Wissenschaft oder praktischer Nutzen? Botanische Gärten und Pflanzer auf Ceylon 1881

von Michael Offermann 

Im Frühjahr 2013 nutzte ich meinen Erasmus-Aufenthalt am Queen Mary College der University of London dazu, in den Londoner Archiven nach Quellen für meine Masterarbeit zu suchen. Schon länger war mir klar, dass ich etwas über das britische Netzwerk botanischer Gärten in Südasien schreiben wollte. Ein Hinweis meines Betreuers brachte mich dazu, mich auf Ceylon (Sri Lanka) zu konzentrieren. Seit 1830 waren dort Kaffeeplantagen entstanden, auf denen 1869 der Kaffeerost ausbrach, wodurch innerhalb von nur 15 Jahren der Kaffeeanbau auf Ceylon zusammenbrach. Der örtliche botanische Garten in Peradeniya und seine Londoner Zentrale Kew Gardens versuchten den Pflanzern zu helfen, doch konnten kein effektives Gegenmittel gegen die Pflanzenkrankheit entwickeln. Infolgedessen schwenkten die Pflanzer auf Tee um, für den Ceylon heute bekannt ist.

John Ferguson: Ceylon in the Jubilee Year. With an Account of the Progress Made Since 1803, and of the Present Condition of its Agricultural and Commercial Enterprises, 3. Aufl., Colombo 1887, S. 60, https://archive.org/details/ceyloninjubilee00ferggoog.

John Ferguson: Ceylon in the Jubilee Year. With an Account of the Progress Made Since 1803, and of the Present Condition of its Agricultural and Commercial Enterprises, 3. Aufl., Colombo 1887, S. 60, https://archive.org/details/ceyloninjubilee00ferggoog.

Mich interessierte ob und wie die Pflanzer und die botanischen Gärten angesichts der Krise, die der Kaffeerost auslöste, zusammenarbeiteten. Gab es eine einträchtige Kooperation, oder Konflikte zwischen Wissenschaftlern und Pflanzern? Im Archiv von Kew Gardens stieß ich auf eine Gruppe von Quellen, die mir die unterschiedlichen Interessen der britischen kolonialen Akteure vor Augen führten. Es handelt sich um Briefe, die der von Kew nach Ceylon gesandte Wissenschaftler Harry Marshall Ward an den Direktor Kews William Thiselton-Dyer sandte. Nach zwei Jahren auf Ceylon, äußert sich der Wissenschaftler genervt über die unwissenschaftlichen Spekulationen in der Presse und die Borniertheit der Pflanzer:

‘Coffee-leaf disease’ begins to stink in my nostrils! I cannot disguise the fact that I shall be very glad to get out of this; it will be no end of a relief to talk to a man with higher & better ideas than the usual Coffee planter or Colonial Civilian […] & I wonder if a newspaper can be possibly conducted on honourable principles, all of wh[ich] facts will convince you that it is not mere home-sickness that renders me sick of coffee.1

Kaffeerost

Kaffeerost verursacht durch den Pilz Hemileia vastatrix, in Rwanda 2001. Quelle: Wikimedia Commons, Foto: Smartse, CC-BY-SA

Während Marshall Ward sich vorrangig für die wissenschaftliche Erforschung des Rostpilzes interessierte, verlangten die Pflanzer schnelle, effektive und günstige Mittel, die die Krankheit auf den Plantagen eindämmen sollten. Als klar wurde, dass die botanischen Gärten diese Hilfe nicht würden liefern können, waren die Pflanzer enttäuscht. Der Leiter des botanischen Gartens in Ceylon, Henry Trimen fasste die Lage auf der Insel so zusammen:

The planters expect to make enormous profits & when they are merely making reasonably ones, they are making a great outcry. As a class the planters, who will take anything that is given them, without thanks & as a right, will not act together except in opposing things given to any other class of the community. […] Here [Ceylon] it is against a pushing & energetic set of men who care for nothing else in life but making money as quickly as possible that they may leave the country. Against the most sordid & shortsighted jealousy of all that is not “practical” I have to keep up an attitude of steady persistence.2

Statt eines oft angenommenen reibungslosen Zusammenspiels von botanischer Wissenschaft und Kolonialismus, kam es während der Kaffeekrise auf Ceylon zu einem Interessenskonflikt zwischen den kolonialen Akteuren. Beide Gruppen hofften auf je eigene Weise vom „kolonialen Projekt“ zu profitieren: die Pflanzer durch Profite, die Wissenschaftler durch Forschung, die ihre wissenschaftliche Karriere befördern sollte und so nur in Ceylon möglich war. Ich habe durch dieses Beispiel erfahren, wie fragil und widersprüchlich koloniale Herrschaft sein konnte und wie häufig unerwartete Probleme „on the spot“ die Pläne der Akteure durchkreuzten.

Michael Offermann arbeitet momentan als Doktorand bei der SNF-Förderprofessur von Stephan Scheuzger “Die globale Produktion und Zirkulation des Wissens von Strafe und sozialer Kontrolle” am Historischen Institut der Universität Bern. In seinem Dissertationsprojekt geht es um transnationale Wissenszirkulationen über Strafen und Gefängnisse zwischen Großbritannien und Britisch-Indien im 19. Jahrhundert.
Er hat Geschichte und Politikwissenschaft in Heidelberg und London studiert. Seine Masterarbeit, die er 2013 in Heidelberg eingereicht hat, beschäftigte sich mit der Kooperation von Pflanzern und Botanikern auf Ceylon 1869-1885.

  1. Kew Gardens Archive, Miscellaneous Reports Ceylon 5.21, Coffee Diseases 1871–1887, fol. 306v., Harry Marshall Ward an William Thiselton-Dyer, 9.2.1881
  2. Kew Gardens Archive, Director’s Corespondence, vol. 163, fol. 246, Henry Trimen an William Thiselton-Dyer, 25.3.1881.

Quelle: http://openblog.hypotheses.org/63

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