Krieg um Kreta

Die Beratungen und Sondierungen auf dem Friedenskongreß wurden im Sommer 1645 durch ein neues Thema bereichert: „Es hetten die Türckhen albereit in Candia [= Kreta; M.K.] ein statt eingenommen undt contra datam fidem alles darinnen unbarmhertzig nidergehawen.“ So hatte es der päpstliche Nuntius den kurbayerischen Gesandten mitgeteilt (Bericht an Kurfürst Maximilian vom 3.8.1645, in: Die diplomatische Korrespondenz Kurbayerns zum Westfälischen Friedenskongreß, Bd. 2: Die diplomatische Korrespondenz Kurfürst Maximilians I. von Bayern mit seinen Gesandten in Münster und Osnabrück, Teilband 2: August – November 1645, bearb. v. Gabriele Greindl und Gerhard Immler (Quellen zur Neueren Geschichte Bayerns, 2/2), München 2013, S. 352). Die Invasion starker osmanischer Truppen auf Kreta im Juni 1645 war tatsächlich ein Ereignis, das europaweit für Aufsehen sorgte. Wie waren die Vorgänge einzuschätzen, und wie ging man in Münster mit dieser Nachricht um?

Auf den ersten Blick möchte man an das übliche Spiel mit den Stereotypen denken, wie es vom Nachrichtenwesen auch schon in dieser Zeit virtuos gespielt wurde. Die Hinweise auf gebrochene Zusagen und die Unbarmherzigkeit der Kriegführung bedienten sicherlich vorhandene Reflexe, die sich um die Begriffe der „Türkengefahr“ rankten. Doch ging es hier gar nicht so sehr um einen vielleicht sogar wohligen Grusel angesichts grausiger Neuigkeiten von einem weit entfernten Kriegsschauplatz im östlichen Mittelmeer.

Vielmehr wurde diese Nachricht sofort in die laufenden diplomatischen Aktivitäten einsortiert und für bestimmte Zielsetzungen instrumentalisiert. So hatten die bayerischen Gesandten sicher gern vom allgemeinen Friedensappell des Papstes an die anderen Mächte nach München berichtet, zumal der päpstliche Gesandte vor allem den französischen Vertretern die „pericula Europae“ vor Augen geführt habe (ebd.). Denn die kurbayerische Seite war in diesen Wochen und Monaten sehr um einen allgemeinen Waffenstillstand bemüht; zu groß waren die Belastungen des Kriegs, zu vage die Aussicht auf militärischen Erfolg. Entsprechend bezogen sich die bayerischen Gesandten, als sie Anfang August wieder mit den Franzosen verhandelten, auch auf den osmanischen Angriff auf Kreta und machten daraus ein Argument in eigener Sache: Wie könne man es vor Gott verantworten, wenn in Deutschland katholische und gehorsame Fürsten und Stände angegriffen und verfolgt würden, während der Erbfeind der Christenheit jede Gelegenheit habe, „in Europam einzuebrechen […] unnd alle unmenschliche tyranney zu verüben“? (Bericht an Maximilian vom 8.8.1645, ebd. S. 359).

Wenn es weiter hieß, daß man besser die Truppen nicht bei den Kämpfen im Reich verwenden, sondern sie gegen die Osmanen führen sollte, stand dahinter durchaus ein altbekannter Gedanke: Die Einigkeit der Christen sollte der Verteidigung gegen die osmanische Bedrohung zugute kommen. Ähnliche Gedanken waren schon in früheren Jahren des Dreißigjährigen Kriegs immer wieder einmal aufgekommen; sie lassen sich etwa bei Wallenstein, Tilly, Pappenheim oder bei Père Joseph nachweisen. Teilweise schien dahinter durchaus eine gewisse Kreuzzugsromantik durch, doch hier ging es – eigentlich sehr durchsichtig – um etwas ganz anderes: Bayern wollte dringend ein Ende der Kämpfe im Reich. Und wenn die Türkengefahr ein weiteres Argument bot, um das Ziel eines armistitium zu befördern, griff man in den Verhandlungen eben auch Nachrichten aus dem Türkenkrieg auf: Das Schicksal Kretas ging in diesem Fall auch den Gesandten in Münster sehr nahe.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/445

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