Chinesische Gangster waren ‘die Bösen’ in zahllosen Groschenromanen und Dime Novels [1] im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. In diesen Geschichten wie Hop Lee, The Chinese Slave Dealer; or, Old and Young King Brady and the Opium Fiends. A story of San Francisco (1899) oder The Bradys and Hi-Lo-Jak; or, Dark Deeds in Chinatown (1903) oder The Bradys and the Yellow Crooks(1910) erscheinen Chinesen als betrügerische Händler, Betreiber von Opiumhöhlen und sonstigen zwielichtigen Etablissements und Chinesinnen als ihre besonders listige Gehilfinnen in Verbrechersyndikaten. Die Verbrecher werden von (in der Regel weißen) Polizisten oder Privatdetektiven gejagt und letzhin dingfest gemacht.
Glen Gordon (Fu Manchu) in “Prisoner of Fu Manchu” (air date: Sept 3 1956) -
Eine neue Dimension erreicht der Topos vom chinesische Gangster mit der Figur des Dr. Fu Manchu aus den Romanen des Briten Sax Rohmer (egentlich Arthur Henry Sarsfield Ward, 1883-1959). Der erste Fu-Manchu-Roman, The Mystery of Dr. Fu-Manchu [2] erschien zwischen Oktober 1912 und Juni 1913 als Fortsetzungsroman, bis 1917 folgten zwei weitere Roman. Ab 1931 nahme Rohmer die Serie mit The Daughter of Fu Manchu wieder auf. Insgesamt gibt es dreizehn Fu Manchu-Romane von Sax Rohmer, dazu eine posthum veröffentlichte Sammlung von kürzeren Geschichten, The Wrath of Fu Manchu.
Die Romane erzählen in Varianten eine immer gleiche Geschichte: Der chinesische Super-Gangster Dr. Fu Manchu will die Weltherrschaft an sich reißen. Dies wird von (Sir) Denis Nayland Smith und dessen Assistent Dr. Petrie (der – ähnlich wie bei Sherlock Holmes und Dr. Watson – die Geschichte erzählt) im allerletzten Moment vereitelt. Die Ideen Fu Manchus werden immer abstruser, die Verbrechen monströser, die Foltermethoden immer perfider – speziell in den zahlreichen Filmen und TV-Produktionen, die mit Stummfilmen in den 1920ern begann.
Das Bild, das der Name Fu Manchu evoziert, ist das eines Mannes in ‘chinesischen’ Gewändern, mit einer schwarzen Kappe auf dem Kopf – und mit dem typischen Fu-Manchu-Bart, einem dünnen Schnurrbart, der das Philtrum freilässt, aber außen bis unter Kinnhöhe reicht (ein Attribut, das in den Romanen nicht auftaucht). In den Filmen wurde Fu Manchu von eine Reihe von Schauspielern verkörpert, u.a. Harry Agar Lyons (1878-1944), Warner Oland (1879-1938, auch bekannt als Darsteller des chinesischen Meisterdetektivs Charlie Chan), Boris Karloff (1887-1969) und Christopher Lee (*1922). Keiner der Darsteller ist Asiate, ihr ‘chinesisches’ Aussehen verdanken sie der Maske. Hollywood hielt es lange Zeit für unmöglich, asiatischen Darstellerinnen und Darstellern Hauptrollen zu überlassen [3].
Unter den Filmen, deren (mitunter zweifelhafte) künstlerische Bedeutung hier nicht thematisiert werden soll, erscheint einer besonders bemerkenswert: The Mask of Fu Manchu [4], ein Pre-Code-Film aus dem Jahr 1932 (Uraufführung: 5.11.1932) mit Boris Karloff als Fu Manchu und Myrna Loy (1905-1993) als Fah Lo See. Der Film, gegen den China bei seinem Erscheinen heftig protestierte, geriet bald in Vergessenheit, wurde aber seit den 1970ern quasi ‘wiederentdeckt’ und kritisch neu betrachtet. Die Fu-Manchu-Filme, die auf den Romanen von Sax Rohmer basierten, arbeiteten mit dem Bild des geheimnisvollen Orientalen, dessen rätselhaftes Tun mit ‘westlichen’ Moralvorstellungen nur schwer in Einklang zu bringen ist.
Das in Fu Manchu manifestierte Stereotpy vom bösen asiatischen Genie, das nach der Weltherrschaft strebt, kann eine Variante, der seit dem späten 19. Jahrhundert in Westeuropa und den USA latentem Angst vor der Gelben Gefahr Ausdruck zu verleihen, gesehen werden [5]. Als diese ihren Schrecken verlor, wurde die Figur des Fu Manchu in Filmen etc. mehr und mehr zur Karikatur und mithin Parodie ihrer selbst [6] Während Dr. Fu Manchu nun zunehmend als eher lächerliche Figur erschien, wurde der von Rohmer kreierte Typ ‘chinesischer’ Super-Gangster zum Vorbild für zahlreiche ‘orientalische’/'asiatische’ Bösewichte in Romanen, Graphic Novels/Comics und Filmen. [7]
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[1] Zu Dime Novels allgemein vgl. die Informationen der Dime Novel and Story Paper Collection der Stanford University Library. ↑
[2] US-Ausgabe unter dem Titel The Insidious Dr. Fu Manchu (Volltext: Project Gutenberg) ↑
[3] Ein besonders bemerkenswertes Beispiel für diese Praxis ist The Good Earth (USA 1937), ein Film nach einem Drama, das auf dem gleichnamigen Roman von Pearl S. Buck aus dem Jahr 1931 basiert. Im Film spielte Paul Muni den Bauern Wang Lung, seine Frau O-Lan wurde von Luise Rainer dargestellt, die dafür den Oscar (beste Schauspielerin) erhielt. – Ähnlich auch The Inn of the Sixth Happiness (USA 1958), ein ‘biopic’, das das Leben der Gladys Aylward beschreibt: Hier spielte Curt Jrgens den chinesischen Offizier Lin Nan und Robert Donat den Mandarin/Ortsvorsteher des Dorfes, in dem sich die Missionarin niederließ. ↑
[4] Zum Plot vgl. The Mask of Fu Manchu in der IMDb ↑
[5] Dazu ua. Urmila Seshagiri: “Modernity’s (Yellow) Perils: Dr. Fu-Manchu and English Race Paranoia.” In: Cultural Critique, No. 62 (Winter, 2006), pp. 162-194; John Seed: “Limehouse Blues: Looking for Chinatown in the London Docks, 1900-40.” In: History Workshop Journal, No. 62 (Autumn, 2006), pp. 58-85; David Shih: The Color of Fu-Manchu: “Orientalist Method in the Novels of Sax Rohmer.” In: The Journal of Popular Culture, Volume 42, Issue 2, April 2009, Pages: 304–317. ↑
[6] Vgl. dazu u.a. die TV-Serie The Adventures of Dr. Fu Manchu aus den 1950ern (einige Episoden im Internet Archive: S1E1: The Prisoer of Fu Manchu (1956), The Aventures of Dr. Fu Manchu S1E9: The Death Ships of Fu Manchu (1956), The Adventures of Dr. Fu Manchu S1E11: The Masterplan of Fu Manchu (1956)) oder Pieter Sellars’ The Fiendish Plot of Dr. Fu Manchu (USA/GB 1980) ↑
[7]U.a.: Pao Tcheou, der Meister des Unsichtbaren, Ming the Merciless [dt. 'Ming der Grausame'] aus den Flash Gordon-Comics, oder Lo Pan in “Big Trouble in Little China”. ↑