“Seht, der Herr JHWH ist mein Helfer. Wer will mich verdammen? Seht, sie alle zerfallen wie ein Kleid; die Motte wird sie fressen.” (Jesaja 50,9; Jerusalemer Bibel)
Zwischen Genesis und der Offenbarung des Johannes kreucht und fleucht einiges. Vom Wurm ist in der Bibel genauso die Rede wie von Heuschrecke, Schlange oder Biene. Einem bisher von der Forschung recht unbeachteten Tier widmet sich:
Peter Riede, Bilder der Vergänglichkeit. Studien zur alttestamentlichen Mottenmetaphorik (Forschung zur Bibel 128), Würzburg: Echter 2013. 80 Seiten, ISBN: 978-3-429-03634-8 , EUR 20,00 (DE).
Nach einleitenden Bemerkungen (9-12) widmet sich der Verfasser der “natürlichen Lebensweise von Kleider- und Pelzmotten” (Kapitel I: 13-16). Interessant: Es sind die kleinen Mottenraupen, die mit ihrem Beißwerk Pelze und Stoffe zerstören, um sich daraus eine Wohnröhre zu bauen, in der sie sich schließlich zur Puppe entwickelt. Das zweite Kapitel schreitet das Feld des Alten Orients insgesamt ab (“Motten im alten Israel und seiner Umwelt”: 17-22). Wenn etwa im Akkadischen terminologisch zwischen der Mottenraupe und dem ausgewachsenen Tier differenziert wird, spricht das für eine genaue Kenntnis über die Entwicklung dieses Insekts. Zuweilen sei die Motte auch als Personenname belegt, mit wahlweise zärtlicher oder humoristischer Konnotation.
Bei seinem anschließenden Streifzug “Motten in der Bildsprache des Alten Testaments” (Kapitel III: 23-63, mit der Zusammenfassung 64f.) entdeckt Riede die Motte als Bildspender in zum Teil überraschenden Kontexten: Motten sind ebenso zerstörende Wesen, die im Verborgenen arbeiten und den Reichtum – besonders die Kleider – der Wohlhabenden gefährden (Hiob 13,28; Jesaja 50,9; 51,8), wie auch zerstörte Wesen, wenn sie – zerdrückt – “als Bild für die Vergänglichkeit und Sterblichkeit des Menschen” (64) stehen (Hiob 4,19). Die Verpuppung der Motte wird – als “Hausbau” verstanden – zum Bild für die Lebensweise des Frevlers, der da meint, “sein Haus sei ebenso wie sein Besitz beständig und stabil, doch gibt er sich damit einem Irrglauben hin, ist es doch leicht, zerbrechlich, schnell zerstört” (65) (Hiob 27,18). Die Motte diene auch als Metapher für Gott selbst, wobei hier der bedrohliche Aspekt der Motte betont werde (Hosea 5,12; Psalm 39,12). Es zeigt sich: Die Motte im Alten Testament ist ein ambivalentes Wesen: fragil einerseits, weil sie als Schmetterling selbst zerdrückt wird, zerstörerisch andererseits, weil sie Kleider rücksichtslos zerfrisst. Beide Seiten werden als Bilder für die Vergänglichkeit fruchtbar gemacht.
Ausblickhaft bespricht Riede noch zwei neutestamentliche Texte, die sich der Motten und ihrer zerstörerischen Kraft bedienen (66f.). Es sind zwei Appelle gegen das Schätzesammeln und Anhäufen von Reichtümern:
“Sammelt euch nicht Schätze auf der Erde, wo Motte und Fraß zerstören und wo Diebe durchgraben und stehlen; sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Fraß zerstören und wo Diebe nicht durchgraben noch stehlen! Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.” (Matthäus 6,19-21; Elberfelder Bibel; vgl. Lukas 12,33)
“Nun also, ihr Reichen, weint und heult über eure Plagen, die über euch kommen! Euer Reichtum ist verfault, und eure Kleider sind von Motten zerfressen worden. Euer Gold und Silber ist verrostet, und ihr Rost wird zum Zeugnis sein gegen euch und euer Fleisch fressen wie Feuer; ihr habt Schätze gesammelt in den letzten Tagen.” (Jakobus 5,1-3; Elberfelder Bibel)
Peter Riede hat mit seinem Buch ein Tier näher beleuchtet, das in der Realität wie auch in der Bildsprache des Alten Testaments im Verborgenen lebt. Riede hat einmal mehr gezeigt, dass es gerade die allzu alltäglichen und eigentlich banalen Metaphern sind, die den Menschen zu denken geben. Bis heute.