Ein “Napoleonhasser”?! – Zweiter Beitrag zur Blogserie Theodor von Hallberg-Broich

Von Martin Otto Braun

Zweiter Beitrag zur Blogserie “Der adlige ‘Eremit’ Theodor von Hallberg Broich und der Erfolg einer konstruierten Familiengeschichte”.

Die im vorherigen Beitrag der Blogserie erwähnten jüngeren Biographien Theodor von Hallberg-Broichs schöpfen für die erste Lebenshälfte aus den bereits im 19. Jahrhundert erschienenen Werken des mit Hallberg vertraulichen Umgang pflegenden Johannes Gistel sowie des hallbergschen Enkels Baron Matthias von Künßberg-Thurnau.1 Viele Angaben zum Verhältnis des Freiherrn zu Napoleon bzw. des Franzosen, stammen somit aus dem direkten Umkreis Hallbergs. Sie sind auf ihren Wahrheitsgehalt bislang nur selten anhand von archivalischen Quellen überprüft worden.

Objekt des Hasses? Napoleon auf dem Kaiserthron in einer Darstellung Jean Dominique Ingres' (1780-1867) (Bild: Jean Auguste Dominique Ingres [Public domain], via Wikimedia Commons).
Objekt des Hasses? Napoleon auf dem Kaiserthron in einer Darstellung Jean Dominique Ingres’ (1780-1867) (Bild: Jean Auguste Dominique Ingres [Public domain], via Wikimedia Commons).

Bereits Wolter von Egan-Krieger zweifelte in seiner 2007 erschienenen Biographie des „Eremiten“ den Wahrheitsgehalt der Aussagen Gistels an.2 Die archivalischen Bezugspunkte seiner Hallberg-Biographie entstammen unter anderem dem Geheimen  Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin und bayerischen Kommunalarchiven.

Trotz seiner Quellenfunde umreißt Egan-Krieger bereits im Vorwort die Schwierigkeit sich der historischen Person des Freiherrn zu nähern:

„Innerhalb meiner Recherchen habe ich zwar manches Dunkel im Lebenslauf Hallbergs zu lichten vermocht […], – ein überzeugendes Gesamtbild von ihm zu zeichnen gelang mir allerdings nicht. […] So gibt es so gut wie keine Aufzeichnungen über die ersten vier Jahrzehnte seines Daseins, dafür erstickt man förmlich in Selbstzeugnissen des Fünfzig- bis Siebzigjährigen.“3

Erzfeind Napoleon

Dieser Hinweis ist umso bemerkenswerter, als sich alle Hallberg-Biographen bis in die Gegenwart hinein in einem Punkt vollkommen einig sind: Theodor von Hallberg-Broich gilt als erbitterter Gegner Frankreichs und „Napoleonhasser“.4

Seine Biographen machen diese Feindseligkeit unter anderem an Theodor von Hallberg-Broichs Tätigkeit als Organisator und Anführer des bergischen Landsturms in den Befreiungskriegen der Jahre 1813 bis 1815 fest. In diesem Zuge wird ihm zugeschrieben, als erster mit seinen Truppen den Rhein bei Koblenz überschritten zu haben.5 Hallberg-Broich habe hierbei nicht nur den militärischen Rang eines „Feldobristhauptmanns“ erlangen können, sondern sei schließlich auch zum „Generalmarschcomissärs der kaiserlich russischen Truppen“ ernannt worden.6 Dass es sich zumindest bei Hallbergs angeblichem Rheinübergang und seinem Titel eines „Feldobristhauptmanns“ um eine von ihm selbstersonnene Legende handelte, hat bereits eine Untersuchung Helge Göhrings gezeigt.7 Doch auch für die Zeit vor den Befreiungskriegen ist – gerade vor dem Hintergrund der erwähnten Quellenlücken – Skepsis angebracht.

Portrait des Zoologen Johannes von Nepomuk Franz Xaver Gistel (1809-1873) (Bild: von Unbekannt (http://hbs.bishopmuseum.org/dipterists/dipt-g.html) [Public domain], via Wikimedia Commons).
Portrait des Zoologen Johannes von Nepomuk Franz Xaver Gistel (1809-1873) (Bild: von Unbekannt (http://hbs.bishopmuseum.org/dipterists/dipt-g.html) [Public domain], via Wikimedia Commons).

So gibt der früheste Hallberg-Biograph, Künßberg-Thurnau zum Ende seiner „Biographischen Skizzen“ an, dass Theodor von Hallberg 1785 eine Leutnants-Stelle im „General-Campranaischen Infanterieregiment“ in Jülich innegehabt und im Jahre 1793 – dem Todesjahr seines Vaters – seinen Abschied als kurbayerischer Hauptmann erhalten habe.

Hiernach sei Hallberg-Broich nach Amerika gereist. Nach einer unglücklich endenden Liebschaft mit einer englischen „Lady Stuart“ habe sich Hallberg-Broich auf seine Güter in die Rheinprovinzen zurückbegeben und dort ein „höchst einsiedlerisches Leben“ geführt, wobei er mit der „politischen Lage Deutschlands und Frankreichs“ beschäftigt gewesen sei.8 Interessanter als dies scheint bei Künßberg-Thurnau jedoch die Reaktion des Freiherrn auf den 2. Koalitionskrieg (1799–1800),9 der Hallberg-Broich offenbar schlagartig aus der zuvor beschriebenen Lethargie riss:

„Endlich rückten die Franzosen an den Rhein und Hallberg machte dem damaligen Churfürsten von Köln, einem österreichischen Erzherzog, den Vorschlag das Volk zu bewaffnen und damit Napoleon I. zu bekriegen. Da man dieses nicht begreifen konnte, so reiste Hallberg nach Wien, (1800) nahm Audienz bei Kaiser Franz II. welchem er seinen Vorschlag überreichte. Nachdem ihn der Kaiser zu lesen angefangen hatte, verabschiedete er den Hallberg mit den Worten: ‚Das verstehen wir nicht.‘ Hallberg, welcher sich jedoch mit dieser Antwort nicht zu begnügen schien, suchte anderweitig seine Ideeen (sic!) durchzuführen, bis er endlich in den Narrenthurm eingesperrt wurde, um von seinen Ansichten geheilt zu werden. Nach acht Tagen wurde er hieraus entlassen, nachdem er während diesem Zeitraume seine Ansichten widerrufen hatte.“10

Ruhe vor dem Sturm?

Nach der oben erwähnten Episode war das patriotische Feuer bei Hallberg-Broich jedoch offenbar erloschen, denn überraschenderweise berichtet Künßberg-Thurnau über eine mehrjährige Wanderschaft des Freiherrn durch die deutsch-österreichischen Provinzen, die Schweiz, Ungarn und Siebenbürgen.11

Titelbild aus Johanns Gistels “Leben des preußischen General’s Freiherrn Theodor von Hallberg-Broich, genannt “Eremit von Gauting”, Berlin 1863 (Bild: Von Ferdinand Freiherr von Lütgendorff-Leinburg (1785-1858) [Public domain], via Wikimedia).
Titelbild aus Johanns Gistels “Leben des preußischen General’s Freiherrn Theodor von Hallberg-Broich, genannt “Eremit von Gauting”, Berlin 1863 (Bild: Von Ferdinand Freiherr von Lütgendorff-Leinburg (1785-1858) [Public domain], via Wikimedia).

Erst nach dieser „Ruhephase“ führt der Biograph einen ausführlichen Hinweis an, der von weiteren Aufstandsplänen Hallberg-Broichs gegen Napoleon zeugen soll:

„‚Vertraute Briefe über die inneren Verhältnisse am preußischen Hofe seit dem Tode Friedrich II.‘ Amsterdam und Cöln 1808, enthalten im Bande III auf pag. 311 folgendes: ‚Um diese Zeit (1806) war es, als einer der thätigsten Patrioten unseres Landes der Herr von Hallberg-Broich dem Könige einen Plan zu einem allgemeinen Aufgebote darlegte. (…) Förster und Förstersöhne, aller herrschaftlichen Jäger der Städte, wie des Landes waren erlesen, das Schützenkorps dieses allgemeinen Aufstandes zu formieren, – aber es erhielt die königliche Sanction nicht (nur ein großer Aufstand konnte Preußen 1806 sowie Frankreich 1792 retten) – und kurz darauf als der Feind die Weichsel passiert hatte, sich uns eilig näherte, und alles vor sich her zurückdrängte, da war der Zeitpunkt vielleicht verschwunden‘.“12

Das Zitat verliert an Tragkraft, wenn man sich die Mühe macht, es im Original zu überprüfen. Hier steht an Stelle des bei Künßberg-Thurnau ausgeschriebenen „Herr von Hallberg-Broich“ lediglich die Abkürzung „H. v. H. B.“.13 Diese Initialen stimmen zwar durchaus mit dem Namenszug Hallberg-Broichs überein, eine eindeutige Aufschlüsselung des Namens wird im Original jedoch nicht gegeben.14 Dass es sich hierbei tatsächlich um Theodor von Hallberg-Broich gehandelt hat, ist somit nicht eindeutig nachweisbar.

Verhaftung und Einkerkerung

Anders verhält es sich mit der historischen Belegbarkeit eines weiteren Ereignisses, das bei von Künßberg-Thurnau unmittelbar auf die Pläne zum Aufstand von 1806 folgt. Der Biograph berichtet von einer willkürlichen Verhaftung Hallberg-Broichs durch französische Soldaten, die ihn über 36 Gefängnisstationen nach Paris transportierten. Matthias von Künßberg-Thurnau gibt eine Haftzeit des Freiherrn von Hallberg-Broich von insgesamt acht Monaten an, wobei der Delinquent starkes körperliches und seelisches Leid zu ertragen gehabt habe.

Während dieser Zeit soll Theodor von Hallberg-Broich immer wieder vergeblich Briefe aus dem Gefängnis an Napoleon geschrieben haben, um diesen um ein Verhör zu bitten. Aber nur ein Gnadengesuch seiner Mutter bei Kaiserin Josephine habe Hallberg-Broich – ohne vorheriges Verhör – schließlich aus der Haft befreit. Erst hiernach erfährt der Leser den Grund für Hallberg-Broichs Inhaftierung: „Hallberg war beschuldigt worden, an dem von einer Räuberbande ausgeübten Morde Theil genommen zu haben.“15

Fassen wir also zusammen: Hallberg war ein zwar unschuldig wegen Mordes inhaftierter, aber dennoch fanatischer Feind Napoleons. Saß Hallberg also aufgrund seiner vorangegangenen Aufstandspläne in Haft? Wohl kaum… Eine näheren Betrachtung der zeitgenössischen Quellen soll hierzu im nächsten Beitrag Auskunft geben.

Anmerkungen:

1 Künßberg-Thurnau gibt in seiner Schrift die Verwandtschaft ausdrücklich als Grund an, weswegen der Leser seine unparteiische Stellung bezweifeln könnte. Deswegen, so Künßberg-Thurnau, habe er sich weitestgehend darauf beschränkt, nur eigene Schriften Theodor von Hallberg-Broichs wiederzugeben. Siehe Matthias von Künßberg-Thurnau, Kriegsgeschichten, Reisen und Dichtungen. Aus den Papieren des Herrn Freiherrn von Hallberg-Broich (Eremit von Gauting), Landshut 1862, Vorrede (ohne Seitenangabe).

2 In seiner Biographie kann Egan-Krieger bereits kritisch auf einige Unklarheiten in den Angaben Gistels verweisen, wie etwa den Fenstersprung von Hallbergs zweiter Ehefrau Karoline, den der “Eremit” angeblich als Liebesbeweis von ihr verlangt haben soll. Quellenmäßige Belege lassen sich für diese Anekdote – wie auch für andere – nicht finden. Egan-Krieger vermutet den Grund für die Erwähnung solcher Anekdoten in der von Gistel geschriebenen Hallberg-Biographie in privaten Zwistigkeiten der beiden. Das freundschaftliche Verhältnis zwischen Gistel und Hallberg sei, laut Wolter von Egan-Krieger, um das Jahr 1836 beendet worden. Grund für das Zerwürfnis war, laut Egan-Krieger, die in einer Gesellschaft stattgefundene Verlesung eines von Gistel geschriebenen Lobgedichts auf Napoleon I. Hallberg-Broich, „maßlos in seinem Hass gegenüber dem einstigen französischen Imperator“, habe nach der Verlesung wutentbrannt die Gesellschaft verlassen und die freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden seien hierauf eingeschlafen. Im Vorwort seiner Studie verweist Egan-Krieger daher explizit auf die Unvereinbarkeit der Aussagen Gistels mit den hinterlassenen Papieren von Theodor von Hallberg-Broich und die große konservierende Bedeutung, die in diesem Zusammenhang der Schrift Matthias von Künßberg-Thurnaus zukomme. Zu allen Angaben vgl. Wolter von Egan-Krieger, Zwischen Weitsicht und Widersinn: Theodor Freiherr von Hallberg-Broich – Eine Lebensbeschreibung, Norderstedt 2007, S. 9–11 und S. 262–273.

3 Egan-Krieger 2007 (wie Anm. 2), S. 11.

4 Exemplarisch sei hier nur ein Aufsatz Schröders aus dem Jahr 1913 angeführt, der in der Zeitschrift “Der Niederrhein” unter dem Titel “Ein Napoleonhasser. Zur Erinnerung an Freiherrn von Hallberg Broich” erschien und auf den sich die Überschrift dieses Blogsposts bezieht. Siehe [Vorname unbekannt] Schröder, Ein Napoleonhasser. Zur Erinnerung an Freiherren von Hallberg-Broich, in: Der Niederrhein – Monatsschrift für Heimatkunde und Heimatpflege, Heft 1 (1913).

5 Zur angeblichen Überschreitung des Rheins während der Befreiungskriege siehe Künßberg-Thurnau 1862 (wie Anm. 1), S. 179; Johannes Gistel, Leben des preußischen General’s Freiherrn von Hallberg-Broich, genannt Eremit von Gauting, Berlin 1863, S. 30.

6 Vgl. Künßberg-Thurnau 1862 (wie Anm. 1), S. 179–180; Gistel 1863 (wie Anm. 5), S. 30–33; Werner Bülow, Der Eremit von Gauting – Theodor Freiherr von Hallberg-Broichs Leben, Ansichten und Reisen, Rosenheim 1991, S. 24–26; Egan-Krieger 2007 (wie Anm. 2), S. 40–47. Zur Tätigkeit von Hallberg-Broichs für den bergischen Landsturm liegen im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen (seit 05.05.2014 Duisburg) Akten vor, die Aufschluss über die Organisation der Truppe bzw. Hallbergs Wirken geben. Siehe: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen – Abteilung Rheinland, Generalgouvernement vom Nieder- und Mittelrhein, Formation der Bürgermiliz, Nr. 472–474; Landesarchiv Nordrhein-Westfalen – Abteilung Rheinland, Generalgouvernement Berg, Organisation der Landespolizei in Verbindung mit dem Landsturm als Polizeimiliz, Nr. 1884; Landesarchiv Nordrhein-Westfalen – Abteilung Rheinland, Generalgouvernement Berg, Frühlingsmanöver des Landsturms Siegburg am 7. März 1815 (Einladung durch Feldobristhauptmann Freiherr von Hallberg), Nr. 1490.

7 Helge Göhring zitiert zum Beweis einige Stellen aus den in Fußnote 6 angegebenen Akten. Siehe Helge Göhring, Der tolle Hallberg auf Haus Attenbach – Legende und Wirklichkeit eines Sonderlings zur Zeit des Bergischen Landsturms, in: Heimatblätter des Rhein-Sieg-Kreises, Jg. 59 (1991), S. 148–157.

8 Zu sämtlichen Angaben siehe Künßberg-Thurnau 1862 (wie Anm. 1), S. 174–175.

9 Zur Geschichte Jülichs in französischer Zeit siehe Vorstand des Jülicher Geschichtsvereins in Verbindung mit dem Stadtgeschichtlichen Museum Jülich (Hrsg.), Julier – France: Jülich in Frankreich 1794–1814 (=Jülicher Forschungen, Heft 3 = Führer des Stadtgeschichtlichen Museums Jülich, Nr. 5), Jülich 1994. Dass er sich zumindest kurzfristig nach der Einnahme Jülichs durch die Franzosen am 3. Oktober 1794 noch in Koblenz aufgehalten und diese Abwesenheit auch den Franzosen ordnungsgemäß mitgeteilt hatte, hat Schröder in seinem Aufsatz von 1913 festgestellt. Vgl. Schröder 1913 (wie Anm. 4), S. 127.

10 Künßberg Thurnau 1862 (wie Anm. 1), S. 175.

11 Wolter von Egan-Krieger vermutet, dass Hallberg-Broich aufgrund des drastischen Misserfolgs seiner ersten Aufstandspläne weitere zurückgestellt habe. Er bezweifelt jedoch den „Urlaubscharakter“ der Reise. Vgl. Egan-Krieger 2007 (wie Anm. 2), S. 24-25. Ob die Reise überhaupt stattgefunden hat, ist zu bezweifeln.

12 Zitiert nach Künßberg-Thurnau 1862 (wie Anm. 1), S. 175-176.

13 Friedrich von Coelln, Vertraute Briefe über die innern Verhältnisse am Preußischen Hofe seit dem Tode Friedrichs II., Bd. III, Amsterdam und Köln 1808, S. 352.

14 Wolter von Egan-Krieger zitiert zwar offenbar die Original-Schrift, da er die Abkürzung verwendet, scheint in der Aufschlüsselung, die bei ihm der Abkürzung in eckigen Klammern folgt, jedoch von Matthias von Künßberg-Thurnaus Schrift beeinflusst. Vgl. Egan-Krieger 2007 (wie Anm. 2), S. 26.

15 Künßberg-Thurnau 1862 (wie Anm. 1), S. 176.

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/617

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