Mobile Geschichtsvermittlung in Dänemark

Wie in Norwegen gibt es in Dänemark schon lange Bestrebungen für die digitale Dokumentation des Kulturerbes und neue Vermittlungsformen durch digitale Medien. Diese schreiten unabhängig von den Sitzverteilungen im Folketing und der jeweiligen Regierungskonstellation voran. Neben nationalen Digitalisierungsmaßnahmen zur Archivierung, Dokumentation und verbesserten Zugänglichkeit des Kulturarv – wie etwa dem Portal KulturPerler – sind zunehmend Angebote öffentlicher Einrichtungen, allen voran Museen, zu beobachten. Diese legen ihren Fokus nicht primär auf die Digitalisierung ihrer Ausstellungsobjekte und anderem historischen Material. Vielmehr haben sie eine (inter)aktive Vermittlung und dialogorientierte Partizipation der Nutzer zum Ziel.

Dafür werden neben etablierten Kanälen wie den klassischen Webauftritten und diverser Social Media–Plattformen vermehrt mobile Medien – insbesondere Apps für mobile Endgeräte – eingesetzt. Immerhin besitzen laut einer Statistik vom April 2014 mittlerweile drei von vier dänischen Haushalten (73%) ein Smartphone, ein Tablet ist annähernd in jeder zweiten Familie (45%) zu finden.

In meiner im Mai 2014 am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin eingereichten Masterarbeit mit dem Titel „Digitale Geschichtsvermittlung in Dänemark am Beispiel mobiler Anwendungen für Smartphones“ habe ich mich mit den Chancen und Risiken der Darstellung historischer Erkenntnis auf mobilen Endgeräten beschäftigt und die drei dänischen Apps 1001 fortællinger om Danmark, 100 Borge und Den Gamle By App an Hand funktionaler und inhaltlicher Kriterien untersucht.

In der Funktionsanalyse wurden die Anwendungen unter anderem auf ihre Multi- und Hypermedialität, auf interaktive und partizipative Elemente, auf Serviceangebote und Nutzerführung sowie auf Angebote zur Personalisierung und Lokalisierung vergleichend geprüft. Daran anschließend diente die Inhaltsanalyse zur Betrachtung der Wechselwirkungen  zwischen den erläuterten Funktionen und den inhaltlich dargestellten Themen.

Den gamle By App

Screenshot von Den Gamle By App

Screenshot von Den Gamle By App

Die Anwendung des Freilichtmuseums Den Gamle By in Aarhus kann dem Genre der „Museums-Apps“ zugeordnet werden, wodurch sich Besucher bereits vorab über Attraktionen des Museums – ob über die historischen Stadtteile, die einzelnen Gebäude oder spezielle Ausstellungobjekte – informieren können. Ebenso werden praktische Hinweise für den Besuch (Öffnungszeiten, Lageplan) bereitgestellt. Die App ist serviceorientiert und regt auf vielfältige Weise an, verschiedene Museumsangebote zu nutzen. So stehen thematische Routen durch das Freilichtmuseum (etwa „Jul i Den Gamle By“) als In-App-Download bereit. Daneben sind mehrere Spiele integriert, die eine Identifikation mit den fiktiven Bewohnern der Stadt ermöglichen. Somit wird in der Anwendung auch das personifizierte Konzept des Museums mit seinen Darstellern aufgegriffen. Mit ihren multimedialen Angeboten (v.a. Text-Bild-Kombinationen) fungiert Den Gamle By App als Weiterentwicklung eines klassischen Audio-Guides auf dem Besucher-eigenen Gerät, wobei jedoch eine wichtige Funktion für die barrierefreie Handhabung fehlt: Die Audio-Wiedergabe der Informationen.

100 Borge

Screenshot der App 100 Borge

Screenshot der App 100 Borge

Im Gegensatz zu Den Gamle By App geht die Anwendung 100 Borge über das Angebot des dazugehörigen Museums hinaus. Seit Frühjahr 2014 ist Danmarks Borgcenter rund um die einstige Vordigborg eröffnet. Dort wird das Themenspektrum „mittelalterliche Burgen“ interaktiv und mit neuesten Technologien – filmische Projektionen, Licht- und Ton-Installationen sowie einem iPad-Guide samt GPS- und Augmented-Realtiy-Funktionen – vermittelt. Die App erweitert die Ausstellung außerhalb ihrer physischen Grenzen und thematisiert über 100 weitere Schlösser, Burgen und Burgruinen in Dänemark, Südschweden und Norddeutschland. Fakten und Hintergrundinformationen zur jeweiligen Burganlage, ihren berühmtesten Bewohnern und dem heutigen Zustand werden zum einen über Texte und Bilder samt historischer Karten und Illustrationen vermittelt. Daneben sind eine Reihe Podcasts integriert, mit denen im Stil eines Hörspiels historische Ereignisse nacherzählt werden. Zusätzlich sind alle Burgen in einer interaktiven Landkarte eingetragen.

1001 fortællinger om Danmark

Screenshot der App 1001 fortællinger om Danmark

Screenshot der App 1001 fortællinger om Danmark

Die dritte Anwendung ist die App zu dem bereits im Dezember 2012 vorgestellten Projekt „1001 fortællinger om Danmark”. Das Angebot des dänischen Kulturstyrelsen soll als „det første sociale medium om dansk kulturarv“ nicht nur die offiziellen Archivbestände und priorisierten Kulturgüter erfassen. Vielmehr kann jeder registrierte Nutzer seine ganz persönlichen Erinnerungsorte vorstellen, wodurch eine fast schon unüberschaubare Masse an historischen Schauplätzen ohne jegliche Hierarchisierung zusammengetragen wird. Die Projekt-App weißt dabei jedoch im Sinne einer crossmedialen Kampagne eine mediengerechte Darstellung auf. So wurden nicht alle Elemente der Website in die Anwendung übertragen. Vielmehr wird sich hier auf die Kerneigenschaft des Mediums fokussiert: die Mobilität. Auf einer integrierte GoogleMap sind die Erinnerungsorte mit Stecknadeln markiert. Dazu gibt es themenspezifische Touren. Ebenso können sich Nutzer eigene Routen ausarbeiten. Wie bei 100 Borge wird hier die Möglichkeit zur Verwendung der App unterwegs genutzt, um Inhalte aktiv zu vermitteln und die räumliche Dimension von Geschichte aufzugreifen. Im Gegensatz zu klassischen Vermittlungsszenarien des situierten Lernens bieten Apps dabei die Möglichkeit, eigenständige und auf die persönlichen Interessen und Kenntnisse zugeschnittene Erkundungen durchzuführen.

Mobile Geschichtsvermittlung – grenzenlos!?

Mit dem Einsatz mobiler Medien zur Geschichtsvermittlung werden die unterschiedlichen Formen historischer Präsentation in einer Anwendung zusammengefasst. Die Form der Erzählung lässt sich durch multi- und hypermediale Funktionen nun auch technisch auf vielfältige Weise abbilden. Die Ausstellung wird durch die mediale Inszenierung erweitert, gleichzeitig findet eine vermehrte räumliche Inszenierung statt. Die technische Erneuerung klassischer Vermittlungsformen bildet somit die Grundlage unterhaltsamer und interaktiver Präsentation historischen Wissens.

Dabei sind mobile Anwendungen immer inhaltlich begrenzt. Die oft kritisierte Masse an Inhalten im Internet wird zwar umgangen, gleichzeitig können viele geschichtsdidaktische Herausforderungen nicht erfüllt werden. Dennoch können Smartphones dank ihrer multimedialen Funktionsspezifika durchaus komplexe Strukturen multiperspektivisch aufzeigen. Für den expliziten Gebrauch in der Kulturvermittlung wird zudem gewährleistet, dass die Anwendungen nicht von der eigentlichen Ausstellung oder dem historischen Objekt ablenken.

Als Ergänzung klassischer Vermittlungsangebote sind die Apps schließlich auch ein gelungenes Marketinginstrument zur Selbstdarstellung der Institutionen. In Dänemark liegt die Zuständigkeit für alle öffentlichen Kultur- und somit App-Anbieter am Ende beim Kulturministerium. Mit dem Einsatz von Apps zur Förderung des Kulturtourismus sowie der Prägung und Stärkung des nationalen Geschichtsbewusstseins werden nicht zuletzt ökonomische Interessen verfolgt.

Auch ohne eine Nutzeranalyse der Apps durchgeführt zu haben, kann am Ende wohl festgehalten werden, dass bei Apps das gleiche gilt wie bei anderen digitalen Vermittlungsangeboten: Sie können einen Besuch zwar aufwerten und neue Zielgruppen ansprechen, schlussendlich muss aber die Ausstellung und Vermittlungsthematik selbst interessant sein, um tatsächlich wahrgenommen zu werden.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2536

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Nordische Mythologie goes digital: Thor und Odin auf dem Tablet-PC

Ein Gastbeitrag von Thomas Mohnike. Was passiert, wenn man Thor, Odin und Freyja aus den isländischen Manuskripten, den Einführungswerken und Edda-Editionen auf das iPad umsetzt, um sie der „taktilen Leserschaft“ näher zu bringen? Ist dies nicht eine Leserschaft, die oft in Computerspielen wie Age of Conan, World of Warcraft, in Filmen wie Lord of the Rings und Thor, in japanischen Mangas und norwegischem Black Metal die erste Bekanntschaft mit Odin und Loki gemacht haben? Wie muss man sich den Mythen des alten Nordens nähern, damit neuen Nutzer zugleich Spaß und Interesse entwickeln, um in die bekanntermaßen schwierige und oft unbefriedigende Welt der Quellen einzutauchen? Laut MacLuhan und anderen Medientheoretikern verändert sich das, was man erzählt, wenn man das Medium wechselt. Inwiefern hat also die gegenwärtige Medien(r)evolution einen Einfluss auf das, was wir im Bereich der Skandinavistik und der Nordeuropäischen Geschichte zu erzählen haben?

Die beste Art, solche Fragen zu beantworten, ist vielleicht das Live-Experiment. Nach einer Begegnung mit Wouter van der Veen, Dozent an der Université de Strasbourg und Autor einer Applikation zu van Gogh, war schnell der Wunsch geboren: Ja – lasst uns sehen, wie ein derart spannendes wie auch komplexes Thema in diesem neuen Medium aussieht, wie es sich verändert und was es auf andere Art und Weise erklärt. In Zusammenarbeit mit einem schnell gewachsenen und interdisziplinären Team – neben dem Verfasser dieser Zeilen sind hier Pierre-Brice Stahl, Gabriela Antunes und Giacoma Bottà zu nennen, Loïc Sander stand für die graphisch-technische Umsetzung – entstand so Dreams of Valhalla, eine iPad-Applikation, die die Vorteile eines klassischen, typographisch anspruchsvoll gestalteten Buches mit jenen des neuen Mediums kombiniert – Video-Interviews mit Experten und Praktikern der Nordischen Mythologie, interaktive, taktile, didaktische Elemente, hochauflösende Bilder von Manuskripten, die man anfassen und auch – vorsichtig – wieder säubern kann, wenn allzu viele Fingerabdrücke hinterlassen hat.

dreamsofvalhalla

Die Applikation ist in drei große Abschnitte geteilt – Quellen, Mythen und Rezeptionen. Sie sensibilisiert also zunächst dafür, auf welche Quellen wir uns stützen können – und vor welche Probleme diese Quellen uns stellen. Es folgt eine umfassende Einführung in das Erzähluniversum der nordischen Götter, um schließlich am Ende in einem historisch-geographischen Kapitel die Rezeptionsgeschichte zu erläutern und anzudeuten, wo wir heute jene Mythen finden können, und warum sie so aussehen, wie sie heute aussehen. 250 Seiten Texte, Bilder, Manuskripte, 55 Minuten Video und zahlreiche interaktive Elemente – das alles findet sich in dieser iPad-App.

Die interessantesten interaktiven Elemente finden sich vielleicht im Quellenteil. Hier kann der Leser das komplexe Verhältnis von Edda-Liedern und Manuskripten durch Berührung mit dem Finger erfahren und dabei verstehen, wie dynamisch und heterogen das Korpus der Edda-Lieder ist. Ein anderes Element lässt den Benutzer einen Runenstein transkribieren und dabei entdecken, wie faszinierend und doch zugleich enttäuschend Runensteine bezüglich der nordischen Mythen sind.

Dreams of Valhalla – Trailer from arthénon on Vimeo.

Vielleicht die größte Verwandlung im Vergleich zu klassischen Einführungen hat die Präsentation der Mythen erfahren. Inspiriert von neueren Überlegungen zur erzählerischen Instabilität der nordischen Mythen, insbesondere durch die einschlägige Studie von Anette Lassen, haben wir das Erzählen in den Mittelpunkt gestellt: Was erzählen die Mythen über Liebe und Leidenschaft, Krieg und Hass, die Erschaffung der Welt und ihr Ende? Wir versuchen also nicht, einen Pantheon zu erklären, sondern das Erzähluniversum der Mythen zu erkunden, ohne die stellenweise beeindruckende Widersprüchlichkeit glätten zu wollen.

Dreams of Valhalla existiert im Augenblick nur für das iPad. Die Software, die unsere Götter im Hintergrund antreibt, ist noch nicht mit den anderen gebräuchlichen Betriebssystemen kompatibel. Wir hoffen, dass die zuständigen Informatiker bald Rat bei Mimirs Quelle suchen.

Das Wichtigste in Kürze:

Dreams of Valhalla. Erhältlich auf iTunes zum Preis von € 4,49.

Autoren: Thomas Mohnike mit Gabriela Antunes, Giacomo Bottà und Pierre-Brice Stahl.

Verleger, Herausgeber und technische Umsetzung: Wouter van der Veen und Loïc Sander.

Link zur Facebook-Präsenz des Projekts.

Dr. Thomas Mohnike ist Maître de conférences am Département d’études scandinaves an der Université de Strasbourg. Der Literatur- und Kulturwissenschaftler hat zu den skandinavischen Literaturen, der Darstellung des Eigenen und des Fremden in diesen und mit der modernen Rezeption nordischer Mythologie geforscht. Er beschäftigt sich auch mit der Geschichte der Germanenkunde und Skandinavistik an der einstigen “Reichs-Universität” Straßburg.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1616

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