Die Herolde im römisch-deutschen Reich des späten Mittelalters

Forschungsprojekt: Dissertation (Mittelalterliche Geschichte) WWU-Münster, abgeschlossen im März 2013[1]

Herold Jörg Rugen mit bayerischem Wappenrock. Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2936, Part 2, fol 11v. en.wikipedia [public domain] Wikimedia Commons

Herold Jörg Rugen mit bayerischem Wappenrock. Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2936, Teil 2, fol 11v. en.wikipedia [public domain] Wikimedia Commons. Siehe auch den Blog Archivalia von Klaus Graf

 

Die Herolde wurden in der Forschung lange Zeit auf ihre heraldischen Kenntnisse reduziert. In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat das Heroldsamt aber eine historiographische Neubewertung erfahren, die auf dem Leitbild der spätmittelalterlichen Herolde als Spezialisten der Zuteilung, Verbreitung und Registratur adliger Ehre beruht. In diesem Zusammenhang wird auf die Bedeutung des Institutionalisierungsprozesses der Herolde ab dem 14. Jahrhundert verwiesen, der mit der Aufnahme der Herolde an die Höfe von Fürsten verbunden war: Herolde wurden zu einem Bestandteil des höfischen Umfelds und richteten sich in ihrem Amtsverständnis darauf aus.

Die Forschung zu den Herolden im römisch-deutschen Reich hat von diesem erneuerten Forschungsinteresse jedoch nur in bescheidenem Maße profitiert. Eine Überprüfung der an französischen und burgundischen Beispielen entwickelten Thesen zur Entstehung, Organisation und Funktion des Heroldsamtes ist mit Blick auf das römisch-deutsche Reich bislang noch nicht geleistet worden. Eine solche Untersuchung habe ich in meiner Dissertationsschrift vorgelegt. Dabei ist es mir gelungen, die vorgestellten Forschungsthesen anhand der deutschen Befunde zu kontextualisieren und zu konkretisieren.

Mein Dissertationsprojekt ist multiperspektivisch angelegt. Dies betrifft zum einen den international vergleichenden Zugriff auf das Thema, zum anderen die methodische Herangehensweise, welche die Sozial-, Politik- und Militärgeschichte berührt. Auch kommt in der Arbeit ein kulturhistorischer Ansatz zum Tragen, der ganz allgemein als das methodische Bemühen Wahrnehmungsmuster, Sinnhorizonte und Praktiken in die historische Analyse mit einzubeziehen verstanden wird.

Die Ergebnisse meiner Dissertation möchte ich anhand von vier Thesen vorstellen. Die Analyse des Heroldsamts im römisch-deutschen Reich schreibt sich – so die erste These – in die Forschungen zu den internationalen Beziehungen im späten Mittelalter ein. Vor diesem Hintergrund wurde auf die Methoden des historischen Vergleichs und der Kulturtransferforschung zurückgegriffen. Essentiell für das Verständnis der Entwicklung des Heroldsamtes im römisch-deutschen Reich ist dessen Einordnung in einen kulturellen Transferprozess, der unter Einbeziehung eigener vorhandener kultureller Traditionen im römisch-deutschen Reich und durch den Vergleich der strukturellen Bedingungen in der Ausgangs- und Empfangsgesellschaft kausal verortet werden kann. Der Vergleich bietet die Möglichkeit, Beziehungen zwischen dem konkreten Untersuchungsgegenstand und allgemeineren gesellschaftlichen Gegebenheiten in europäischer Perspektive herzustellen. Auf diese Weise ordnet sich die Geschichte der Herolde in die Konzeption einer Geschichte der (kulturellen, aber auch diplomatischen und politischen) Beziehungen ein, die sich nicht als Gegenüberstellung unterschiedlicher politischer Strukturen, sondern als Verflechtungsgeschichte verschiedener gesellschaftlicher Felder versteht. Damit betont die vorliegende Arbeit die Bedeutung eines solchen Zugangs für die mittelalterliche Adelsforschung insgesamt.

Meine zweite These habe ich von der Frage ausgehend entwickelt, auf welche Weise die deutschen Herolde und ihr Amt sich zunächst in der adligen Welt und dann später an den Adelshöfen etabliert haben. Dabei habe ich auf die in der Sozialgeschichte bekannte Patron-Klientel-Beziehung, die bis dato vor allem zur Beschreibung von Klientelnetzwerken mit dem Ziel der politischen Einflussnahme genutzt wurde, als heuristisches Modell zurückgegriffen,. In Hinblick auf die Herolde lässt sich mittels dieses Ansatzes die Gewährung des Zugangs der aus sozial niederen Verhältnissen stammenden Herolde zu den Zentren der adligen Gesellschaft im 13. und 14. Jahrhundert und deren Verpflichtung zur Treue sowohl gegenüber ihrem Patron als auch gegenüber dem gesamten Adel erklären. Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts rückt die Beziehung zwischen Patron und Klientel erneut in den Vordergrund, als Herolde allmählich in feste Anstellungen aufgenommen werden. Auf dieser Grundlage erweist es sich als zielführend, Unterschiede zwischen Herolden weniger auf individuelle Faktoren als vielmehr auf Gegensätze zwischen angesehenen und minderrangigen, bedürftigen und saturierten, fahrenden und patronisierten Herolden zurückzuführen. Schließlich ist die Patronage von Herolden dadurch charakterisiert, dass großer Aufwand zur Legitimation einerseits und zur repräsentativen Darstellung der Beziehung andererseits aufgebracht wird.

Von den Aktivitäten der Herolde ausgehend komme ich zur dritten These. Die gesellschaftliche Wirkung von Medien ist von sozialen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen abhängig, die über deren konkrete Einsatzmöglichkeiten und Auswirkungen bestimmen. Die Herolde bilden für den Adel im späten Mittelalter ein wichtiges Kommunikationsmedium, weil sie in der Folge ihrer institutionellen Anpassung an das höfische Umfeld ihrer Herren mit der Außen- und Innendarstellung ebendieser und des Adels in praktisch allen Lebensbereichen betraut sind. Durch die ständige Frequentation des adligen Milieus genießen sie als Referenzpunkt und Wissensmediator in Fragen zu Personen und zur adlig-höfischen Kultur auch außerhalb des Adels hohes Ansehen. Diese Kenntnisse vermitteln Herolde ebenfalls in eigenen Schriften, deren Wertschätzung sich daran zeigt, dass ihre Arbeiten bereits ab dem Ende des 15. Jahrhunderts im Druck erscheinen. Der lang anhaltende Bedarf nach den Herolden und die Vermittlung ihres Wissens auch im Druck werden aus der als soziales Konstrukt zu begreifenden Beziehung zwischen Medieneinsatz und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen verständlich. Die Herolde als Medien adliger Kommunikation haben die Wandlungen adligen Selbstverständnisses begleitet und sich ebenfalls Prozessen der Transformation ausgesetzt, wodurch sie im römisch-deutschen Reich über zwei Jahrhunderte als ein Leitmedium der Adelsgesellschaft attraktiv bleiben.

Foto vom 19.06.2006 durch Philip Allfrey bei en.wikipedia, from Wikimedia Commons

Prozession von englischen Herolden, Windsor Castle. Foto vom 19.06.2006 durch Philip Allfrey bei en.wikipedia, from Wikimedia Commons

Von dieser engen Wechselbeziehung zwischen Adel und Heroldsamt ausgehend ist auch die vierte These entwickelt. Essentielle Bestandteile des Amtsverständnisses der Herolde im römisch-deutschen Reich und konstitutive Elemente der Adelskultur sind Ehre und Schande. Ihre Zuschreibung und Wahrnehmung strukturieren nicht nur interpersonale Beziehungen, sondern spielen auch aufgrund der großen Bindungsmacht von Emotionen eine bedeutende Rolle in der politischen Praxis. Ausdruck und Bekräftigung finden sie in Ritualen und Praktiken, welche die Kohärenz einer Gruppe nach innen stärken und ihre Abgrenzung nach außen steigern. In diesem Zusammenhang kommt den Herolden eine wichtige Rolle in der Darstellung und ständigen Aktualisierung dieser Werte- und Normenordnung zu, da sie nur auf diese Weise deren Funktion als Handlungsoption der Adligen bewahren können. Die Analyse des Heroldsamtes trägt dazu bei, die soziale Emotion der Ehre und Schande als ein zentrales Element der sozialen Rolle der Adligen im späten Mittelalter zu historisieren.

Auch wenn das Heroldsamt insbesondere im Commonwealth noch existiert, mag es heute teilweise seltsam und fremd vorkommen. Dieser Alterität gegenüber stellen die von mir problematisierte Bedeutung von Ehre und Schande oder der Einfluss von Medien auf soziale Realität Aspekte dar, die in der heutigen Gegenwart präsent sind. In meinem Dissertationsprojekt verbinde ich beide Niveaus, um einen neuen Blick auf mittelalterliche Phänomene zu werfen und zu zeigen, auf welche Weise die Mediävistik Reflexionswissen für unsere eigene Zeit bereitstellen kann.

Zuerst veröffentlicht bei http://mittelalter.hypotheses.org/1574

[1] Der folgende Beitrag baut auf der Vorstellung der Ergebnisse meiner Arbeit am 25.03.2013 an der WWU-Münster auf. Für Anregungen im Vorfeld danke ich Julia Crispin (Münster), Georg Jostkleigrewe (Münster) und Bastian Walter (Wuppertal).

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/311

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