Einzigartiges open access-Projekt – finnische Kriegsfotos im Internet

Am 25.4. veröffentlichte die finnische Armee über 160 000 sog. TK-Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg im Internet. Diese Fotos sind während des Winter- (1939/40) und Fortsetzungskriegs (1941–44) von offiziellen Fotografen der finnischen Armee aufgenommen worden. Sie umfassen sowohl Kriegsfotos von der Front als auch solche von der Heimatfront.Die Fotos sind für jeden Interessierten unter der Adresse www.sa-kuva.fi zugänglich und können als druckfertige Dateien heruntergeladen werden. Das Digitalisierungsprojekt, welches 3,5 Jahre gedauert hat, wurde am nationalen Feiertag der Veteranen bekanntgegeben und erweckte sofort so großes Interesse, dass die Internetseiten erneut geschlossen werden musste, weil die Server unter der Belastung zusammenbrachen. Inzwischen funktioniert die Webseite wieder.

Dieses Großprojekt hat dazu geführt, dass Finnland momentan die Führungsposition hat, was den Onlinezugang von bedeutenden Bildarchiven angeht. Nirgendwo sonst in der Welt gibt es ähnlich umfassende kostenlose Bildarchive: z.B. in Deutschland kann zwar ein Teil der deutschen PK-Fotos (PK=Propagandakompanie) auf der Webseite des Bundesarchivs angesehen werden, aber druckfertige Versionen sind immer noch kostenpflichtig. Vielleicht regt das Beispiel Finnlands auch andere Länder an, ihm Folge zu leisten.

Die finnische Armee macht deutlich, dass die Informationen zu den Bildern in manchen Fällen Fehler oder Lücken enthalten und das man um diese weiß. Zwar haben die Informationsblätter zu den Fotos den Krieg überlebt, und diese Informationen wurden beim Digitalisieren als Bildertexte angegeben, doch enthalten diese Papiere eben Fehler, welche jetzt einfach übernommen wurden. Um diesem Manko entgegenzuwirken, gibt es im Portal ein digitales Formular, das die Zusendung von zusätzlichen Informationen ermöglicht. Die zugeschickten Informationen werden geprüft und gegebenfalls übernommen. Somit wird dieses Bildarchiv möglicherweise im Laufe der Zeit zu einer nationalen Wikipedia der Kriegsfotos.

Was ich persönlich aber als problematisch empfinde, ist die Entscheidung der Armee, die etwa 200 grausamsten Fotos, die Leichen o.Ä. zeigen, nicht im Archiv zu veröffentlichen. Zwar können diese Bilder weiterhin in der Bildstelle der Armee angesehen werden, aber da ein Teil der Bilder bereits auf diversen Websites zu finden ist, wäre es wohl möglich gewesen, diese Bilder zu veröffentlichen, damit sie nicht gefundenes Fressen für verschiede Verschwörungstheoretiker werden können. Sollte man mit dieser Selbstzensur Kindern vor schrecklichen Bildmaterial schützen wollen, wäre es aber technisch durchaus möglich, eine getrennte, passwortgeschützte Archivseite aufzubauen, auf der diese Fotos gezeigt werden könnten. Der einmal gültige Zugangscode könnte automatisch nach Angabe des Geburtsdatums zugeschickt werden.

Beispiel für eine Bildrückseite

Beispiel für eine Bildrückseite mit Notizen
Foto: Olli Kleemola

Natürlich vermisse ich auch die im Internetarchiv fehlenden Bildrückseiten (siehe Abbildung). Um die bestmögliche Bildqualität zu erreichen, wurden die Bilder von den Negativen digitalisiert. Das ist auch gut so, aber dabei wurde leider übersehen, welche Fülle an Informationen die Originalabzüge der Bilder, die immer noch in der Bildstelle der Armee aufbewahrt werden, enthalten. Auf den Rückseiten der Abzüge gibt es Stempel, die zeigen, ob das Bild von der Zensur genehmigt wurde oder nicht. Es gibt auch Markierungen, die offenbaren, wohin das Bild für Veröffentlichung geschickt wurde. Weiter gibt es öfters auch propagandistische Bildtitel, die von der Zensurbehörde anhand der Hintergrundinformationen geschrieben wurden, und die sonst nirgends überliefert sind. Wenn man die Abzugsrückseiten auch scannen und ins Netz stellen würde, ließe sich das Archiv noch besser zu Forschungszwecken verwenden.

Hierbei ist aber anzumerken, dass das Archiv bereits jetzt eine wahre Goldgrube für Historiker ist. Wenn man bedenkt, dass die finnischen Kriegsfotografen keine reinen Propagandisten waren, sondern auch viel kulturgeschichtlich und volkskundlich wertvolles Material produziert haben, wird einem klar, dass die Verwendungszwecke des Fotoarchivs beinahe grenzenlos sind!

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1585

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Kurioses aus den Archiven: Die ”Wunderwaffe” der Roten Armee?

Für meine Doktorarbeit suche ich ständig deutsche und finnische offizielle und inoffizielle Kriegsfotos aus dem Zweiten Weltkrieg. Während der Suche entdecke ich des Öfteren Kuriositäten: Beim Durchblättern eines finnischen privaten Kriegsfotoalbums von einen Artilleristen des 5. finnischen Feldartillerieregiments entdeckte ich dieses Bild, aufgenommen im Herbst 1941.

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Laut beiliegender Information testen oder probieren finnische Soldaten gerade eine erbeutete Gummiausrüstung, mit der man flache Seen überqueren könnte, und zwar so, dass der Kopf die ganze Zeit an der Oberfläche bleibt, während die meterlangen ”Schuhe” selbst auf schlammigen Seeböden einen festen Halt hätten.

Ansonsten sind in dem besagten Album normale Motive zu sehen (Offiziere, Soldatenalltag, Gefangene usw.), wie sie auch in den deutschen Alben häufig vorkommen.

Liebe Leserinnen und Leser, ich wende mich an Sie: Ist unter Ihnen vielleicht jemand, der mir genauere Auskünfte über Zweck und Häufigkeit dieser Ausrüstung geben kann?

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1492

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Deutsch-Finnische Historikerseminare – Aktuelles und Historisches

Am 15. Februar, also in fast zwei Wochen ist es soweit: Das Deutsch-Finnische Historikerseminar findet bei uns am Nordeuropa-Institut an der Humboldt-Universität zu Berlin statt. Deutschland und Finnland sind über die Jahrhunderte hinweg durch enge kulturelle, wissenschaftliche, aber natürlich auch wirtschaftliche und politische Kontakte verbunden gewesen. Zugegeben, eine asymmetrische Beziehung, aber immerhin ist es bemerkenswert, dass es seit nunmehr 40 Jahren gemeinsame Tagungen von deutschen und finnischen Kolleginnen und Kollegen gibt.

Angefangen hat alles mit gemeinsamen Tagungen von “Gesellschaftswissenschaftlern” aus Finnland und der DDR, bis 1990 brachte man es bis auf zwölf gemeinsame Seminare, die alternierend in Finnland und Ostdeutschland stattfanden. Im Nachgang haben sich Kritiker zu Wort gemeldet, die sich darüber mokierten, dass Wissenschaftler eines westlichen Landes sich mit Vertretern ‘marxistisch-leninistischer Pseudowissenschaft’ einließen. Seien die gemeinsamen Treffen nicht ohnehin von den Interessen der DDR-Führung geleitet gewesen und hätten sich die finnischen Historiker nicht einer zu großen Nähe zum Sozialismus verdächtig gemacht?

Sicherlich halfen das auch im Finnland der 1970er Jahre anzutreffende Interesse am Marxismus als wissenschaftlicher Methode und die insgesamt geringere Unvoreingenommenheit der DDR gegenüber dem Projekt auf die Sprünge. Finnlands Politik der ‘Äquidistanz’ gegenüber beiden deutschen Staaten hatte im Westen zwar zum unsäglichen und vielfach kritisierten Unwort von der “Finnlandisierung” geführt. Die (nicht ganz freiwillige) Nähe zum großen Nachbarn Sowjetunion und deren zeitweilig starker Einfluss auf die finnische Politik hatten allerdings nicht eine frühere einseitige Anerkennung der DDR durch die Finnen bedeutet. Anders als in anderen nordeuropäischen Ländern waren es in Finnland aber nicht nur Vertreter linker Parteien, die diplomatische Beziehungen mit Ostdeutschland forderten, sondern das gesamte Parteienspektrum. Ende der 1960er Jahre war es zudem bereits zu einem bilateralen Kulturprotokoll gekommen. Im Umfeld der Anerkennung beider deutscher Staaten (nicht nur) durch Finnland 1972/73 kam es dann zu einer Kontaktaufnahme von Greifswalder Nordeuropawissenschaftlern und Historikern mit Helsinkier Kollegen. Die DDR-Nordeuropaforschung war nahezu vollständig auf die Universität Greifswald konzentriert worden, wo man bereits in der Weimarer Republik eine interdisziplinäre Nordeuropawissenschaft und ein eigenes Institut für Finnlandkunde eingerichtet hatte.


Meine Ausleihquittung aus der Institutsbibliothek von vor ein paar Tagen zeigt deutlich, dass ich mich intensiv auf das Seminar vorbereite. Ein Kollege kommentierte zudem die große Bandbreite der Themen, die der Leihzettel aufweise…
CC-BY JHS 

Tatsächlich handelte es sich bei diesen gemeinsamen Treffen um ein für DDR-Verhältnisse eher untypisches bottom-up-Projekt, das zwar gerne von der Partei- und Staatsführung gesehen wurde, aber nicht von ihr initiiert worden war. Auf finnischer Seite half das Bildungsministerium durch Gelder und politische Unterstützung. Für die ostdeutschen Finnlandforscher waren die gemeinsamen Tagungen wertvolle Möglichkeiten, um mit Experten auf ihrem Gebiet in Austausch zu treten, westliche Forschungstrends zu verfolgen und bei den Reisen zu den finnischen Tagungsorten auch Archivarbeiten durchzuführen oder westliche Forschungsliteratur zu beschaffen. Für die finnischen Vertreter bedeuteten die Seminare Begegnung mit dem lange bewunderten wissenschaftlichen Vorbildland Deutschland – in diesem Fall in seiner ostdeutschen sozialistischen Ausführung. In den 1970er Jahren war der Abschied vom Deutschen als Wissenschaftssprache in Nordeuropa noch nicht vollständig vollzogen, gerade in Finnland war es nach wie  vor Arbeitssprache für viele Akademiker. Die von finnischer Seite beteiligten Historiker haben sich – was natürlich nicht ganz unproblematisch ist – selbst an die Aufarbeitung dieser ostdeutsch-finnischen Tagungen begeben, teils eher apologetisch, teils in deutlich selbstkritischerer Tendenz So hat Seppo Hentilä, langjähriges Mitglied der ‘Kerntruppe’, eingeräumt, dass man die Haltung der finnischen Teilnehmer als eine Art ‘Finnlandisierung’ sehen könnte. Während die DDR-Wissenschaftler des Öfteren sehr kritische Vorträge über Finnland und Nordeuropa hielten. , waren umgekehrt die Mauertoten oder die Unterdrückung der politischen Opposition in der DDR kein Thema. Wie Hentilä meint, war dies eine von beiden Seiten gewahrte Vorsicht, da die Kooperation ansonsten unmittelbar beendet gewesen sei.

Ende der 1980er Jahre begannen Münchner Osteuropahistoriker um den seinerzeitigen Lehrstuhlinhaber Edgar Hösch ebenfalls mit gemeinsamen Tagungen mit finnischen Kollegen. In der Bundesrepublik hatte die Osteuropäische Geschichte mit die bedeutendsten (west-)deutschen Beiträge zur Erforschung der finnischen Geschichte geleistet, die Jahrbücher für Geschichte Osteuropas hatten langjährige finnische Mitherausgeber. Ehe man sich versah, hatte man gerade mal zwei westdeutsch-finnische Treffen geschafft und schon war die Berliner Mauer gefallen. Seit 1990 sind die beiden Tagungstraditionen dann “friedlich vereinigt” weitergegangen und i.d.R. alle drei Jahre trifft man sich mal in Finnland, mal in Deutschland. Berlin ist dieses Jahr überhaupt zum ersten Mal Veranstaltungsort und das Nordeuropa-Institut erstmals Gastgeber.

Es bleibt, das sei durchaus eingeräumt, ein wenig erstaunlich, dass es nun schon seit vier Jahrzehnten gemeinsame Tagungen gerade mit Finnland gibt. Man kann die üblichen Floskeln von den langjährigen Beziehungen, die eingangs hier erwähnt wurden, zitieren, doch verweist dies ja auf eine vergangene Zeit. Wenn die gemeinsamen Tagungen – zudem noch mit immer wieder neuen Gesichtern und neuen Themen – dann doch weitergehen, zeigt das wohl, dass das gegenseitige Interesse nach wie vor vorhanden ist und die Tagungstradition eine Zukunft vor sich hat…

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1328

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Auf der Suche nach noch einem König: Finnland als kurzlebige Monarchie 1918


Der 1918 zum finnischen König gewählte Friedrich Karl von Hessen-Kassel
Wikimedia Commons/Svenska centralarkivet (gemeinfrei)

Im Nachgang zu Michael Penks kurzweiligem Beitrag über das isländische Kokettieren mit der Monarchie drängt sich einem der finnische Vorläufer aus dem Jahr 1918 geradezu auf. Finnland hatte sich am Nikolaustag 1917, der dort als Unabhängigkeitstag Jahr für Jahr mit Grandezza – einige würden böse sagen: Brimborium – begangen wird, formal für unabhängig erklärt. Die Finnen nutzten das postrevolutionäre Chaos, um sich und aus dem zunehmend kollabierenden Russischen Reich gelöst, waren aber gleich darauf in die Wirren eines Bürgerkriegs geraten, der, obgleich von kurzer Dauer, zu den blutigeren Konflikten des 20. Jahrhunderts gehört. Die siegreiche bürgerlich-konservative Seite im Bürgerkrieg, die so genannten “Weißen”, gruppierten sich um die Führungsgestalten Generalleutnant C. G. E. Mannerheim (ehemals im Dienste der kaiserlichen russischen Armee) und den Senatspräsidenten Pehr Evind Svinhufvud. Sie sahen sich nach Ende des Konflikts im Mai 1918 der Frage gegenüber, wie die Verfassung und damit das politische System des souveränen finnischen Staates aussehen sollten. Bei der Ausgestaltung des neuen Staatswesens kam ihnen zweifelsohne der Umstand zupass, dass die eigentliche Opposition der Vorkriegs- und Kriegsjahre – die finnische Sozialdemokratie – im Gefolge des Bürgerkriegs von der politischen Teilhabe ausgeschlossen werden konnte. Ein nicht unbeträchtlicher Teil ihrer Mitglieder befand sich ohnehin unter den ca. 80.000 in Lagerhaft genommenen und anschließend abgeurteilten “Roten”, von denen der Großteil freilich zum Jahresende 1918 wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. In Anbetracht dieser eklatanten Schwächung der republikanischen Kräfte des Landes legte man sich innerhalb der politischen Führung des Landes relativ bald auf die Monarchie als Staatsform fest und favorisierte – zumindest mehrheitlich – die Einsetzung eines deutschen Prinzen auf dem zu schaffenden finnischen Thron. Der erzkonservative, monarchistisch und entschieden pro-deutsch eingestellte Svinhufvud wurde für die Zeit der Suche nach einem geeigneten Staatsoberhaupt zum Reichsverweser bestellt, der konservative Politiker und Bankier J. K. Paasikivi zum Ministerpräsidenten ernannt. Beide wurden übrigens später Staatspräsidenten des Landes, das sie 1917/18 mit aus der Taufe gehoben hatten. Mannerheim, der von der unbedingten Orientierung auf Deutschland nur wenig hielt, lehnte einen deutschen Regenten ab und bemühte sich vergebens um eine schwedische oder dänische Alternative für den finnischen Thron. Zugleich mobilisierten sich im finnischen Parlament, der Eduskunta, die verbliebenen republikanischen Kräfte, die – in Abwesenheit der sozialdemokratischen Mehrheitsfraktion – vor allem aus Agrariern und jungfinnischen Liberalen bestanden. Nach intensiven und zum Teil bitter geführten Debatten wählte die Eduskunta schließlich am 9. Oktober einen Schwager des Deutschen Kaisers Wilhelm II., Friedrich Karl von Hessen-Kassel, als Fredrik Kaarle I. zum “König von Finnland und Karelien, Herzog von Åland, Großherzog von Lappland und Herrn über Kaleva och Pohjola”. Der ursprünglich für den Thron vorgesehene Sohn des Kaisers, Prinz Oskar von Preußen, hatte nach Intervention des Kaisers und der Reichsregierung von der finnischen Königswürde Abstand nehmen müssen.

Was in der Rückschau in der Tat wie ein episodisches “Königsabenteuer” wirkt, entsprach in Wirklichkeit einem ganz offensichtlichen Trend der Zeit sowie den Umständen des letzten Kriegsjahrs in Nordosteuropa. Deutsche Prinzen wurden seit dem 19. Jahrhundert regelrecht zum ‘Exportschlager’, als vor allem auf dem Balkan neue Nationalstaaten entstanden und ein entsprechender Bedarf nach – zumindest nominell – konstitutionell herrschenden Monarchen aufkam. Sie galten als imperial nur bedingt kontaminiert und vergleichsweise (v)erträglich – und es gab ein recht umfängliches Angebot von ihnen, das sich bereitwillig auf die Throne von Griechenland, Albanien oder Rumänien wählen ließ. Nach dem Zusammenbruch des Zarenreichs und dem Frieden von Brest-Litowsk im Frühjahr 1918 kam als weiterer – förmlich zwingender – Grund hinzu, dass man sich bei der Etablierung und Konsolidierung der eigenen Staatlichkeit die Protektion des einzigen verbliebenen Hegemons der Region, des Deutschen Kaiserreichs, wünschte bzw. sich dieser in Ermangelung von Alternativen nicht entziehen konnte. In dem engen Zeitfenster des Jahres 1918 übertrug sich die Vorliebe für den Import deutscher Prinzen daher auch auf die spontan aus dem Boden gestampften baltischen Monarchien, wie sich anhand der buchstäblich im Rohr krepierten Kandidaturen des Württemberger Herzogs Wilhelm Karl von Urach für den litauischen Thron (als Mindaugas II.) und des passionierten Forschungsreisenden und Kolonialabenteurers Adolf Friedrich zu Mecklenburg-Schwerin für das deutsch-baltische Vereinigte Baltische Herzogtum ablesen lässt. Der Turkuer Historiker Vesa Vares hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass sich das finnische Verhalten im Sommer und Herbst 1918 nur in der historischen Rückschau als episodischer Einzelfall, als das von Anders Huldén beschworene “Königsabenteuer” begreifen lässt. Es bildete weit eher die Regel in einem Reigen von vermeintlichen Königsabenteuern, deren Ziel in der Stabilisierung noch völlig ungefestigter und unter existenziellen Verwerfungen leidender Staatswesen bestand.

Dass es sich in der Sicht der Beteiligten um alles andere als ein skurriles Abenteuer handelte, ist auch aus den Vorbereitungen ersichtlich, die die Verantwortlichen in Helsinki in Erwartung der Ankunft ihres Königs trafen. Das finnische Außenministerium entsandte zwei profilierte Jungdiplomaten, den späteren Außenminister Hjalmar Procopé und den Archivar der Behörde (und späteren Gesandten) Harri Holma, nach Schloß Friedrichshof im Taunus, um dem angehenden König und seiner Familie einen landeskundlichen Crashkurs zu verabreichen und zudem erste Grundlagen in der finnischen Sprache zu vermitteln. Währenddessen bereitete die Protokollabteilung des Außenministeriums in Helsinki ein opulentes Begrüßungszeremoniell für das neue Staatsoberhaupt vor, in dessen Zentrum die feierliche Einfahrt des von Tallinn kommenden Königs in den Hafen stehen sollte, begleitet von Salutkanonaden und Kirchengeläut. Den Höhepunkt der Feierlichkeiten sollte die Krönung des neuen Königs bilden, für die der finnische Metallbildhauer und Avantgarde-Künstler Eric O. W. Ehrström bereits eine eigene Krone entworfen hatte.

Aus dem oben angedeuteten kleinstaatlichen Opportunismus, dem der finnische Staat im 19. und vor allem 20. Jahrhundert seine Existenz schuldet, erklärt sich auch, dass nach Abhandenkommen der projektierten Schutzmacht Deutschland im November 1918 auch das Projekt einer finnischen Monarchie nahezu geräuschlos ad acta gelegt wurde. Erinnerungskulturell sah es sich in den folgenden Jahrzehnten zur Fußnote der finnischen Geschichte relegiert. Obgleich der Gedanke einer monarchischen Ordnung in Finnland bis zur Verabschiedung der finnischen Verfassung noch die eine oder andere Blüte trieb, schwenkten die politischen Eliten des Landes schnell auf den von den Westmächten vorgegebenen Kurs ein und republikanisierten ihre bereits zu großen Teilen geschriebene Verfassung. Der wesentliche Träger der Annäherung an Deutschland, Svinhufvud, wich am 12. Dezember 1918 als Reichsverweser dem stärker auf die Westmächte hin orientierten und anglophilen Mannerheim. Mit ihm verzichtete auch Friedrich Karl von Hessen auf den ihm erst zwei Monate zuvor angetragenen Thron – und Finnland wurde zu jener “halbmonarchistischen” Präsidialrepublik (Juha Siltala), wie sie bis zum Inkrafttreten der neuen Verfassung im Jahre 2000 existierte. Der Staatspräsident erlangte in der Verfassungsrealität quasimonarchische Züge, wie etwa auch die “Überfigur” Urho Kekkonen zeigte. Als Fußnote zu einer Fußnote lässt sich jene Episode bezeichnen, von der Jyrki Paloposki auf Grundlage von Aktenmaterial des Archivs des finnischen Außenministeriums berichtet: Friedrich Karls Interesse an Finnland und das Interesse Finnlands an seinem vormaligen König erstarben offenbar auch nach seiner Abdankung nicht gänzlich. Wochen nach seinem Tod am 28. Mai 1940 schlich sich im Auftrag der finnischen Regierung ein Attaché der Gesandtschaft in Berlin in die Kapelle der Burg Kronberg im Taunus, in der Friedrich Karl als Oberhaupt des Hauses Hessen-Kassel begraben liegt. Nur beobachtet vom Kämmerer der Burg legte er am Grab des gewesenen und doch nicht ganz gewesenen Königs von Finnland einen Kranz nieder, auf dem zu lesen war: “Landgraf Fr. Karl / Die Regierung von Finnland”.

Literatur

  • Rainer von Hessen: “König im „Land der ernsten Augen“. Das finnische Thronangebot an Prinz Friedrich Karl von Hessen im Sommer 1918.” In: Bernd Heidenreich u.a. (Hrsg.): Kronen, Kriege, Künste. Das Haus Hessen im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt: Societäts-Verlag 2009, S. 190–204.
  • Anders Huldén: Finnlands deutsches Königsabenteuer 1918. Reinbek: Warnke Verlag 1997.
  • Jyrki Paloposki: Foreign Ministry Maker of a King in 1918 (23.12.2008), URL: http://formin.finland.fi/public/default.aspx?contentid=153726&nodeid=15153&contentlan=2&culture=en-US
  • Hannes Saarinen: “Friedrich Karl”. In: Suomen kansallisbiografia 3. Helsinki: Suomalaisen Kirjallisuuden Seura 2004, S. 109–110.
  • Vesa Vares: Kuninkaan tekijät: Suomalainen monarkia 1917–1919. Myytti ja todellisuus. Porvoo-Helsinki-Juva: WSOY 1998.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/674

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eHistory Learning Environment and Evaluation

http://ehlee.utu.fi Die Seiten des 2006 unter finnischer Federführung abgeschlossenen EU-Projekts zu E-Learning bieten Informationen zu diversen Perspektiven elektronischen Lernens sowie einen Abschlussbericht zu Best practice: results and recommendations sowie Strengths and weaknesses of e-learning history. Erstnennung in blog.elearninghistoricum.net [27.12.2010]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2011/01/951/

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