Aus der “Fluchtkiste” ins WWW: Einblicke in die rheinischen Adelsarchive auf Schloss Ehreshoven

Gängige Archivklischees von schmucklosen Archivräumen und einer eher amtsstubenmäßigen Atmosphäre werden auf Schloss Ehreshoven in Engelskirchen im bergischen Land nicht bedient. Und auch die hier archivfachlich professionell durch den Landschaftsverband Rheinland verwahrten Bestände der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. können als durchaus außergewöhnliche „Fundgrube“ für Historiker bezeichnet werden. Grund genug, sie im Ansschluss an die Online-Stellung der Netzbiographie zum Fürsten und Altgrafen Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck in einem Blogbeitrag vorzustellen…

Zugegeben: Es gibt tristere Orte, die ein Historiker auf der Suche nach den entscheidenden Quellen für seine Arbeit mitunter aufsuchen muss. Vor den vom Wassergraben gespiegelten Mauern des Schlosses Ehreshoven waiden im Sommer auf sattgrünen Wiesen zottelige Hochlandrinder. Nicht selten kommt es vor, dass der sich unerschrocken dem beeindruckenden Steintor nähernde Besucher Kamerateams ausweichen muss, die hektisch gestikulierend darum bemüht sind, Schauspieler ins rechte Licht zu rücken.

Schloss Ehreshoven, Außentor

Außentor des Schlosses Ehreshoven in Engelskirchen bei Overath mit Blick auf das Schloss (Foto/Rechte: Hans-Werner Langbrandtner).

Es besteht also kein Zweifel daran, dass auch das altehrwürdige Ehreshoven, dessen Geschichte bis in das Jahr 1355 zurückverfolgt werden kann, in der Moderne angekommen ist. War das Schloss vom Spätmittelalter bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts im Besitz der rheinischen Grafenfamilie von Nesselrode-Ehreshoven, so beheimatet es heute ein adeliges Damenstift der Rheinischen Ritterschaft. Die Produktion der öffentlich-rechtlichen Vorabendserie “Verbotene Liebe”, die hier in Teilen produziert wird, hat das Schloss auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht (zu diesen und weiteren Informationen siehe Homepage Stift Ehreshoven)

Die langersehnte Auflösung des „Cliff-Hangers“ wartet für (Kunst-)Historiker allerdings in einem Seitenteil der Vorburg. Hier werden die Archivbestände der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. archivfachlich durch das Archivberatungs- und Fortbildungszentrum des Landschaftsverbands Rheinland (AFZ-LVR) betreut und verwahrt. Die Bestände umfassen dabei derzeit allein auf Ehreshoven 21 Familienarchive so bekannter Adelsfamilien des nördlichen Rheinlands, wie der Grafen Wolff Metternich zur Gracht, der Grafen von Hoensbroech, der Freiherren von Fürstenberg, der Freiherren Geyr von Schweppenburg oder der Freiherren von und zu Gymnich. Darüber hinaus sind 29 weitere Adelsarchive am Wohnort der jeweiligen Familien benutzbar. Da es sich um Privatarchive handelt, ist eine vorherige Anmeldung bzw. Benutzungsanfrage über das AFZ erforderlich. Eine Übersicht der Bestände, die auch als pdf-Datei auf den Seiten des AFZ  abrufbar ist, gibt hierüber erste Auskunft.

Die Eingangs des Magazins ausgestellte „Fluchtkiste“ aus dem 17. Jahrhundert, in der einst das Archiv der Grafen Wolff Metternich zu Gracht verwahrt und bei Gefahr zum Stadtpalais in Köln geflüchtet werden konnte, kann nur kurz von den eigentlichen Dimensionen der Archivregale ablenken, deren Inhalt noch auf Jahrzehnte hinaus Material für wissenschaftliche Forschungen bieten dürfte.

Archivkiste Gracht

“Fluchtkiste” des Grachter Archivs aus dem 17. Jahrhundert im Magazin der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. auf Schloss Ehreshoven (Foto/Rechte: Hans-Werner Langbrandnter).

 

Archivregale Ehreshoven Langbrandtner

“Laufende Meter” – Archivregale im Magazin der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. auf Schloss Ehreshoven (Foto/Rechte: Hans-Werner Langrbrandtner).

Was erwartet den Benutzer konkret in den Beständen? Bereits ein Blick in die diversen im AFZ in der Abtei Brauweiler einsehbaren Findbücher der Einzelarchive offenbart ein breites Quellenrepertoire. Neben mittelalterlichen Urkunden, Kataster-, Rechnungs- und Tagebüchern aus der Frühen Neuzeit finden sich durchaus zahlreiche „moderne“ Quellen zur Adelsgeschichte wie Fotografien und Briefwechsel des frühen 20. Jahrhunderts. Die Einblicke, die für Historiker über diese hier nur ansatzweise skizzierten Deposita in die adligen Lebenswelten möglich sind, sind somit zeitlich ausgreifend. Vergleichende Fragestellungen auf Grundlage des hier vorhandenen Archivmaterials sind somit über die in der Netzbiographie vorgestellte schillernde Person des Fürsten und Altgrafen Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck hinaus denkbar.

Archiv Dyck Ehreshoven

Front eines Archivregals im Magazin der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. auf Schloss Ehreshoven mit Blick auf Dycker Archivquellen (Foto/Rechte: Hans-Werner Langbrandtner).

Auch abseits rein adelsgeschichtlich ausgerichteter Fragestellungen sind die Bestände auf Schloss Ehreshoven beachtenswert. Durch die mannigfaltige Einbindung des Adels in landesherrliche Herrschafts- und Verwaltungsangelegenheiten über Krisenzeiten wie die der Französischen Revolution von 1789 hinweg und seines hieraus resultierenden, ausgreifenden personalen Netzwerks, lassen sich auch Erkenntnisse zu gänzlich anders gelagerten Fragestellungen generieren. Auch hier können die diversen Beiträge der Netzbiographie als erstes Beispiel dienen, die ausgehend von genuin adelsgeschichtlichen Fragestellungen (Elisabeth Schläwe, Der junge Graf als Reiseliterat auf Kavalierstour), über kunsthistorische (Martin Wolthaus, Die Ahnengalerie der Altgrafen und Fürsten zu Salm-Reifferscheidt-Dyck), gendergeschichtliche (Elisabeth Schläwe, Die Mutter – Augusta Maria von Truchsess Zeil-Wurzach), militärgeschichtliche (Florian Schönfuß, Offizier der preußischen Landwehr), wissenschaftsgeschichtliche (Rita Hombach, Botaniker) sowie netzwerkanalytische (Gudrun Gersmann, Postrevolutionäre Netzwerke) Zugriffe bereits einige mögliche Perspektiven aufzeigen.

Aus Sicht online-affiner Historiker ist zudem zu begrüßen, dass sich neben der Familie der Grafen Wolff Metternich zur Gracht, Eigentümer des im Zuge der Netzbiographie ausgewerteten Archivs Schloss Dyck, auch andere archivbesitzende Familien des rheinischen Adels offen gegenüber einer wissenschaftlichen Aufbereitung von Archivdokumenten im „WWW“ zeigen.

In Ergänzung zu den Befunden der Netzbiographie sollen zukünftig im Blog „Rheinischer Adel – Ein geschichtswissenschaftlicher Forschungsblog“ ausgewählte Dokumente zu verschiedensten Facetten der Adelsarchive in Transkription vorgestellt werden. Ausdrücklich willkommen sind hierbei auch Gastbeiträge, gerne auch zu adelsgeschichtlichen Themen abseits des Rheinlandes.

Ob es abgesehen von Schloss Ehreshoven ebenfalls derartig idyllische und ertragreiche Arbeitsstätten für Adelshistoriker gibt? Hinweise werden mit Spannung erwartet!

Martin Otto Braun

Für die Bereitstellung der Fotografien aus den Archivräumen sowie Informationen zu den Beständen der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. bedanke ich mich recht herzlich bei Dr. Hans-Werner Langbrandtner, Ansprechpartner für die Adelsarchive in Ehreshoven und wissenschaftlicher Archivar des Archivberatungs- und Fortbildungszentrums des Landschaftsverbands Rheinland in der Abtei Brauweiler.

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/480

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