Barbara Pusch ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Orient-Institut Istanbul und arbeitet gegenwärtig zu Transnationaler Migration am Beispiel Deutschland und Türkei. Hierzu hat sie kürzlich auch der NDR in seinem Beitrag “Deutsch-Türken: Einmal Heimat – und zurück?” befragt. Pusch hat über den den Antimodernistischen Umweltdiskurs in der Türkei promoviert und dabei muslimische Intellektuelle und Grüne verglichen.
Was hat Sie als Kind erstaunt? Was wollten Sie schon immer über die Welt wissen?
Als Kind hat mich eigentlich weniger „die“ Welt interessiert, sondern Menschen in ihren unterschiedlichen Welten. Es hat mich beeindruckt, wie unterschiedlich Menschen denken, wie sie handeln und wie sie ihr Handeln erklären bzw. rechtfertigen. Ich fand es auch immer wieder spannend, worüber sich unterschiedliche Menschen freuen und ärgern. Aus diesem Grund habe ich schon im Grundschulalter liebend gerne meiner Mutter und ihren Bekannten beim Kaffeeklatsch zugehört. Mit Begeisterung habe ich dort gelauscht und aufmerksam verfolgt, wer was zu berichten hatte und wer sich worüber echauffierte… Nach diesen Zusammenkünften habe ich meiner Mutter oft Löcher in den Bauch gefragt, weshalb unterschiedliche Menschen Dinge unterschiedlich interpretieren und wahrnehmen, woran das liegt etc… Mit Alfred Schütz könnte ich heute auch auf „Soziologendeutsch“ sagen, dass mich der „sinnhafte Aufbau der sozialen Welt“ und die verschiedenen menschlichen Lebenswelten fasziniert haben. Dieses Interesse habe ich nie verloren, und es spiegelt sich auch heute noch in meiner Forschungsarbeit.
Wie würden Sie Ihre aktuelle Forschung einem Fremden im Fahrstuhl erklären?
In meinem neuen Forschungsprojekt, dem ich mich seit 1. November 2014 im Rahmen eines Mercator-IPC Fellowships in Istanbul widme, geht es um doppelte Staatsbürgerschaft und unterschiedliche Formen der legalen Mitgliedschaft im transnationalen Raum Deutschland und Türkei. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das, was mich an diesem Thema interessiert, wirklich bei einer Aufzugfahrt erklären könnte. Meine Forschungsfragen basieren nämlich auf rechtlichen Grundlagen, die teilweise hochkompliziert sind und viel Detailwissen erfordern. Hinzukommt, dass ich natürlich erklären müsste, was ich unter transnationalen sozialen Räumen verstehe und aus welchen AkteurInnen der transnationale deutsch-türkische Raum besteht. Gewiss würde ich bei einer kurzen Erläuterung meiner Forschung aber betonen, dass ich mich nicht primär mit den rund drei Millionen Menschen in Deutschland beschäftige, die selbst oder deren Eltern bzw. Großeltern einen türkeistämmigen Hintergrund haben, sondern mit den vielen verschiedenen AkteurInnen auf der türkischen Seite dieses Raums. Diese reichen, wie Sie wissen, von entsandten MitarbeiterInnen deutscher Firmen und ihren Familien, über HeiratsmigrantInnen und ihren Kindern, RentnerInnen, Life-Style-MigrantInnen und sogenannten „Bosporus-Germanen“ bis zu den vielen verschiedenen sogenannten „Re“-MigrantInnen. Ich würde betonen, dass viele dieser Menschen auf sehr verschiedenen Ebenen und in sehr unterschiedlicher Intensität im transnationalen deutsch-türkischen Raum eingebunden sind, dass ihre Möglichkeiten, ein legales Mitglied in diesem Raum zu werden, jedoch stark von der nationalen deutschen und türkischen Gesetzgebung geprägt sind. Ich würde darauf hinweisen, dass es bei diesen Gesetzen sowohl enorme Unterschiede als auch erstaunliche Gemeinsamkeiten gibt und dass sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen zurzeit in beiden „nationalen Containern“ im Wandel befinden. Darüber hinaus würde ich mein allgemeines Forschungsinteresse damit erklären, dass der Fokus bis dato viel zu einseitig auf die deutsche Seite des transnationalen deutsch-türkischen Raums gelegt wurde, und dass ich mich deshalb mit der türkischen Seite beschäftige. Außerdem würde ich darauf aufmerksam machen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen bis dato nicht ausreichend auf ihre praktischen Implikationen in den verschiedenen migrantischen Lebenswelten untersucht wurden.
Welche Stationen Ihrer akademischen Reise haben Sie besonders geprägt?
Zweifellos ist mein beruflicher Werdegang von unterschiedlichen akademischen Stationen geprägt. Mit der Länge der Werdegänge nehmen aber auch diese „prägenden Stationen“ zu. In meinem Fall war sicherlich mein erstes Auslandsstipendium in der Türkei, meine verschiedenen internationalen Forschungsprojekte mit Türkeifokus und meine wissenschaftliche Tätigkeit am Orient-Institut Istanbul sehr prägend. Wenn Sie mich jetzt aber auffordern, meinen akademischen Werdegang Revue passieren zu lassen, dann muss ich jedoch auch betonen, dass mein persönlicher Weg immer aus einer Kombination von privaten, persönlichen und beruflichen Vorlieben, Interessen und Rahmenbedingungen gekennzeichnet war und ist. Ich könnte nicht sagen, dass Station X oder Y für meinen Werdegang wegweisend war. Ich sehe meine „akademische Reise“ vielmehr als Prozess, der sehr eng mit vielen anderen Faktoren in meinem Leben verwoben ist. Diese zu betonen ist einerseits sicherlich „typisch Frau“. Andererseits ist dies gewiss auch durch mein eigenes Migrantinnen-Sein geprägt. Ich glaube aber, dass insbesondere bewegte berufliche Werdegänge immer von einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren geprägt sind. Männer und Nicht-Migranten neigen lediglich dazu ihre Wendepunkte vom Persönlichen, Zufälligen und Privaten zu abstrahieren.
Wie ist es, in der Türkei zu forschen?
Die Türkei ist einerseits ein Paradies für Sozialforscher, denn es gibt hier Themen wie Sand am Meer. Die diversen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen der Türkei haben dieses Land quasi zu einem Labor für Wandelprozesse gemacht. Das gilt auch für die (transnationale) Migrationsforschung mit all ihren Facetten. Schwierig ist jedoch oft die Umsetzung, weil Strukturen und Forschungsmöglichkeiten oft ungenügend sind. Hinzukommt, dass der Zugang zu Daten – und da spreche ich von Basics wie z. B. Einbürgerungsstatistiken, differenzierten Zuwanderungsstatistiken etc. – oft unmöglich ist, weil diese häufig nicht systematisch erhoben bzw. veröffentlicht werden.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich für die Weiterentwicklung Ihres Fachs wünschen?
Für die Weiterentwicklung meines Faches würde ich mir vor allem etwas weniger neo-liberale Wissenschaftspolitik und mehr Forschungsmöglichkeiten /-förderung von Projekten wünschen, die nicht direkt an aktuelle politische Debatten diverser Migrationsdiskurse anschließen. Anders ausgedrückt: Ich würde mir wünschen, dass man sich als SozialwissenschaftlerIn weniger mit der „Verpackung“ seiner Projekte und Tätigkeit beschäftigen muss, sondern einfach seine Arbeit machen kann. Mit anderen Worten: Um fundierte Forschung voranzutreiben, benötigt es mehr Dauerstellen und/oder langfristige Fördermöglichkeiten. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin NICHT gegen die Rückkoppelung von Gesellschaft und Wissenschaft und umgekehrt. Ich beobachte aber, dass das Verhältnis oft nicht stimmt und „die“ Migrationsforschung „dem“ politischen/gesellschaftlichen Diskurs nachlaufen muss, damit sie überhaupt weiter betrieben werden kann. Das führt oft dazu, dass man nicht in die gewünschte Tiefe gehen kann, dass „Modethemen“ überforscht werden und andere Themen unterforscht bleiben. Dies kennzeichnet nicht nur mein persönliches Dilemma, sondern auch das vieler meiner migrations- und/oder sozialwissenschaftlich ausgerichteten KollegInnen.
Quelle: http://trafo.hypotheses.org/1429