Das richtige Leben, umgeben vom Falschen? Religion zwischen Totalität und Relativierung

Frankreich im Jahr 1537. Zwar sind manche Gegenden noch fast unberührt von evangelischen Gruppierungen und Praktiken.1 Dennoch braut sich etwas zusammen. Flugschriften zirkulieren, vor allem in den Städten.2 Unbekannte Bilderstürmer zerstören in einer Nacht des Jahres 1528 eine Marienstatue in Paris. König Franz I. hält wenige Tages später eine monumentale Resakralisierungs-Prozession ab und stellt eine neue Figur an die Stelle der zerstörten alten.3 Auch in Rouen finden Prozessionen gegen die neue “Häresie” statt.4 Immer wieder tauchen Wanderprediger auf, ziehen die Massen an und polarisieren. Spätestens seit der Plakataffäre 1534 werden die alten Messpraktiken zu einem Unterscheidungsmerkmal für die auseinanderfallenden religiösen Zugehörigkeiten.5 Das religöse Feld in Frankreich pluralisiert sich, der Raum der Möglichkeiten öffnet sich dramatisch und in wiedersprüchliche Richtungen. Natürlich gibt dabei keine der entstehenden Glaubensgruppen ihren exklusiven Wahrheitsanspruch auf. Für sie kann jeweils nur ein Weg, nämlich der ihre, der allein seligmachende sein. Schließlich geht es um das Innerste, das Ewige, die letzte Wahrheit, die Erklärung der Welt… Himmel oder Hölle. Wie sollen sich die Gläubigen also verhalten in einer Welt der religiösen Differenzen? Gibt es ein richtiges Leben, umgeben vom “Falschen”? Wie verändert sich die Religionskultur angesichts der beginnenden Pluralität – totale Verhärtung oder Relativierung? Eine Flugschriften des [...]

Quelle: http://catholiccultures.hypotheses.org/806

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Pommersche Gravamina, Teil I

„Pommerland ist abgebrannt“ – so lautet ein Vers aus einem bekannten Volkslied, das oft mit den Verheerungen im Dreißigjährigen Krieg in Verbindung gebracht wird. Der Bezug zu Pommern ist jedoch erst später hergestellt worden, wie die Geschichte dieses Liedes zeigt. Gleichwohl beschreibt dieser Satz einen Zustand, der für das Herzogtum Pommern schon Ende der 1620er Jahre Wirklichkeit geworden war. Seit Ende 1627 waren kaiserliche Truppen (d.h. Einheiten der Armee unter Wallenstein) in Pommern stationiert; auch nachdem die Kämpfe gegen Christian IV. von Dänemark abgeschlossen und die Belagerung Stralsunds zuende gegangen war, hatten sie das Land nicht verlassen. Die Belastungen für das Herzogtum wurden nicht weniger, und auch die kaiserlichen Regimenter wurden nicht verringert, im Gegenteil; an die 40.000 Söldner, so lautete eine Zahl, lagen dort in Garnison.

Schon öfters hatte sich der Herzog von Pommern darüber beim Kaiser beschwert. Als im Juli 1630 der Kurfürstentag in Regensburg begann, erschien dies als neue Chance, gewissermaßen vor der Öffentlichkeit der Kurfürsten und vieler anderer Reichsstände die Pommerschen Anliegen erneut vorzustellen. Da auch längst ruchbar war, daß die Position des kaiserlichen Feldherrn nicht unantastbar sein würde, waren die Aussichten auf eine Verringerung der Kriegslasten oder sogar ein vollständiger Abzug der Soldatesca vielleicht gar nicht so schlecht – daß just in diesen Wochen der schwedische König gelandet war und sich dadurch die militärische und politische Situation gerade auch in Pommern radikal zu ändern begann, änderte nichts an der Bereitschaft, auf dem Kurfürstentag für die Belange des Landes einzutreten. Jedenfalls machte sich auch eine Gesandtschaft aus dem Herzogtum Pommern auf den Weg nach Regensburg.

Es sollte zwar einige Wochen dauern, doch Anfang August verschafften sich die Gesandten Gehör und wurden vom Kurkolleg empfangen. Besonders auf Druck Kursachsens und Kurbrandenburgs wurde festgelegt, daß die Pommerschen Deputierten persönlich vorgelassen wurden und „in pleno“ ihre Anliegen vortragen konnten (vgl. dazu die vorzügliche Edition zum Kurfürstentag in den Briefen und Akten, Bd. 2,5, S. 482 sowie S. 670-673). Was die Gesandten bei dieser Audienz vorgebracht hatten, wurde später auch in einer Druckschrift zusammengestellt: „Pommerische Kriegs-Gravamina, Oder Warhaffte Beschreibung der hochbeschwerlichen/ unerhörten Trangsalen/ Insolentien und … Excessen und Pressuren/ mit welchen das … Fürstenthumb Pommern/ von der Keyserl. Soldatesca … bey dreyen Jahren hero beschweret und belästiget worden“, Franckfurt 1632 (Johann Friedrich Weiss). (Wobei mir übrigens der Hintergrund unbekannt ist, warum diese Schrift erst zwei Jahre nach dem Kurfürstentag herausgebracht wurde; die Gravamina finden sich dann u.a. auch im Theatrum Europaeum, Bd. 2, S. 184 ff.)

Auf 16 Druckseiten legte diese Flugschrift dar, was es in den drei Jahren Jahren bis 1630 bedeutet hatte, Quartiergeber für die kaiserlichen Regimenter zu sein. Was hier ausgeführt ist, bezieht sich naturgemäß zunächst auf die Verhältnisse im Herzogtum Pommern. Gleichwohl steht diese Beschreibung exemplarisch für die Gravamina der vielen anderen Reichsstände und -städte, die ebenfalls damals über ihre Situation klagten. Und überhaupt läßt sich anhand dieser Ausführungen beispielhaft zeigen, was Krieg in diesen Zeiten für das Land bedeutete. Wohlgemerkt, es gab in Pommern keine nennenswerten Kämpfe: Die geschilderten Probleme resultierten allein aus dem Umstand, daß Truppen ins Land gezogen waren und dort Quartiere genommen hatten.

Mir erscheint diese Flugschrift in der Beschreibung der Probleme, die sich aus der Einquartierung der Truppen ergaben, derart eindrücklich und inhaltsreich, daß es sich lohnt, eingehender auf einzelne Aspekte einzugehen. In den kommenden Wochen möchte ich daher auf verschiedene hier angesprochene Themen gesondert eingehen.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/149

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Die Flugschriftensammlung der bayerischen Landstände

Flugschriften und Flugblätter stellen gerade für den Dreißigjährigen Krieg einen Quellenfundus von besonderer Bedeutung dar, eben weil die mediale Aufbereitung vieler Ereignisse neue Dimensionen erreichte: Es gibt kaum etwas, worauf die zeitgenössische Publizistik nicht reagierte, angefangen vom Pfalzgrafen in Böhmen bis hin zu den Friedensschlüssen in Westfalen. Für die Forschung ist dies nichts Neues, und großartige Verzeichnisprojekte wie das VD17 zeigen, wie reichhaltig die Überlieferung in diesen Jahren fließt. Auf einen besonderen Flugschriftenbestand hat jetzt Gabriele Greindl aufmerksam gemacht: die Sammlung der Druckpublizistik in der Bibliothek der bayerischen Landstände. In ihrem ausführlichen Beitrag geht sie auf die Geschichte der landständischen Bibliothek und speziell des Flugschriftenbestandes ein, dessen Aufbau und Struktur sie beschreibt und dessen inhaltliche Schwerpunkte sie skizziert. (Gabriele Greindl, Flugschriften aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges in der Bibliothek der bayerischen Landstände. Eine neue Quelle zur Geschichte der Ständeversammlung, in: Festgabe für Andreas Kraus zum 90. Geburtstag, S. 283-338.)

Nicht nur die bayerischen Herzöge und Kurfürsten haben eine prachtvolle Bibliothek aufgebaut; auch die bayerischen Stände sammelten in großem Stil Druckwerke. Ihre Bibliothek, die neben rund 6.000 Bänden auch zahlreiche Periodika, Handschriften und ungebundene Werke umfaßte, wurde nach der Mediatisierung wie die Buchbestände der säkularisierten Klöster Anfang des 19. Jahrhunderts der Bibliothek des bayerischen Landesherrn einverleibt. Dies betraf auch die Flugschriften, die sich in der landständischen Bibliothek befanden. Während ein Teil dieser publizistischen Werke offenbar verloren gegangen ist, sind viele Titel noch heute in den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek nachgewiesen. Greindl hat in ihrem Aufsatz einen Abgleich der BSB-Exemplare mit den im VD17 verzeichneten Titeln vorgenommen. Fast alle Flugschriften sind, wie sich zeigt, auch andernorts nachgewiesen; nur einige wenige sind offenbar allein in der landständischen Sammlung überliefert.

Auch wenn nur wenige Flugschriften exklusiv der landständischen Provenienz entstammen, darf dies nicht zum Schluß verleiten, daß diese Sammlung wenig spektakulär ist. Vielmehr ist sie überaus bedeutsam, allein weil sie – wie G. Greindl ausführt – das Informationsbedürfnis der Landstände veranschaulicht, die ein ausgesprochen reges Interesse eben auch an den aktuellen Ereignissen außerhalb der Landesgrenzen besaßen. Und dies nicht nur, weil ihr Landesherr in diesen Händeln stark engagiert war, sondern offenbar auch, weil die Stände sehr aufmerksam verfolgten, wie in anderen Territorien und auf Reichsebene Konflikte moderiert und bestimmte Argumentationsmuster angewandt wurden. Letztlich verknüpft Greindl zwei Forschungsthemen, die bislang viel zu selten zusammengeführt wurden: zum einen die Beschäftigung mit den Ereignissen des Dreißigjährigen Kriegs, zum anderen die Erforschung landständischer Phänomene. In beiden thematischen Segmenten bleibt noch viel zu tun, wobei sich manchmal auch Überschneidungen ergeben. Auf das Potential hingewiesen zu haben, das die Beschäftigung mit den Beständen der landständischen Bibliothek sowohl für die Erforschung des Dreißigjährigen Kriegs wie auch für die politische Kultur der bayerischen Landstände bietet, ist das große Verdienst dieses Beitrags.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/66

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