Varus und Ben Hur – ein update

Was bewirken die Aktivitäten in runden Jahren des historischen Erinnerns? Welchen - neudeutsch formuliert - impact haben Ausstellungen, Dokufictions, Themenhefte und Sachbücher zum jeweiligen Ereignis? Zumal dann, wenn dieses so weit entfernt liegt, zeitlich wie mental, daß von einem ‘Gedenken' nicht gesprochen werden kann und auch der Begriff ‘Jubiläum' unpassend erscheint? Die Varusschlacht war so ein Ereignis: lange her, wissenschaftlich strittig, schwer...(read more)

Quelle: http://faz-community.faz.net/blogs/antike/archive/2012/10/08/varus-und-ben-hur-ein-update.aspx

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Varus und Ben Hur – ein update

Was bewirken die Aktivitäten in runden Jahren des historischen Erinnerns? Welchen – neudeutsch formuliert – impact haben Ausstellungen, Dokufictions, Themenhefte und Sachbücher zum jeweiligen Ereignis? Zumal dann, wenn dieses so weit entfernt liegt, zeitlich wie mental, daß von einem ‘Gedenken’ nicht gesprochen werden kann und auch der Begriff ‘Jubiläum’ unpassend erscheint? Die Varusschlacht war so ein Ereignis: lange her, wissenschaftlich strittig, schwer anschaulich zu machen und vor allem ohne größeres Emotionspotential – wem würde es heute noch einfallen, sich mit einer der beiden ‘Seiten’ oder gar einem der Hauptakteure zu identifizieren? Rainer Wiegels, emeritierter Althistoriker an der Universität Osnabrück, hat kürzlich in seinem Beitrag zu einem etwas disparaten Sammelband mit Recht darauf hingewiesen, warum aus der Varusschlacht doch noch Funken schlagen, wenn auch in einem durchaus begrenzten Rahmen: „Dem einstigen Bemühen um sichtbare Vergegenwärtigung einer historischen Tat, die zum ‘Wendepunkt der Geschichte’ erklärt wurde, und einer zum nationalen Helden erklärten Gestalt mittels nachvollziehbarer und dauerhafter Symbolik in Denkmal oder künstlerischer Verklärung entsprach dasjenige um die Fixierung des Ortes der Schlacht. Es korrespondiert(e) zudem mit der bekannten Neigung, wichti­ge oder als wichtig erachtete historische Vorgänge mit einem epochalen Ereignis und Datum wie einer entscheidenden Schlacht sowie mit einem konkreten Ort zu verbin­den, sie also zeitlich und räumlich gewissermaßen »auf den Punkt« zu bringen. Wie keine noch so gelungene Nachbildung eines Originals die Faszination des Authenti­schen zu ersetzen vermag, so lädt das Wissen um das »Hier« eines geschichtlichen Ereignisses Ort und Region mit dem Faszinosum von Ursprünglichkeit und Einma­ligkeit auf und umgibt sie mit einer Aura des Bedeutungsvollen, ohne damit notwen­digerweise zur Gedenkstätte zu werden.”

Jedenfalls hat das ‘Varusjahr’ 2009 eine große Zahl von Publikationen hervorgebracht, allen voran der dreibändige Katalog zu den Ausstellungen in Haltern, Kalkriese und Detmold, daneben einige Überblicksdarstellungen. All diese Werke hat kürzlich Dieter Timpe in einem umfangreichen Aufsatz eindringlich besprochen und eigene, weiterführende Überlegungen zum historischen ‘Ort’ der Varusschlacht in ihrer Zeit und im Rahmen der Politik des Imperium Romanum vorgetragen. Timpe spricht von einer „erstaunlich regen Beschäftigung mit diesem fernen, dramatischen und folgenreichen Geschehen” und steckt das Feld möglicher Erklärungen in Frageform ab: „Was erklärt im Zeitalter medial gesteuerter Moden und autonomer Forschungsprozesse ein so breitgestreutes Interesse an der clades Variana? Verdankt es sich anerkannter historischer Bedeutung des Schlachtereignisses oder vielmehr dessen strittiger Beurteilung? Dem alten Hermannskult oder eher der Distanzierung von nationalgeschichtlichen Kontinuitätsvorstellungen? Einem festen Besitz des historischen Bewusstseins, der Faszination sensationeller Bodenfunde oder nur dem äußeren Anlass des Bimillenium? Nicht zufällig geben die neuen Publikationen auf solche Fragen keine eindeutige Antwort. Denn der geschichtliche Vorgang des Jahres 9 n. Chr. ist von jeher in einigem Maße ambivalent und für unterschiedliche Deutungen offen: Als Kampfgeschehen verhältnismäßig reich bezeugt, bleibt er doch nach Ursache und geschichtlicher Tragweite umstritten1; allein aus römischer Sicht überliefert, gewann er die größte Nachwirkung als deutscher Nationalmythos, der nach 1945 Gegenstand anhaltenden selbstkritischen Umdenkens wurde; aus naheliegenden Gründen bis in die Gegenwart nicht sicher lokalisierbar, hat er gleichwohl die magische Kraft eines Gedächtnisortes gewonnen, dem die archäologische Forschung nun immer mehr dingliche Anschaulichkeit abringt, aber auch technische Nüchternheit einträgt und unerwartete neue Fragen stellt.”

Die auf den folgenden sechzig Seiten ausgebreiteten Befunde und Reflexionen sind zu reichhaltig und komplex, um hier referiert zu werden. Die Frage nach dem Schlachtort muß weiterhin als offen gelten, denn selbst wenn die Funde in Kalkriese mit dem Geschehen des Jahres 9 n. Chr. zu verbinden wären, sei der Verlauf der Vernichtung des Varusheeres nicht genau zu bestimmen. Tritt man einige Schritte zurück, so bleibt die Frage noch den Zielen, Mitteln und Erfolgen der römischen Politik in Germanien spannend, ferner die nach möglichen Gründen für den Aufstand sowie nach dessen Stellenwert im historischen Prozeß insgesamt. „Insgesamt erwies sich die Einschätzung des Tiberius als tragfähig: Große Kriege und Aufstände blieben in den folgenden Jahrzehnten aus, die Kaiser konnten sich entscheiden, die germanischen Dinge entweder laufen zu lassen oder in Germanien Kriegsruhm zu suchen. Dass Germanien nicht romanisiert wurde, ist nicht gleichbedeutend mit einem Scheitern der römischen Politik.”

Die nachantike Rezeptionsgeschichte spart Timpe weitgehend aus; auf ihren oft seltsamen Wegen hat sie überwiegend Kuriositäten produziert. Gewiß, auch die Varusschlacht ist ohne ihre Spiegelungen und Verzerrungen nicht zu haben, doch diese zu erforschen braucht es eher Ausdauer im Finden und Rubrizieren als Scharfsinn in der Reflexion. In dem genannten Sammelband finden sich Skizzen zum Bild der Varusschlacht in der Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts, zum Schlachtort in der historischen Erinnerung seit dem Mittelalter und zu den Ausgrabungen in Kalkriese, die zu einem neuen Aufmerksamkeitsschub führten. Die Suche nach dem Ort des Kampfgeschehens begann mit Christian Gottlieb Clostermeiers Schrift „Wo Hermann den Varus schlug” (1822). Die Ausgrabungen in Kalkriese seit 1989 befeuerten die alten Diskussionen u.a. deshalb, weil mit der Gründung der „Varusschlacht im Osnabrücker Land GmbH – Museum und Park Kalkriese” eine neue Institution auf den Plan trat, in der sich wissenschaftliche Forschung, geschichtskulturelle Übertragung und kommerzielle Interessen mischten. Das provozierte Widerspruch, sowohl aus der Fachwissenschaft wie von den Lokalpatrioten im Lipper Land rund um das Hermannsdenkmal.

Überwiegend nur noch exorzistisch wird heute auf den einstigen germanenkundlichen und germanentrunkenen Kontext der ‘Hermannsschlacht’ verwiesen. Gleichwohl bleibt es interessant nachzuvollziehen, wie sich die Darstellung der Germanen zwischen Kaiserreich und NS-Zeit in den Schulbüchern wandelte und welche Faktoren in diesem Prozeß wirksam waren. Ein Aufsatz breitet das auf fast neunzig Seiten aus. Noch lange standen die traditionell an der Hermeneutik und dem Individualitätsprinzip ausgebildeten Schulhistoriker der Vor- und Frühgeschichte mit ihren z.T. naturwissenschaftlichen Argumenten skeptisch gegenüber. Doch die Germanische Altertumskunde galt als eine junge, aufstrebende Wissenschaft; sie hatte erfolgreiche Lobbyisten und unterstützende Denkfiguren auf ihrer Seite, so die Idee einer Kontinuität ‘der Deutschen’ von der Steinzeit bis in die Gegenwart und die ursprungsmythische Vorstellung, alle historische Dynamik sei von Wanderungsschüben aus dem Norden ausgelöst, zuletzt und am wichtigsten in der germanischen Völkerwanderung (ex septentrione lux). Archäologische Quellen zur historischen Rekonstruktion heranzuziehen erschien nunmehr unverzichtbar und modern; deren ethnische Deutung, d.h. die Identifizierung von Völkern aus Artefaktgruppen, war en vogue. Gegen die verbreitete Ansicht von einer weitgehenden Kontinuität, ja Einheit nationalistischer, völkischer und rassistischer Ideologeme im Geschichtsunterricht über die Germanen von Wilhelm II. zu Hitler wird hier allerdings auf Differenzierungen geachtet und werden markante Schübe und Ungleichzeitigkeiten herausgearbeitet.

Zwei weitere Aufsätze des etwas zufällig so zustandegekommenen Sammelbandes sind der Hollywood-Antike gewidmet. Tatsächlich dürften Land der Pharaonen (1955) und Die Zehn Gebote (1956) über Jahrzehnte das Bild vieler Menschen vom Alten Ägypten maßgeblich geprägt haben. Die Ägyptologin Heidi Köpp untersucht die Präsentation der Realien in beiden Epen und kommt zu einem überraschend positiven Fazit: Die Zehn Gebote vermittelt demnach „ein illustratives Bild des ägyptischen Neuen Reiches, das in dieser Tiefe und Anschaulichkeit bis heute unerreicht ist”. Altklug ließe sich hier natürlich einwenden, die Autorin gehe damit einem Kniff des Historienfilms auf den Leim: Genauigkeit im antiquarischen Detail erzeugt eine Aura der Authentizität, die von der Handlung nicht eingelöst werden kann. Sicher. Aber man sollte von einem Ochsen nicht mehr als Rindfleisch erwarten. Der Spielfilm muß seiner eigenen Logik und den Sehgewohnheiten seiner Zeit gehorchen, um überhaupt hinreichend Aufmerksamkeit zu erzeugen und dann – vielleicht – den einen oder anderen eigenen Akzent setzen zu können (wofür allerdings, zugegeben, in diesem Genre der Spielraum noch geringer war und ist als in anderen).

Krešimir Matijević schließlich nimmt sich Wylers Ben Hur (1959) im Vergleich zur Romanvorlage von Lew Wallace vor, wobei letztere deutlich besser wegkommt als die Verfilmung. Der materialreiche Aufsatz unterstreicht auch erneut, wie viele ‘Köche’ ihre Löffel im großen Topf hatten, den eine solche Verfilmung darstellt. So erinnert sich der vor einigen Wochen verstorbene Schriftsteller Gore Vidal, der beauftragt war, das Drehbuch für diesen „prächtigen Schund” zu überarbeiten, an einen eigenen Akzent: Während Kaiser Tiberius im Roman kein Teil der Handlung ist, erscheint er im Film immerhin als Randfigur. „Ich konnte wenigstens den ernsten Tiberius des Tacitus präsentieren und nicht die lächerliche Karikatur Suetons. Mein Tiberius ähnelte dem hart arbeitenden, aber völlig nutzlosen Vorstandvorsitzenden einer miserablen Autofirma wie Chrysler.” Ob das stimmt? Spätestens Ostern im nächsten Jahr wird es vermutlich wieder Gelegenheit, es zu überprüfen.

 

Dieter Timpe, Die „Varusschlacht” in ihren Kontexten. Eine kritische Nachlese zum Bimillennium 2009, in: Historische Zeitschrift 294, 2012, 593-652

Rainer Wiegels, Karl H.L. Welker (Hgg.), Verschlungene Pfade. Neuzeitliche Wege zur Antike. Verlag Marie Leidorf GmbH, Rahden 2011. 239 S., einige Abb., geb, € 29,80.

Eine studentische Webseite mit Studien zu Historienfilmen und einer umfangreichen Literaturliste findet sich hier.

von Uwe Walter erschienen in Antike und Abendland ein Blog von FAZ.NET.

Quelle: http://blogs.faz.net/antike/2012/10/08/varus-und-ben-hur-ein-update-394/

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