39. Besuch auf dem Friedhof oder Ein Kreuzungspunkt der Zeiten

Friedhof

Blätterleichen

Der November ist eigentlich ein angemessener Monat, um sich einmal den letzten Dingen zuzuwenden. Als Todesmonat mit Allerheiligen und Totensonntag und Volkstrauertag und Halloween und herabfallenden Blätterleichen, die milliardenfach den Boden bedecken und nur noch deprimierende Baumskelette stehen lassen, zwingt er gerade in seiner neblig-grauen, die Sicht bis auf wenige Meter einschränkenden Erscheinungsform dazu, die Nähe des Todes ernst zu nehmen. Wann, wenn nicht jetzt, lohnt sich ein Besuch auf dem Friedhof – selbst wenn man meint, dort gar nichts verloren zu haben?

Sicherlich gibt es das eine oder andere Argument, das sich anführen ließe, um von einem solchen Gang eher abzusehen. Möglicherwiese liegen dort gar keine Verwandten oder Bekannten, die man besuchen könnte. Oder sie liegen zwar auf einem Friedhof, aber in größerer Entfernung, so dass die Ruhestätte, die in halbwegs erreichbarer Nähe ist, keinen Besuchsanlass bietet. Was aber will man auf einem Friedhof, auf dem sich weder Anverwandte noch Berühmtheiten befinden, wenn nicht einem allgemeinen Gefühl der Morbidität frönen? Und ist es nicht überhaupt seltsam, von einem ‚Besuch‘ zu sprechen, wenn es um den Gang auf den Friedhof geht? ‚Besuchen‘ wir nicht möglicherweise uns selbst und unsere eigene Sterblichkeit, die mit jeder Feststellung der Lebensdaten auf einem Grabstein von neuem an unser Hinterstübchen klopft?

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Quelle: https://achimlandwehr.wordpress.com/2015/12/19/39-besuch-auf-dem-friedhof-oder-ein-kreuzungspunkt-der-zeiten/

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