Projektbeschreibung: Übergangsgesellschaften. Zur Politik und Politisierung ländlicher Gesellschaften in Mitteleuropa, ca. 1850-1950

Das neue Jahr hat längst begonnen, und damit auch ein neues Blog-Jahr. Ich beginne es mit guten Vorsätzen (die ich jedoch für mich behalte), und mit einer aktualisierten Beschreibung meines Forschungsprojekts. Seit einigen Wochen ist dieser Text auch auf meiner dienstlichen Homepage zu lesen; hier hoffe ich vor allem auf neue, andere Leser – und auf Kommentare, Hinweise, Diskussionen. Ich freue mich auf ein reges 2014!

Im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, mit regionalen und nationalen Eigenzeiten, wandelten sich mitteleuropäische Gesellschaften von Agrar- zu Industriegesellschaften, wobei regional und national große Unterschiede zu beobachten sind. Diese Transformationen betrafen längst nicht nur die Wirtschaftsweise, sondern wirkten sich auf alle Bereiche des Lebens aus. Wie Gunther Mai gezeigt hat, verlief die „agrarische Transition“ etwa im politischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Bereich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, was zu Ungleichzeitigkeiten, Spannungen und Konflikten führte. Ausgehend von diesen Überlegungen zur Makroebene europäischer Gesellschaften setzt mein Projekt auf der Mikroebene an und fragt danach, ob, und wenn ja, in welchen Formen, diese agrarische Transition in lokalen Kontexten stattfand und sich niederschlug. Ich frage danach, wie ländliche Mikrogesellschaften, genauer gesagt agrarisch geprägte Dorfgemeinden, den gesamtgesellschaftlichen Wandel wahrnahmen, wie sie ihn verarbeiteten und für sich gestalteten. Dabei gehe ich zunächst davon aus, dass die Makroprozesse sich nicht eins zu eins auf der Mikroebene niederschlugen, dass andererseits aber die lokalen Mikrogesellschaften spätestens im untersuchten Zeitraum eng in größere Kontexte eingebunden waren. Das Projekt basiert nicht auf der Gegenüberstellung von Land und Stadt oder lokalen Gemeinschaften und nationaler Gesellschaft, sondern fasst ländliche Mikrogesellschaften als Kontaktzonen auf, in denen unterschiedliche Interessen und Machtverhältnisse, Praktiken und diskursive Ordnungen miteinander interferierten.

Zur Beobachtung des gesamteuropäisch feststellbaren sozialen Wandels wird in der diachron angelegten Studie der Bereich der Politik als Untersuchungsgegenstand gewählt. Zum einen dient er pars pro toto als Indikator für gesellschaftlichen Wandel in einer funktional differenzierten Gesellschaft; zum anderen kann der Bereich des Politischen als besonders dominante Sphäre im Untersuchungszeitraum ausgemacht werden: Viele soziale, kulturelle und wirtschaftliche Fragen wurden politisiert, der politischen Bearbeitung unterworfen. Für diese Anlage des Projekts ist ein breiter Politikbegriff notwendig, der Handlungs- und Kommunikationspraktiken ebenso umfasst wie diskursive und symbolische Systeme.

Um die Komplexität politischer Prozesse im Lokalen adäquat untersuchen zu können, werden ländliche Mikrogesellschaften sowohl als politische Akteure wie auch als politische Räume begriffen:

  •  Als politische Akteure treten Dorfgemeinden vor allem als Gemeinderat oder Gemeindeverwaltung in Erscheinung. Gegenüber anderen Gemeinden, den übergeordneten Verwaltungsebenen, externen Akteuren und der eigenen Bevölkerung agieren Dorfgemeinden politisch, indem sie (vermeintliche) Kollektivinteressen artikulieren und durchzusetzen versuchen.
  • Gleichzeitig waren die Gemeinden Räume, die durch politische Prozesse und Konflikte geprägt wurden. Wer wurde durch die Dorfgemeinde überhaupt repräsentiert? Welche Machtverhältnisse strukturierten die Gemeinde? Wer handelte politisch – etwa jenseits der „großen Männer“ innerhalb des Dorfes auch Vereine und Verbände, unterprivilegierte Gruppen, die Kirchen, Unternehmen oder Touristen?

Die Studie kombiniert dabei diachrone und synchrone Ansätze. So sollen zum einen langfristige Konjunkturen sichtbar gemacht werden (etwa in der Arbeit des Gemeinderates, der Wahlbeteiligung oder auch der Partizipationspraxis), zum anderen werden „lokale Momente“ ausfindig gemacht, die als zeitliche Verdichtungen von Wandlungsprozessen und Dynamiken analysiert werden können. Umbruchphasen und Krisen, die nicht immer mit den bekannten Ereignissen der „großen“ Geschichte zusammenfallen, veränderten Handlungsoptionen und Deutungsmuster ebenso wie Gestaltungsperspektiven der lokalen Akteure.

Die Studie setzt sich mehrere Ziele:

  1. Es sollen verschiedene Formen der Politisierung in ländlichen Gemeinden identifiziert werden. Ausgehend von einem bestimmten Gemeindetypus, nämlich einem postkommunalistischen zentraleuropäischen Typ (anhand von bayerischen, elsässischen und schweizerischen Beispielen), soll der Einfluss von Selbstverwaltungstraditionen und –formen auf Politisierungsprozesse untersucht werden. Ziel ist es, sowohl diachron als auch synchron zu einer Typenbildung beizutragen.
  2. Zweitens sollen dadurch ländliche Gemeinden als wichtiger Bestandteil gesamtgesellschaftlicher Mobilisierungsprozesse sichtbar gemacht werden. Gerade für den Zeitraum ab 1850 interessierte sich die Geschichtswissenschaft bislang vor allem für städtische Politisierungs- und Mobilisierungsprozesse, während ländliche Mikrogesellschaften kaum beachtet wurden.
  3. Drittens dient die Studie der Erprobung globalgeschichtlicher Methodensets für die problemorientierte Bearbeitung lokaler Gesellschaften in Zentraleuropa. Welche Methoden der global studies können hier gewinnbringend eingesetzt werden? Wie können diese Methoden für die peripheren Regionen in Europa angepasst und weiterentwickelt werden?

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/248

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Obstbäume – ein Politikum?

In meinem Bericht über den Ausflug in die Obstbaukolonie Eden hatte ich erwähnt, dass es auch in Oberbayern Vereine gab, die den Obstanbau intensivieren wollten. Ich hatte mich gefragt, ob es eventuell Ähnlichkeiten, sogar direkte Einflüsse zwischen den lebensreformerischen Obstromantikern und solchen lokalen Initiativen wie dem Bernrieder Obst- und Gartenbauverein geben könnte.

Apfelausstellung

Eine Apfelausstellung im Freilichtmuseum Skansen in Stockholm – auch gegenwärtig ziehen solche Veranstaltungen Besucher an. Foto: A. Schlimm, CC-BY-SA

Nun habe ich zumindest schon einmal angefangen, dieser Frage nachzugehen – etwas nebenher, denn ganz zentral ist die Frage für meine Untersuchung nicht. Die Unterlagen im Bernrieder Gemeindearchiv geben nicht besonders viel her; der Akt im Staatsarchiv München zur Obst- und Gemüseanbauförderung im Bezirk Weilheim ist hingegen ganz schön umfangreich.

Dort werden aber ganz andere Grundlagen und Motivationen der Obstbau-Förderung als in Eden sichtbar. Wie in anderen Territorien auch (und schon deutlich früher) war es im Königreich Bayern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Anliegen von allerhöchster Stelle, den Obstbau zu intensivieren, beispielsweise Alleen mit Obstbäumen zu bepflanzen, um so ganz nebenbei zusätzliche Lebensmittel anzubauen. Aber warum eigentlich?

Der „Obstbaum-Freund“, ein Informationsblatt zum Obstbau, herausgegeben von der allgemeinen praktischen Gartenbau-Gesellschaft zu Frauendorf in Bayern, ist in der Hinsicht nicht allzu redselig. Dort wird lediglich betont, der Obstbau sei – direkt nach dem Getreideanbau – das „edelste, schönste und nützlichste Geschäft“, das nicht nur der Bauer, sondern eigentlich jeder Landbesitzer – und wenn er nur einen Garten sein Eigen nenne – betreiben könne. Hier taucht wieder eine Argumentation auf, die uns bereits aus den lebensreformerischen Kontexten bekannt ist: Der Obstbau mache keine große Arbeit: „Alle Zweige der ländlichen Oekonomie werden sorgfältig betrieben, und gerade derjenige, der bei der wenigsten Mühe den meisten Nutzen brächte, wird so unverantwortlich vernachläßiget.“ (Plan und Zwek [sic] des Obstbaumfreundes [1828], S. 2)

Offenbar waren aber die Bemühungen der Königlichen Kammer des Innern, die gemeinsam mit der Gartenbau-Gesellschaft eifrig für den Obstbau warb, nicht von besonderem Erfolg gekrönt. Immer wieder schrieb sie an die Gerichte (vor der Aufteilung von Verwaltung und Justiz in Bayern gab es keine Bezirksämter!), dass doch bitte die Hilfe, die der Gartenbauverein anbot – mit schriftlichem Informationsmaterial, der Zusendung von Bäumen und Saatgut, sogar der praktischen Unterweisung – angenommen werden solle. Aus dem Wust an Schreiben ist wohl für mich die Schlussfolgerung zu ziehen: Gebracht hat das alles nicht besonders viel.

Nun gibt es leider für die Zeit um 1912, als in Bernried der Gartenbauverein gegründet wurde, keine Aktenüberlieferung aus dem Bezirksamt. Erst aus den 1920ern fand ich wieder Material, das darauf hindeutet, dass der Obstanbau zu einem dringlichen politischen Thema geworden war, und zwar aus volks- wie aus betriebswirtschaftlichen Gründen:

„Alljährlich fliessen ungeheuere Summen deutschen, sauer erworbenen Geldes für Obst und Südfrüchte ins Ausland. Alle ländlichen Kreise leiden unsagbar schwer unter den heutigen wirtschaftlichen Nöten! Immer lauter und eindringlicher wird der Ruf nach Erhöhung der Einnahmen! Die Einnahmen des einzelnen Landwirtes lassen sich erhöhen, die Abwanderung deutschen Geldes eindämmen durch stärkere Beachtung und namentlich besserer Pflege eines landwirtschaftlichen Erwerbszweiges, der bis jetzt gerade in Oberbayern noch zu wenig Beachtung gefunden hat: des OBSTBAUES.”

So heißt es in einem Aufruf, den der Oberbayerische Kreisverband für Obst- und Gartenbau im November 1927 an „die ländliche Bevölkerung, Landwirtschaftsstellen, Geistlichkeit, Lehrerschaft, Bezirksverwaltungsbehörden und Gemeinden Oberbayerns“ richtete, und der ebenfalls im oben angesprochenen Akt enthalten ist. Von der Romantik einer naturgemäßen Lebensweise ist hier wenig zu spüren. Es geht nicht um den Aufruf zur Umkehr in ein irdisches Paradies, sondern darum, das ungenutzte Potential im Obstbau zu nutzen und das große Geschäft mit dem Obst nicht der ausländlichen Landwirtschaft zu überlassen.

Dass aber verschiedene Akteure wie Vereine und Verbände, die Bezirksverwaltung, die Regierung von Oberbayern und schließlich (schon weniger überraschend) der Reichsnährstand sich so viel mit dem Obst- und Gemüseanbau beschäftigte, finde ich sehr interessant. Dabei wurde der Anbau von Obst zu einem politischen Thema, indem er mit den verschiedensten gesellschaftspolitischen Zielsetzungen verbunden wurde. Zwischen herrschaftlicher Landesverbesserung, lebensreformerischer Obstromantik, wirtschaftspolitischer Krisenbekämpfung und der Forcierung von Autarkie und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit bis in die Spitzen der Obstbäume spannte sich ein Feld politischer Praktiken und auch Auseinandersetzungen auf. Hier kann man auch beobachten, wie sich die unterschiedlichsten Diskurse und Praktiken in verschiedenen räumlichen Kontexten – von weltwirtschaftlichen Verflechtungen bis hin zur Organisation auf dörflicher Ebene – etablierten. Und das ist es, was mich in meinem Projekt interessiert – wenn auch nicht nur am Beispiel von Obstbäumen.

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Quellen:

„Plan und Zwek [sic] des Obstbaumfreundes: Sämmtlichen hohen Regierungen ans Herz gelegt“, in: Probeblatt: Der Obstbaum-Freund, Nr. 1, 1. Jahrgang, 1. Jäner 1828, Herausgegeben von der allgemeinen praktischen Gartenbau-Gesellschaft zu Frauendorf in Bayern, S. 1-2.

Ein Sonderdruck der ersten Ausgabe liegt – offenbar als Werbemaßnahme dorthin gelangt – im angesprochenen Akt im Staatsarchiv München, Best. LRA 7067: Akt des königlichen Bezirksamtes Weilheim: Förderung des Obst- und Gemüsebaues.

Die Zeitschrift erschien 1828 bis 1843 und ist in verschiedenen Bibliotheken einsehbar [s. ZDB].

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An der TU Berlin gibt es ein Forschungsprojekt „Amtshausgärten“, das unter anderem am Beispiel der Plantage der Herrenhauser Gärten im Kurfürstentum Hannover den Zusammenhang von Verwaltungsstrukturen und Landesverbesserung zwischen 1750 und 1850 erforscht. Dabei geht es viel um die Verbreitung von Obstbau-Wissen. Der spannende Vortrag der Projektbearbeiterinnen Sylvia Butenschön und Heike Palm auf der GfA-Tagung 2013 hat mich unter anderem auf das Thema Obstbau aufmerksam gemacht.

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/185

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Bayernwahl spezial: Die Starnberger Landtagswahl 1875

Ein Spezialartikel zur Landtagswahl in Bayern, das hatte ich mir vorgenommen. Und es wurde ein anekdotischer Rückblick ins Jahr 1875. Denn in der vergangenen Woche bin ich – eher zufällig – über ein paar Zeitungsmeldungen gestolpert, die einen ganz guten Eindruck davon vermitteln, welche Rolle die Landtagswahlen in einem bayerischen Fischerdorf wie Starnberg spielten. Gefunden habe ich die Meldungen im Starnberger See-Boten, einer Wochenzeitung, die ab 1875 in Starnberg erschien, zunächst eben nur einmal in der Woche (immer samstags), und über allerlei Amtliches und Vermischtes, vornehmlich aus Starnberg und Umgebung, berichtete.

Die erste Meldung mit Bezug zur Landtagswahl findet sich in der Ausgabe Nr. 10 (vom 3. Juli 1875, Seite 1). Dort wird in der Rubrik „Amtliches“ bekanntgegeben, dass es vor der Landtagswahl noch die Möglichkeit gibt, den notwendigen Eid auf die Verfassung abzulegen, und zwar nicht nur im Bezirksamt links der Isar in München, sondern auch in Starnberg selbst – an einem Sondertermin am folgenden Dienstag, im Landgerichtslokal. Gleichzeitig informiert der See-Bote darüber, wer eigentlich wahlberechtigt war: „Wahlfähig ist jeder volljährige Staatsangehörige, welcher dem Staate eine directe Steuer entrichtet, soferne er nicht wegen Verurtheilung der bürgerlichen Ehrenrechte verlustig ist.“

Diese Information war dringend notwendig, denn bereits zehn Tage später, am 15. Juli, fand die Wahl der Wahlmänner statt, die Vorstufe der Landtagswahl sozusagen. Auch dieser Termin wurde wenige Tage vorher im See-Boten (Nr. 11 vom 10.07.1875, S.1) angekündigt. Punkt 8 Uhr morgens sollte es losgehen, und zwar im „Tutzingerhof“ (da bekommt das Wort „Wahllokal“ zumindest mal den richtigen Beigeschmack). Erinnert wurde daran, dass jeder, der wählen wollte, selbst anwesend sein musste: „Stellvertretung [findet] nicht statt“.

Zudem macht der See-Bote klar, welche Auswirkungen der wirtschaftliche Stand auf das Wahlrecht hat: „Jene Personen, welche bloße Einkommensteuer bezahlen, können als Wahlmann nicht gewählt werden, da nach einer hohen Ministerial-Entschließung vom 29. April 1869 die bloße Bezahlung von Einkommensteuer die passive Wahlfähigkeit zum Wahlmann bei den Landtagswahlen nicht begründet.“ (Ebd.) Man musste also auch andere Steuern als nur Einkommenssteuer bezahlen. Der Grundbesitz (und damit die Grundsteuerpflichtigkeit) dürfte es gewesen sein, die einen Bayern zum politisch voll Berechtigten machte. Wer keinen eigenen Grund und Boden besaß, konnte zwar abstimmen, aber nicht selbst Wahlmann sein. Darüber hinaus vermute ich mal: Wirtschaftliche Selbständigkeit dürfte es erst ermöglicht haben, überhaupt an der Wahlversammlung teilzunehmen. Donnerstags morgens um acht waren unselbständig Beschäftigte, auch wenn sie ein ausreichendes Einkommensteueraufkommen hatten, in der Regel wohl nicht so frei, in den Tutzingerhof zu gehen, um ihre Stimme abzugeben.

Nichtsdestotrotz, der See-Bote rief zur Wahl auf – und zu Vernunft und Besonnenheit:

„[A]n die Urwähler Starnberg’s! Mit Riesenschritten rückt jener ernste Tag immer näher an uns heran, wo wir uns zur Wahlurne zu begeben haben um aus unserer Mitte jene Männer zu wählen, welche das Vertrauen besitzen und Einsicht haben, für das Wohl und Gedeihen unseres lieben Vaterlandes entschieden mitzuwirken. Wir sollen deshalb als Staatsbürger die wenigen noch vor uns liegenden Tage nicht gleichgiltig [sic] vorübergehen lassen, ohne nicht auch den großen Wert dieser Wahl in’s Auge zu fassen; es muß deshalb jedem Bürger von uns sehr daran gelegen sein, Männer zu wählen, bei denen man sich überzeugte, daß dieselben nicht nur geistige Befähigung besitzen, sondern nebst dieser Eigenschaft auch einen festen Charakter behaupten und ihre Gesinnungen standhaft vertheidigen um nicht bei jeder Anfechtung ihre Farbe zu wechseln. – Möge diese Wahl eine unbeschränkte sein und nur auf oben Angeführtes Bedacht genommen werden.“ (Ebd.)

Schlussendlich wurde in der nächsten Ausgabe (Nr. 12 vom 17. Juli 1875, S. 1) über den Ausgang der Wahl in Starnberg berichtet. Ganz ruhig, entschlossen und gesittet sei die Wahl verlaufen. Von acht bis elf wurde gewählt, dann war alles vorbei. Offenbar kamen aber auch später noch Wähler, um ihre Stimme abzugeben – ohne Erfolg. Insgesamt wurden 248 Wahlzettel abgegeben, von denen nur 2 ungültig waren. Gewählt wurden Sigmund v. Schab, königlicher Landrichter (der übrigens auch Leiter der Versammlung gewesen war), Xaver Friedl, Ökonom und Bürgermeister der Gemeinde Percha, Joseph Halmburger, Gastgeber, Adalbert Kinzinger, Silberarbeiter, und Simon Popp, Tapezierer. Alle – abgesehen vom Richter – waren, so ist zu vermuten, Selbständige. Und alle waren, wie der Seebote berichtete, Liberale. Auf den ersten Blick stimmte Starnberg also sehr geschlossen ab. Die Meldung im Seeboten verrät aber, dass die Wahl keineswegs so eindeutig war. Denn v. Schab, der die meisten Stimmen erhielt, konnte nur 131 davon auf sich vereinen – bei 246 gültigen Wahlzetteln liegt das nur knapp über der 50%-Marke. Offenbar waren sich also die Starnberger gar nicht so einig, wer sie am besten vertreten könnte, und es scheint doch eine Konkurrenz zwischen Kandidaten gegeben zu haben.

Nun haben wir einiges über die Wahlmänner-Wahlen in Starnberg erfahren. Angesichts der geringen Informationsdichte des See-Boten war die Wahl über immerhin drei Wochen hinweg das Top-Thema im Blatt. Doch mit der Wahl der Wahlmänner war die Berichterstattung erschöpft. Über die eigentliche Landtagswahl am 24. Juli 1875, die durch die Wahlmänner ausgeführt wurde, und ihre Ergebnisse berichtete der See-Bote nicht mehr. Offenbar befand der Herausgeber dieses Thema nicht für ausreichend relevant, um darüber zu berichten und die Ergebnisse zu kommentieren. Die „große“ Politik – Landtagswahl – blieb doch zumindest in der massenmedialen Berichterstattung sehr stark auf das eigene Umfeld bezogen. Es waren die Landtagswahlen in Starnberg, über die berichtet wurde, nicht die im Königreich Bayern. Wann sich das wohl änderte?

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/168

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