Commodification of everything – das Ende der Rechte?

Alles wird zur Ware, und was Ware ist, ist (ver)handelbar – auch grundlegende Rechte. Der Blog Klima der Gerechtigkeit der Heinrich-Böll-Stiftung verweist auf ein neues Gesetz zur Nachhaltigkeit in Ghana (Sustainable Development Law, SDL), das die Regierung dort am 1. August 2014 beschlossen hat. Dieses sieht vor, einen Markt für Nachhaltigkeitskredite zu schaffen  – Firmen, die etwa bei der Rohstoffförderung natürliche Resourcen zerstören oder Ökosysteme verändern, können dies dann durch Maßnahmen an anderen Orten oder anderen Feldern “ausgleichen”. Diese Art der (äußerst umstrittenen) Ausgleichsmaßnahmen gibt es bereits in vielen westlichen und südlichen Staaten, insbesondere im Bereich Biodiversität und Klimaschutz, sie sind Teil der Maßnahmen, mit denen die Umweltgesetzgebung seit den 1990er Jahren “flexibilisiert” wurde. So verwundert es auch nicht,  dass von der Europäischen Kommission finanzierte Experten an der Ausarbeitung der Details und der Umsetzung in Ghana beteiligt sind.

Bemerkenswert ist jedoch, dass sich das Gesetz nicht auf mehr auf Umweltgesetze beschränkt – in den neu zu schaffenden Kreditmarkt werden auch Menschen- und Gemeinschaftsrechte einbezogen.

Neben carbon credits, biodiversity credits und ecosystem credits sollen durch Projekte, die der Nachhaltigkeit dienen, auch community capital credits geschaffen werden können, definiert, wie eine Analyse der NGO FERN zitiert, als die “sum of
the natural and cultural assets belonging to a
community.” Ein jährliche Studie soll den Gesamtbestand an Nachhaltigkeitskapital erfassen und in einem nationalen Register mit dem zugehörigen Wert verzeichnen, und die darauf basierenden Kredite (generiert durch soziale oder Umweltprojekte) sind dann frei handelbar – und können etwa von anderen Firmen, im In- oder Ausland, gekauft werden, etwa um die Zerstörung von Ressourcen oder negative Effekte auf lokale Gemeinschaften “auszugleichen”.

Dies widerspricht geltenden Auffassungen von Recht, wonach Rechte eben nicht “veräußerbar” sind – aber es ist auch in anderer Hinsicht bedeutsam:

1) Die Austauschbarkeit verschiedener neu geschaffener (immatrieller) Waren, die  bereits im Bereich “natürlicher” und “systemischer” Komponenten zu beobachten ist, erreicht damit eine ganz neue Dimension – und damit die Frage, wie und durch wen diese Austauschbarkeit konkret hergestellt wird. Das Gesetz enthält noch keine Details, wie genau der Wert der einzelnen Kredite berechnet werden soll. Dennoch ist bereits klar, dass dies die “Be-Wertung” kultureller, natürlicher oder menschlicher Eigenschaften verschiebt: Der Wert, den ein Ort wie ein Wald für eine ansässige Gemeinschaft hat, die von seinen Ressourcen lebt oder ihm eine bestimmte spirituelle Bedeutung zuschreibt, mag sich eklatant unterscheiden von dem Wert, den ihm eine nationale Agentur im Zuge ihrer Berechnung des Nachhaltigkeitskapitals zuweist – und dieser wird wiederum, bei einer Integration in internationale Märkte, von den höchst abstrakten und schwankenden Bewertungen internationaler Finanzmärkte abhängen. Dies gilt aber, im Fall von Ghana, dann nicht mehr nur für Tierarten oder seltene Ökosysteme, sondern auch für den “Wert” von Bildung, medizinischer Versorgung oder dem Recht vor Enteignung. Diese sind nicht mehr von der Perzeption der Träger der Rechte oder nationalem Recht abhängig, sondern werden ebenfalls in die Bewertungs-Maschinerie globaler Märkte einbezogen – mit der Folge, das sie sozusagen “zerbrechen” in jene kapitalisierbaren Aspekte, die der Markt bewerten kann, und diejenigen Aspekte von (Menschen)Recht, die dabei ausgeschlossen werden.

2) In letzten Zeit wurde vielfach über die Auflösung bzw. die Verschiebungen diskutiert, die eine assemblage oder more than human-Perspektiven auf den Rechtsbegriff haben. Traditionell unterscheidet das liberale, westliche Recht strikt zwischen Menschen, die unveräußerliche Rechte haben, und nicht-menschlichen Entitäten, die diese nicht (im gleichen Maß) besitzen, auch wenn diese starre Trennung durch die Entstehung von Umweltgesetzen, aber auch durch kritische Betrachtung des Begriffs der Menschenrechte faktisch, diese Trennung bereits über die letzten Jahrzehnte aufgeweicht wurde (bzw. gezeigt wurde, dass diese nie wirklich in dieser Form bestanden hat). Während aber die theoretischen Diskussionen in Richtung einer möglichen Ausweitung von Rechten auf nicht-menschliche Wesen zielen, zeigt sich faktisch eine ganz andere Tendenz: nämlich eine Integration des Humanen in die (marktförmigen) Netzwerke nicht-menschlicher Waren, eine Auflösung der Grenze, die das Mensch-Sein der Verwertung in Teilen noch geboten hat.

Quelle: http://gclf.hypotheses.org/121

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Auf der Suche nach dem Lokalen

Der Sammelband Environmental Imaginaries of the Middle East and North Africa (2011) enthält es einen interessanten Beitrag von Leila M. Harris. Er basiert auf Feldstudien, hauptsächlich ausführlichen Interviews mit der lokalen Bevölkerung im Südosten der Türkei, in jenem Gebiet, das im Rahmen des umstrittene “South-Eastern Anatolia Programme” (GAP, Great Anatolia Project, in Turkish: Güneydoðu Anadolu Projesi) “entwickelt” werden soll. Dieses größte Entwicklungsprojekt der Türkei soll unter anderem 22 Staudämme umfassen. Jenseits der kontroversen Diskussionen um das Projekt ergeben sich aus den Interviews, die Harris mit der lokal ansässigen Bevölkerung geführt hat, zwei interessante Aspekte:

Aber die interviewten Kleinbauern teilen gerade nicht die kritische Perspektive, die Umweltaktivisten, aber auch liberale Intellektuelle auf die “Entwicklung” des Gebietes und der damit verbundenen Modernisierung der Landwirtschaft haben. Sie sind vielmehr mehrheitlich der Überzeugung, dass die Probleme, die die technischen Neuerungen bisher hervorgerufen haben (etwa die Versalzung des Bodens) das Streben nach technischem “Fortschritt” nicht in Frage stellen:

“narratives reveal that farmers and state agents engage the evidence of environmental degradation to argue for more technoscience, and more state intervention, not less.” (204, Hervorhebung im Org.)

Ein Ergebnis, das Harris unter anderem auf die geradezu mythische Aufladung des Entwicklungsbegriffes zurückführt. Technischer Fortschritt in der Landwirtschaft wird als “point of entry for other possibilies wahrgenommen, perhaps even viewed as an opening for broader associations with modernity and wealth” (206). Die Moderne ist, zumindest im Südosten der Türkei, offenbar immer noch ein Versprechen.

Zweitens stellt Harris klar, dass sich, im Gegensatz zu anderen Arbeiten, die die “lokale” Perspektive dem “scientific or state knowledge” strikt entgegensetzen (193), diese beiden Kategorien in ihrer Untersuchung nicht trennen lassen. Sie vermischen sich stattdessen in Form eines “hybridized knowdedge” vermischen (200). Die Interviewten interpretieren ihre Situation nicht aus einer lokalen Perspektive heraus,

“[they] connect their local practices (e.g., crop choice or pesticide use) to state practices, as well as to scales and notions of national belongings (e.g., the idea of benefiting the national economy through cotton production) […] offering a challenge to what is meant by ‘local knowledges’.” (202)

Dies führt mich zurück zum Problem des Lokalen, dass sich bereits bei der Konzeption meiner Arbeit aufgetan hat. Das ‘Lokale’ ist, wo post-strukturalistische Ansätze in den Geisteswissenschaften vorherrschen, zu einem umworbenen Terrain geworden: Man möchte die spezifisch lokale Perspektive herausarbeiten, die Praktiken auf der lokalen Ebene, die Sichtweisen und Handlungen der lokalen (und damit in vielen Fällen subalternen) Akteure zeigen. Dies entspringt häufig dem lobenswerten Anspruch, Akteure zu Wort kommen zu lassen oder ins Bild zu rücken, die historische oder gesellschaftliche Analysen bisher vernachlässigt oder übergangen haben. Aber es führt, jenseits von praktischen Problemen (etwa bei der Analyse lokaler oder subalterner historischer Praktiken durch die Brille hegemonialer Überlieferung) zu einer Essentialisierung des Lokalen, die sich wenig mit den dekonstruktivistischen Ansprüchen decken, die die Arbeiten eigentlich verfolgen. Theoretisch und empirische Arbeiten haben in den letzten Jahren gezeigt, wie problematisch der unkritische Bezug auf das Lokale, so etwa Arjun Appadurai in Modernity at large oder die Arbeiten, die Akhil Gupta and James Ferguson in Anthropological Locations versammelt haben. Ulrike Freitag stellt in der Einleitung zum Sammelband Translocality fest:

“[T]he notion of the ‘local’ remains a critical one. Criticism of the earliert view of places, communities and cultures as counded and fixed localities sparked numerous debates. It has become mostly accepted by now the locality is “produced” socially and culturally, often in contexts of heightened mobility of different scales, and of transgression of boundaries, which were already noted to be central to translocal perspectives on localities.” (9).

Diese Erkenntnis ändert wenig daran, dass die Attraktivität des ‘Lokalen’ ungebrochen hoch ist. “Für uns ist vor allem eine lokale Perspektive interessant”, wurde mir mehrfach gesagt, als ich zu Beginn meiner Arbeit erste Gespräche führte. Oder: “Das lässt sich doch gut einander gegenüberstellen: die lokale und die globale Perspektive auf den Wald.” Und ich kann nicht leugnen, dass auch ich implizit davon ausging, durch die Einbeziehung der ‘lokalen’ Akteure eine Perspektive einbringen zu können, die kritischer, authentischer, ja, irgendwie anders als die westlich-globalisierte war.
Es gibt eine ganze Reihe von Arbeiten, die so begonnen haben – und deren Ergebnis dann unter anderem war, dass das lokale viel weniger lokal war als zunächst angenommen. Aber auch wenn das ‘Lokale’ im Laufe der Arbeit dann de-konstruiert wird, stellt sich, gerade zu Beginn einer Arbeit die Frage, wie man diese Dichotomie auch konzeptionell umgehen kann. Wenn das ‘Lokale’ problematisch ist, wenn das Lokale immer auch globalisiert ist, was setzt man ihnen entgegen, den vereinheitlichten und vereinheitlichenden Diskurse und Praktiken einer hergestellten Globalität? Wie kann man es bezeichnen und definieren? Oder welche Pespektive lässt sich einnehmen, die diese Dichotomien umgeht oder gar überwindet?

Zitierte LIteratur:

Appadurai, Arjun (1996): Modernity at large. Cultural dimensions of globalization. Minneapolis, Minn: University of Minnesota Press (Public worlds, v. 1).

Harris, Leila M.: Salts, Soils and (Un)Sustainibilites? Analyzing Narratives of Environmental Change in Southeastern Turkey. In: Davis, Diana K.; Burke, Edmund (Hg.) (2013): Environmental imaginaries of the middle east and north africa. Athens: Ohio University Press, S. 192-218.

Gupta, Akhil; Ferguson, James (1997): Anthropological locations. Boundaries and grounds of a field science. Berkeley: University of California Press.

Freitag, Ulrike; Oppen, Achim von (2010): Introduction “Translocality”. An approach to connection and transfer in area studies. In: Ulrike Freitag und Achim von Oppen (Hg.): Translocality. The study of globalising processes from a southern perspective. Leiden [The Netherlands], Boston: BRILL (Studies in global social history, v. 4), S. 1–21.

Quelle: http://gclf.hypotheses.org/48

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