Bespaßung vs. Behandlung: Kino und Geschichtsunterricht

 

Fiktionale Spielfilme mit historischen Inhalten gehören zu den prominentesten Feldern öffentlicher Geschichtskultur. Doch ihr Erfolg auch beim jugendlichen Publikum geht zurück. Kein Grund, das Kino nicht zum Lernort für Geschichte und Medienrezeption zu machen.

 

Filme prägen Geschichtsbilder

“So viel Geschichte wie heute war nie …” konstatierte Klaus Bergmann schon im Jahr 1993,1 zahlreiche andere AutorInnen schlossen sich seither dieser Meinung an. Zuletzt pointierte Josef Memminger die Situation mit Blick auf regionale Geschichtskultur sogar nochmals: “Überall Geschichte!”2 Gilt es, über den allgemein formulierten Anspruch hinaus die Ubiquität von Geschichte zu belegen, führen HistorikerInnen gerne Beispiele wie PC-Spiele, Mittelaltermärkte oder touristische Angebote an. Am weitaus häufigsten genannt werden jedoch Film und Fernsehen. Gerade in fiktionalen Formaten habe Geschichte Konjunktur. In seiner auflagenstarken Einführung “Geschichte unterrichten” urteilt beispielsweise Michael Sauer: “Die meisten Menschen bekommen das, was sie über Geschichte wissen, durch Filme bzw. über das Fernsehen vermittelt.”3

Kino – die Zahlen sprechen für sich

Doch ein genauerer Blick auf die Erfolgsstatistiken des Kinomarktes lässt erhebliche Zweifel an dieser für ihn so wirk-optimistischen Sichtweise zu. Nimmt man die deutschen Kinos als Basis, so zeigt sich, dass Filme mit historischen Inhalten keineswegs so populär sind, wie dies immer wieder in epochenwissenschaftlichen oder geschichtsdidaktischen Werken postuliert wird. An den Kinokassen feiern vor allem Komödien, Actionfilme und Romantisches große Erfolge. Im Jahr 2013 fand sich unter den zwanzig erfolgreichsten Produktionen kein wirklicher “Geschichtsfilm”.4 Quentin Tarantinos Django Unchained, drittmeist besuchter Film des Jahres, ist wohl als provokante Sonderform anzusehen, der aber dem Genre noch am nächsten steht. Ähnlich gestaltete sich das Bild in den Jahren davor. Bestenfalls spielte Geschichte in erfolgreichen Filmen eine Nebenrolle, etwa in den Ice Age-Filmen. Wenn Geschichte hingegen – um in der Filmsprache zu sprechen – die Hauptrolle spielt, erreicht die Produktion nur selten die Top Ten eines Jahres. Zuletzt gelang dies in Deutschland im Jahr 2011 dem mit mehreren Oscars ausgezeichneten Film The King´s Speech (2,4 Millionen Besucher). Auch der aktuelle Erfolg der Literaturverfilmung Der Medicus – etwa 3 Millionen verkaufte Tickets – widerspricht dem grundsätzlichen Befund nicht. “So viel Geschichte wie heute war nie” trifft für die aktuelle Situation in den Kinos, immerhin den Orten, für die Spielfilme klassischerweise gemacht werden, nicht mehr zu. Erfolgsjahrgänge wie am Beginn der 2000er Jahre mit Gladiator (2000, Besucher: 3.428.564), Pearl Harbour (2001, 4.626.573), Good Bye, Lenin (2003, 6.439.777), Das Wunder von Bern (2003, 3.683.310) und anderen liegen vergleichsweise lange zurück. Und schon damals waren Kinder und Jugendliche nicht die Hauptbesuchergruppe jener Filme.5

Und im Fernsehen?

Der Wandel in der Mediennutzung trägt zu dieser Entwicklung sicher seinen Teil bei. Zur Produktion aufwändiger Spielfilme gibt es inzwischen zahlreiche Alternativen. Aber auch bei den erfolgreichen US-Fernsehserien finden sich kaum Reihen, die sich mit “Geschichte” beschäftigen. Zu nennen sind bestenfalls Produktionen wie Spartacus (Starz) oder Rome (HBO). Ihnen dient unser Themenfeld aber vorrangig dazu, DarstellerInnen in weitgehend unbekleidetem Zustand zu zeigen und brutalste Gewalt zu inszenieren. Sex and Crime dominieren. Die von den Feuilletons gelobten Serien wie bspw. House of Cards hingegen thematisieren aktuelle gesellschaftliche Fragen. Geschichte ist also, zumindest in fiktionalen Produktionen für Film und Fernsehen keineswegs so omnipräsent. Heißt das nun, dass eine Beschäftigung mit dem Themenbereich nicht mehr lohnt? Das glaube ich nicht. Vielmehr sollten gerade Lehrkräfte das Potential des Kinos, das noch immer seine Attraktivität für Kinder und Jugendliche nicht verloren hat, in den Blick nehmen.

Gemeinsames Sehen im Dunkeln

Auch wenn Spielfilme mit historischen Inhalten allgemein derzeit weniger erfolgreich sind, ist das Angebot groß. Vor allem kleinere europäische Produktionen erscheinen regelmäßig. Dies aufzunehmen und mit SchülerInnen – auch außerhalb der regulären Unterrichtszeit – einmal einen Film gemeinsam im Kino zu besuchen, bietet Möglichkeiten zur vertieften Diskussion. Dieses Potential sollte gerade der Geschichtsunterricht nutzen, wenn er Lernenden bewusst machen will, dass Geschichte tatsächlich über die aktuelle Geschichtskultur in das Leben der SchülerInnen einzuwirken vermag. Nach der Vorstellung kann, eventuell sogar noch im Kinosaal, über den Film diskutiert werden: War das überhaupt ein “Geschichtsfilm”? So kann das Kino als gemeinsamer Ort des Sehens im Dunkeln als Ort kultureller Praxis in den Unterricht eingebunden werden. Sicher eine Bereicherung für oft ausschließlich kognitiv und intellektuell ausgerichteten Geschichtsunterricht.

Wider die Bespaßung

Neben dieser Sonderform des Besuchs im “Lichtspielhaus” können Filme allerdings auch im alltäglichen Unterrichtsgeschehen genutzt werden. Auf den ersten Blick erfolgt dies inzwischen häufig, jedoch häufig nur in unzureichender Form. Zu oft werden Filme noch immer nur vor dem Beginn längerer Ferien genutzt, um die Zeit bis zum Schulende zu überbrücken. Eine kritische und analysierende Beschäftigung mit dem Gezeigten findet nicht mehr statt. Gleiches gilt, wenn während des Schuljahrs ein Spielfilm bestenfalls als angeblicher Beleg für das historische Geschehen genutzt wird. So kann ein kurzer Ausschnitt aus Sophie Scholl gerade nicht den Widerstand gegen den Nationalsozialismus “abdecken”. Erst wenn Spielfilme ernst genommen und als zentrale Manifestationen der Geschichtskultur behandelt werden, trägt der Unterricht tatsächlich zum kritischen Medienkonsum heutiger Jugendlicher bei – auch wenn Geschichte im kommerziellen Massenkino derzeit keine exponierte Rolle spielt.

 

 

Literatur

  • Kühberger, Christoph (Hrsg.): Geschichte denken. Zum Umgang mit Geschichte und Vergangenheit von Schüler/innen der Sekundarstufe I am Beispiel “Spielfilm”. Empirische Befunde – Diagnostische Tools – Methodische Hinweise, Innsbruck 2013.
  • Meier, Mischa / Simona Slanicka: Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation – Projektion, Köln 2007.
  • Wehen, Britta Almut: “Heute gucken wir einen Film”. Eine Studie zum Einsatz von historischen Spielfilmen im Geschichtsunterricht, Oldenburg 2012.

Externe Links

 



Abbildungsnachweis
Filmnächte am Elbufer, Freilichtkino und Konzerte © Netguru (Wikimedia Commons)
Empfohlene Zitierweise
Kuchler, Christian: Bespaßung vs. Behandlung: Kino und Geschichtsunterricht. In: Public History Weekly 2 (2014) 15, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1682.

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Olympia-Eröffnungen. Ein historisches Wunderland?

 

Erstmals wurden bei den olympischen Sommerspielen in Tokio 1964 regelmäßige Satellitenübertragungen erprobt, vier Jahre später waren sie bei den Spielen in Mexiko-City Standard. Seitdem sind vor allem die Eröffnungsfeiern die Gelegenheit, ein ideales, fernsehtaugliches Selbstbild des Gastgeberlandes in die gesamte Welt zu senden. Massenchoreographien, pompöse Rituale, die Präsentation populärer Volkskultur und zunehmend die Inszenierung der nationalen Geschichte gehen dabei eine spektakuläre Verbindung ein, für die der Sport willkommenen Anlass bietet.

 

Milliardenereignis

Milliarden von Menschen verfolgen mittlerweile die Eröffnungsfeier der olympischen Spiele im Fernsehen, bei der Zeremonie in Sotschi waren es drei Milliarden. Damit zieht das Ereignis, an dem überhaupt kein sportlicher Wettkampf stattfindet, das höchste Zuschauerinteresse während der gesamten Olympischen Spiele auf sich und nimmt einen zentralen Platz in der weltweiten Berichterstattung ein. Das Rahmenprogramm um den vom IOC genau festgelegten, kultisch und rituell aufgeladenen Ablauf fungiert dabei als Bühne der Selbstdarstellung zwischen Weltkultur und nationaler Einmaligkeit, changiert zwischen Verschiedenheit und Gleichheit der Nationen.

Trachten, Bräuche, Tänze

Seit den 1960er Jahren dominierten künstlerische Darbietungen aus den Bereichen Tanz und Artistik mit folkloristischem Touch, um ein touristisch nutzbares Image des Gastgeberlandes zu transportieren. Goaßlschnalzer, Schuhplattler und bayerische Trachtenkapellen während der Olympischen Sommerspiele in München 1972 waren Programmpunkte einer nach den Spielen von 1936 betont nicht nationalen Inszenierung als „heitere Spiele“. Von der historischen Forschung werden diese Repräsentationen in den Eröffnungsinszenierungen auf ihre zeitgeschichtlichen Kontexte hin befragt.1 Für die Geschichtsdidaktik sind sie von besonderem Interesse, seit in den Eröffnungsfeiern die Darstellung nationaler Geschichte des Gastgeberlandes und ihre Bedeutung für die Welt selbst zum Programmpunkt des Showteils erhoben wurden.

Geschichte national und global

Den Anfang machte die Feier in Los Angeles 1984, bei der Episoden aus der Geschichte der amerikanischen Unterhaltungsmusik und ihre Bedeutung für die Welt inszeniert wurden. Seitdem sind – häufig im Modus der Zeitreise – nationale und zugleich global rezeptionsfähige historische Episoden aus der Geschichte des Gastgeberlandes regelmäßig vertreten, für deren Visualisierung und Choreographie namhafte Filmregisseure verantwortlich zeichnen. Die historischen Referenzen müssen dabei nach außen identifizierbar, zugleich aber nach innen spezifisch genug sein, um der Identifikation, Selbstvergewisserung und Selbstversöhnung der eigenen Bevölkerung zu dienen. Die online verfügbaren offiziellen Olympiaberichte2 sind hierfür eine ergiebige Quelle für die offizielle Selbstdarstellung der Ausrichter und ihre Konzepte nationaler Vergangenheitsdeutungen für die globale olympische Idee.

„Nation Branding“ mit Geschichtsinszenierungen

Die Londoner Eröffnungsfeier brach mit der Tradition der klassischen Nummernrevue und stellte unter dem Motto „Isles of Wonder“ die industrielle, popkulturelle und digitale Revolution ins Zentrum einer historischen Meta-Erzählung.3 In 18 Minuten wurden präindustrielle Romantik in einer living-history-Szenerie und die hereinbrechende Industrialisierung nachgespielt. Dieser historische Exkurs brach mit einer Erinnerung an die Toten des Ersten Weltkriegs ab. Die jüngere Zeitgeschichte eignet sich weder für High-tech-Effekte, Tanz und Massenchoreographie, noch für eine positiv-ausgelassene Feierstimmung. Stattdessen folgten Elemente aus der britischen Kinderliteratur, der Geschichte der englischen Sozialfürsorge und der englischen Popkultur. Ironische Brüche und Selbstironie verhinderten historisches Pathos und eine allzu geschlossene nationale Meistererzählung.

Olympia 2014 – Der russische Selbstentwurf

Nationaler Stolz auf das „neue Russland“ kennzeichnete die Eröffnungsfeier in Sotschi. Der Streifzug durch die russische Geschichte begann dabei bei Zar Peter dem Großen und mündete in die berühmte Ballszene aus Leo Tolstois „Krieg und Frieden“. Monumentale, schwebende Bühnenelemente im Stile Malewitschs, eine rote Lokomotive des Fortschritts und die Köpfe der Kolossalstatue „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ mit Hammer und Sichel von Wera Ignatjewna Muchina, die 1937 den Pavillon der UdSSR auf der Pariser Weltausstellung krönten, inszenierten die Oktoberrevolution als Siegeszug der russischen Avantgarde und der Moderne. Danach bauten fröhliche Komsomolzen mit Presslufthämmern das neue Moskau mit seinen stalinistischen Großbauten, erschien der Name Juri Gagarin als erster Mann im All. Russland als geschichtsträchtige und immer auch modernisierungsfähige Kulturnation – das war die globale Botschaft der „dreams of Russia“. Der Stadionsprecher war freilich ein alter Bekannter: Jewgenij Choroschewzew, seit 1968 der offizielle Sprecher des Kreml.

Wieder einmal fungiert also die Geschichte als Thementableau für die Inszenierung nationaler Einmaligkeit. Distanzierung durch Selbstironie und Propaganda durch Pathos markieren dabei die beiden Pole der Selbstdarstellung im historischen Wunderland.

 

 

Literatur

  • Gajek, Eva Maria: Imagepolitik im olympischen Wettstreit. Die Spiele von Rom 1960 und München 1972, Göttingen 2014.
  • Reicher, Dieter: Nationensport und Mediennation. Zur Transformation von Nation und Nationalismus im Zeitalter elektronischer Massenmedien, Göttingen 2013.
  • Reichertz, Jo: Die Macht der Worte und der Medien, Wiesbaden 2007.

Externe Links

 



Abbildungsnachweis
Bild aus der Eröffnungsfeier in Sotschi, 7.2.2014, @Flickr.com; © The Korean Olympic Committee; KOREA.NET – Official page of the Republic of Korea  (Bestimmte Rechte vorbehalten).

Empfohlene Zitierweise 
Bühl-Gramer, Charlotte: Olympia-Eröffnungen. Ein historisches Wunderland? In: Public History Weekly 2 (2014) 10, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1517.

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