Der diesjährige Historikertag wartete mit der erfreulichen Neuerung auf, eine eigene Hauptkategorie “eHumanities” zu führen, in der jeden Tag mindestens eine Session verortet war. Am Freitag, den 28.9.2012 gab es eine fast vierstündige Sektion unter dem Titel “Informationsinfrastrukturen im Wandel: Zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Informationsverarbeitung in historischer Lehre und Forschung“. Nach einer Reihe von “Impulsreferaten” wurde zunächst mit den Referenten diskutiert, bevor es eine allgemeine Podiumsdiskussion mit anderen Podianten als Vertretern verschiedener Teilbereiche der geschichtswissenschaftlichen Ökosystems (Historiker, Doktoranden, Bibliothekare, Portalbetreiber, Verleger) gab.
Leider hatten alle Teile wenig bis gar nichts mit dem zu tun, was ich selbst unter Informationsinfrastrukturen (geschweige denn in Gegenwart und Zukunft) verstehen würde. Das Thema wurde also eher “implizit” bearbeitet, wenn über die Arbeit des Historikers und die digitalen Wandlungen dieser Arbeit diskutiert wurde. Wenn ich eigens nach Mainz gereist war, um als jemand, der in einem Infrastrukturprojekt beschäftigt ist, etwas über die Sicht der historisch arbeitenden Fachkollegen auf Infrastrukturen zu erfahren, so blieb der Erkenntnisgewinn zu dieser Frage eher gering. Dafür scheinen mir zwei andere Details berichtenswert, die ich hier rein willkürlich herausgreifen möchte und die nicht für die Gesamtheit der Veranstaltung und der Beteiligten stehen.
Zum Einen wurde von Christoph Cornelißen beiläufig darauf hingewiesen, dass die (nicht zuletzt von Peter Haber) viel diskutierten Beschreibungsmuster der Wissenschaftler in der digitalen Welt als “digital immigrants” und als “digital natives” natürlich zu ergänzen sind um die größte, möglichwerweise nicht nur gefühlt 90% umfassende Gruppe der “digital ignorants” – die man bei einer systematischen Betrachtung der gegenwärtigen Wissenschaftstransformation ebenfalls unter die Lupe nehmen müsste. Zum anderen wurde mal wieder (und: ja, ich mache das auch öfters) die Monstranz des “Wir müssen die wissenschaftliche Qualität sichern und die wissenschaftlichen Qualitätsstandards bewahren” aus dem Tabernakel geholt. Dabei ist es immer das gleiche: Die Monstranz wird gezeigt, es wird aber nicht weiter darauf eingegangen, worin die postulierten Qualitäten eigentlich bestehen und wie sie zu sichern, geschweige denn zu prüfen wären. Dass “wissenschaftliche Qualität” in der freien Wildbahn praktisch nur als vage Selbstzuschreibung und als Verteidigungsbegriff gegen alles Andere und Neue vorkommt, ließ sich auch hier wieder eindrücklich beobachten. Pauschal wurde da z.B. von einem auf dem digitalen Feld zu beobachtenden “Wildwuchs” der Angebote gesprochen, die die traditionellen Qualitätsstandards unterlaufen würden und denen gegenüber “Qualitätserfordernisse” definiert werden müssten (was sicher nicht schaden kann). Immerhin mündete der sporadische Verweis auf die Digital Humanities nicht in ein allgemeines DH-bashing, nachdem Charlotte Schubert auf das hohe Maß der Selbstreflexion in den DH verwiesen hatte.
Eine sonderbare Note bekam die Rede über die Qualitätsicherung im historischen Feld allerdings auch dadurch, dass als Grundlage der vorgetragenen Gedanken eine “Diskussion an der Hotelbar am gestrigen Abend” referenziert wurde und dass bemängelt wurde, dass man heute kaum noch einen Vortrag halten könne, ohne dass im Publikum online recherchiert würde, ob der Vortragende auch wirklich keinen Unsinn erzählt (und ich dachte, DAS sei ein Zeichen von Qualitätssicherung). Die reklamierte Qualität der vortragenden Wissenschaftler erscheint so als eine, die sich gerade nicht überprüfen lassen will. Dazu passend wurden dann auch “Freiräume” für den Geisteswissenschaftler reklamiert, die “von elektronischer Beobachtung frei” sein sollten. Die Apologie der digitalen Ignoranz gipfelte im Ausruf, dass man auch heute noch “hervorragende Geschichtswerke ohne das Internet schreiben” könne. Das ist sicher richtig, wenn die historische Erkenntnis rein und vollständig aus den persönlich konsultierten Quellen, aus der Beschäftigung mit der älteren Literatur oder unmittelbar von Gott kommt. Sollte sie allerdings auch auf einem wissenschaftlichen Diskurs gründen, der im Hier und Jetzt stattfindet und der sich nun einmal auch der gegenwärtigen Technologien und Medien bedient, dann wird man die Prozesse der Erkenntnisgewinnung und ihre Qualitätsabschätzung doch etwas differenzierter betrachten müssen. Selbst angelegte Scheuklappen scheinen dann eine eher schlechte Basis für “hervorragende” Wissenschaft zu sein. Und wieso aus Ignoranz Qualität entstehen soll, werde ich vielleicht auch erst später begreifen …
Quelle: http://dhd-blog.org/?p=915