikaner« scheinen im Schatten der AfD endgültig aufgegeben zu haben.
Während sich die öffentliche Wahrnehmung auf die Bundestagswahlen, bestenfalls noch auf die parallel stattfindenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern oder die Wahlen in Berlin richtet, finden schon zwei Wochen vorher, also heute, am 12. September, nahezu[1] flächendeckende Kommunalwahlen in Niedersachsen statt. Insgesamt werden 1.091 Gremien der Kreise, Samtgemeinden, Städte und Gemeinden sowie fast ebenso viele Stadtbezirks- und Ortsräte, insgesamt rund 30.000 Mandate, neu besetzt. Außerdem werden 281 Landrät*innen und (Ober-) Bürgermeister*innen bestimmt.
Ein kurzer, statistischer Blick auf Kandidat*innen (extrem) rechter und anderer irrationaler Parteien und Listen.
Zum Zeitpunkt der letzten Kommunalwahlen in Niedersachsen im September 2016 hieß die Bundesvorsitzende der AfD noch Frauke Petry. Seitdem hat sich die Partei kontinuierlich radikalisiert. Auch der Landesverband Niedersachsen ist von heftigen Machtkämpfen geprägt, die immer wieder zu Austritten führten und sogar den Verlust des Fraktionsstatus im Landtag zur Folge hatten. Von den Inhaber*innen der 449 kommunalen Mandate, die bei den jeweils letzten Wahlen[2] auf die AfD entfielen, haben sich mehrere Dutzend von der Partei distanziert. Durch Niederlegungen, Wegzüge und Tod haben mehr als 100 Mandatsträger*innen gewechselt. In vielen Fällen waren die Listen erschöpft, so dass die Zahl der unbesetzten AfD-Mandate von 36 auf mindestens 60 gestiegen ist. Es gab aber auch in mindestens einem Fall einen Übertritt von der CDU.
Auch ein Blick auf die Listen zu den diesjährigen Kommunalwahlen zeigt – wie schon in anderen Bundesländern zuvor – eine hohe Fluktuation bei den Kandidierenden der AfD. Von den 533 [3] der letzten Wahlen treten nur 199[4] auch in diesem Jahr wieder für die AfD an. Hinzu kommen ein paar »Abtrünnige« auf Listen, etwa der »Liberal Konservativen Reformer« (LKR) oder der FDP. In einigen Kommunen mit aktuellen AfD-Mandaten treten weder die AfD noch ihre derzeitigen Mandatsträger*innen wieder an: Freren und Emsbüren (Landkreis Emsland), Coppenbrügge (Landkreis Hameln-Pyrmont), Bad Fallingbostel (Heidekreis), Gronau (Landkreis Hildesheim), Bad Gandersheim und Nörten-Hardenberg (Landkreis Northeim), Stadt Rotenburg-Wümme, Samtgemeinden Apensen, Horneburg und Lühe (Landkreis Stade), Samtgemeinde Bevensen-Ebstorf (Landkreis Uelzen), Kreistag Wesermarsch, Stadt und Samtgemeinde Esens (Landkreis Wittmund), Samtgemeinde Oderwald (Landkreis Wolfenbüttel), Isernhagen (Region Hannover) sowie einige Ortsräte.
Nach fünf Jahren Zeit zum Strukturaufbau erwartbar, konnte die Partei ihre Präsenz in der Fläche ausbauen und tritt für deutlich mehr Gremien an als beim letzten Mal. Waren es damals 174[5] Gremien, sind es diesmal 311[6]. Dazu gehören bis auf Wesermarsch alle Kreistage, außer Emden und Göttingen[7], die kreisfreien Städte, 30 Samtgemeinderäte, 148 Räte kreisangehöriger Städte und Gemeinden sowie 89 Orts- und Stadtbezirksräte.
Die Gesamtzahl der AfD-Kandidaturen ist im Vergleich mit den vorigen Wahlen von 772[8] auf 978[9] gestiegen. Nach Abzug von Mehrfachkandidaturen (einfache statt mehrfacher Zählung bei Personen, die für mehrere Gremien, etwa für Kreistag und Gemeinderat, antreten, also »netto«) steigt die Zahl der kandidierenden Personen nur leicht von 533 auf 560. Der Anteil von Frauen[10] steigt im Vergleich zu anderen Bundesländern deutlich, wenn auch auf niedrigem Niveau, von 11,6 auf 15,1 Prozent, netto von 12,8 auf 17 Prozent. Und auch das Durchschnittsalter ist mit netto 55,4 Jahren um mehr als zwei Jahre höher als 2016.
Eine Prognose zum Ergebnis der Wahlen ist angesichts der vielen, teilweise sehr heftigen Streitigkeiten in der und Skandale um die AfD in Niedersachsen mit ihren Folgen in den Kommunen und wegen der nahen Bundestagswahl nur schwer aufzustellen. Vermutlich wird die Partei die Zahl ihrer Mandate wie schon im März in Hessen ungefähr halten können. Allerdings werden sich die Sitze auf mehr Gremien verteilen und einige Fraktionen verlorengehen.
In Braunschweig, Delmenhorst, Salzgitter, Wolfsburg treten AfD-Kandidaten für den Posten der/s Oberbürgermeister*in an, in den Landkreisen Gifhorn, Helmstedt und Vechta für den der Landrät*in, in der Region Hannover zum Amt der Regionspräsident*in und in vier weiteren Gemeinden für das der Bürgermeister*in. In einigen Kommunen werden parallel auch die Senior*innenvertretungen neu gewählt. In manchen Fällen stellen sich Listen von Parteien zur Wahl, darunter zumindest in Wilhelmshaven auch die AfD.
Da die letzten, flächendeckenden Kommunalwahlen in der Zeit zwischen der Abwahl des Gründungsvorsitzenden Bernd Lucke 2015 und dem Austritt der geschassten Nachfolgerin Frauke Petry 2017 lagen, gehört Niedersachsen neben Hessen zu den wenigen Regionen, in denen die Lucke-Abspaltung »Liberal-Konservative Reformer« über Mandate verfügt, die nicht aus Übertritten hervorgingen. Bei den Wahlen 2016 hatten 99 Kandidierende unter dem damaligen Namen »Allianz für Fortschritt und Aufbruch« (ALFA) 17 Sitze geholt. Seitdem haben mehrere Mandatsträger*innen die Partei verlassen. Andere sind aus der AfD zur LKR übergetreten, darunter auch Dana Guth, die bis 2020 auch Landes- und Landtagsfraktionsvorsitzende war. Nachdem sie im September 2020 ihr Mandat im Kreistag Göttingen niedergelegt hat, möchte sie es bei den anstehenden Wahlen erneut erreichen. Immerhin 56 beziehungsweise netto 34 Kandidierende stehen diesmal auf Listen der LKR. Davon sind acht beziehungsweise fünf; also jede siebente eine Kandidatin. Dazu kommen mindestens zehn weitere Personen, die bei den letzten Wahlen noch für die AfD antraten, diesmal aber für Wähler*innengemeinschaften, die FDP oder als Einzelbewerber*innen.
Die NPD ist in ihrem Gründungsland kommunalpolitisch fast nicht mehr existent. Gerade noch für drei Gremien tritt je ein Kandidat an: Carsten Dicty in Goslar sowie Manfred Börm in der Samtgemeinde Bardowick und der Gemeinde Handorf (Landkreis Lüneburg). Außerdem bewirbt sich der NPD-Landesvorsitzende Manfred Wilhelm Dammann für den Bürgermeisterposten von Eschede (Landkreis Celle), wo die Neonazipartei seit 2019 den sogenannten »Hof Nahtz« – einen seit über 30 Jahren bestehenden Neonazitreffpunkt – betreibt.
Bei den jeweils letzten Wahlen standen noch 84 NPD-Kandidierende auf den Stimmzetteln für 30 Gremien. Von den ursprünglich 16 erreichten Mandaten war eins unbesetzt, vier weitere gingen durch Tod, Wegzug und Niederlegung verloren. Von den übrigen zehn Mandatsträger*innen tritt neben Börm nur noch Michael Triebel in Bad Lauterberg (Landkreis Göttingen) wieder an – für die Verschwörungsideolog*innen der Partei »dieBasis«. Mit Adolf Preuß (Süpplingen, Landkreis Helmstedt) verliert die Partei nach – mit Unterbrechungen – 53 Jahren auch ihren bundesweit wohl dienstältesten Kommunalvertreter.
Auch die Konkurrenz von »Die Rechte« gibt ein armseliges Bild ab und bleibt trotz vollmundiger Ankündigung mit Martin Kiese bei nur einem einzigen Kandidaten für einen Stadtbezirksrat von Braunschweig.
Die Dominanz der AfD im extrem rechten Spektrum erdrückt andere Kleinstparteien und Wähler*innengemeinschaften rechts der Union auch in Niedersachsen zunehmend. Einige Kandidat*innen der »Hannoveraner« für die Regionsversammlung Hannover etwa treten in ihren Wohnorten für die AfD an. Das »BürgerForum Seelze« ist nach dem Tod eines ihrer Protagonisten gleich ganz in der AfD aufgegangen.
Immerhin Reste der christlichen Fundamentalist*innen von »Bündnis C« oder der erzkonservativen »Zentrumspartei« finden sich auf den Stimmzetteln. In Braunschweig tritt außerdem die als deutscher Ableger der Erdogan-Partei AKP geltende »Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit« (BIG) an.
»dieBasis«
Erschreckend große Teile der Kritik an den staatlichen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie haben sich nicht etwa mit rationalen Argumenten gegen soziale Auswirkungen in Deutschland oder die rassistische und kurzsichtige Haltung gegenüber den armen Staaten des globalen Südens gerichtet, sondern Wohlstandschauvinismus, Rassismus, Antisemitismus und andere irrationale Welterklärungen mit so absurden wie widerlichen Verschwörungserzählungen in einem solchen Ausmaß forciert, dass selbst die AfD nur als (neidisch) staunende Zuschauerin erscheint.
Aus diesem unübersichtlichen Milieu wurden mittlerweile mehrere Parteien gegründet. Die mit Abstand wichtigste dieser Gründungen ist aktuell die »Basisdemokratische Partei Deutschland« (dieBasis), die mittlerweile angeblich mehr als 25.000 Mitglieder hat.
Neue, schnell wachsende Parteiprojekte sind immer sehr heterogen. Wenig verwunderlich ist daher, dass sich auch bei »dieBasis« Niedersachsen vom Neonazi bis zu Menschen, die sich links wähnen, sehr unterschiedliche politische Biografien finden. Zu den Kandidat*innen gehören auch zehn Personen, die 2016 für verschiedene andere Parteien und Listen antraten. Aktuelle Mandate aus den Wahlen 2016 erlangt haben für die CDU Homan Moradi (Ortsrat Aurich-Kernstadt) und Silvia Lübke (Stadtrat Aurich), für die Piraten Friedrich Bohm (Stadtrat Neustadt am Rübenberge), für die Bürgerinitiative Braunschweig (BIBS) Dirk Schadt (Stadtrat Braunschweig), für Die Linke Michael von Klitzing (Kreistag Cloppenburg) und für die NPD der schon erwähnte Michael Triebel (Stadtrat Bad Lauterberg). Weitere Antritte hatten für die CDU Homan Moradi (Kreistag und Stadtrat Aurich), für die FDP Reinhard Blanke (Kreistag Osnabrück), für die Piraten Birgit Nowack und Friedrich Bohm (Regionsversammlung Hannover), für die Bürgerliste Erich Kirsch (Kreistag Goslar) und für Die Linke Dieter Bornheimer (Kreistag und Stadtrat Goslar).
Ähnliche Beispiele finden sich bundesweit etwa auf den Listen für die Bundestagswahl, darunter ehemalige Grüne wie David Claudio Siber (Ratsversammlung Flensburg) als Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein, Thomas Wötzel (Vertretung der als Tesla-Standort berühmt gewordenen Gemeinde Grünheide, Landkreis Oder-Spree) auf Listenplatz 3 in Brandenburg, der bis März diesen Jahres noch stellvertretender FDP-Landesvorsitzender war, oder – nicht zuletzt – mit Dr. Wolfgang Wodarg ein früherer SPD-Bundestagsabgeordneter als Spitzenkandidat in Mecklenburg-Vorpommern.
Kommunale Wahlantritte als »dieBasis« gab es bisher nur im März 2021 erfolglos für den Kreistag Limburg-Weilburg (Hessen) und im Juni für den Kreistag Wartburgkreis (Thüringen) mit einem Mandat. Dazu kamen noch Listen aus demselben Milieu mit einem Sitz im Kreistag Marburg-Biedenkopf beziehungsweise ohne Mandat im Stadtrat Marburg (Hessen).
Vermutlich als Nebeneffekt der anstehenden Bundestagswahlen hat »dieBasis« ihre Strukturen erstaunlich breit ausgebaut und tritt nun für gleich 140 niedersächsische Gremien an, darunter acht der zehn kreisfreien Städte, 25 der 37 Kreistage, sechzehn Samtgemeinde-, 65 weitere Stadt- und Gemeinde- sowie 26 Stadtbezirks- und Ortsräte.
Von den 343 Kandidierenden sind 129 oder 37,6 Prozent weiblich. Nach Abzug von Mehrfachkandidaturen bleiben 233 kandidierende Personen, darunter 88 Frauen, also 37,8 Prozent. Der Anteil von Frauen ist damit deutlich höher als bei klassischen rechten Listen, was ebenso auf den eher bildungsbürgerlichen Hintergrund eines großen Teils des Personals hinweist wie die angegebenen Berufe. Neben vielen Ärzt*innen, Pädagog*innen, Musiker*innen, Menschen mit Diplom oder Meister*innen finden sich auch ein Oberstudienrat, eine Rektorin, ein Unternehmensberater, ein Antiquitätenhändler oder ein Ministerialrat a.D.
Auffällig, aber nicht verwunderlich ist die hohe Zahl von physiotherapeutischen Berufen, Psycholog*innen und Psychiater*innen oder (Gesundheits-)Coaches. Ein deutlicher Hinweis auf den erheblichen Einfluss esoterischer Verirrungen im Spektrum der Corona-Verharmloser*innen ist, dass sich neben einer »Ganzheitlichen Ernährungsberaterin« gleich elf Heilpraktiker*innen finden.
Wie schon bei der AfD vor ein paar Jahren, lässt das hohe Durchschnittsalter von annähernd 56 Jahren daran zweifeln, dass der Wahn besonders attraktiv für junge Menschen wäre. Ganze vier der 233 Antretenden, also 1,7 Prozent sind unter 35 Jahren alt.
Wie viele Stimmen »dieBasis« holen wird, ist schwer zu prognostizieren und in den Kommunen wohl auch sehr unterschiedlich. Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt konnte die Partei im Juni 1,4 Prozent der Zweitstimmen für sich verbuchen, bei den wegen der Fusion mit Eisenach vorgezogenen Neuwahl des Kreistags Wartburgkreis im selben Monat gut 1,5 Prozent. Mit einem solchen Ergebnis würde sie in Niedersachsen auf gut 60 Mandate kommen.
Nicht nur die relative Monothematik der Partei und die zu erwartende Normalisierung des Lebens mit Corona, sondern vor allem die extreme Heterogenität des Milieus wird in den kommenden Jahren zu diversen Austritten und Mandatswechseln führen. Die Frustration, als einzelne*r Mandatsträger*in wenig bewegen zu können, wird ihr Übriges tun. Umso genauer sollte im Blick behalten werden, ob andere Parteien/Listen mit den selbsternannten »Basisdemokraten« zusammenarbeiten. Einige Äußerungen aus FDP und »Freien Wählern« zur Corona-Impfung jedenfalls zeigen inhaltliche Schnittmengen.
[1] In der Stadt Walsrode fanden aufgrund einer Gebietsreform schon am 08.03.2020 Neuwahlen statt.
[2] In der Regel 11.09.2016, außer: Geestland, Wüster Nordseeküste, Elm-Asse (jeweils 2014) und Helmstedt (2017), Walsrode (2020), nicht mitgezählt ist das 2020 mit Walsrode fusionierte Bomlitz.
[3] inkl. Walsrode und Bomlitz 2016. Kandidierende meint netto-Personen. Einige von ihnen treten für mehrere Gremien, etwa Kreistag und Stadtrat an.
[4] ohne Bomlitz 2016, inkl. Walsrode 2020
[5] inkl. Walsrode und Bomlitz 2016
[6] ohne Bomlitz 2016, inkl. Walsrode 2020
[7] Göttingen und Hannover gehören zwar zum Landkreis Göttingen bzw. der Region Hannover, sind gleichzeitig aber kreisfreien Städten gleichgestellt.
[8] inkl. Walsrode und Bomlitz 2016
[9] ohne Bomlitz 2016, inkl. Walsrode 2020
[10] Da Angaben zu Geschlechtern fehlen, wurde von den Vornamen ausgegangen, die wiederum nur Vermutungen auf weibliche oder männliche Identitäten zulassen.
Kokain-Schmuggel, Körperverletzungen und Volksverhetzung
#AfD
Rassismus und völkischer Nationalismus durchziehen die AfD ebenso wie Gewalttaten und kriminelle Machenschaften. Und das von der Spitze bis zur Basis. Wir haben 15 Fälle zusammengetragen, in denen gegen AfD-Politiker*innen ermittelt wurde oder immer noch wird. Vom eigenen Wahlspruch »Mut zur Wahrheit«, der angepriesenen Alternative zu den »Altparteien« und der angeblichen Gewaltfreiheit bleibt da nichts übrig. Oder wie es jüngst selbst von einem rechten Lobbyisten hieß: »Die AfD ist keine Partei, sondern eine Versorgungschance für gescheiterte Existenzen.«
Neben der monatlichen Printausgabe haben Jürgen Elsässer und seine Mitstreiter*innen ein wahres »Compact«-Netzwerk mit unterschiedlichen Formaten aufgebaut. Dazu gehören Veranstaltungen zur Eigenwerbung, Leser*innenbindung auch im Internet und Vernetzung, die auch die Kassen der Veranstalter füllen.
Gegenstand der »Compact-Magazin GmbH« ist »die Herausgabe der Zeitschrift Compact-Magazin«, heißt es in den Papieren der GmbH. Dort erscheinen außerdem unregelmäßig Ausgaben von »Compact Spezial«, »Aktuell«, »Geschichte« und »Edition«. Für deren Bewerbung führen die Blattmacher*innen Veranstaltungen durch, die meist die Inhalte der jeweiligen Sonderausgaben thematisieren wie zum Beispiel »Dresden 1945. Die Toten, die Täter und die Verharmloser« im Februar 2020 in Dresden. Andere Veranstaltungen mit entsprechenden Parteifunktionär*innen besonders aus dem Netzwerk des formal aufgelösten »Flügel« haben das Milieu der »Alternative für Deutschland« (AfD) als Zielgruppe im Blick. So gelang Elsässer im März 2016 am Abend der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt noch vor den öffentlich-rechtlichen Medien ein Live-Interview mit dem damaligen AfD-Spitzenkandidaten André Poggenburg.
Das Herzstück
Eine Konstante seit Erscheinen des gedruckten Magazins ist die jährliche »Compact-Konferenz« an wechselnden Orten, die bis mindestens 2015 mit dem in Moskau gegründeten Kulturinstitut »Institut de la Démocratie et de la Coopération« in Paris durchgeführt wurde. Seit 2012 firmiert das »Aushängeschild von Compact« als »Konferenz für Souveränität« mit einem Eintrittspreis von circa 70 Euro. Besonders zu Anfang standen noch typische Verschwörungsmythen wie der Anschlag am 11. September 2001 in New York auf der Agenda der Konferenzen, deren Vorträge und Diskussionen anschließend auf DVD erworben werden konnten. Später werden die Reden auf dem YouTube-Kanal von »Compact« verbreitet, ausgewählte Beiträge werden zudem in einer der folgenden Magazinausgaben zweitverwertet. Für die Konferenz »Zukunft der Familie« 2013 konnte Chefredakteur Elsässer Thilo Sarrazin als Redner vor etwa 600 zahlenden Gästen gewinnen. Im Vorfeld hatten die angekündigten Peter Scholl-Latour und Frauke Petry ihre Zusagen zurückgezogen, selbst Eva Herman hatte mit der Begründung abgesagt, sie wolle sich nicht »vorwerfen lassen müssen, an einem homophoben Kongress teilzunehmen«.
Spätestens seit 2014 gelingt es den Organisator*innen, die neu-rechte Szene und die AfD in die Veranstaltungen einzubeziehen und damit an das Magazin zu binden. Unter dem Titel »Frieden mit Russland« referierten in Berlin neben Andreas von Bülow und Egon Bahr von der SPD sowie Willy Wimmer von der CDU auch Karl Albrecht Schachtschneider und Alexander Gauland. Im folgenden Jahr nahmen neben Schachtschneider und dem Schriftsteller Rolf Hochhuth unter anderem auch André Poggenburg von der AfD Sachsen-Anhalt, Götz Kubitschek vom »Institut für Staatspolitik« (IfS) und der Chef der »Identitären Bewegung« (IB) in Österreich, Martin Sellner, teil. Sie diskutierten nach Eigenangaben vor 1.000 zahlenden Besucher*innen über »Perspektiven für eine deutsche Freiheitsbewegung«. Sellner erhielt später die regelmäßige Kolumne »Sellners Revolution« im gedruckten Magazin. Zum Thema »Meinungsfreiheit« holte Elsässer 2016 in Berlin dann den Kopf von PEGIDA, Lutz Bachmann, mit ins Boot, der auch im folgenden Jahr bei der Konferenz »Opposition heißt Widerstand« in Leipzig als Redner auftrat. Ebenfalls auf der Bühne saßen 2016 Götz Kubitschek, Martin Sellner, Oliver Hilburger, Chef des Vereins »Zentrum Automobil« und Ex-Gitarrist der Neonazi-Band »Noie Werte« sowie Björn Höcke, Initiator des völkischen »Flügels« und AfD-Landesvorsitzender in Thüringen. In einer Nachbetrachtung wurden sie als »die wichtigsten Vertreter der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition« bezeichnet. Der erstmals bei der Konferenz des neu-rechten Netzwerks »Ein Prozent« gestiftete Preis »Held des Alltags« ging an Sellner und den damaligen Chef der Berliner und Brandenburger IB, Robert Timm. In den folgenden zwei Jahren erhielten den Preis der ehemalige Anführer der rassistischen »English Defence League«, Tommy Robinson, und Gernot Tegetmeyer von PEGIDA Nürnberg sowie der extrem rechte Hip-Hopper Christoph Zloch alias Chris Ares. Die vorerst letzten »Konferenzen für Souveränität« fanden 2018 in Garmisch-Partenkirchen (»Grenzschutz«) und 2019 in Magdeburg (»Ökodiktatur«) statt.
Wirtschaftsfaktor
Mit ihren Veranstaltungen kommen Elsässer und »Compact« ihrem Ziel näher, bei der weiteren Vernetzung und Zusammenarbeit der rechten Szene eine zentrale Rolle einzunehmen. Ein solcher Austausch ist auch in den Print-Ausgaben des Magazins zu beobachten. So bestehen Sonderausgaben wie »Compact Geschichte« bis zu einem Drittel aus Material des Verlags »Druffel & Vowinckel«, der sich unter dem Dach der Verlagsgesellschaft Berg, einem der größten extrem rechten Verlage bundesweit, befindet. Geschäftsführer ist der ehemalige Vorsitzende der »Gesellschaft für freie Publizistik«, Gert Sudholt, der wegen Volksverhetzung vorbestraft ist.
Mit zu Kongressen eingeladenen Referent*innen kann das Magazin neue Autor*innen und Interview-Partner*innen gewinnen. Ein reger Austausch besteht etwa mit Autor*innen aus der rassistischen Gruppierung »Nova Europa Society« mit Sitz in Mannheim. Sie strebt einen neuen »Ethnostaat« mit ausschließlich weißen Bewohner*innen an und hat dazu im Juli 2019 im Raum Karlsruhe einen ersten Kongress durchgeführt. Den Besucher*innen der Compact-Veranstaltungen wiederum wird ein Gefühl der Exklusivität vermittelt, das zu einer starken Bindung führt. Und nicht zuletzt generieren überteuerten Eintrittskarten und der Verkauf von Heften und dem üblichen Merchandising vor Ort eine nicht unerhebliche Menge an Umsatz. Ein Teil des insgesamt erwirtschafteten Geldes dürfte wohl für die Begleichung der Kosten für die verschiedenen »Compact«-Projekte genutzt werden. Unklar ist, ob dazu auch die Kosten für den Redaktionssitz gehören. In diesem Fall würde das Geld vor allem Jürgen Elsässer als alleinigem Geschäftsführer der »Compact-Magazin GmbH« zugutekommen, denn der Sitz der »Compact«-Redaktion im brandenburgischen Waldheim bei Falkensee ist zugleich Elsässers Wohnsitz.
Diejenigen, denen der Eintritt der Konferenzen zu teuer oder das Lesen zu anstrengend ist, können sich im YouTube-Kanal »Compact TV« mit aktuellen Inhalten und Debatten aus Sicht der »alternativen Journalisten« berieseln lassen. Seit August 2011 stellt »Compact TV« regelmäßig Videos online. Die Aufmachung ist über die Jahre aufwendiger geworden. Bewegte Grafiken in den Einspielern, professionell geschnittene Videoberichte, eine Moderatorin und geführte Interviews mimen ein seriöses Nachrichtenportal. Mit diesem Konzept werden mittlerweile 143.000 Abonnent*innen online erreicht, das ist ein Vielfaches mehr als bei anderen Kanäle im rechten Milieu. So bringen es vergleichsweise die IB-Plattform »einprozentfilm« gerade einmal auf 11.800 oder der NPD-Kanal »DS-TV« auf 7.830 Abonnent*innen. Neben den Berichten über diverse tagesaktuelle Themen aus dem politischen Deutschland gibt es bei »Compact-TV« auch immer wieder Interview- oder Gesprächsrunden. Der Live-Stream, in dem sich »Flügel«-Obmann Jens Meier mit Martin MüllerMerten und Elsässer im Sessel sitzend zur vermeintlichen Selbstauflösung des AfD-»Flügels« auslassen, wurde über 45.900 Mal aufgerufen. Das Interview mit Xavier Naidoo im Juli dieses Jahres brachte fast doppelt so viele Aufrufe – Klickzahlen, die längst zur Normalität geworden sind.
Einen besonderen Clou ließ sich »Compact TV« zu den kürzlichen USA-Wahlen einfallen. In dem knapp zwölfstündigen Livestream gaben die Protagonist*innen ihre geistigen Ergüsse zu den aktuellen Zahlen und Spekulationen rund um Donald Trump und seinen Herausforderer Joe Biden preis. Um noch mehr Zuschauer*innen zu erreichen, sendeten sie parallel auf vier Kanälen. Neben »Compact TV« mit Jürgen Elsässer sendeten der »Digitale Chronist« Thomas Grabinger und Elijah Tee den Stream auf ihren eigenen Kanälen. Stefan Bauer plauderte auf seinem erst kurz vorher wieder freigegebenen Kanal unter anderem mit dem selbsternannten Wahlexperten Bernhard Boneberg, dessen Expertise darin besteht, nach eigenen Angaben seit 1984 die Wahlen in den USA live zu verfolgen – vor dem heimischen Fernseher. Im »Compact«-Kanal wurde der Livestream insgesamt 126.588 Mal aufgerufen.
Nicht zu leugnen ist, dass die YouTube-Community und das Netzwerk hinter »Compact TV« groß ist. Dennoch ist auch die Sorge einer Abschaltung groß. Elsässer arbeitet klar heraus, wie entscheidend er die Wahl Donald Trumps im Hinblick auf das Weiterbestehen des Compact-Kanals sieht. »Ich sehe die Zukunft, was ›Compact TV‹ auf YouTube angeht düster«, so Elsässer in dem USA-Livestream. Um einem Ende vorzubeugen, habe man während eines sogenannten »Patriotentreffs« eine Woche zuvor in Schmalkalden bereits Gespräche geführt, um mit anderen Gleichgesinnten gemeinsame Projekte zu starten. Ähnlich wie es bereits zum USA-Livestream praktiziert wurde, wolle man zukünftig stärker auf mehreren, alternativen Kanälen präsent sein. Das soll einem »Totalausfall« von »Compact TV« vorbeugen, so dass dieser trotz Sperrung einzelner Kanäle weiterhin online bleiben kann.