China-Comics: Yang, “Boxers” and “Saints”

Gene Luen Yang, der einem breiteren Publikum vor allem durch American Born Chinese bekannt wurde, legt mit Boxers & Saints eine zweibändige/zweiteilige Graphic Novel vor, die sich mit der Situation in China im späten neunzehnten Jahrhundert beschäftigt. Boxers & Saints wurde überwiegend positiv besprochen[1] und ist Anwärter für zahlreiche Preise. Jeder der Bände kann für sich gelesen werden, im Zusammenspiel ergeben sich zahlreiche neue Facetten. – was schon die Einbandgestaltung andeutet: Das Cover von Boxers zeigt im Hintergrund Qin Shihuangdi und die Hälfte des Gesichts von Little Bao, das Cover von Saints zeigt die Hälfte des Gesichts von Four-Girl und im Hintergrund Jeanne d’Arc – legt man die Bände nebeneinander, ergibt sich ein geteiltes ‘chinesisches’ Gesicht. Der Band Boxers erzählt die Geschichte von Little Bao, einem Jungen aus einem kleinen Dorf in “Shan-tung” [Shandong 山東], der ein Anfüher der Yihetuan 義和團 wurde. Der Band Saints erzählt die Geschichte von Four-Girl, einem Mädchen aus demselben dorf, die Christin wird, den Namen ‘Vibiana’ trägt und eine Art Jeanne d’Arc zu werden hofft.

Boxers schildert in Episoden die Zeit zwischen 1894 und 1900 – Kontakte zwischen Landbevölkerung und katholischen Missionaren, die die lokalen Götter zerschlagen, die Übergriffe von ausländischen und mandschurischen Soldaten, das Leben in den von Überschwemmungen und Dürren geplagten Dörfern, das Auftreten der ‘Boxer’ und den Weg von Little Bao in die Bewegung, den Sommer 1900 in Beijing. Eingeschoben sind Szenen mit Figuren aus dem traditionellen chinesischen Singspiel ["Pekingoper"] und imaginierte Dialoge mit Qin Shihuangdi, dem ersten Kaiser von China.

Boxers & Saints. Boxed Set

Quelle: macmillan

Saints beschreibt in Episoden das Leben von Four-Girl von ihrem 8. Lebensjahr bis zum 15. Lebensjahr. Das Mädchen, das keinen Individualnamen hat, sondern, da es das vierte Kind der Familie ist, einfach bei der Nummer genannt wird, ist in der Familie Außenseiterin. Ein eher zufälliges Zusammentreffen mit einem Arzt bringt sie in Kontakt mit dem Christentum und einem katholischen Missionar. Das Mädchen lernt mehr und mehr über die Religion und lässt sich taufen. Als der Missionar versetzt wird, schließt sich Four-Girl/Vibiana ihm an. Wie zahlreiche chinesische Christen wird sie Ziel der Angriffe der ‘Boxer’. So wie Little Bao den ersten Kaiser und die Helden des Musiktheaters sieht, sieht Four-Girl/Vibiana Jeanne d’Arc, die sie quasi leitet.

Der Anspruch des Verfassers, “[to lay] bare the foundations of extremism, rebellion, and faith”((Text auf der Schachtel des “boxed sets”)) erscheint sehr hoch; Boxers & Saints erscheint eher verworren denn vielschichtig. Fiktion und historisch Fassbares wird mit ‘Pekingoper’-Kitsch und weichgezeichneten Kreuzzugs-Szenen vermischt.[2]  ‘Die Chinesen’ sprechen verständlich, der Text in den Sprechblasen ist lesbar, ‘die Ausländer’ bleiben unverständlich – in den Sprechblasen finden sich merkwürdige Krakel, die ihttp://de.wikipedia.org/wiki/Grasschriftrgendwie an Grasschrift erinnern.

Wie Alan Baumler, der Boxers & Saints im Unterricht einsetzte und darüber berichtete[3], anmerkte, sind Kampfszenen – die in Boxers & Saints häufig vorkommen – nicht unbedingt eine Stärke von Gene Luen Yang. Sie wirken schablonenhat und wenig variantenreich, der Funke, der die Handlung vorantreibt, will nicht so recht überspringen.
Yang betreibt Schwarz-Weiß-Malerei. Es bleibt allerdings offen, was/wer ‘schwarz’ (Täter, Aggressor) und was/wer ‘weiß’ (Opfer) ist. Sind ‘die Missionare’, die Götterstatuen zerschlagen, böse? Oder gehören sie, die sich um arme und unterdrückte Chinesen kümmern, zu den ‘Guten’? Sind ‘die chinesischen Christen’ Verräter, die bestraft werden dürfen/müssen – oder sind sie Hoffnung für ein ‘neues’ China? Sind ‘die Mandschu’ böse?

Aber vielleicht geht es nur mir so, weil mir das Thema vertraut ist?[4] Weil ich die Hintergründe kenne? Weil mir Forschungsansätze (1900-2014) geläufig sind? Vielleicht sollte man Graphic Novels anders lesen?

 

Gene Luen Yang/Lark Pien: Boxers & saints : boxed set
(New York : First Second, 2013)
ISBN: 978-1-59643-924-5.

  1. Z.B.: Wesley Yang, “Views of the Rebellions” (The New York Times, Sunday Book Review, October 11, 2013) -  unter “Children’s Books”(!) und in der Washington Post (October 8, 2013).
  2. Die Visionen – sowohl die, in denen Götter und der erste Kaiser auftreten, als auch die, in denen Jeanne d’Arc erscheint – sind farbig gestaltet, der Rest der Bände ist überwiegend schwarz/weiß gehalten.
  3. Alan Baumler: “Boxers and Saints” auf Frog in a Well am 7. Februar 2014. Zu Boxers & Saints gibt es auch einen Teachers’ Guide (oder direkt zum pdf).
  4. Georg Lehner/Monika Lehner: Österreich-Ungarn und der “Boxeraufstand” in China (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 6; Innsbruck : StudienVerlag, 2002.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1417

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