Einladung zum 9. Berliner DH-Rundgang am 13. Mai 2015

Der Interdisziplinäre Forschungsverbund Digital Humanities in Berlin (ifDHb) lädt zum 9. Berliner DH-Rundgang ein:

Termin: Mittwoch, 13. Mai 2015, 10:00(s.t.)-11:30 Uhr.
Institut: Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft.
Ort: Oberwallstraße 9, 10117 Berlin, 6. OG.

Zur Anmeldung zum 9. Berliner DH-Rundgang.

via Larissa Wunderlich:

Das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft erforscht die dynamische Beziehung von Internet und Gesellschaft aus verschiedenen disziplinären und interdisziplinären Perspektiven. Die Forschungsagenda des Instituts unterstreicht die zunehmende Verflechtung digitaler Infrastrukturen mit dem alltäglichen Leben. Unser gemeinsames Ziel ist es, die fortwährende Veränderung des Internets und seiner Dienste zu betrachten. Den Schwerpunkt setzen wir dabei auf kritische Momente und strukturelle Verschiebungen. Wir verstehen uns als Plattform für Forscher im Bereich Internet und Gesellschaft und fördern die kooperative Entwicklung von Projekten, Anwendungen und Forschungsnetzwerken. Durch unterschiedliche Formate teilen wir unsere wissenschaftliche Arbeit mit der interessierten Öffentlichkeit, einschließlich politischer Akteure, Zivilgesellschaft und Wirtschaft.

Die Digital Humanities stellen die Verknüpfung geisteswissenschaftlicher Fragestellungen mit Instrumenten aus der Informatik dar. Durch Verfahren wie Textmining, Netzwerkanalyse und Maschinenlernverfahren können klassische Forschungsgegenstände der Geisteswissenschaften auf neue Art und Weise und unter Berücksichtigung großer digitaler Datenmengen systematisch untersucht werden. Digitale Archive und Museen machen Kulturgüter zunehmend mit innovativen Techniken digital zugänglich und eröffnen so neue Möglichkeiten für Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Das Internet spielt hierbei eine entscheidende Rolle.

Durch das Internet ergeben sich neue Möglichkeiten der Interaktionen mit digitalen Kulturgegenständen jeglicher Art (etwa in der sog. “virtual citizen science”), für Wissenschaftler und interessierte Laien gleichermaßen. Zudem erweitert sich aber auch das Verständnis dessen, was digitale Kulturdaten sind, durch das Internet entscheidend. Zu Digitalisaten kommen die Texte, Bilder, Videos und Websites hinzu, die in den sozialen Medien generiert werden und die Aufschluss darüber geben, wie Menschen online kommunizieren, Informationen weitergeben und sich kreativ darstellen. Es ergeben sich methodisch zum Teil starke Konvergenzen mit den Sozialwissenschaften, etwa bei Verfahren wie dem Textmining, welches politische Haltungen in der Gegenwartskommunikation ebenso einfangen kann, wie Themen in historischen Korpora. Medieninhalte, die heute in den sozialen Medien generiert werden, sind für die Digital Humanities ebenso relevant wie digitalisierte Kulturgüter, schon allein deshalb, weil sie Darstellungsformen nutzen, mit denen die Geisteswissenschaften sehr vertraut sind (Sprache, Bilder, Ton).

Folgende Fragen werden uns inhaltlich bei diesem Berliner DH-Rundgang leiten:

  1. Welche technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen spielen im Umgang mit digitalen Kulturgütern eine Rolle?
  2. Wie kann das Internet für die Interaktion mit digitalen Kulturgütern in Archiven und Museen eingesetzt werden?
  3. Welche Bedeutung hat das Internet für die Bürgerwissenschaft (“virtual citizen science”)?
  4. Wie lassen sich innovative computergestützte Verfahren effektiver in der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung einsetzen?

Programm

  • 10:00 Uhr: Begrüßung (Prof. Dr. Jeanette Hofmann, Direktorin des HIIG)
  • 10:15 Uhr: Was haben Internet und Gesellschaft mit den Digital Humanities zu tun? (Dr. Cornelius Puschmann)
  • 10:35 Uhr: Open Science und die Humanities (Benedikt Fecher)
  • 10:45 Uhr: Internet Policy Review (Frédéric Dubois)
  • Im Anschluss: Rundgang durch das Haus

Zum Vormerken:
Gastgeber des 10. Berliner DH-Rundgangs am 29. Juni 2015, von 16:30-18:00 Uhr, ist das Institut für Informatik / AG Netzbasierte Informationssysteme an der Freien Universität Berlin.

Sie wollen Ihre Institution bei einem Berliner DH-Rundgang vorstellen? Dann schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail an info@ifdhberlin.de oder nehmen Sie telefonisch Kontakt zu uns auf.

Alle Termine des Berliner DH-Rundgangs finden Sie auf der Website: www.ifdhberlin.de/arbeitsfelder/dh-rundgang.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4987

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Wenn Physiker Voynich-Forschung betreiben

Nein, das geht hier gar nicht gegen Physiker im Allgemeinen – das könnte ich mir schon allein deswegen nicht erlauben, weil ich mit zwei von ihnen das Kneipenlog gegründet habe. Der Titel ist nur eine Anlehnung an den Artikel von Ben Zimmer, der Anfang des Jahres im Boston Globe erschien (“When physicists do linguistic”) und in dem recht anschaulich dargestellt wird, dass Fachfremdheit nicht immer ein Vorteil sein muss. Ich las mal die Anekdote, dass die Soziologin, die gewisse Dinge nicht erklären kann, diese an die Biologin weiterreicht. Was die Biologie nicht erfassen kann, wird an die Chemie delegiert. Die Chemikerin schließlich nimmt alles, was nicht in ihr Modell passt und schanzt es der Physikerin zu, die dann leider niemanden mehr hat, an den sie Unklarheiten weitergeben kann.* So ist es nicht weiter verwunderlich, dass das Voynich Manuskript (VMS, ich schrieb schon mehrfach darüber), mittlerweile schon über 100 Jahre völlig unverstanden, inzwischen auch bei den Physikerinnen gelandet ist, die es nun mit ihren Methoden untersuchen. Das ist auch gar nicht so falsch, das Lustige am Voynich-Manuskript ist ja, dass jede|r daherkommen und irgendwelche Analysen anstellen kann – schließlich sind bisher noch nicht wirklich viele Fortschritte geleistet worden, auf die man sich irgendwie beziehen müsste (man verzeihe mir den Sarkasmus).

So sind kürzlich gleich zwei wissenschaftliche Studien erschienen, die relativ ähnlich geraten sind (schließlich stecken hinter beiden Autoren aus der Physik, man verzeihe mir auch noch, dass ich sie hier beide in einen Topf werfe), von denen die eine aber ein sehr viel höheres Maß an Aufmerksamkeit erhielt – inklusive BBC-Bericht, Spiegel-Online-Artikel, Klaus Schmehs Kryptologieblog usw. Das lag wahrscheinlich daran, dass sie in der inzwischen (erfreulicherweise) sehr renommierten Open Access Zeitschrift PLOS ONE erschienen ist.1 Sie ist damit Peer Reviewed, was für die andere Studie, die bei ArXiv.org hochgeladen wurde, offenbar noch nicht gilt.2

Beide Studien untersuchen den Text des VMS, indem sie informationstheoretische Maße auf ihn anwenden. Das ist tatsächlich auch eine gute Idee, schließlich entband Claude Shannon den Informationsbegriff von allem semantischen Ballast, so dass man den Informationsgehalt einer Nachricht (hier des VMS-Textes) auch untersuchen kann, wenn man keinen Plan hat, was deren Inhalt ist. Ein Großteil der Experimente meiner Dissertation hatten genau diese Zielrichtung, jetzt machen das also ein paar Physiker.

Voynich Manuscript (178)

Drei der Seiten aus dem “geheimnisvollsten Manuskripts der Welt”

Und, was finden die Herren (ja, dem Namen nach sind das ausschließlich Herren) Physiker so heraus? Dass die untersuchten informationstechnologischen Maße (die Autoren der PLOS-ONE-Studie untersuchen gar nur eins) dafür sprechen, dass der VMS-Text eine Nachricht enthält und keine sinnlose Aneinanderreihung von Phantasiewörtern ist. Woraus schließen sie das? Daraus, dass die Eigenschaften des VMS-Text eher mit denen von Texten natürlicher Sprachen vergleichbar sind, als mit

  • einem Text, verfasst in der Programmiersprache Fortran
  • Pilz-DNA (beides PLOS-ONE-Studie) oder
  • computationell erzeugten Zufallsfolgen (ArXiv-Studie).

Ach. Wer hätte gedacht, dass etwas, das von einem Mittelalter/Frühneuzeitmenschen geschrieben wurde (die Außerirdischentheorie lasse ich mal außer acht), eher einer natürlichen Sprache als verschriftlichen Algorithmen, einer computergenerierten Zufallsfolge oder der Basenabfolge von Pilz-DNA entspricht?

Dass am Ende mit Schlussfolgerungen, die weitestgehend daneben sind, so geklingelt wird, ist wirklich ärgerlich. Die beiden Studien sind teilweise wirklich innovativ, die Ergebnisse wären allerdings sehr viel besser als Grundlage für weitere Forschungen nutzbar, wenn die durchgeführten Experimente vielleicht irgendwo mit Software und Daten zugänglich wären. Tut mir leid, dass ich da so oft drauf hinweise. Aber es wird einfach nicht besser, auch wenn alle Welt von Open Science redet. Die Art, wie im PLOS-ONE-Artikel die betreffenden Formeln für die Berechnung versteckt werden, halte ich persönlich auch für eine Frechheit. Wenn schon die Schlussfolgerungen für die Tonne sind, hätte man hier bei mir einige Punkte holen können.

So aber muss ich den Autoren ihre Werte entweder glauben oder die Formeln zusammensuchen, selbst implementieren und am Ende wahrscheinlich feststellen, dass ich andere Werte herausbekomme. Ich hätte auch keinen Plan, welche Transkription ich denn verwenden soll, beide Studien verweisen darauf, dass sie mit der “EVA-Transkription” arbeiten. Das ist allerdings nur das Transkriptionsalphabet, darin sind mehrere Transkriptionen unterschiedlicher Voynich-Forscher verfasst, die teilweise stark voneinander abweichen. Sie sind in einem Archive-File zusammengefasst, das, wenn man es falsch ausliest, für völlig wirklichkeitsfremde Ergebnisse sorgt. Weshalb ich mich darum sorge? Weil die Autoren teilweise eine beängstigende Unkenntnis an den Tag legen, was Spracheigenschaften angeht. Ein Beispiel aus der ArXiv-Studie: Es gibt die Vermutung, dass der VMS-Text in einer Kunstsprache verfasst ist, deswegen vergleichen wir seine Eigenschaften mal mit Esperanto. Zamenhofs Esperanto ist aber eine synthetische Sprache a posteriori, also nach natürlichsprachlichem Vorbild angelegt. So eine Kunstsprache unterscheidet sich fast gar nicht von natürlichen Sprachen. Beim VMS-Text gibt es die Vermutung, er basiere auf einer Kunstsprache a priori, die abweichend von natürlichsprachlichen Vorbildern entworfen wurde (da schreibe ich auch mal was zu). Die Untersuchung von Esperanto ist also genauso irreführend wie sinnlos. Es gibt noch eine Menge Punkte mehr, die ich ansprechen könnte, aber der Post ist eh schon zu lang. Glaubt nur Statistiken, die ihr selbst gefälscht habt. Oder denen, die ihr reproduzieren könnt.

Ja, da hat der Hermes aber wieder viel zu mosern, werdet ihr jetzt wohl sagen. Weshalb reicht er denn nicht einfach mal selbst was ein? Und ja, da habt ihr Recht. Ich werde nach dem Semester wohl mal einen Versuch wagen, meine P.III-Hypothese in einem englischsprachigen Magazin unterzubringen. Mit Daten und Experimenten. :)

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1 [Montemurro MA, Zanette DH (2013): Keywords and Co-Occurrence Patterns in the Voynich Manuscript: An Information-Theoretic Analysis. PLoS ONE 8(6): e66344.]

2 [Diego R. Amancio, Eduardo G. Altmann, Diego Rybski, Osvaldo N. Oliveira Jr., Luciano da F. Costa: Probing the statistical properties of unknown texts: application to the Voynich Manuscript. arXiv:1303.0347]

* Noch eine wichtige nachträgliche Ergänzung eines Twitter-Kollegen, nebst meiner Antwort:

 

 

Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/939

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