Trachten heute – mehr als ein modischer Spleen?

 

Zunehmend bin ich verwirrt. Das hängt vielleicht mit meinem Alter zusammen, in erster Linie aber mit Erscheinungen, die mir manchmal geradezu die Orientierung nehmen: junge Menschen in Lederhosen und Dirndlkleidern, Burschen in karierten Hemden, Mädchen mit ausladenden Spitzendekolletés …  Tatsächlich hat in den letzten Jahren die Renaissance der Tracht stattgefunden. Fragt man in einer Vorlesung, wer denn eine solche nicht gar sein eigen nennt, dann schnallen bei mehr als der Hälfte der Studierenden die Hände hoch – und das ohne rot zu werden! Plötzlich sehe ich alt aus, obwohl es doch noch gar nicht so lange her ist, dass Trachten nicht nur als konservativ und rückwärtsgewandt betrachtet wurden, sondern auch als belastet, als Ausdruck einer von den Nationalsozialisten gepflegten „Blut und Boden“-Ideologie.

 

Authentizität von Trachten

Ich weiß schon: Von den Anhängern des Trachtenkults wurde das schon damals, in den 1970/80er Jahren, als undifferenziert und als Vorurteil kritisiert. Trachten seien eben einfach schön, machten eine gute Figur, seien „authentisch“ und würden, was doch wichtig sei, die Verbundenheit zur Heimat, zur eigenen Herkunft ausdrücken. Durch das Tragen von Trachten werde die eigene Identität gestärkt, womit diese zur Orientierung in einer sich rasant wandelnden Welt beitrügen. Mit „Blut und Boden“ habe das doch nichts zu tun. Nun sind Trachten aber keineswegs „authentisch“, auch wenn immer wieder zwischen „echten“ und „unechten“, weil stärker den unterschiedlichen Modetrends angepassten Trachten, unterschieden wird. Sie existieren keineswegs unverändert seit Jahrhunderten. Tatsächlich ist die Tracht vor allem eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, als sich die Sommerfrischler aus der meist recht einfachen Kleidung der Einheimischen diverse Versatzstücke wählten und mit modernen Accessoires verbanden. Interessanterweise verbarg sich dahinter sogar etwas politisch Fortschrittliches, nämlich eine Kultur der „Ursprünglichkeit“, die ein harmonisch-utopisches Gesellschaftsmodell spiegelte, das sich durch das Fehlen von Standes- und Klassenunterschieden auszeichnete. In der konstruierten „Ursprünglichkeit“ der Sommerfrische, etwa durch das Tragen von Trachten, war man zuallererst Mensch und erst in zweiter Linie adelig, bürgerlich, bäuerlich oder proletarisch.

Politisch korrekt?

Die Einheimischen übernahmen im Übrigen diese Trachten, vor allem die finanziell erschwinglichen Bestandteile, zumal sie sowohl die Annäherung an die letztlich hegemoniale bürgerliche Lebensform als auch die Rückbindung an ihre Lebenswelt ermöglichten. Folglich waren die Trachten sogar Ausdruck einer sich verändernden Welt. Dass die NationalsozialistInnen schließlich die vermeintliche Harmonie für sich in Anspruch nahmen und die Trachten als Teil der „Blut und Boden“-Ideologie instrumentalisierten, dafür können die Trachten freilich nichts. Dennoch bleibt die Tracht dadurch belastet, nicht zuletzt weil ihre Träger und Trägerinnen durch ihr unschuldiges Auftreten historische Naivität an den Tag legen und meist kein Bewusstsein darüber entwickeln, welche Ideologien mit Kleidung transportiert werden können. Daher scheint mir das Tragen von Trachten nur noch in Form des künstlerischen Umgangs mit Kleidung möglich. Zumeist lässt sich aber – zumindest in der Rezeption der KonsumentInnen – keine klare Trennung zwischen dem Wunsch nach Bewegungslosigkeit und kritischem Spiel erkennen; die Vermischung unreflektierter Identifikation und kritischer Distanz scheint bislang unvermeidbar.

Die Tracht als „Text“

Vielleicht bin ich aber wirklich zu streng? Vielleicht sind Trachten tatsächlich einfach nur schön und dazu gemacht, die Menschen attraktiv wirken zu lassen, um etwa – wie der Literaturkritiker Hellmuth Karasek in einer Diskussionsrunde bei Günther Jauch meinte – die Brüste der Damen einfach besser zur Geltung kommen zu lassen? Abgesehen einmal von der doch recht fragwürdigen Zuschreibung, die Karasek vornimmt, ist aber Geschmack immer auch vom gesellschaftlichen Kontext abhängig. Und so muss Kleidung wohl doch als „Text“ verstanden werden, der im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Prozessen zu lesen ist. Und die Renaissance der Tracht korrespondiert ohne Zweifel mit einer Entwicklung, die das Konservative plötzlich als fortschrittlich preist und im Zuge der Globalisierungsprozesse zunehmend auf kulturelle Bewegungslosigkeit setzt. Sie überschneidet sich auch mit dem Erfolg von Parteien, die weit rechts außen stehen. Die große Welt mag sich wandeln, die „Heimat“ scheint jedoch wie der Fels in der Brandung zu stehen: von wilden Wassern umspült und doch so unbeweglich.

„Dynamische Heimat“ – Versöhnung mit den Trachten

Ob eine solche Orientierung allerdings die notwendige Verarbeitung von Wandlungsprozessen und die Bewältigung der eigenen Existenz ermöglichen kann, bleibt fraglich. Der Begriff der „Heimat“ sollte daher dynamisch verstanden und der Wandel als notwendiger Bestandteil der eigenen Identität anerkannt werden. Damit wird vielleicht auch die Tracht von ihrem bitteren Beigeschmack befreit. Das Schwarzweißbild von der guten alten Heimat und der bösen Globalisierung, die unsere angeblich „authentische“ Volkskultur gefährde, könnte damit einem differenzierten Blick weichen. Dabei kann es helfen, die Volkskultur auch als Thema im Geschichtsunterricht zu behandeln, allerdings weniger mit dem Argument der Heimatverbundenheit als vielmehr im Sinne einer reflexiven Betrachtung, die die Funktionen etwa von Trachten betont, ohne diese – immerhin gehören Trachten ja zunehmend zur Lebenswelt der SchülerInnen – als etwas Unmögliches zu diffamieren. Dann kann auch ich mich mit der Lederhose, dem Dirndl und dem karierten Hemd wenn schon nicht anfreunden, so doch arrangieren. Eine Lederhose kaufe ich mir aber dennoch nicht – die Verweigerung sei mir im Sinne einer pluralistischen Gesellschaft auch weiterhin gestattet.

 

 

Literatur

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Abbildungsnachweis
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Empfohlene Zitierweise
Hellmuth, Thomas: Trachten heute – mehr als ein modischer Spleen? In: Public History Weekly 2 (2014) 2, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1192.

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“Die Schweizer”. Welches Geschichtsbild braucht die Willensnation?

 

Der „Wille zur Geschichte“ ist gleichsam Elixier der Willensnation. Das war sicher auch ein Grund für das Schweizer Fernsehen, dem Publikum im November 2013 eine vierteilige Geschichtslektion zu besten Sendezeiten zu präsentieren. Doch welche Geschichte sollte hier gezeigt werden? Welches Geschichtsbild braucht die Willensnation?

 

Was hält die Schweiz zusammen?

Verbreitet ist der Befund, dass es die Geschichte sei, welche die Willensnation Schweiz zusammenhält. Diese Sichtweise kam im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts angesichts eines die Schweiz bedrohenden Sprachennationalismus auf, erhärtete sich in der Zeit der Geistigen Landesverteidigung und erstreckte sich über die Epoche des Kalten Krieges hinaus.1 Doch welche Geschichte kittet? Wie wir wissen, hat die Geschichte der Schweiz, was vordergründig paradox erscheinen mag, im Bewusstsein der Bevölkerung keinen hohen Stellenwert. Viele SchweizerInnen nehmen für sich in Anspruch, von der Geschichte weitgehend verschont geblieben zu sein. Für das Erklären des Zustandekommens der Nation begnügt man sich mit weit zurückliegenden Ursprungsmythen. Ähnlich den USA ist das Land von Mythen durchdrungen, weil es geradezu einfache Formeln für den Zusammenhalt braucht. Geschichte, die aus den Studierstuben an die Öffentlichkeit gelangt, wird schnell zur einfach handhabbaren Gebrauchsgeschichte (Guy Marchal). Sie ist damit der Kontrolle der HistorikerInnen entzogen und unterliegt einer geschichtskulturellen Eigendynamik. Nicht komplexe Strukturen sind gefragt, sondern einschlägige Geschichtsbilder mit klaren Deutungsangeboten. Ist es in den USA vor allem ein gemeinsamer Traum, welcher die Nation zusammenhält,2 so ist es in der Schweiz das seit dem Ersten Weltkrieg allumfassende Bild des ständig bedrohten, aber sich in der komplexen globalen und europäischen Umwelt erfolgreich zurechtfindenden Kleinstaates.

Unausgegorene Absichten

Es sei „ein Kreuz“ mit der Schweizer Geschichte, meint Roger de Weck, Direktor der SRG und profunder Kenner des Schweizer Werdegangs.3 Für andere stellt sie gar ein „Minenfeld“ dar.4 Und wie die Reaktionen auf die Sendung „Die Schweizer“ zeigen, kam die Kritik an einem „altväterischen“, „männerlastigen“ und einem „veralteten Geschichtsverständnis frönendem Filmkonzept“, das sich primär an der Logik des Fernsehmarkts mit einem personalisierenden Zugang ausrichtete, bereits im Vorfeld der Ausstrahlung.5 Die Absicht der FernsehmacherInnen war es, wie ihr Direktor formulierte, der Willensnation zu zeigen, wie sich ihr Land vom Staatenbund zum Bundesstaat entwickelte. Der „Bundesstaat bleibe ein Glücksfall“ und sei „ein Kind der Aufklärung“, so de Weck.6 Doch wie lässt sich ein solcher Prozess anschaulich darstellen? Die Wahl der Verantwortlichen fiel auf einen ausgewählten Personenkreis von Werner Stauffacher über Hans Waldmann und Niklaus von Flüe zu General Henri Dufour sowie Alfred Escher und Stefano Franscini, welche als eine Art „Founding Fathers“ gewirkt haben sollen und die Zeitphase vom frühen 13. Jahrhundert bis 1882 (die Eröffnung des Gotthardtunnels) abzudecken hatten. Die Wahl fiel auf ein teleologisches Konstrukt, das im Gegensatz zur Geschichtswissenschaft steht.

Edutainment produziert Bilder – aber welche?

Eine derart präsentierte Geschichte, angeboten als „Sternstunden“ oder als „unsere Historie im Film“, wird zwangsläufig zum Edutainment-Angebot.7 Während etwa bei Sendungen über Medizin, Technik und Wissenschaft kaum jemand Anstoß an einer publikumswirksamen und folglich an Unterhaltung orientierten Darstellungsweise nimmt, so führte die Serie „Die Schweizer“ zu einer breiten HistorikerInnen-Schelte. Was ist bei Geschichte anders als bei der Physik oder der Humanmedizin? Es ist die Identitätsfrage und dies auch bei jenen, die mit Identität scheinbar wenig am Hut haben. Daraus ergibt sich schnell ein Disput über das richtige Deutungsangebot. Welches Geschichtsbild die Serie vermittelt, das bleibt aber diffus. So blendet sie reflektierende Expertenstimmen von HistorikerInnen ein. Gleichzeitig wirkt die visuelle Kraft des ausgestrahlten Bildes und schafft emotionale Bezüge. Bildhafte Darstellungen und Expertise widersprechen sich allzu oft. Das Expertenurteil kann der bildhaft gewordenen Deutung auch wenig entgegensetzen.

Immer das Gleiche?

Hier stehen die Verantwortlichen der Serie denn auch vor einem ähnlichen Dilemma wie der Geschichtsunterricht. Mit rationalen Argumenten ist Geschichtsbildern nur schwerlich beizukommen. Nun ist zu vermuten, dass die FilmemacherInnen aus marktstrategischen Gründen die Doppeldeutigkeit geradezu für ihr Edutainment-Angebot nutzten und den Mythen ihren Platz beliessen, welche mit weiteren Geschichtsbildern zum 19. Jahrhundert ergänzt wurden: die Schweiz als Glücksfall und Erfolgsmodell in einer durch Krisen geschüttelten Welt. Ist es das, was die Willensnation in der Gegenwart zusammenschweisst? Kitt für den Zusammenhalt könnte auch das kritische Beleuchten und Reflektieren sein, indem die Bürgerinnen und Bürger darüber Bescheid wissen, wie sich ihr Gemeinwesen in enger Abhängigkeit von seinem Umfeld (meist als „Ausland“ qualifiziert) entwickelt hat und wie auch Schweizer Geschichte im Rhythmus europäischer und globaler Entwicklungen verläuft. Darauf zielt die Serie der „Geschichte der Schweizer“ im Grundsatz ab. Gelungen ist es dem Format aber nicht.

 

 

Literatur

  • Buchbinder, Sascha: Der Wille zur Geschichte. Schweizergeschichte um 1900 – die Werke von Wilhelm Oechsli, Johannes Dierauer und Karl Dändliker, Zürich 2002.
  • Furrer, Markus: Die Nation im Schulbuch – zwischen Überhöhung und Verdrängung. Leitbilder der Schweizer Nationalgeschichte in Schweizer Geschichtslehrmitteln der Nachkriegszeit und Gegenwart, Hannover 2004.
  • Marchal, Guy P.: Schweizer Gebrauchsgeschichte. Geschichtsbilder, Mythenbildung und nationale Identität, Basel 2006.

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Empfohlene Zitierweise
Furrer, Markus: “Die Schweizer”. Welches Geschichtsbild braucht die Willensnation?
 In: Public History Weekly 2 (2014) 2, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1141.

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