Olympia-Eröffnungen. Ein historisches Wunderland?

 

Erstmals wurden bei den olympischen Sommerspielen in Tokio 1964 regelmäßige Satellitenübertragungen erprobt, vier Jahre später waren sie bei den Spielen in Mexiko-City Standard. Seitdem sind vor allem die Eröffnungsfeiern die Gelegenheit, ein ideales, fernsehtaugliches Selbstbild des Gastgeberlandes in die gesamte Welt zu senden. Massenchoreographien, pompöse Rituale, die Präsentation populärer Volkskultur und zunehmend die Inszenierung der nationalen Geschichte gehen dabei eine spektakuläre Verbindung ein, für die der Sport willkommenen Anlass bietet.

 

Milliardenereignis

Milliarden von Menschen verfolgen mittlerweile die Eröffnungsfeier der olympischen Spiele im Fernsehen, bei der Zeremonie in Sotschi waren es drei Milliarden. Damit zieht das Ereignis, an dem überhaupt kein sportlicher Wettkampf stattfindet, das höchste Zuschauerinteresse während der gesamten Olympischen Spiele auf sich und nimmt einen zentralen Platz in der weltweiten Berichterstattung ein. Das Rahmenprogramm um den vom IOC genau festgelegten, kultisch und rituell aufgeladenen Ablauf fungiert dabei als Bühne der Selbstdarstellung zwischen Weltkultur und nationaler Einmaligkeit, changiert zwischen Verschiedenheit und Gleichheit der Nationen.

Trachten, Bräuche, Tänze

Seit den 1960er Jahren dominierten künstlerische Darbietungen aus den Bereichen Tanz und Artistik mit folkloristischem Touch, um ein touristisch nutzbares Image des Gastgeberlandes zu transportieren. Goaßlschnalzer, Schuhplattler und bayerische Trachtenkapellen während der Olympischen Sommerspiele in München 1972 waren Programmpunkte einer nach den Spielen von 1936 betont nicht nationalen Inszenierung als „heitere Spiele“. Von der historischen Forschung werden diese Repräsentationen in den Eröffnungsinszenierungen auf ihre zeitgeschichtlichen Kontexte hin befragt.1 Für die Geschichtsdidaktik sind sie von besonderem Interesse, seit in den Eröffnungsfeiern die Darstellung nationaler Geschichte des Gastgeberlandes und ihre Bedeutung für die Welt selbst zum Programmpunkt des Showteils erhoben wurden.

Geschichte national und global

Den Anfang machte die Feier in Los Angeles 1984, bei der Episoden aus der Geschichte der amerikanischen Unterhaltungsmusik und ihre Bedeutung für die Welt inszeniert wurden. Seitdem sind – häufig im Modus der Zeitreise – nationale und zugleich global rezeptionsfähige historische Episoden aus der Geschichte des Gastgeberlandes regelmäßig vertreten, für deren Visualisierung und Choreographie namhafte Filmregisseure verantwortlich zeichnen. Die historischen Referenzen müssen dabei nach außen identifizierbar, zugleich aber nach innen spezifisch genug sein, um der Identifikation, Selbstvergewisserung und Selbstversöhnung der eigenen Bevölkerung zu dienen. Die online verfügbaren offiziellen Olympiaberichte2 sind hierfür eine ergiebige Quelle für die offizielle Selbstdarstellung der Ausrichter und ihre Konzepte nationaler Vergangenheitsdeutungen für die globale olympische Idee.

„Nation Branding“ mit Geschichtsinszenierungen

Die Londoner Eröffnungsfeier brach mit der Tradition der klassischen Nummernrevue und stellte unter dem Motto „Isles of Wonder“ die industrielle, popkulturelle und digitale Revolution ins Zentrum einer historischen Meta-Erzählung.3 In 18 Minuten wurden präindustrielle Romantik in einer living-history-Szenerie und die hereinbrechende Industrialisierung nachgespielt. Dieser historische Exkurs brach mit einer Erinnerung an die Toten des Ersten Weltkriegs ab. Die jüngere Zeitgeschichte eignet sich weder für High-tech-Effekte, Tanz und Massenchoreographie, noch für eine positiv-ausgelassene Feierstimmung. Stattdessen folgten Elemente aus der britischen Kinderliteratur, der Geschichte der englischen Sozialfürsorge und der englischen Popkultur. Ironische Brüche und Selbstironie verhinderten historisches Pathos und eine allzu geschlossene nationale Meistererzählung.

Olympia 2014 – Der russische Selbstentwurf

Nationaler Stolz auf das „neue Russland“ kennzeichnete die Eröffnungsfeier in Sotschi. Der Streifzug durch die russische Geschichte begann dabei bei Zar Peter dem Großen und mündete in die berühmte Ballszene aus Leo Tolstois „Krieg und Frieden“. Monumentale, schwebende Bühnenelemente im Stile Malewitschs, eine rote Lokomotive des Fortschritts und die Köpfe der Kolossalstatue „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ mit Hammer und Sichel von Wera Ignatjewna Muchina, die 1937 den Pavillon der UdSSR auf der Pariser Weltausstellung krönten, inszenierten die Oktoberrevolution als Siegeszug der russischen Avantgarde und der Moderne. Danach bauten fröhliche Komsomolzen mit Presslufthämmern das neue Moskau mit seinen stalinistischen Großbauten, erschien der Name Juri Gagarin als erster Mann im All. Russland als geschichtsträchtige und immer auch modernisierungsfähige Kulturnation – das war die globale Botschaft der „dreams of Russia“. Der Stadionsprecher war freilich ein alter Bekannter: Jewgenij Choroschewzew, seit 1968 der offizielle Sprecher des Kreml.

Wieder einmal fungiert also die Geschichte als Thementableau für die Inszenierung nationaler Einmaligkeit. Distanzierung durch Selbstironie und Propaganda durch Pathos markieren dabei die beiden Pole der Selbstdarstellung im historischen Wunderland.

 

 

Literatur

  • Gajek, Eva Maria: Imagepolitik im olympischen Wettstreit. Die Spiele von Rom 1960 und München 1972, Göttingen 2014.
  • Reicher, Dieter: Nationensport und Mediennation. Zur Transformation von Nation und Nationalismus im Zeitalter elektronischer Massenmedien, Göttingen 2013.
  • Reichertz, Jo: Die Macht der Worte und der Medien, Wiesbaden 2007.

Externe Links

 



Abbildungsnachweis
Bild aus der Eröffnungsfeier in Sotschi, 7.2.2014, @Flickr.com; © The Korean Olympic Committee; KOREA.NET – Official page of the Republic of Korea  (Bestimmte Rechte vorbehalten).

Empfohlene Zitierweise 
Bühl-Gramer, Charlotte: Olympia-Eröffnungen. Ein historisches Wunderland? In: Public History Weekly 2 (2014) 10, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1517.

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Basler Fasnachtspause

 

Was dem einen sein Fasching ist dem anderen seine Fasnacht. Die Basler Fasnacht folgt dem alten Termin und beginnt eine Woche nach dem rheinischen Fasching und Karneval. Die Redaktion von Public History Weekly macht wie alle Basler eine Pause. Wir starten neu mit der Redaktionsarbeit am Montag, den 17. März 2014. Bis dahin bleiben die Kommentarfenster der Beiträge geschlossen. Wir freuen uns auf Ihre Beiträge und Kommentare nach der Fasnachtspause!

What to some is a “Carnival” is a “Fasnacht” to others. The “Basler Fasnacht” follows the old calendar and begins one week after the Rhenish Carnival. The editors of Public History Weekly take a break - like all (or most) Basel inhabitants. We resume the editorial work on Monday, the 17th January 2014. Until then, the comment function for postings is shut down. We look forward to your posts and comments after the “Fasnacht” break!

 

Abbildungsnachweis
© Markus Walti / pixelio.de

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