Eine europäische Strategie für soziale Investitionen: Colin Crouch im Interview auf “Der (europäische) Föderalist”

„Wenn Sie eines an der Funktionsweise der EU ändern könnten, was wäre es?“ Diese Frage habe ich dem Soziologen Colin Crouch gestellt, der durch seine Bücher Postdemokratie (2008), Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus (2011) und Jenseits des Neoliberalismus (2013) einem breiten Publikum als scharfsinniger Fürsprecher einer „durchsetzungsfähigen Sozialdemokratie“ bekannt geworden ist. In dem Interview auf meinem Blog Der (europäische) Föderalist kritisiert Crouch die wirtschaftspolitische Ausrichtung der Europäischen Union in den letzten Jahren:

Was an der Funktionsweise der EU derzeit am dringendsten geändert werden muss, ist ihr Fokus auf eine rein märkteschaffende Agenda und ihre daraus folgende Vernachlässigung der ausgleichenden Sozialagenda, die dafür notwendig ist.

Als wichtigsten ersten Schritt einer solchen Sozialagenda sieht Crouch die Entwicklung einer „europäischen Strategie für einen sozial investierenden Wohlfahrtsstaat“ – auch und gerade in den Ländern, die von der Eurokrise am härtesten getroffen wurden:

Soziale Investitionen, nicht die bloße Zerstörung existierender Sozialpolitiken muss die Aufgabe sein, die Ländern wie Griechenland gestellt wird, welche Hilfe von den europäischen Institutionen benötigen.

Doch dabei geht es nicht nur um wirtschaftliche und soziale Aspekte. Auch für die Entstehung eines europäischen Wir-Gefühls sieht Crouch die Entwicklung eines europäischen Wohlfahrtsstaats als wichtige Voraussetzung.

Derzeit gibt es sehr wenig, worauf man zeigen und sagen könnte: „Ich habe einen Anspruch darauf, weil ich ein Bürger der EU bin.“ Rechte, die auf den Leitgedanken der Sozialinvestitionsstrategie beruhen, könnten eine moderne Form von Sozialpolitik sein, die für diesen Zweck sehr geeignet ist.

Ob sich die EU dabei zurzeit auf dem richtigen Weg befindet, scheint Crouch zufolge jedoch zweifelhaft. Eine „intolerante Form des Neoliberalismus“ forciere den Abbau und die Privatisierung des Sozialstaats sowohl in den einzelnen Mitgliedstaaten als auch auf gesamteuropäischer Ebene. Durch die Europawahl wurden allerdings christdemokratische und liberale Parteien geschwächt, während die Sozialdemokraten ihre Sitzzahl in etwa halten konnten und die Linksparteien sogar deutlich zugewinnen konnten. Rückt die EU in den nächsten Jahren also nach links? Oder werden vielmehr die rechtspopulistischen Europaskeptiker mit ihrer Einwanderungsfeindlichkeit die öffentliche Debatte dominieren?

Das volle Interview mit Colin Crouch findet sich hier.

Quelle: http://etatsocial.hypotheses.org/235

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