Pommersche Gravamina, Teil V – Menschenfresserei

Nr. 52 der Pommerschen Gravamina: Aufgrund der rigorosen Eintreibung von Kriegssteuern durch die Besatzer verlieren die Menschen im Land ihre Lebensgrundlagen; allenthalben breitet sich Hunger aus. Man behilft sich damit, junge Triebe und Knospen von den Bäumen zu ernten, manche essen „wie das Viehe“ Gras, ja manche werden mit Gras im Mund verhungert aufgefunden. Die Not treibt die Menschen sogar dazu, sich vom Fleisch der Toten zu sättigen, und einige haben sogar „jhr eygenen Eltern Fleisch gefressen“. Vor zwei Monaten, so der Bericht in dieser Flugschrift, habe „ein Weib jr Kind schlachten / selbiges kochen / vnd sich also deß Hungers erwehren wollen“.

Mit diesem Passus ist in der Schilderung der Exzesse seitens der kaiserlichen Söldner und der Not, die die Bevölkerung erleiden mußte, ein Höhepunkt erreicht. Schon auf dem Titelblatt findet sich die Formulierung, „wie gantz Tyrannisch / Vnchristlich vnd Barbarisch“ das Militär sich verhalten habe, und am Ende der Gravamina wird das Verhalten der kaiserlichen Truppen derart bewertet, „daß es auch Tartarn vnnd Türcken nicht so gar arg gemacht haben würden“ (S. 15). Die Wortwahl macht bereits deutlich, daß in den Augen der pommerschen Gesandtschaft die Militärs nicht einfach nur über die Stränge geschlagen haben, sondern daß sie alle verbindlichen Normen verletzt und Greuel verübt haben, wie sie allenfalls in der Welt der Barbaren üblich sein konnten (siehe zu dieser Thematik auch meinen Aufsatz im Sammelband Kriegsgreuel). Die Folgen dieser Exzesse münden in einer Hungersnot, die die Menschen immer mehr verzweifeln läßt und zu immer radikaleren Mitteln der Sättigung antreibt, wobei die „vnnatürlichen Speisen“ von Knospen und Gräsern bis zum Fleisch der Toten und dann der getöteten eigenen Kinder reicht.

Deutlich sichtbar wird hier in der Darstellung die dramaturgisch aufgebaute Klimax. Vor einigen Jahren hat Daniel Fulda Anthropophagieberichte aus dem Dreißigjährigen Krieg dahingehend gedeutet, daß sie auch dazu dienten, das nicht für möglich gehaltene Ausmaß von Gewalt und Exzeß zu beschreiben, das eben auch jede göttliche Ordnung verletzt (im Sammelband Ein Schauplatz herber Angst, 1997). Dabei arbeitet er auch die „ästhetische Faszination“ dieses Tabus heraus und auch die rhetorische Technik in der Darstellung, deren Steigerungsprinzip sich genau in dieser Form auch in der pommerschen Schilderung wiederfinden läßt.

Mit diesem Ansatz wird natürlich in keiner Weise darüber entschieden, ob die Schilderung der pommerschen Verhältnisse übertrieben oder gar völlig fiktiv ist (was auch D. Fulda nicht behauptet). Letztlich läßt sich dies nicht beweisen – aber eben auch nicht abstreiten, und die Not der Menschen in diesen Zeiten mag tatsächlich auch Fälle von Kannibalismus befördert haben. Wichtig bleibt aber doch zu sehen, daß die Schilderungen in diesen Beschwerden nicht einfach nur berichteten, wie es war, sondern durchaus einer spezifischen Rhetorik folgten, einer Rhetorik zumal, die als solche auch identifiziert und verstanden werden wollte, eben um das schier unermeßliche Elend in Worte zu kleiden, das die Menschen damals in Pommern erlitten.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/157

Weiterlesen

Kriegserklärungen im 17. Jahrhundert

Irgendwie fing der Krieg an und breitete sich immer weiter aus. Zwar gilt der berühmte Fenstersturz von 1618 in Prag als Auslöser für die Konflikte, die wir dann unter dem Begriff des Dreißigjährigen Kriegs zusammenfassen. Doch einen „regulären“ Beginn des Kriegs, will heißen: eine eigentliche Kriegserklärung, gab es nicht, konnte es angesichts der Konfliktparteien und unterschiedlichen Interventionsmuster mit ihren jeweiligen Legitimationsstrategien auch nicht so einfach geben. Nun hat vor einigen Jahren Bernd Klesmann zum Problem der Kriegserklärungen eine Studie vorgelegt.

Unter dem Titel „Bellum solemne“ untersucht er in seinem Buch Kriegserklärungen im 17. Jahrhundert. Das Augenmerk der Untersuchung liegt dabei auf den Jahrzehnten nach dem Dreißigjährigen Krieg; vor allem die ludovizianischen Kriege stehen im Mittelpunkt. Dazu geht Klesmann auch auf das Phänomen der Reichsacht ein, ein zentrales Instrument der Reichsgerichtsbarkeit bei reichsinternen Konflikten, das bekanntermaßen gerade in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs von großer Bedeutung war. Und auch den Weg in den Dreißigjährigen Krieg, wie er sich seit 1618 entwickelte, zeichnet er nach (138 ff.). Ansonsten gibt es noch mit der französischen Kriegserklärung aus dem Jahr 1635 einen Fall, der sich auf die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs bezieht. Doch ist dies alles nicht ein bißchen wenig für einen Beitrag im Rahmen des dk-blogs?

Wenn man tatsächlich allein die Seiten zusammenzählt, die strikt auf Phänomene aus der Zeit zwischen 1618 und 1648 bezogen sind, mag man enttäuscht sein. Doch dies erscheint mir zu bösartig, und vor allem wird man der Anlage des Buches nicht gerecht. Denn es ist eben charakteristisch für diese Studie, daß sie weder erst um 1618 beginnt noch – was ohnehin viel häufiger passiert – mit dem Stichjahr 1648 aufhört. Vielmehr umfaßt Klesmanns Ansatz das gesamte Jahrhundert und führt argumentative Linien über mehrere Jahrzehnte zusammen. Das Buch bringt einen dazu, diesen zeitlich erweiterten Kontext ernst zu nehmen und – aus der Sicht des am Dreißigjährigen Krieg Interessierten – eben auch die Entwicklung der späteren Jahrzehnte einzubeziehen. Genau in diesem Ansatz, die Zäsur von 1648 zu ignorieren, liegt auch ein Gewinn in dieser Studie.

Darüber hinaus können manche Interpretationen, die an Beispielen der zweiten Jahrhunderthälfte ausgeführt werden, sicherlich auch auf Verhältnisse in der Phase des Dreißigjährigen Kriegs angewendet werden. So dürften sich Stichworte wie die „Ehre des Staates“ und Formen der Ritualisierung in diesen Konfliktverläufen (S. 273 ff.) genauso wie Aspekte der rhetorischen Gestaltung (3. Kapitel) anhand von Material aus früheren Jahrzehnten exemplifizieren lassen. Um den Gedanken abschließend noch einmal aufzugreifen: Die magische Schwelle von 1648 zu überschreiten und die weitere Entwicklung miteinzubeziehen, kann man bei Bernd Klesmann lernen. Und wer sich dann noch für die davorliegende Entwicklung interessiert, kann nun auf die jüngst erschienene Habilitationsschrift von Anuschka Tischer zurückgreifen („Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit: Herrscherkommunikation in Europa zwischen Souveränität und korporativem Selbstverständnis“).

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/225

Weiterlesen

Pommersche Gravamina, Teil IV – Kommunikationsprobleme

Ein weiteres Mal zu der Flugschrift, in der die pommersche Gesandtschaft ihre Beschwerden auf dem Regensburger Kurfürstentag schriftlich fixiert hatte. An dieser Stelle möchte ich aus der Masse der vorgetragenen Ausschreitungen, die das Land infolge der Quartiernahme durch Wallensteins Truppen zu ertragen hatte, einen Punkt herausgreifen. Das Gravamen Nr. 43 erwähnt, daß das Oberkommando über die einquartierten Truppen „nun ein geraume Zeit her frembden vnd außländischen Personen“ anvertraut worden sei. Nun sei es aber schwierig, in Pommern jemanden zu finden, der der italienischen Sprache mächtig sei, und so könne man die Beschwerden nicht wirklich vorbringen.

Nicht explizit genannt, aber gemeint war hier Torquato Conti, der als Feldmarschall das Oberkommando innehatte. Er war Italiener, und sicherlich waren auch weitere Offiziere in seinem engeren Umfeld Italiener. Für die kaiserliche Armee war dies nicht ungewöhnlich, wie die Karrieren von Piccolomini, Gallas und Montecuccoli zeigen. Ob Conti nur Italienisch konnte und nicht auch zumindest ein wenig Deutsch verstand, sei an der Stelle einmal dahingestellt. (Natürlich gab es in seiner Feldkanzlei Sekretäre, die den Schriftverkehr auf Deutsch erledigten; am Ende der Flugschrift ist ja ein solches Schreiben von Conti mitabgedruckt.) Das pommersche Gravamen verweist jedoch auf den Umstand, daß der Krieg Angehörige vieler europäischer Nationen ins Reich brachte – und damit die direkte Verständigung nicht nur unter den Militärs, sondern eben auch zwischen fremdsprachigen Militärs und der einheimischen Bevölkerung schwierig wurde.

Tatsächlich gibt es vielfache (Selbst-)Zeugnisse, in denen man sich über die fremdartigen Nationen wunderte. Dies betraf Italiener, Spanier und Franzosen genauso wie Iren, Engländer und Schotten und nicht zuletzt die als sehr fremdartig wahrgenommenen Finnen und Lappländer; hinzu kamen auch „Croaten“ und „Pollacken“, wobei diese Begriffe nicht nur eine Volkszugehörigkeit, sondern vielfach auch die Waffengattung der leichten Reiterei bezeichneten. Dieses Aufeinandertreffen war nicht zwangsläufig von Konflikten geprägt, aber wie die pommersche Flugschrift verdeutlicht, konnte es doch Kommunikationsstörungen geben, die den Umgang miteinander deutlich erschwerten.

Gerade die Situation, in der Vertreter einer Landschaft ihre Suppliken vor einem Kommandeur vortragen wollten und merkten, daß sie mit ihrer geübten Rhetorik einfach aufgrund der Sprachbarriere nicht weiterkamen und die üblichen Mechanismen von Supplik und Gnadenerweis nicht mehr greifen konnten, läßt erkennen, wie hilflos und ausgeliefert man sich womöglich den Militärs gegenüber empfand. Daß diese Hilflosigkeit in der Sprachlosigkeit begründet war, zeigt im Weiteren, wie gefährlich diese Konstellation war: Wenn man gar nicht mehr miteinander reden konnte und die Kommunikation in einem totalen Desaster endete, war der Schritt von der Sprachlosigkeit hin zur Sprache der Gewalt nicht mehr weit. Dies ist der Kern des Problems, der in Gravamen Nr. 43 angesprochen wird.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/155

Weiterlesen

Pommersche Gravamina, Teil III – Profitmaximierung

In der Flugschrift der pommerschen Kriegs-Gravamina von 1630 wird das ganze Panoptikum der Schrecken ausgebreitet, die sich infolge der Einquartierung ergaben. Neben den Exzessen, die die Söldner verübten, werden aber auch Mechanismen deutlich, wie das Militär in diesem Krieg Gewinn machte. Daß Männer sich dafür entschieden, in den Krieg zu ziehen, hatte viel weniger etwas mit Patriotismus oder dem Kampf für die eigene Konfession zu tun; viel mehr spielte das Streben nach Gewinn eine Rolle. Das gilt für den einfachen Söldner genauso wie für den Adligen, der als Offizier diente. Wie ließen sich aber in einem Feldzug Profite erzielen, die den Weg in den Krieg attraktiv erscheinen ließen?

Mehr Geld konnten die Militärs bekommen, indem sie sich einfach über die Kontributionsordonanz hinwegsetzten. So war festgelegt, daß die Gage, die dem Oberst zustand, auch den Anteil enthält, der für die Hauptleute festgeschrieben war (S. 4, Nr. 5). Allerdings hat kein Oberst, Oberstleutnant oder Oberstwachtmeister jemals von seiner Gage einen Hauptmann bezahlt – für diesen mußten eigens Mittel aufgebracht werden, und der Oberst behielt den Hauptmannsanteil für sich. Ähnliches war bei der Bezahlung für den Stab vorgesehen, der aus dem Quantum für die Kompagnie genommen werden sollte. Doch auch dies funktionierte nicht, die Mittel für den Stab mußten extra bezahlt werden (ebd.). Und schließlich wurden die Kompagnien, „wann sie schon nit complet seyn / dannoch vor complet“ bezahlt. Auch wenn die Artillerie gar nicht vorhanden war, mußten für Artillerie Kriegssteuern aufgebracht werden (ebd.).

War dies noch eine plumpe Trickserei bei der Abrechnung der Kontributionen, eröffnete die Eintreibung dieser Kriegskontributionen weitere Möglichkeiten. Laut Gravamen Nr. 7 kam es vor, daß ganze Trupps von Soldaten, „ja wol gantze Compagnien“ ausgeschickt wurden, die „einen geringen Rest / von 1. 2. oder 3. Thalern“ an Kriegssteuern eintreiben sollten (S. 4). Man kann sich leicht vorstellen, daß bei solchen Aktionen die tatsächlichen Ausstände nur den Vorwand boten, um deutlich höhere Werte einzukassieren. Daß diese Verfahren auch nicht ohne Zwang und Gewalt abliefen, machen andere Gravamina deutlich: Dann konnte die Eintreibung der Kontributionen oftmals in reine Plünderungen ausarten, so daß die Salvaguardien, die womöglich von der eigenen Armee ausgestellt worden waren, erst recht nur noch ein Stück Papier waren.

Es ging also nicht immer nur um die großen Kriegsunternehmer, die ganze Regimenter und Armeen für einen Kriegsherrn vorfinanzierten und unterhielten. Auch schon für die unteren Offiziersränge bis hin zu den einfachen Söldnern boten sich hinreichend Gelegenheiten, Profite zu generieren und den Krieg zu einem guten Geschäft zu machen. Daß er vielfach zu derartigen Praktiken gezwungen wurde, weil die regulären Soldzahlungen oftmals monatelang nicht erfolgten, steht auf einem anderen Blatt.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/153

Weiterlesen

Der Soldat: Schutz oder Übel? Eine Etymologie

“miles dicitur a malo arcendo. ergo hodierni non sunt milites, quia omne malum adferunt.” – Eigentlich erwartet man von den Soldaten, daß sie für den Schutz der Bevölkerung sorgen und Unheil abwehren. Doch in diesen Zeiten ist alles anders, denn nun es ist das Militär, das allem Übel Tür und Tor öffnet. Daher kann man eigentlich nicht mehr von Soldaten sprechen, weil ihr Handeln dem Verständnis des Wortes widerspricht.

Der oben zitierte Satz stammt von Georg Mengershausen, einem Ratsherrn und Steuereinnehmer der Stadt Göttingen im 17. Jahrhundert. Er hat ein umfangreiches Tagebuch hinterlassen, in dem er weniger das eigene Leben als vielmehr die Ereignisse seiner Zeit, so wie sie ihm vorkamen, aufgeschrieben hat – ein faszinierendes Zeitzeugnis (StA Göttingen, AB III 5). Dem zweiten Band (von vieren insgesamt) hat er die eingangs zitierte Sentenz vorneweg gestellt, gleichsam ein Motto für das, was in diesen Jahren passierte. Dieser Band des Diariums setzt im April des Jahres 1631 ein und reicht bis zum Dezember desselben Jahres; in dieser Zeit kam es nicht nur zur Zerstörung Magdeburgs, sondern auch in Göttingen erlebte man hautnah, was die Präsenz von Militär für Beschwernisse mit sich brachte – eine Erfahrung allerdings, die den Erlebnishorizont der vergangenen Jahre erweiterte, als man schon einmal eine Besatzung von Soldaten der Ligaarmee in den Mauern der Stadt hatte.

Ob Mengershausen sich wirklich für die Etymologie des Wortes miles interessiert hat, bleibt fraglich. Ihm ging es wohl eher um die Pointe in diesem Sinnspruch, durch die letztlich das Verkehrte-Welt-Motiv variiert wird – statt zu beschützen, bringt das Militär nur Unheil. Eine Erkenntnis, die womöglich das Zeitgefühl und die Wahrnehmung der eigenen Lebenswirklichkeit widerspiegelt.

Offen bleibt, woher Mengershausen diese Sentenz und diese Etymologie kennt. Im Diarium ist zwar ein Hinweis gegeben, dessen Abkürzungen allerdings für mich kaum lesbar und daher auch nicht zu identifizieren waren. Weitere Nachweise sind nur äußerst spärlich. Ich habe eine Stelle im „Speculum vitae humanae“ (zuerst 1468) von Rodericus Sancius de Arevalo / Rodericus Zamorensis nachweisen können. Aber darauf bezieht sich Mengershausen offenbar nicht. Auch gibt es in Spinozas „Tractatus theologico-Politicus de officiis hominum circa ius naturae“, Lund 1685, eine Referenz, doch auf dieses spätere Werk kann sich der Göttinger natürlich nicht berufen haben. Die großartige Sammlung der “Proverbia sententiaeque Latinitatis medii ac recentioris aevi” von Hans Walther hat mir in dem Fall nicht weitergeholfen.

Wenn jemand aber eine Idee hat oder einen weiteren Nachweis kennt, wäre ich für einen Hinweis dankbar. Denn daß allein das „Speculum vitae humanae“ als Ursprung dieser Etymologie in Frage kommen soll, will mir nicht ganz einleuchten. Die Ableitung „miles a malo arcendo“ ist übrigens nicht haltbar, wobei die sprachgeschichtliche Wurzel des Wortes miles ohnehin nicht geklärt ist (vgl. Walde / Hofmann: Lateinisches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg 1938, S. 87).

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/165

Weiterlesen

Rheinische Klöster im Dreißigjährigen Krieg

Soeben ist der zweite Band des Nordrheinischen Klosterbuchs ist erschienen; vor einigen Wochen hatte ich bereits auf die Kapuziner in der Schenkenschanz hingewiesen. Das vorliegende Lexikon behandelt die kirchlichen Einrichtungen in der Vormoderne, alphabetisch organisiert von Düsseldorf bis Kleve, und bietet einen kursorischen Überblick über Schicksale dieser kirchlichen Institute. Dieses Werk stellt auch für alle, die sich mit dem Dreißigjährigen Krieg beschäftigen, höchst aufschlußreiche Befunde vor. Denn Kriegszeiten konnten immer auch einen bedeutenden Einschnitt in der Geschichte eines Klosters bedeuten, was nicht überrascht, da Konvente, Klöster und Stifte attraktiv waren für jede Truppe, die Unterkunft suchte und Versorgung benötigte; ein Beispiel bietet das 1640 von Truppen Hessen-Kassels besetzte Kalkar (S. 589, 2.1.4).

Erwartet habe ich die übliche Geschichte von harten Kriegskontributionen, von Plünderungen und Zerstörungen und ebenso von konfessionspolitischen Eingriffen. Tatsächlich gibt es auch eine Reihe von Einrichtungen, denen genau dieses Schicksal widerfahren ist. Das Chorherrenstift St. Maria in Goch erlebte immer wieder Verwüstungen, so daß auch die Chorherren zeitweise ausweichen mußten (S. 406), ähnlich schwierig waren die Geschicke der Kartäuser in Jülich (S. 549) und erst recht diejenige des Kanonissenstifts in Essen-Rellinghausen (S. 321 f.). Einigermaßen glimpflich verlief die Geschichte des Kollegiatstifts Kleve, doch auch hier waren Einbußen und Rückschläge nicht zu vermeiden (S. 694). Somit passen diese Befunde durchaus in das allgemeine Narrativ vom Niedergang einer einstmals prosperierenden rheinischen Landschaft, die durch jahrzehntelange kriegerische Auseinandersetzungen derartige Einbußen hatte hinnehmen müssen, daß die Konsolidierung erst wieder im 18. Jahrhundert gelang – wenn überhaupt, denn für viele Städte leitete das 17. Jahrhundert eine Phase des Niedergangs ein, die erst durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert überwunden werden konnte.

Auffällig ist jedoch, daß das Narrativ vom Niedergang einige Male durchbrochen wird. So gab es eine Reihe von Klöstern, die allem Anschein nach gut durch die Krisenjahrzehnte kamen und diese offenbar ohne große Verluste überstanden. Die Geschichte des Klosters in Hamminkeln verlief in „gewohnten beschaulichen Bahnen“ (S. 450), und ähnlich unbehelligt von Kriegsereignissen kamen die Kapuziner in Essen durch diese Jahrzehnte (S. 293). Andere Beispiele zeigen sogar, daß die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs eine Phase war, in der Neugründungen unternommen wurden, die sich durchaus behaupten konnten: Bot die Krisensituation dieser Zeit mitunter auch Chancen? Beispielsweise wurde 1625 in Emmerich eine Sodalität der Devotessen gegründet (S. 206 f.), was nicht nur aufgrund des Zeitpunkts inmitten des Kriegs auffällt, sondern auch eben durch den Standort: In Emmerich lag eine Garnison der Generalstaaten, die im Herzogtum Kleve ohnehin einige starke Stützpunkte unterhielten und diese Militärmacht auch konfessionspolitisch einzusetzen verstanden. Dies bekam der Konvent der Fraterherren in Emmerich zu spüren (S. 211) und ebenso die Jesuiten (S. 221 f.), aber eben nicht die Devotessen. Erfolgreich waren ebenfalls die Franziskaner im Jahr 1624 in Kempen (S. 636), und ebenso glückte ihnen die Gründung eines Konvents direkt nach Kriegsende in Erftstadt-Lechenich (S. 263).

Weitergehende Interpretationen will ich an dieser Stelle gar nicht verfolgen; doch aufschlußreich scheint mir schon zu sein, daß die Befunde wie so oft ein differenzierteres Bild ergeben als zunächst erwartet. Anregungen, sich weiter mit dieser Thematik (und natürlich anderen Aspekten) zu beschäftigen, bietet dieses Lexikon allemal.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/167

Weiterlesen

Wichtiger als Wallenstein?

Jan Peters hat vor 20 Jahren erstmals das Tagebuch eines Söldners aus dem Dreißigjährigen Krieg publiziert und wissenschaftlich erschlossen. Eine Sensation, denn Selbstzeugnisse sind in dieser Zeit noch recht selten, erst recht von einfachen Leuten und bislang gar nicht von einem einfachen Söldner aus dem Dreißigjährigen Krieg. Entsprechend groß war die Aufmerksamkeit, die diese Edition hervorgerufen hat, und sie hat bis heute kaum nachgelassen. Nun ist kürzlich diese Ausgabe in einer zweiten Auflage erschienen; ich habe dazu in den sehepunkten Stellung genommen, will daher an der Stelle nicht weiter auf diese Neuauflage eingehen.

Zu fragen ist aber nach dem Stellenwert, der diesem Tagebuch im Rahmen der Forschungen zum Dreißigjährigen Krieg weiterhin zukommen wird. Ohne Zweifel ist die Faszination dieses Berichts aus unterständischer Perspektive derart groß, daß das Söldnertagebuch längst zum Kronzeugen für das Kriegsgeschehen dieser Zeit geworden ist. Nur wie belastbar sind Aussagen, die auf der Grundlage dieses einen Zeugnisses beruhen? In der Tendenz sehe ich schon die Gefahr, daß diese eine Quelle geradezu über Gebühr benutzt und verabsolutiert wird. Um es polemisch zu formulieren: Peter Hagendorf, der als Verfasser dieses Tagebuchs nun identifiziert ist, scheint in seinen Äußerungen zu den Phänomenen des Dreißigjährigen Kriegs mitunter wichtiger als Wallenstein eingeschätzt zu werden.

Nein, ich will hier wirklich nicht gegen das Söldnertagebuch anschreiben. Ich habe ja selbst schon Aufsätze verfaßt, die sich stark auf diese Quelle bezogen; der Vorwurf trifft also auch mich selbst. Aber meiner Befürchtung über einen letztlich unangemessenen Umgang mit diesem Selbstzeugnis möchte ich schon Ausdruck geben. Vielleicht auch, weil, so meine allgemeine Wahrnehmung, die Zeugnisse obrigkeitlicher Provenienz, wie sie in klassischen Editionen seit dem 19. Jahrhundert vorgelegt werden, immer weniger Aufmerksamkeit und auch Wertschätzung erfahren. Natürlich kann die Masse dieser Materialien fast schon entmutigen, sicher auch in der Sprödigkeit des hier gepflegten Kanzleistils. Ein Ausweichen in die durchaus ungelenke Sprache eines einfachen Mannes hat hier ihren ganz eigenen Reiz und ist entsprechend verführerisch. Hagendorfs Tagebuch aber ganz gegen die Korrespondenzen Wallensteins oder anderer einzutauschen, ist sicher kein guter Weg.

Vielleicht aber kann die neue Edition hier sogar Abhilfe schaffen, und zwar einfach durch den Umstand, daß der Verfasser nun tatsächlich namentlich benannt ist. Eigentlich ist die Identifizierung des Schreibers keine großartige Sache, insofern die Befunde, die man aus dem Tagebuch weiterhin ziehen wird, davon unberührt bleiben. Anders wird aber vielleicht nun die Wahrnehmung des Tagebuchs selbst. Die Anonymität (oder besser die Ungewißheit über die Identität) des Verfassers hat, so scheint mir, den Eindruck verstärkt, dass hier eine Quelle von allgemeiner Gültigkeit vorlag – es war ein Tagebuch, das gleichsam für alle Söldner dieses Kriegs Zeugnis ablegen konnte. Nicht daß Jan Peters dies jemals so intendiert hätte. Aber habent sua fata libelli, und die Rezeption dieses Textes, aus dem allein in vielen Aufsätzen die Lebenswelt der Söldner abgeleitet wurde, rückte eine solche Auffassung schon in diese Nähe. Mit der nun vorgenommenen eindeutigen Zuschreibung zu Peter Hagendorf wird – so bleibt zu hoffen – dieser Trend durchbrochen. Der Name, auch wenn nichts weiter aus ihm zu schließen ist, mag als Caveat dienen, die Befunde dieser Autobiographie zu verallgemeinern. Peter Hagendorf hat ein einzigartiges Zeugnis hinterlassen. Aber es ist eben nur ein Tagebuch, das nur ein Leben repräsentiert.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/138

Weiterlesen

Pommersche Gravamina, Teil I

„Pommerland ist abgebrannt“ – so lautet ein Vers aus einem bekannten Volkslied, das oft mit den Verheerungen im Dreißigjährigen Krieg in Verbindung gebracht wird. Der Bezug zu Pommern ist jedoch erst später hergestellt worden, wie die Geschichte dieses Liedes zeigt. Gleichwohl beschreibt dieser Satz einen Zustand, der für das Herzogtum Pommern schon Ende der 1620er Jahre Wirklichkeit geworden war. Seit Ende 1627 waren kaiserliche Truppen (d.h. Einheiten der Armee unter Wallenstein) in Pommern stationiert; auch nachdem die Kämpfe gegen Christian IV. von Dänemark abgeschlossen und die Belagerung Stralsunds zuende gegangen war, hatten sie das Land nicht verlassen. Die Belastungen für das Herzogtum wurden nicht weniger, und auch die kaiserlichen Regimenter wurden nicht verringert, im Gegenteil; an die 40.000 Söldner, so lautete eine Zahl, lagen dort in Garnison.

Schon öfters hatte sich der Herzog von Pommern darüber beim Kaiser beschwert. Als im Juli 1630 der Kurfürstentag in Regensburg begann, erschien dies als neue Chance, gewissermaßen vor der Öffentlichkeit der Kurfürsten und vieler anderer Reichsstände die Pommerschen Anliegen erneut vorzustellen. Da auch längst ruchbar war, daß die Position des kaiserlichen Feldherrn nicht unantastbar sein würde, waren die Aussichten auf eine Verringerung der Kriegslasten oder sogar ein vollständiger Abzug der Soldatesca vielleicht gar nicht so schlecht – daß just in diesen Wochen der schwedische König gelandet war und sich dadurch die militärische und politische Situation gerade auch in Pommern radikal zu ändern begann, änderte nichts an der Bereitschaft, auf dem Kurfürstentag für die Belange des Landes einzutreten. Jedenfalls machte sich auch eine Gesandtschaft aus dem Herzogtum Pommern auf den Weg nach Regensburg.

Es sollte zwar einige Wochen dauern, doch Anfang August verschafften sich die Gesandten Gehör und wurden vom Kurkolleg empfangen. Besonders auf Druck Kursachsens und Kurbrandenburgs wurde festgelegt, daß die Pommerschen Deputierten persönlich vorgelassen wurden und „in pleno“ ihre Anliegen vortragen konnten (vgl. dazu die vorzügliche Edition zum Kurfürstentag in den Briefen und Akten, Bd. 2,5, S. 482 sowie S. 670-673). Was die Gesandten bei dieser Audienz vorgebracht hatten, wurde später auch in einer Druckschrift zusammengestellt: „Pommerische Kriegs-Gravamina, Oder Warhaffte Beschreibung der hochbeschwerlichen/ unerhörten Trangsalen/ Insolentien und … Excessen und Pressuren/ mit welchen das … Fürstenthumb Pommern/ von der Keyserl. Soldatesca … bey dreyen Jahren hero beschweret und belästiget worden“, Franckfurt 1632 (Johann Friedrich Weiss). (Wobei mir übrigens der Hintergrund unbekannt ist, warum diese Schrift erst zwei Jahre nach dem Kurfürstentag herausgebracht wurde; die Gravamina finden sich dann u.a. auch im Theatrum Europaeum, Bd. 2, S. 184 ff.)

Auf 16 Druckseiten legte diese Flugschrift dar, was es in den drei Jahren Jahren bis 1630 bedeutet hatte, Quartiergeber für die kaiserlichen Regimenter zu sein. Was hier ausgeführt ist, bezieht sich naturgemäß zunächst auf die Verhältnisse im Herzogtum Pommern. Gleichwohl steht diese Beschreibung exemplarisch für die Gravamina der vielen anderen Reichsstände und -städte, die ebenfalls damals über ihre Situation klagten. Und überhaupt läßt sich anhand dieser Ausführungen beispielhaft zeigen, was Krieg in diesen Zeiten für das Land bedeutete. Wohlgemerkt, es gab in Pommern keine nennenswerten Kämpfe: Die geschilderten Probleme resultierten allein aus dem Umstand, daß Truppen ins Land gezogen waren und dort Quartiere genommen hatten.

Mir erscheint diese Flugschrift in der Beschreibung der Probleme, die sich aus der Einquartierung der Truppen ergaben, derart eindrücklich und inhaltsreich, daß es sich lohnt, eingehender auf einzelne Aspekte einzugehen. In den kommenden Wochen möchte ich daher auf verschiedene hier angesprochene Themen gesondert eingehen.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/149

Weiterlesen

Wohin mit den Gefangenen?

Im Frühsommer 1623 hatte Christian von Braunschweig, bekannt vor allem als „toller Halberstädter“, mit seinen Truppen in der Nähe Göttingens, also im Territorium seines älteren Bruders Herzog Friedrich Ulrich, Quartier genommen. In Scharmützeln mit Einheiten der Armee der Liga, die damals im Hessischen operierte, hatte er einige Gefangene gemacht. Was sollte nun mit diesen geschehen? Am 1. Juli a.St. wies er die Stadt Göttingen an, die gefangenen Kriegsknechte nicht freizulassen; vielmehr sollte die Stadt sie weiterhin „mit nottürfftigem vnterhalt“ versorgen, bis andere Anweisungen kämen. Genau das geschah wenige Tage später: Am 7. Juli a.St. erteilte Christian seinem Generalgewaltiger (d.h. der frühmodernen Militärpolizei) den Befehl, daß er „noch heutt vor der Sonnen vntergangk, viertzig dero zu Göttingen entthaltenen gefangenen Soldaten vom feinde, den Lieutenantt vnd Officiers außsgenommen, Laße auffhencken“. Um den Ernst der Anweisung zu unterstreichen, fügte er hinzu, daß dies „bei vermeidung vnser hochsten vngnad“ geschehen solle. Der Generalgewaltiger präsentierte daraufhin der Stadt Göttingen diesen Befehl; bei der dort überlieferten Abschrift findet sich auf der Rückseite die Notiz vom Folgetag: „Vff diesen Schein seindt dem Gewalthiger 20 Gefangene vff sein darneben mundtlich andeuten ausgevolgtt worden.“ Der Vollzug fand also offenbar doch nicht mehr am 7. Juli, am Tag der Ausfertigung des Befehls, statt. Aber es besteht kaum ein Zweifel, daß zwanzig Kriegsgefangene mit dem Strang hingerichtet wurden. (StA Göttingen, Altes Aktenarchiv, Nr. 5774 fol. 2 Kopie; der Befehl an die Stadt Göttingen vom 1.7.1623 a.St. ebd. fol. 32 Ausf.)

Auf den ersten Blick mag diese Episode wie ein weiterer Beleg für die als zeittypisch angenommene Grausamkeit, vielleicht auch als Indiz für die damalige Rechtlosigkeit gelten. Allerdings gab es keine verbindlichen Regularien im Umgang mit Kriegsgefangenen; deren Tötung war durchaus möglich. Üblich war eine solche Maßnahme aber keineswegs, vielmehr widersprach sie den gängigen Handlungsmustern. Verwunderlich ist in diesem Fall, daß Christian von Braunschweig offenbar gar nicht erwogen hat, die gefangenen Kriegsknechte einfach „unterzustecken“, d.h. in die eigenen Truppen einzureihen. Diese Praxis war eigentlich in allen Armeen des Krieges verbreitet. Sie funktionierte auch deswegen so gut, weil sie beiden Seiten zugute kam: Die gefangenen Söldner fanden einen neuen Arbeitsplatz, und die eigene Armee erhielt Verstärkung. Die Alternative, nämlich die Gefangenen einfach freizulassen, auch mit der Auflage, daß diese nicht mehr in die Kämpfe eingriffen, widersprach den Gesetzen des Söldnermarktes: Solange die Möglichkeit bestand, daß eine Kriegspartei bereit war, weitere Söldner anzuwerben, war ein solches Verbot kaum durchsetzbar. Der Militärdienst war Broterwerb, und Faktoren wie Loyalität zu einem Herrscherhaus, dem Reich oder die Zugehörigkeit zu einer Konfession sollten nicht überschätzt werden.

Eine Erklärung für das Verhalten Christians läßt sich aus dem historischen Kontext ableiten. Der Söldnerführer befand sich damals in einer geradezu aussichtslosen Lage: Die Armee der Katholischen Liga unter Tilly stand bereit, um gegen ihn vorzurücken, während die Stände des Niedersächsischen Reichskreises massiv unter den Druck des Kaisers gerieten, jede weitere Unterstützung für Christian einzustellen oder gleich direkt gemeinsam mit Tilly gegen ihn zu kämpfen. Aus dieser Situation resultierte für die Armee des „Halberstädters“ eine nur geringe Attraktivität: Welcher Soldat würde bei einem Söldnerführer Kriegsdienste annehmen, dessen Sache nicht mehr viel Erfolg versprach? Die Kriegsknechte hatten ein ausgeprägtes Sensorium, um den Stellenwert eines Arbeitsplatzes einschätzen zu können – diese Form von Marktbeobachtung gehörte für jemanden, der im Krieg sein Glück machen wollte, dazu. Und Christian war sich offenbar darüber im Klaren, wie kritisch seine eigenen Erfolgsaussichten eingeschätzt wurden. Entsprechend harsch, aber auch konsequent war sein Handeln: Da die Gefangenen kaum in seiner eigenen Armee willig Dienst tun würden, sondern vielmehr bei nächster Gelegenheit „ausreißen“, also desertieren würden, kam ein Unterstecken nicht in Frage. Eine Freilassung auch nicht, da sie dann zum Heer des Gegners zurückgehen würden, der sich eindeutig im Aufwind befand.

Der Befehl, einige Gefangene hinrichten zu lassen, zeugt von Christians Verbitterung. Es mochte auch ein Signal an die eigenen Soldaten sein, mit dem er ihnen klar machen wollte, daß es nun keine armeenübergreifende Solidarität unter Kriegsknechten mehr gab. Christian zerstörte mit dem Tötungsbefehl die prinzipielle Annahme, daß auf beiden Seiten „ehrliche Kriegsleute“ standen, die in den Soldaten auf der anderen Seite nicht unbedingt einen Feind erkannten, sondern einen Standesgenossen auf derselben soziale Ebene. Genaueres können wir nicht sagen, da die Zeugnisse keine Auskunft über die Motivation und das Kalkül Christians geben. Aber vielleicht wollte der Söldnerführer auf diese Weise auch die Kohärenz der eigenen Armee stärken.

Nötig wäre es gewesen, denn am 11./21. Juli 1623 brach Christian mit seinen Truppen auf und strebte nach Westen, um das Reichsgebiet zu verlassen und sich auf das Territorium der Generalstaaten zu retten. Eine Entscheidung im Feld hat er wohlweislich vermeiden wollen. Allerdings stellte ihn das nachrückende Heer der Katholischen Liga unter Tilly knapp vor der Grenze bei Stadtlohn zur Schlacht, die am 6. August 1623 zu einem Debakel für den „Halberstädter“ geriet. Was aus den Gefangenen wurde, die in Göttingen verblieben waren, geht aus diesem Quellenbestand nicht hervor. Wir können plausibel annehmen, daß die Stadt sie spätestens nach der Schlachtentscheidung freigelassen hat. Gut möglich, daß viele von ihnen dann versucht haben, sich der siegreichen Armee der Liga wieder anzuschließen. Denn der Krieg und das Leben gingen weiter.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/108

Weiterlesen

Brandenburg und der Dreißigjährige Krieg: textbook-Splitter

Karin Friedrich, die in Aberdeen lehrende Spezialistin für preußische Geschichte, hat vor einigen Monaten ein textbook zu Brandenburg-Prussia, 1466-1806 vorgelegt. Der in der Reihe “Studies in European History” erschienene knappe und konzise Überblick wird in den kommenden Jahren für Studierende in der englischsprachigen Welt sicher sehr hilfreich sein. Der Erfolg ist dem Buch durchaus zu wünschen, denn eine solche gelungene komprimierte Darstellung des vormodernen Teils der brandenburg-preußischen Geschichte hat ihren Wert, zumal wenn sie ältere Darstellungen in englischer Sprache ablösen kann.

An der Stelle soll es aber gar nicht um das Buch als ganzes gehen, sondern lediglich um die Frage, in welcher Weise der Dreißigjährige Krieg dargestellt wird. Es ist klar, daß diese Phase für die brandenburgische Geschichte kein Ruhmesblatt war, im Gegenteil. Um so großartiger geriet in der borussischen Geschichtsschreibung der Aufstieg der Hohenzollerndynastie, die im Laufe weniger Generationen ihre Herrschaft in den Kreis der europäischen Großmächte einführen konnten. Wie geht die Autorin also mit diesen bekanntermaßen dunklen Jahren Brandenburgs um?

K. Friedrich behandelt den ereignisgeschichtlichen Kontext, wie es in einem solchen Lehrbuch üblich ist, ausgesprochen knapp (79 f.). Bei den dafür aufgewendeten zwei Seiten fällt auf, daß Schwarzenberg zwar als “controversial Catholic minister” erwähnt wird, aber keineswegs wie in der älteren Forschung als der Sündenbock für eine Politik stilisiert wird, die Brandenburg beinahe unter die machtpolitischen Räder andere Potentaten zu bringen drohte. Die präsentere Figur ist aber, wenig verwunderlich, Friedrich Wilhelm, der eine flexiblere politische Ausrichtung verfolgte.

Daß man gewillt war, aus den bitteren Lehren des Kriegs zu lernen, zeigte sich bei der Organisation der Steuererhebung. Hier verweist K. Friedrich auf das Beispiel der Schweden, die 1626 ins Herzogtum Preußen einfielen und dort Kriegskontributionen erhoben (27). Auch hier taucht noch einmal Schwarzenberg auf als derjenige, der als Erster eine am schwedischen Modell angelehnte Steuererhebung zu etablierten suchte und damit wie dann der nachmalige Große Kurfürst eine antiständische Politik verfolgte, um das Steueraufkommen zu erhöhen. Das schwedische Beispiel wird auch zu recht für das Militärwesen betont, besonders war die Aufbringung von Truppen angeht (86, dazu auch schon 31 f.); vielleicht aber ist der Sprung zum Kantonsystem – der Begriff fällt an der Stelle – hier etwas zu weitgehend.

Zum Thema des konfessionellen Dissenses zwischen dem calvinistischen Herrscherhaus und den weitestgehend lutherischen Untertanen verweist die Autorin auf die Ausgleichsbemühungen im Jahr 1631, die allerdings nur unter dem politischen Druck zustande kamen (“At the height of the Catholic threat”, 39) und nicht von Dauer waren. Schließlich wird noch die Entstehung des Pietismus als Reaktion auf die Folgen des Dreißigjährigen Kriegs gesehen (“as response to the traumas of the Thirty Years War”, 98), aber dies ist lediglich ein Stichwort.

So weit – und so wenig. Doch dies ist im Rahmen einer gut 100-seitigen Darstellung auch nicht zu kritisieren. Wichtig erscheint mir festzuhalten, daß der Tonfall nichts Apokalyptisches hat; die schwierigen und krisenhaften Umstände dieser Jahrzehnte werden angesprochen, doch finden sie sich durch die Einbettung auch in größere strukturelle Zusammenhänge gut kontextualisiert.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/117

Weiterlesen