Heinz Duchhardt: Geschichtspolitik als „Aushandlungsprozess“


Über alle Epochen hinweg und von politischen Systemen jedweder Couleur wird Geschichte nicht nur als „Argument“ (so der Titel und Schwerpunkt des Münchener Historikertags 1996), sondern auch als „Waffe“ (so der Titel eines Buchs von Edgar Wolfrum) instrumentalisiert.

Geschichtspolitik – ein vergleichsweise junger, anfangs durchaus polemisch gebrauchter Neologismus, der auf die mittleren 1980er Jahre zurückgeht – ist wenigstens in den „westlichen“ Demokratien freilich immer ein „Aushandlungsprozess“, in dem auch die Presse, die Wissenschaft und medialen Vermittler von „Geschichte“, ja, alle gesellschaftlichen Kräfte ihren Platz haben.

Die Tendenz, Geschichte zu instrumentalisieren, verstärkt sich in Zeiten von Krisen, Brüchen und in Phasen, in denen es um die Neukonturierung von Identitäten geht (und gehen muss). In Einzelfällen kann das zu weitgehend neuen Geschichtsbildern einer politischen Einheit führen.

Versuche, Museen zum Vermittler von staatlicher/überstaatlicher Geschichtspolitik zu machen, stoßen immer an ihre Grenzen – Paradebeispiel sind die mehrfachen Versuche, ein „Europäisches Museum“ mit einer entsprechenden „Botschaft“ aus der Taufe zu heben.

Versuche, sich über Parlamentsbeschlüsse oder die Jurisdiktion von einem bestimmten Geschichtsbild bzw. Teilen von ihm zu distanzieren (im Sinn einer perhorreszierenden Geschichtspolitik), sind problematisch.

Ein neues Phänomen sind die Bemühungen einer supranationalen Organisation wie der Europäischen Union, über ihre verschiedenen Rahmenprogramme geschichtspolitisch aktiv zu werden und eine Art europäische Identität zu evozieren und zu kreieren. Auf der anderen Seite der Skala gilt es, die Geschichtspolitik von politischen Einheiten unterhalb der Nationalstaatsebene – also z.B. Bayern – im Auge zu behalten.

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Prof. Dr. Dr. h. c. Heinz Duchhardt ist Präsident der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland. Von 1994 bis 2011 war er Direktor des Instituts für Europäische Geschichte in der Abteilung für Universalgeschichte. Seine Forschungsschwerpunkte sind die internationalen Beziehungen in der Vormoderne, die Verfassungs- und Sozialgeschichte des Alten Reiches und die europabezogene Grundlagenforschung. Er ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz.

Quelle: http://gid.hypotheses.org/63

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