100 Jahre russische Revolution – Ein Grund zu feiern?

Die Gegenwart der Revolution

In vielen Ländern Europas, aber auch auf anderen Kontinenten erleben wir, dass Geschichte in großem Stil revidiert wird. Vermeintlich abgelegte historische Narrative kehren in neuem Gewand zurück – als nationale, postkoloniale oder neo-imperiale Standortbestimmungen, politische Legitimationsstrategien oder Muster moralischer Flurbereinigung unliebsamer Vergangenheiten. Vermeintlich verbürgtes, allgemein anerkanntes Handbuchwissen gerät ins Wanken.

Während die Geisteswissenschaften sich vielerorts transnational ausrichten, um der Komplexität des stetig wachsenden Wissens gerecht zu werden, propagieren Geschichtspolitikerinnen und Geschichtspolitiker durchaus verschiedener Weltanschauung und politischer Überzeugung „patriotische“, „unverfälschte“, „bereinigte“ oder „gerechte“ Erinnerungsmuster. Sie geben vor, damit Indifferenz, Identitätsverlust und Werteverfall Einhalt gebieten zu können.

Seit einem Vierteljahrhundert befindet sich auch das postsowjetische Russland auf der Suche nach einem neuen Selbstverständnis. Schrittweise wurde seinen Eliten bewusst, dass der Zusammenbruch des Kommunismus ein gewaltiges Vakuum hinterlassen hatte.

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Quelle: http://mws.hypotheses.org/38731

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“Wer nicht mehr befreit werden konnte”

Ansprache von Katrin Stoll anlässlich der Eröffnung der Ausstellung “Niemandsorte” am DHI Warschau.

“Schritte –

In welchen Grotten der Echos
seid ihr bewahrt
den ihr den Ohren einst weissagtet
kommenden Tod?

[…]
Schritte –
Urzeitspiel von Henker und Opfer,
Verfolger und Verfolgten,
Jäger und Gejagt –
[…]”

Katrin Stoll, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am DHI Warschau.

Katrin Stoll, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am DHI Warschau.

Nelly Sachs‘ Werk gehörte nicht zur Pflichtlektüre des Deutschunterrichts des Gymnasiums in Ost-Westfalen, an dem ich vor 20 Jahren mein Abitur ablegte. Damals, 50 Jahre nach Kriegsende, hielt der leitende Lehrer meines Jahrgangs auf unserer Abschlussfeier eine bewegende, emotionale Rede, in deren Mittelpunkt er die von Deutschen verübten Verbrechen in ganz Europa stellte und uns unsere politische Verantwortung vor Augen führte.

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Quelle: https://mws.hypotheses.org/27404

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Befreiung? Sieg? Niederlage? Interviews zum Kriegsende (1): Frankreich

Im Rahmen des 70. Jahrestags des Kriegsendes in Europa eröffnet die Max Weber Stiftung einen Einblick in die Erinnerungskultur der Gastländer ihrer Institute. Neben einer Auseinandersetzung mit dem Gedenken an 1945 geben wir auch einen kurzen Einblick in die jeweiligen Forschungstendenzen zum Zweiten Weltkrieg. Den Anfang macht Stefan Martens, Stellvertretender Direktor des Deutschen Historischen Institut in Paris. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der Weimarer Republik, des Dritten Reiches und des Widerstandes, die Geschichte der französischen Dritten Republik und des Vichy-Regime sowie die Geschichte der Internationalen Beziehungen.

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Stefan Martens, Stellvertretender Direktor des DHI Paris.

Herr Martens, wie wichtig ist der 8.

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Quelle: http://mws.hypotheses.org/26843

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“Wir wollen freie Menschen sein”. Ausstellung zum DDR-Volksaufstand in Warschau

Der 17. Juni ist in der deutschen Geschichte ein feststehendes Datum der Erinnerung an den Volksaufstand in der DDR 1953. Bis zur Wiedervereinigung war der Tag im Juni der “Tag der deutschen Einheit”. Nach der Wiedervereinigung ist er bis heute in Deutschland ein Gedenk-, allerdings kein Feiertag mehr. Heute jährt sich der 17. Juni 1953 zum sechzigsten Mal.

Ein sowjetischer Panzer vor dem Gebäude des Georgi-Dimitroff-Museums (des ehemaligen Reichsgerichtes) in Leipzig um den 17. Juni 1953.
Bild: Bundesarchiv, Bild 175-14676 / CC-BY-SA

Am 5. Juni 2013 wurde im Warschauer Dom Spotkań z Historią (Haus der Begegnung mit der Geschichte) die Ausstellung Chcemy być wolni“ („Wir wollen freie Menschen sein“) eröffnet. Die sowohl in deutscher als auch in polnischer Sprache gestaltete Ausstellung soll an die Ereignisse vom 17. Juni 1953 erinnern, als in zahlreichen Städten der DDR eine Million Menschen – erstmalig im damaligen Ostblock – auf den Straßen gegen die kommunistische Diktatur demonstrierten. Die von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur konzipierte Ausstellung wird in Warschau unter Federführung der Deutschen Botschaft Warschau gezeigt, in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Institut Warschau und der Universität Warschau.

Ruth Leiserowitz,stellvertr. Direktorin des DHI Warschau Ulrich Mählert, Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Markus Meckel, ehem. Minister, Ratsvorsitzender der Stiftung Aufarbeitung SED-Diktatur Rüdiger Freiherr von Fritsch, Deutscher Botschafter in Polen Ehrengast Tadeusz Mazowiecki, erster frei gewählter Ministerpräsident Polens Huberta Freifrau von Fritsch, Ehefrau des Botschafters (v.l.) bei der Ausstellungseröffnung.

Ruth Leiserowitz,stellvertr. Direktorin des DHI Warschau, Ulrich Mählert, Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Markus Meckel, ehem. Minister, Ratsvorsitzender der Stiftung Aufarbeitung SED-Diktatur, Rüdiger Freiherr von Fritsch, Deutscher Botschafter in Polen, Ehrengast Tadeusz Mazowiecki, erster frei gewählter Ministerpräsident Polens und Huberta Freifrau von Fritsch, Ehefrau des Botschafters (v.l.) bei der Ausstellungseröffnung. 

Für die polnische Version der Ausstellung, die wissenschaftlich gemeinsam von Jens Boysen (DHI Warschau) und Jerzy Kochanowski (Universität Warschau) betreut wird, wurden zwei Tafeln hinzugefügt, die darüber informieren, wie Staatsmacht und Gesellschaft in Polen zeitnah auf die ostdeutschen Ereignisse reagierten.

Bei der Eröffnung sprachen der erste polnische Premierminister nach 1989 und Ehrengast Tadeusz Mazowiecki, der Direktor des Hauses der Begegnung mit der Geschichte Piotr Jakubowski, der deutsche Botschafter in Polen Freiherr Rüdiger von Fritsch, die stellvertretende Direktorin des DHI Warschau Ruth Leiserowitz sowie der gegenwärtige Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Markus Meckel.

Weitere Informationen zur Ausstellung sind hier zu finden.

 

Quelle: http://de.hypotheses.org/72012

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„To honour those who served, to remember those who died” – Premierminister David Cameron präsentiert Pläne für britischen Gedenkmarathon

Bei seiner Rede im Imperial War Museum enthüllte der britische Premierminister David Cameron erste Pläne für den anstehenden Gedenkmarathon, der im nächsten Jahr anlässlich des 100. Jahrestages des Kriegsbeginns beginnen und bis in das Jahr 2018 reichen soll. Um dem ehrenden Erinnern gerecht zu werden, wurden Investitionen in Höhe von insgesamt 50 Millionen Pfund veranschlagt.

 

„The war to end all wars“ – der 1. Weltkrieg als Basis der nationalen Identität

Dem Premier zur Folge sollen die Gedenkveranstaltungen und Feierlichkeiten den Zweck verfolgen, das Andenken an diejenigen hochzuhalten, welche ihr Leben im 1. Weltkrieg gaben und gleichzeitig der aktuellen Generation die Mahnung ins Gedächtnis zu rufen, dass ein Konflikt wie dieser niemals wieder auf europäischem Boden ausgetragen werden dürfe. Es solle bewirkt werden, dass man auch noch in 100 Jahren in gleicher Weise an das Leiden der Soldaten und Zivilisten erinnern möge, an eine Generation, die sich für die ihr nachfolgenden Generationen opferte. Cameron sprach davon, dass es sich beim Krieg und seinen Folgen um ein für die britische Geschichte fundamentales Ereignis handele, der einen wesentlichen Teil des nationalen Selbstverständnisses ausmache.  Dafür sei es wichtig, dass sich dieses Gedenken nicht ausschließlich auf rationaler Ebene abspiele, sondern zu einer Herzensangelegenheit werde („not just in our heads, but in our hearts“). Die Regierung solle eine koordinierende Rolle einnehmen, ein „Erinnerungsdiktat“ gelte es aber zu vermeiden, so wertete auch Dr. Andrew Murrison den Auftrag der britischen Regierung.
Murrison ist Mitglied des soeben einberufenen Beirats (Cameron: „World class board“), der für die Planung und Durchführung der zahlreichen Veranstaltungen die wissenschaftliche Beratung tragen wird. Neben Murrison, der als Camerons „special representative“ gilt, gehören dem Rat weitere Personen der britischen Öffentlichkeit an. Im Einzelnen sind dies: Maria Miller, Ministerin für Kultur und Medien, die ehemaligen Verteidigungsminister Tom King und George Robertson, der ehemalige Vorsitzende der Liberal Democrats, Sir Menzies Campbell, die Militärs Jock Stirrup und Richard Dannatt, hinzu kommen der Historiker Hew Strachan und der Autor Sebastian Faulks („Birdsong“). Die Hauptpartner der Regierung stellen neben einer Reihe an kleineren Initiativen in erster Linie die Commonwealth War Graves Commission, der Heritage Lottery Fund und das Imperial War Museum dar.

 

Vom pädagogischen Schlachtfeldbesuch bis hin zum Fußballspiel – das nationale Gedenken wird sich sehr unterschiedlich gestalten

Insgesamt 50 Millionen Pfund ist dem englischen Premier das Gedenken an den 1. Weltkrieg wert. Diese Summe umfasst sämtliche Projekte, die im Zeitraum 2014-2018 initiiert und durchgeführt werden sollen. Dabei beschränkt sich die Erinnerung nicht auf den Beginn des Krieges und dessen Ende durch die Unterzeichnung des Waffenstillstandes; vielmehr sollen auch die Hauptschlachten (Schlacht an der Somme, Jutland, Gallipoli, Passchendaele) eine angemessene Würdigung erfahren. Die Höhe der Summe rechtfertigt Cameron vor dem Steuerzahler, indem er sich auf die gesteigerte öffentliche Faszination gegenüber der Thematik beruft. Die Projekte, wie auch das Gedenken selbst, sollen sich dabei sehr unterschiedlich gestalten. Zunächst werden 4,5 Millionen Pfund in eine umfassende Neuausrichtung des Imperial War Museums investiert. Künftig soll es eine neue Dauerausstellung zum 1. Weltkrieg geben, die 2014 feierlich eröffnet wird. Darüber hinaus werden Mittel bereitgestellt, um jungen Menschen die Erinnerung nahezubringen. Schülern sämtlicher Secondary Schools soll der Besuch sogenannter „Battlefields of thousands“ ermöglicht werden, Schülervertreter und Lehrer werden geschult, um anschließend als Mentoren an ihren Lehreinrichtungen wirken zu können. Durch den Heritage Lottery Fund werden weitere 6 Millionen Pfund bereitgestellt, um jungen Menschen einen Zugang zur Dimension des Krieges in ihrer unmittelbaren Heimat zu ermöglichen. Daneben wird das letzte britische Kriegsschiff des 1. Weltkriegs, die HMS Caroline, in Belfast restauriert und Besuchern zugänglich gemacht. Außerdem werden die Digitalisierung von Manuskripten und die Aufbereitung von Audio- und Videomaterial vorangetrieben und neue Museen, wie beispielsweise in Oxfordshire, eröffnet. Fußballspiele sollen in Erinnerung an die Verbrüderung feindlicher Soldaten an Weihnachten 1914 ausgetragen werden.

 

Camerons Reaktion auf den Vorwurf der Untätigkeit

Die Pläne, welche Cameron in seiner Rede bezüglich des Centenarys präsentierte, stellen sich demnach sehr umfassend und facettenreich dar. Dabei kam die Vorstellung des Gedenkmarathons gerade noch rechtzeitig, um dem aufkeimenden Vorwurf von Kritikern entgegenzutreten, wonach sich die Englische Führung im Bezug auf das Gedenken zu passiv verhalte. Die Regierung musste sich die Anschuldigung gefallen lassen, sich im Vergleich zu anderen Ländern nicht in gebührendem Maße für das nationale Gedenken stark zu machen. Cameron verdeutlichte dagegen in seiner Rede, dass die Koalition mit voller Kraft hinter den zahlreichen angekündigten Veranstaltungen stehen werde. Jede Ecke der britischen Inseln solle vom Gedenken erfasst werden. Um dies zu gewährleisten, sei es, wie eingangs erwähnt, überaus wichtig, die nationale Erinnerung zu einer Herzensangelegenheit zu machen. Um dies zu verdeutlichen sprach der englische Premier auch von seinen eigenen Verwandten und ihren Erlebnissen in den beiden Weltkriegen. Stets betonte er, dass Europa nach vorne sehen müsse, egal wie frustrierend die derzeitige wirtschaftliche Lage auch erscheinen mag.

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/804

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Heinz Duchhardt: Geschichtspolitik als „Aushandlungsprozess“


Über alle Epochen hinweg und von politischen Systemen jedweder Couleur wird Geschichte nicht nur als „Argument“ (so der Titel und Schwerpunkt des Münchener Historikertags 1996), sondern auch als „Waffe“ (so der Titel eines Buchs von Edgar Wolfrum) instrumentalisiert.

Geschichtspolitik – ein vergleichsweise junger, anfangs durchaus polemisch gebrauchter Neologismus, der auf die mittleren 1980er Jahre zurückgeht – ist wenigstens in den „westlichen“ Demokratien freilich immer ein „Aushandlungsprozess“, in dem auch die Presse, die Wissenschaft und medialen Vermittler von „Geschichte“, ja, alle gesellschaftlichen Kräfte ihren Platz haben.

Die Tendenz, Geschichte zu instrumentalisieren, verstärkt sich in Zeiten von Krisen, Brüchen und in Phasen, in denen es um die Neukonturierung von Identitäten geht (und gehen muss). In Einzelfällen kann das zu weitgehend neuen Geschichtsbildern einer politischen Einheit führen.

Versuche, Museen zum Vermittler von staatlicher/überstaatlicher Geschichtspolitik zu machen, stoßen immer an ihre Grenzen – Paradebeispiel sind die mehrfachen Versuche, ein „Europäisches Museum“ mit einer entsprechenden „Botschaft“ aus der Taufe zu heben.

Versuche, sich über Parlamentsbeschlüsse oder die Jurisdiktion von einem bestimmten Geschichtsbild bzw. Teilen von ihm zu distanzieren (im Sinn einer perhorreszierenden Geschichtspolitik), sind problematisch.

Ein neues Phänomen sind die Bemühungen einer supranationalen Organisation wie der Europäischen Union, über ihre verschiedenen Rahmenprogramme geschichtspolitisch aktiv zu werden und eine Art europäische Identität zu evozieren und zu kreieren. Auf der anderen Seite der Skala gilt es, die Geschichtspolitik von politischen Einheiten unterhalb der Nationalstaatsebene – also z.B. Bayern – im Auge zu behalten.

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Prof. Dr. Dr. h. c. Heinz Duchhardt ist Präsident der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland. Von 1994 bis 2011 war er Direktor des Instituts für Europäische Geschichte in der Abteilung für Universalgeschichte. Seine Forschungsschwerpunkte sind die internationalen Beziehungen in der Vormoderne, die Verfassungs- und Sozialgeschichte des Alten Reiches und die europabezogene Grundlagenforschung. Er ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz.

Quelle: http://gid.hypotheses.org/63

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Studientag in Sedan « Le Patrimoine de la Grande Guerre à Sedan et ailleurs. Quels enjeux? »

Denkmal auf dem Friedhof Saint-Charles in Sedan Im März 2012 gab die Stadt Sedan bekannt, das Deutsche Kriegerdenkmal in Sedan aufgrund seines schlechten Zustandes abreißen zu wollen. Daraufhin hatten mehrere französische und deutsche Historiker mit einem von Nicolas Offenstadt initiierten offenen Brief an die Stadtregierung gegen den Abriss protestiert.   In Anbetracht des bevorstehenden „Centenaires“ des Ersten Weltkrieges 2014 stellt sich die Frage, wie eine deutsch-französische Gedenkpolitik – die bislang weitgehend fehlt – zukünftig aussehen soll und wie Frankreich mit dem deutschen Kriegserbe umgehen will. Am 22. Juni werden daher mehrere französische und deutsche Historiker, darunter Antoine Prost, André Loez, Nicolas Offenstadt und Arndt Weinrich, in Sedan an einem Studientag zur Frage  « Le Patrimoine de la Grande Guerre à Sedan et ailleurs. Quels enjeux? » teilnehmen. Das Programm ist hier einzusehen: Sedan programme    

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/602

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Deutsches Denkmal in Sedan vor dem Abriss

Denkmal auf dem Friedhof Saint-Charles in Sedan

Das Denkmal auf dem Friedhof Saint-Charles in Sedan ist eine der letzten erhaltenen deutschen Gedenkstätten des Ersten Weltkriegs in den Ardennen. Das Kriegerdenkmal wurde im Jahr 1915 von deutschen Truppen erbaut und war Bestandteil eines Soldatenfriedhofes, der an den städtischen Friedhof angegliedert und nach Kriegsende aufgelöst wurde. Auf der Rückseite des Gebäudes, das mit seinen vier dorischen Säulen an ein antikes Bauwerk erinnert, stehen Namen gefallener Soldaten. Die Stadt Sedan hat kürzlich beschlossen, das Denkmal aufgrund seines baufälligen Zustandes abzureißen und an seine Stelle ein Ossarium zu setzen. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Gedenkfeierlichkeiten zum 100. Jahrestag – dem centenaire – des Kriegsausbruchs 1914 und des in diesem Rahmen vorgesehenen dt-frz. Programmes erscheint diese Entscheidung einigermaßen überraschend. Auf jeden Fall wirft sie ein Schlaglicht auf das weitgehende Fehlen einer dt-frz. “mémoire partagée” des Ersten Weltkriegs unterhalb der Ebene offizieller Sonntagsreden. Um den Abriss des Denkmals zu verhindern, hat eine Gruppe von französischen und deutschen Historikerinnen und Historikern auf Initiative von Nicolas Offenstadt einen offenen Brief an den Bürgermeister von Sedan geschrieben, in dem auf den besonderen kulturhistorischen Wert des Bauwerks hingewiesen wird. Eine Reaktion des Adressaten steht noch aus…

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/421

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Der „rapport Zimet“ zum Centenaire 2014 auf Deutsch

Das Grab des Unbekannten Soldaten unter dem Arc de Triomphe, Photo Michael Reeve, 29. Januar 2004

Im Rahmen der Gedenkfeiern zum 100. Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs wird es in Frankreich eine Fülle von Großveranstaltungen geben. Der „rapport Zimet“, ein vom Président de la République in Auftrag gegebener Bericht, schlägt für die Jahre 2014-2018 ein sehr umfangreiches Programm vor, über dessen Grundzüge hier bereits berichtet wurde. Der Bericht liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor und ist hier einsehbar. Rapport Centenaire – auf Deutsch  

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/359

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Der Centenaire 2014 und die deutsch-französischen Beziehungen

Das Grab des Unbekannten Soldaten unter dem Arc de Triomphe, Photo Michael Reeve, 29 Januar 2004

Die gedenkpolitischen Planungen zum 100. Jahrestag – dem centenaire – des Ersten Weltkriegs nehmen in Frankreich langsam Fahrt auf. Ein vom Président de la République in Auftrag gegebener Bericht, der “rapport Zimet”, schlägt für die Jahre 2014-2018 ein sehr ambitioniertes Großprogramm vor, in dessen Verlauf Zentralstaat und collectivités régionales gemeinsam des vierjährigen, totalen Krieges, der “Urkatastrophe” des 20. Jahrhunderts, gedenken wollen.

Der “rapport Zimet” – das offizielle Programm

Auf einzelne Aspekte des mittlerweile im Netz veröffentlichten und in seinen Grundzügen von den maßgeblichen Stellen (Präsident, Premierminister) abgesegneten Plans soll hier nicht weiter eingegangen werden. Die großen Linien sehen für das Jahr 2014 eine Reihe von zentralen und dezentralen Gedenkveranstaltungen vor: Eröffnung des Gedenkjahres durch ein Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs am 28. 6. 2014 in Sarajevo, einen 14 juillet im Zeichen des Ersten Weltkriegs mit u.a. der Uraufführung eines Requiems und einer großen Royal-de-Luxe-Inszenierung auf den Champs-Elysées. Am 31. Juli soll die Ermordung Jean Jaurès’ 1914 Anlass zu einer zentralen Gedenkveranstaltung geben, bevor am 2. August ein dezentraler Gedenktag an die Mobilmachung zu Beginn des Krieges erinnern wird. Einige Wochen später, im September 2014, wird dann der 100. Jahrestag der Marne-Schlacht gefeiert werden. Krönender Abschluss des offiziellen Programms soll dann am Onze Novembre die “panthéonisation de Maurice Genevoix”, also die Überführung der sterblichen Überreste des wohl emblematischsten frz. Schriftstellers der “génération du feu” sein.

Der auf diese Art und Weise angefachte “élan commémoratif” wird dann in den Jahren 2015-2017 durch die collectivités régionales weitergetragen werden, bevor 2018 dann der (Zentral-)Staat wieder stärker auf den Plan tritt. Diese Arbeitsteilung gehorcht sicherlich z.T. Budgetzwängen, spiegelt aber auch ganz entscheidend die starke regionale Verankerung der Erinnerungskultur in Frankreich wider, wo es insbesondere in den 13 départements, die im Ersten Weltkrieg von Kampfhandlungen unmittelbar berührt worden sind, eine Unmenge an lokalpolitischen bzw. zivilgesellschaftlichen Gedenkinitiativen gibt. So wird z.B. das Jahr 2016 ganz im Zeichen des Gedenkens an die Verdun- und die Somme-Schlacht stehen, ohne dass Paris hier eine federführende Position einzunehmen beabsichtigt.

3 Begleitprojekte

Parallel dazu, das umfangreiche Programm flankierend, sieht der Bericht drei größere Projekte vor, die wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und politische Akteure zusammenbringen sollen:

Zum einen ist angedacht, die Kriegsstammrollen (registres de matricules) der rund 8 Millionen frz. Soldaten im Ersten Weltkrieg zu digitalisieren und im open-access zur Verfügung zu stellen. Dieses Angebot käme zu den bereits jetzt frei verfügbaren Datenbanken zum Ersten Weltkrieg auf Mémoire des Hommes (Morts pour la France, Personnel de l’aéronautique militaire, Journaux des unités) hinzu und würde das Quellenangebot zum Ersten Weltkrieg substantiell erweitern.

Zum zweiten wird für 2016 die Klassifizierung des ehemaligen belgischen und französischen Frontgebietes als Weltkulturerbe vorangetrieben. Hier sind es wieder die 13 von 1914-1918 vom Krieg unmittelbar betroffenen départements, die in enger Zusammenarbeit mit belgischen Einrichtungen die Bewerbung bei der UNESCO vorbereiten. Frankreich und Belgien würden das dossier dann gemeinsam in die verantwortlichen Gremien einbringen. Ein Erfolg würde die weltweite Sichtbarkeit der ehemaligen Frontlinien signifikant erhöhen und, das gehört zu den eher unausgesprochenen Annahmen, das Tourismus-Aufkommen in den derart ausgezeichneten Gebieten deutlich erhöhen.

Darüber hinaus ist vorgesehen, eine Kommission einzusetzen, die sich mit der in Frankreich nach wie vor brisanten und subkutan politischen Frage der „Fusillés pour l’exemple“, d.h. der wegen „Feigheit vor dem Feind“ standrechtlich erschossenen frz. Soldaten, auseinandersetzt und Empfehlungen ausspricht, wie mit ihrem quer zum tendenziell harmonisierenden, offiziellen Gedenkdiskurs liegenden Schicksal umzugehen ist.

Die Bedeutung des Ersten Weltkriegs in Frankreich

Die Dimensionen des Jubiläums-Jahres 2014 führen die Bedeutung des Ersten Weltkriegs für Frankreich eindrücklich vor Augen. Es ist für deutsche Beobachter nicht unbedingt leicht nachvollziehbar, aber es ist so: der Erste Weltkrieg, jene vier Jahre, in denen sich Frankreich – so jedenfalls die vorherrschende Lesart – vereint und opferbereit den Herausforderungen der Weltgeschichte stellte, hat sich in den letzten 10-20 Jahren zum Ursprungsmythos des modernen Frankreich entwickelt.  La Grande Guerre hat damit im nationalen Symbolhaushalt der V. Republik eine Bedeutung erlangt, die mit der der französischen Revolution von 1789 durchaus vergleichbar ist. Dementsprechend verbindet sich mit dem centenaire eine klare geschichtspolitische Agenda. Anders als die problematische Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, ist die Erinnerung an 14-18 trotz aller Nuancen und Differenzierungen – Nicolas Offenstadt spricht zu Recht von der erstaunlichen „plasticité symbolique“, d.h. der symbolischen Viel- und Mehrdeutigkeit des Ersten Weltkriegs[1] – eine Sinnressource für die Gegenwart. Das gilt für das ganze politische Spektrum. Bei allen Unterschieden in Stil und Tonalität z.B. zwischen der Rede Nicolas Sarkozys  am Grab des Unbekannten Soldaten und der Ansprache seines sozialistischen Herausforderers Francois Hollande auf dem Soldatenfriedhof Saint-Thomas d‘Argonne am 11. November 2011, ist unverkennbar, dass beide im 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs eine herausragende Gelegenheit sehen, die nationale Einheit der Franzosen in der Kriegszeit in Szene zu setzen: „Cohésion nationale“, „rassemblement national“, „unité nationale“ sind z.B. immer wiederkehrende Schlagworte. Dass es dabei insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Krisenlage auch darum geht, durch die Würdigung der Opferbereitschaft vergangener Generationen die Bevölkerung in die Pflicht zu nehmen, den Herausforderungen der Zukunft tapfer und mit Selbstbewusstsein zu begegnen, liegt auf der Hand.

Es ist ganz entscheidend zu verstehen, dass das französische Interesse am Ersten Weltkrieg keinesfalls auf diese politisch-pädagogische Funktion reduziert werden kann. Die gedenkpolitischen Großinitiativen sind ganz im Gegenteil nur die Spitze des Eisbergs. Charakteristisch für die aktuelle Phase der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg ist vielmehr eindeutig das relative Übergewicht zivilgesellschaftlicher und regionaler bzw. lokaler Akteure. Impulse gehen weniger vom Zentralstaat aus, auch wenn dieser für die offiziellen Feierlichkeiten zuständig bleibt und z.B. über die DMPA (Direction de la Mémoire du Patrimoine et des Archives) im Ministère de la Défense eine Koordinierungs- und Finanzierungsfunktion ausübt, als von den Collectivités terrioriales, also den Kommunen, Départements und Régions, insbesondere – doch keinesfalls nur – im durch den Krieg besonders betroffenen Nordosten Frankreichs (Nord-Pas-de-Calais, Picardie, Champagne-Ardenne, Alsace und Lorraine). So entstanden z.B. das Historial de la Grande Guerre 1992 und aktuell das neue große Weltkriegs-Museum in Meaux aus lokalen Initiativen, die durchaus auch mit dem Hintergedanken, den tourisme de mémoire zu entwickeln, die Spuren des Krieges als Patrimoine culturel, also als schützenswertes Kulturgut, in Szene zu setzen beabsichtigen. Kulminationspunkt dieser Tendenz ist ohne Zweifel die bereits angesprochene Initiative, die Frontlinien von 1914-1918 von der UNESCO als Weltkulturerbe schützen zu lassen.

Ein weiterer wichtiger Anker der Weltkriegserinnerung in Frankreich sind die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Vereine und Verbände wie z.B. La Cavalerie dans la Bataille de la Marne, Les Amis de Vauquois, Soissonnais 14-18, Le Poilu de la Marne, Mémoire de la GG, Bleu horizon, die mit verschiedenen Zielsetzungen seit den 1980er, 1990er Jahren von Geschichtsinteressierten ins Leben gerufen wurden. Geht es vielen dieser Associations um den Erhalt der Schlachtfelder oder auch um den Erhalt ausgewählter monuments aux morts, organisieren andere Gedenkmärsche oder organisieren das Reenactment bestimmter Schlachten.

Der veritable „activisme 14-18“, den Nicolas Offenstadt in seinem sehr lesenswerten “14-18 aujourd’hui” beschreibt, kennt weitere Spielformen. Familiengeschichtliche Privatforschung, in diesem Zusammenhang teils in jahrelanger Kleinarbeit edierte Tagebücher und Feldpost, lokalgeschichtliche Initiativen und nicht zuletzt die seit den 1990er Jahren weiter zunehmende Thematisierung des Ersten Weltkriegs in Literatur, Film, Comic, Musik, etc. sorgen dafür, dass der Erste Weltkrieg in Frankreich anders als in Deutschland nicht nur „Geschichte“, sondern Gegenstand einer veritablen „pratique sociale et culturelle“[2] ist, die grassroot-Aktivismus und Gedenkpolitik, populäre und politische Erinnerungskultur gleichermaßen  durchdringt.

Internationalisierung des Gedenkens

So sehr das frz. Weltkriegsgedenken auch lokal, regional und nicht zuletzt national verankert ist, so wenig lässt sich im Europa des 21. Jahrhunderts eines Weltkrieges national gedenken. Von vornherein sieht der “rapport Zimet” daher systematisch die Internationalisierung der Gedenkveranstaltungen vor. Dabei wird angestrebt, nicht nur die ‚üblichen Verdächtigen’ aus Europa und Übersee einzubeziehen, sondern in größerem Maße als zuvor die globale Dimension des Krieges und seiner Konsequenzen abzubilden, so sollen z.B. die frz. Botschaften überall in der Welt ein Kulturprogramm entwerfen, das der Bedeutung des Krieges für das jeweilige Gastland Rechnung trägt. Eine große Bedeutung hat daher das Gedenken an die frz. Kolonialtruppen („tirailleurs sénégalais“) und die vielen außereuropäischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten (z.B. Chinese Labour Corps). Besonders eng wird die Zusammenarbeit in diesem Kontext auch mit denjenigen (westlichen) Ländern sein, für deren Nationalgeschichte der Erste Weltkrieg eine entscheidende Zäsur darstellt (Kanada, Neuseeland, Australien) und in denen die Vorbereitungen auf das Jahr 2014 z.T. schon sehr weit fortgeschritten sind.

Ein deutsch-französischer Kern

Unbenommen dieser globalen Dimension der Feierlichkeiten gehen die französischen Planungen aber von einem starken deutsch-französischen Kern aus, und in der Tat liegt es ja angesichts der historischen Feindschaft zwischen den beiden Ländern nahe, die Erfolgsgeschichte ihrer Aussöhnung und Annäherung als Ausgangspunkt für einen aufgeklärt-kritischen Blick auf die Vergangenheit zu nehmen. Der Erste Weltkrieg als Negativfolie, vor der die deutsch-französische Zusammenarbeit und darüber hinaus die europäische Integration in umso hellerem Licht erscheinen, dieser in vielerlei Hinsicht richtige und alternativlose Ansatz lag bereits den Feierlichkeiten zum Onze novembre 2009 zugrunde, als Merkel und Sarkozy gemeinsam am Grab des unbekannten Soldaten in Paris der Toten des Ersten Weltkriegs gedachten.

Im « rapport Zimet » liest sich das so: « C’est main dans la main avec l’Allemagne, partenaire, depuis cinquante ans, d’une réconciliation historique et de l’édification d’une Europe pacifique, qu’elle devra être racontée et commémorée. » Oder an anderer Stelle : « Cette parole franco-allemande sur la mémoire de la Grande Guerre sera déterminante pour travailler entre Européens autour de l’héritage commun de la Première Guerre mondiale, (…). La création d’un socle mémoriel et culturel franco-allemand solide et confiant sera déterminant pour la réussite du Centenaire. »[3] Mit anderen Worten : der Gedenk-Kooperation mit der Bundesrepublik Deutschland wird tendenziell ein höherer Stellenwert beigemessen als dem gemeinsamen Gedenken mit dem Kriegsverbündeten Großbritannien! Gerade im Lichte der aktuellen Krise erwartet die französische Seite ein starkes Signal, das dem Willen Deutschlands, sich der europäischen Integration weiter zu verschreiben, symbolisch Ausdruck verleiht.

Der Erste Weltkrieg in Deutschland

Nun ist es mit Symbolen und ihrer politisch gewollten transnationalen Übertragung und Instrumentalisierung so eine Sache. Abgesehen davon, dass die politische Kultur der Bundesrepublik sich insgesamt – jedenfalls verglichen mit Frankreich – mit symbolischer Kommunikation schwer tut, erschwert im konkreten Fall eine fundamental andere Beziehung zum Ersten Weltkrieg nicht nur die Formulierung einer deutschen Position, sondern viel grundsätzlicher das Verständnis für die französischen Erwartungen.

Ein kurzes Beispiel stehe hier pars pro toto für die stabile Asymmetrie in der Wahrnehmung der Jahre 1914-1918: Als am 12. März 2008 Lazare Ponticelli, der letzte französische Kriegsteilnehmer starb, war das allen französischen Tageszeitungen eine Meldung auf der Titelseite wert. Fünf Tage später, am 17. März, fand im Invalidendom in Paris eine offizielle Trauerfeier statt, die live im Fernsehen (TF1, France 2) übertragen wurde. Der Président de la République hielt eine Rede, hochrangige Repräsentanten des frz. Staates erwiesen dem Toten die letzte Ehre. Landesweit wurde der Schulunterricht für eine Schweigeminute unterbrochen und die Lehrer wurden per ministeriellem Erlass dazu aufgefordert, den jungen Franzosen und Französinnen Leben und Leistung des Verstorbenen in Erinnerung zu rufen. Mit dem letzten der „derniers poilus“, wie die französische Öffentlichkeit die letzten Veteranen des Ersten Weltkriegs mit einer Mischung aus Respekt, Ehrfurcht und Zuneigung in den letzten Jahren ihres Lebens genannte hatte, nahm Frankreich ganz offensichtlich von einem wichtigen Symbol, ja einem Kristallisationspunkt der nationalen Identität Abschied. Die besondere Stellung die Ponticelli, Louis de Cazenave und Jean Grélaud, die drei letzten poilus, als Orientierungspunkte, ja als „sages“, als Weise, in den 2000er Jahren eingenommen haben, ist in diesem Zusammenhang deswegen besonders interessant, weil sie auf eine manifeste Leerstelle verweist. Der letzte deutsche Kriegsteilnehmer nämlich, sofern man den angesichts der ungleich schwierigeren Quellenlage überhaupt sicher sein kann, dass er der letzte gewesen ist, der nur wenige Wochen vor Ponticelli starb, Erich Kästner, starb von der deutschen Öffentlichkeit unbemerkt und ohne jedwede Reaktion von offizieller Seite.

Ein deutsch-französischer Vergleich soll hier nicht weitergeführt werden. Es genügt, die Reden Merkels und Sarkozys unter dem Arc de Triomphe vom November 2009 zu lesen, um zu verstehen, wie sehr deutscherseits der Holocaust und die Schrecken des Dritten Reichs als negativer Ursprungsmythos der Bundesrepublik den Ersten Weltkrieg weitgehend aus dem kollektiven Bewusstsein verdrängt haben. Dies heißt nicht, dass von Seiten der Geschichtswissenschaft oder in der Museumslandschaft nicht ein reges Interesse am Ersten Weltkrieg bestünde. Großprojekte wie 1914-1918-online oder Europeana 1914-1918 belegen ganz im Gegenteil, dass sich in diesem Bereich sehr viel tut. Nur haben wir es hier mit einem eher akademischen, allgemein historischen Interesse an den Jahren 1914-1918 zu tun.  Für Symbolik und Selbstverständnis der Bundesrepublik und in der politischen Kultur Deutschlands insgesamt spielt der Erste Weltkrieg dagegen überhaupt keine Rolle.

Fazit

Diesen deskriptiven Befund muss man wertfrei zur Kenntnis nehmen. Die offensichtlich differente Erinnerung an den Ersten Weltkrieg wirft letztlich ein Schlaglicht auf das Nicht-Vorhandensein einer mémoire collective européenne, und daran wird sich auch auf mittlere Sicht nichts ändern, was auch nicht weiter schlimm ist. Eine größere Sensibilität von deutscher Seite für die Erwartungen des Partners Frankreich kann aber gleichwohl helfen, manche Irritation zu vermeiden. Der 100. Jahrestag der „Urkatastrophe“ Europas bietet die Chance, die dauerhafte Pazifizierung Europas zu feiern und von deutscher Seite ein symbolisch starkes Bekenntnis zu den deutsch-französischen Beziehungen und zur europäischen Integration abzulegen. Dass dies vor dem Hintergrund eines in den letzten Wochen und Monaten keinesfalls nur in Frankreich massiv zunehmenden antideutschen Sentiments wünschenswert wäre, scheint jedenfalls kaum bestreitbar.

 

 

 


[1] Nicolas Offenstadt: 14-18 aujourd’hui. La Grande Guerre dans la France contemporaine, Paris 2010, S. 154.

[2] Offenstadt, S. 8.

[3] Rapport Zimet, S. 10, 24.

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/143

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