Wer hat noch nicht, wer will mal?

Mit dem Bloggen ist das ja so eine Sache. Man hadert und zaudert – und hinterher fragt man sich, warum man nicht schon viel früher damit begonnen hat.

Das Zögern und Zaudern ist im Wissenschaftskontext sicher noch ausgeprägter als beim privaten Bloggen, auch und gerade beim Nachwuchs. Generell wird die Kultur des Arbeitens im stillen Kämmerchen an vielen Lehrstühlen hartnäckig bewahrt; hie und da hört man Warnungen über drohenden Ideenklau – und überhaupt, die Zeit ist knapp.

Ziel des OpenBlog

Was will das OpenBlog des geisteswissenschaftlichen Blogportals de.hypotheses? Wissenschaftlern und fortgeschrittenen Studierenden die Möglichkeit bieten, in einer qualitätsgesicherten, wissenschaftlichen Umgebung den großen Zeh in den Bloggingsee zu halten.

Ohne gleich ein eigenes Blog gründen und dauerhaft betreiben zu müssen, können Sie hier einzelne Blogposts aus Ihrem Forschungsbereich publizieren. Über Ihre Masterarbeit, über die Suche nach Ihrem Dissertationsthema, über die Entstehung Ihres “Second Books”, über eine Idee oder Entdeckung, die keinen Platz in Ihrer Qualifikationsarbeit findet, aber dennoch mitteilungswürdig ist – oder, oder, oder.

Erste Blogerfahrungen sammeln – es ging doch bisher auch ohne?

Nein, über Ihr Forschungsthema vor der Einreichung oder einer geplanten Druckveröffentlichung online zu schreiben, bedeutet keine erhöhtes Risiko, “plagiiert” zu werden. Das Gegenteil ist der Fall. Ihr Thema, Ihr Gedanke, Ihr Forschungsimpuls wird damit frühzeitig, öffentlich sicht- und jederzeit zitier- und belegbar mit Ihrem Namen und dem Publikationsdatum des Blogposts verknüpft.

Was aber noch viel wichtiger ist: Sie befördern Ihr Forschungsvorhaben, je früher Sie beginnen, darüber zu schreiben: Bloggen hilft, Gedanken zu sortieren, Material zu strukturieren, Untersuchungsziele zu priorisieren. Und, not to forget: sich mit anderen am Thema Interessierten zu vernetzen. “Networking” ist keine leere Worthülse, sondern eine essenzielle Voraussetzung wissenschaftlichen Arbeitens. Hinweise und Impulse von außen, von Kollegen, die man mitunter erst durch das Bloggen erreicht, sind erst das – wie soll man sagen? – Backpulver im Teig, den man jahrelang vor sich hinknetet.

“… da draußen ist jemand?”

Erstes Blogpost, zweites Blogpost. Irgendwann eines, auf das eine Antwort kommt, und dann noch eine. Darf Wissenschaft Spaß machen? Ja, sie darf Spaß machen. Und das Gefühl, dass jemand da draußen zuhört und sich für die eigenen Gedanken interessiert, macht eben – neben aller Nützlichkeit für die Sichtbarkeit der eigenen Forschung – auch Spaß. Also, virtuelle Bleistifte gespitzt!

Wie es geht.

Quelle: http://openblog.hypotheses.org/16

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Soziale Medien und die Professionalisierung der Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert

revue_histo1Für einen Vortrag im Rahmen der leider im Internet fast unsichtbaren Tagung „Den Krieg erzählen / Raconter la guerre” über Darstellungsverfahren in Historiographie und Literatur nach den Kriegen von 1870/71 und 1914/18 am 7./8. Juni 2013 an der Universität Stuttgart beschäftigte ich mich mit der Professionalisierung der Geschichtswissenschaft vor allem in Frankreich am Ende des 19. Jahrhunderts. Das Thema wird im Handbuch „Verfeindung und Verflechtung: Deutschland und Frankreich 1870-1918“, an dem ich aktuell gemeinsam mit Elise Julien arbeite, ebenso eine (kleine) Rolle spielen.

Wie bekannt und gut erforscht ist, führte Frankreich bereits in den 1860er Jahren, vor allem aber nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 eine Standardisierung, Professionalisierung und Neustrukturierung der Geschichtswissenschaft an Universität und Schule durch1 . Dabei orientierte man sich zumindest teilweise am „deutschen Modell“, das im internationalen Kontext damals als vorbildlich galt. Gemeint war damit nicht nur die universitäre Lehre, die in Deutschland in Seminaren durchgeführt wurde, die nur für Studierende zugänglich waren und in denen eine entsprechende Arbeitsatmosphäre herrschte. Gemeint war auch die Art und Weise der Geschichtsschreibung, die sich vom bis dahin dominierenden romantisierenden und literarischen Stil lossagte und nach dem Vorbild Rankes streng methodisch in Anlehnung an die Regeln der empirischen Forschung archivgestützte Arbeiten schrieb. In der Folge änderte sich das Verhältnis zur Öffentlichkeit und zum Publikum: Zum einen waren die interessierten Bürger nun von den bis dahin öffentlichen Vorlesungen ausgeschlossen. Zum anderen schrieb man explizit als Experte für andere Experten und grenzte sich damit entschieden von den „Amateuren“ ab.

Eine wichtige Rolle für die Festlegung von Standards spielten ebenso die Fachzeitschriften, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gegründet wurden. Im Rezensionsteil wurde von ihnen die Qualitätssicherung übernommen, indem Standards der veröffentlichten Bücher überprüft und kritisiert wurden. Die Abfassung der Beiträge im Artikelteil erfolgte „im Rahmen vereinbarter sprachlicher Normen und fachspezifischer Rituale (Zitate, Kommentare etc.)“2. Und weiter liest man bei Lutz Raphael:

Dabei haben Redaktionen faktisch die Definitionsmacht darüber, wie ein Fachaufsatz im jeweiligen nationalen bzw. nationalsprachlich geprägten Historikerfeld auszusehen hat, welche Dichte an archivalischen Belegen, welche Breite fachwissenschaftlichen Kontextwissens notwendig, welcher Sprachstil angemessen und welcher Fachjargon von Vorteil ist.

Ja, leider, mag man aus heutiger Sicht hinzufügen. Überhaupt dürfte jedem, der sich mit Blogs und Sozialen Medien in der Wissenschaft beschäftigt, zahlreiche Bezüge zur Gegenwart aufgefallen sein: Denn zum einen sind viele der damals eingeführten Standards samt ihrer Effekte noch heute gültig und spürbar (Sprachstil, Abgrenzung von der Öffentlichkeit und den Amateuren, Rolle der Zeitschriften). Zum anderen wird deutlich, wie sehr die Nutzung von Blogs und anderen sozialen Medien genau gegen diese damals als neuralgisch für eine Professionalisierung wahrgenommenen Punkte gehen, was nicht zuletzt den großen Widerstand erklären dürfte, den die sozialen Medien hervorrufen.

Sicherlich wäre es lohnenswert, dem Thema ausführlicher nachzugehen, könnte man so vielleicht mit einigen überkommenen Vorstellungen aufräumen. „Wissenschaft bleibt Wissenschaft“, lautete neulich eine der fünf Thesen von André Donk in einem Beitrag “Forschungskultur digital? Fünf Thesen zur Digitalisierung der Geistes- und Sozialwissenschaften” bei L.I.S.A. Dagegen lässt sich argumentieren, dass Wissenschaft nicht immer die Wissenschaft von heute war, sondern vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu dem gemacht wurde, was sie heute ist. Daraus abgeleitet besteht die Hoffnung, dass sie sich weiter entwickelt, dann nämlich, wenn die Community das einfordert oder auch, indem sie Tatsachen schafft und andere Kommunikations- und Publikationswege nutzt, wie es ja in Teilen bereits geschieht. Und so erhält der folgende Absatz, publiziert 2003, heute aus meiner Sicht dann seine Gültigkeit, wenn man gedanklich die Wörter “Zeitschrift” und “Periodika” durch “Blog” ersetzt:

Zeitschriften waren und sind zum einen Trendsetter, verbreiten neue Konzepte und neue Forschungsergebnisse. Dank dieser Funktion sind sie sensible Beobachtungsposten für Veränderungen in der Berufspraxis der Historiker. Zum anderen lassen sich vor allem in den älteren und an ein breites Fachpublikum gerichteten Periodika im langfristigen Vergleich die Kontinuitäten und Beharrungskräfte in einem Historikerfeld untersuchen. Die Geschichte der modernen Geschichtswissenschaft ist insofern ohne eine gründliche Kenntnis der wichtigsten Fachzeitschriften  nicht mehr denkbar, dennoch ist der Forschungsstand auf diesem Gebiet leider höchst unbefriedigend3.

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Abbildung: Titelbild der ersten Ausgabe der Revue Historique, 1976, bei Gallica.

  1. Vgl. z.B. Gabriele Lingelbach, Klio macht Karriere: die Institutionalisierung der Geschichtswissenschaft in Frankreich und den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2003.
  2. Lutz Raphael, Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme : Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003, S. 37
  3. Ebenda, S. 37-38

Quelle: http://19jhdhip.hypotheses.org/1227

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