Sie haben das gutsituierte, aber auch klar vorgezeichnete Leben der römischen Oberschicht hinter sich gelassen und neue Herausforderungen gesucht: Melania die Ältere und Paula von Rom gehören im letzten Viertel des vierten Jahrhunderts zu jenen vornehmen christlichen Witwen, die sich durchaus aufsehenerregend für eine asketische Lebensführung entschlossen, ihre Familien verließen und zu einer Bildungsreise bzw. Wallfahrt zu den Mönchen Ägyptens und ins Heilige Land aufbrachen. An exponierten Stellen errichteten sie dort mit ihrem reichlich vorhandenen Vermögen großzügige Klosteranlagen für Frauen und Männer, in denen sie auch selbst lebten: Melania die Ältere zusammen mit Rufinus von Aquileia ab 378 am Ölberg in Jerusalem, Paula gemeinsam mit ihrer Tochter Eustochium und Hieronymus, den sie schon in Rom kennengelernt hatte, ab 386 in Bethlehem. Die Gebäudekomplexe dienten dabei nicht nur als Orte des Rückzugs und des wissenschaftlichen Arbeitens vor allem für ihre gelehrten Begleiter, sondern wurden auch zu wichtigen Anlaufstätten vieler reisender Christen und sind daher heute am ehesten mit privat geführten Bildungs- bzw. Gästehäusern vergleichbar.
Konkurrenz zwischen Klöstern
Dass sich Melania und Paula persönlich kannten, lässt sich nur vermuten. Sicher bezeugt sind dagegen die zunächst freundschaftlichen Beziehungen der beiden Studienfreunde Rufinus und Hieronymus. Doch entzündete sich ein heftiger Streit nicht nur um die Rechtgläubigkeit des Origenes und die Frage nach der angemessenen Übersetzung seiner Texte ins Lateinische, sondern auch um richtige asketische Lebensführung. Die benachbarten Klöster konkurrierten zudem um Förderer und Gönner. Während sich Hieronymus der Sympathie zahlreicher Römer versicherte, wurde Rufinus u.a. durch den Bischof von Jerusalem unterstützt, dazu durch einflussreiche Mitglieder der kaiserlichen Familie. Ob die vornehmen Gäste in Jerusalem nicht ganz auf ihren gewohnten Lebensstil verzichteten, was immerhin mehrfach Hieronymus‘ scharfe Kritik hervorrief?
Krise der Klöster
Am Ende des vierten Jahrhunderts gerieten beide Institutionen in Schwierigkeiten. Rufinus reiste 397 nach Italien zurück. Auch Melania trat 400 einen mehrjährigen Heimataufenthalt an und kehrte erst kurz vor ihrem Tod (um 410) nach Jerusalem zurück. Tatsächlich war es ihr gelungen, die Enkelin Melania die Jüngere für eine Nachfolge zu begeistern.
In Bethlehem erkrankte schließlich Paula schwer und starb nach zweijähriger Krankheit 404, was vermutlich die finanziellen Schwierigkeiten von Eustochium und Hieronymus noch steigerte.
Fehden mit der Feder
Als Hieronymus bald darauf seinen Nachruf auf Paula (Ep. 108) verfasste, beabsichtigte er daher keineswegs nur, die trauernde Eustochium zu trösten. Sein Text ist auch als überbietender Gegenentwurf zur hagiographischen Stilisierung der Melania der Älteren zu verstehen, die u.a. Paulinus von Nola (insbesondere Ep. 29) betrieb. Aus Rufins Umfeld stammte dagegen Palladius von Helenopolis, der in seiner 419/20 verfassten Historia Lausiaca an mehreren Stellen (vgl. HL 36; 41) vor allem mit Hieronymus scharf abrechnete.
Und heute?
An den selben Orten in Jerusalem und Bethlehem stehend, bemerken wir, vielleicht mehr, vielleicht weniger erstaunt: So fremd sind uns die Menschen der Antike nun auch wieder nicht …
Literatur in Auswahl:
Alciati, Roberto/ Giorda, Mariachiara, Possessions and Asceticism: Melania the Younger and her slow way to Jerusalem, in: Zeitschrift für Antikes Christentum 14 (2010) 425/44.
Cain, Andrew, Jerome’s Epitaphium Paulae. Hagiography, Pilgrimage, and the Cult of Saint Paula, in: Journal of Early Christian Studies 18 (2010) 105/39.
Heyden, Katharina, Orientierung. Die westliche Christenheit und das Heilige Land in der Antike (= Jerusalemer Theologisches Forum 28). Münster 2014.
Moine, Nicole, Melaniana, in: Recherches Augustiniennes 15 (1980) 3/79.
Mratschek, Sigrid, Der Briefwechsel des Paulinus von Nola. Kommunikation und soziale Kontakte zwischen christlichen Intellektuellen (= Hypomnemata 134). Göttingen 2002.
Ein Beitrag von Heike Grieser
Quelle: http://spuren.hypotheses.org/574