„Méi Sozialismus!“
Lydie Schmit und die LSAP 1970-1988. Eine politische Biografie.
von Renée Wagener
Vor genau einem Vierteljahrhundert ist die Sozialistin Lydie Schmit verstorben. Für die „Fondation Lydie Schmit“ die Gelegenheit, mit einer Biografie an die LSAP-Politikerin zu erinnern.
Feministisch, friedensbewegt, internationalistisch: Vielen ist Lydie Schmit als linke Ikone der Siebzigerjahre in Erinnerung geblieben. Das nun erschienene Buch wirft mit Analysen, Originaldokumenten und Zeitzeugnissen einen neuen Blick auf die Luxemburger Sozialistin – und auf die „Lëtzebuerger Sozialistesch Aarbechterpartei“ (LSAP).
Lydie Schmits Engagement überschneidet sich mit der Entwicklung der LSAP in den Siebziger- und Achtzigerjahren. In den Sechzigerjahren noch reformistisch und pragmatisch geprägt, wechselte die LSAP nach ihrer Spaltung Anfang der Siebzigerjahre zu einem radikalen Sozialismus, der von den Maximen der Studentenrevolution – Überwindung des Kapitalismus, Modernisierung der Gesellschaft, Chancengleichheit und Demokratisierung – stark beeinflusst war. Ab 1974 versuchte die LSAP unter ihrer Parteipräsidentin Lydie Schmit, den Worten Taten folgen zu lassen: Die Regierungskoalition 1974-1979, einzige sozialliberale Koalition der Nachkriegszeit, war eine Zeit gesellschaftlicher Innovation: Abschaffung der Todesstrafe, Schulreform, Abtreibungsreform, Debatte um Energie- und Friedenspolitik sind dabei nur einige der Stichworte. Aber die LSAP musste sich auch der linken Kritik stellen, dass unter dem Druck des Koalitionspartners, der Krise und der harschen konservativen Opposition manche der eigenen Ansprüche unter die Räder kamen.
Lydie Schmit befand sich als Parteivorsitzende inmitten des politischen Geschehens. Das Buch wirft die Frage auf, inwieweit sie die politischen Entscheidungen der LSAP mitbestimmte bzw. mittrug. Denn mit ihren pazifistischen und frauenpolitischen Positionen befand sie sich längst nicht immer auf der Linie der Parteimehrheit. Bei manchen Punkten, wie bei der Diskussion um den Plan einer Atomzentrale in Remerschen, offenbart das Buch jedoch, dass Lydie Schmit sich zunächst nicht gegen die Atomkraft aussprach – anders als später bei der Diskussion um Cattenom.
Die Sozialistin war als Frau auf dem Posten der LSAP-Präsidentin eine Pionierin. Daneben war sie auch auf vielen anderen Feldern aktiv: als Gemeindepolitikerin in Schifflange, beim Wiederaufbau der „Femmes socialistes“ nach der Spaltung, als nationale und als Europaabgeordnete, als Vertreterin der LSAP in der Sozialistischen Internationale unter Präsident Willy Brandt. Vor allem in ihrer Zeit als Präsidentin der „Socialist International Women“, der internationalen Dachorganisation der sozialistischen und sozialdemokratischen Frauenorganisationen, vertrat sie zunehmend auch radikalere feministische und friedenspolitische Positionen. Gegen Ende ihres Lebens setzte sie sich zunehmend für die Solidarität mit der Dritten Welt ein.
„Méi Sozialismus“ ist keine Hagiografie, sondern ein Versuch, das Leben und das Engagement der LSAP-Politikerin kritisch und vielstimmig darzustellen: Neben der Analyse der schriftlichen Quellen stützt es sich deshalb auch auf zahlreiche Interviews mit politischen Zeitgenossinnen und -genossen Lydie Schmits von innerhalb und außerhalb der LSAP.
Die Fondation Lydie Schmit
Die Stiftung, die den Namen der sozialistischen Politikerin Lydie Schmit trägt, wurde 1994 gegründet. Die „Fondation Lydie Schmit“ pflegt das Andenken Lydie Schmits durch Veröffentlichungen und Veranstaltungen, Stipendien und Beihilfen zu wissenschaftlichen Arbeiten.
Zur Autorin
Renée Wagener, Jahrgang 1962, ist Sozialwissenschaftlerin. Sie ist u.a. als Journalistin tätig sowie im „Laboratoire d‘Histoire“ der Universität Luxemburg. Ihre Veröffentlichungen behandeln häufig Aspekte der Sozial-, Gender- und Politikgeschichte Luxemburgs.
Wagener, Renée: „Méi Sozialismus!“ Lydie Schmit und die LSAP 1970-1988. Eine politische Biografie. Herausgegeben von der „Fondation Lydie Schmit“.
288 Seiten, zahlreiche Illustrationen, Bibliografie und Personen-Index. ISBN-978-2-919908-07-3.
Inhalt
Kapitel 1 Ein Leben für die gerechte Sache
Dokument – Sechzig Tage
Interview – Lydie Err
Kapitel 2 Ein rasanter politischer Aufstieg
Kapitel 3 Wiederaufbau der „Femmes socialistes“
Dokument – Situationsanalyse
Interview – Tilly Jung
Kapitel 4 Das lokalpolitische Engagement
Kapitel 5 Lydie Schmit auf dem nationalen Parkett
Dokument – An die Einwohner des Ostbezirks
Interview – Robert Goebbels
Dokument – Zur Koalition LSAP-DP
Interview – Guy Linster
Interview – Jean Huss
Interview – Jacques F. Poos
Kapitel 6 Lydie Schmit als Abgeordnete: ein gescheitertes Experiment
Interview – Colette Flesch
Kapitel 7 Die internationale Politikerin
Dokument – Rede im Basler Münster zur Jubiläumsfeier 1912-1982
Kapitel 8 Lydie Schmit in der Fraueninternationale
Dokument – Gegen das Heimchen am Herd
Interview – Irmtraut Karlsson
Kapitel 9 Das europäische Engagement
Dokument – Notizen zur Konferenz in Moskau
Dokument – Europa: Chance für die Linke!
Kapitel 10 „Méi Sozialismus“ – Versuch einer Synthese