Arbeit mit Genealogischen Quellen: Ein Erfahrungsbericht zur Transkription einer Abgabenliste des Stiftes Asbeck

 

Unsere kleine Sommerserie zu den genealogischen Quellen erfährt hier eine Ergänzung. Was macht man, wenn man eine  Quelle im Archiv findet? Wie geht man vor? Die Höhen und Tiefen in diesem Bereich erläutert anschaulich der Text der beiden  Studenten Richard Lüdicke und Simon Schneider, die hier bei uns im LWL-Archivamt eine solche Quelle fanden.

Von Malter, Ergänzungen und falschen Signaturen – ein Erfahrungsbericht zur Transkription einer Abgabenliste des Stiftes Asbeck (von Richard Lüdicke und Simon Schneider)

 

Coe.H_5_VorderseiteEine institutionsübergreifende Zusammenarbeit zwischen Universität und Archiv ist ein in der freien Forschungswildbahn viel zu selten zu beobachtendes Schauspiel. Studenten und Archivare findet man leider noch zu selten im gleichen Habitat. Wie kann man nun diese beiden Spezies zusammenzuführen, die Studierenden an der Expertise der Archivare teilhaben lassen und schließlich mit den handgeschriebenen Quellen in Kontakt bringen? Im Rahmen einer Transkriptionsübung mittelalterlicher Quellen bei Prof. Dr. Sita Steckel, Juniorprofessorin an der WWU Münster mit einer innigen Vorliebe für mittelalterliche Handschriften, kam ein kleines Projekt zu Stande. Es ging darum, eine Abgabenliste des Zehntes des Stiftes Asbeck (Kreis Coesfeld) aus dem späten 13. Jh. zu transkribieren. Bereit gestellt wurde besagte Liste freundlicherweise als Scann durch Dr. Antje Diener-Staeckling, Referentin im Archivamtes in Münster, das u.a. im Rahmen der Übung besucht wurde. Dieser Herausforderung stellten sich also die Studierenden Simon Schneider für die Vorderseite und Richard Lüdicke für die Rückseite der Liste. Es gelang ihnen, den Text der Quelle nahezu vollständig zu erfassen und sämtliche Abkürzungen aufzulösen, lediglich die Eigennamen der abgabenpflichtigen Höfe, einige Stellen mit Radierungen und die sehr kleinen, zwischen den Zeilen hinzugefügten Nachträge bereiteten Probleme.

Nach einer gewissen Recherche gelang es, das mittelalterliche Wirtschaftsvokabular und damit den Inhalt der Quelle zu erschließen. Besondere Probleme bereitete dabei das im klassischen Latein nicht vorhandene Wort „malcium“ für die mittelalterliche Maßeinheit „Malter“ (ca. 12 Scheffel). Als besonders wertvoll erwies sich dabei die Dissertation von Heinz Gobel von 1997: „Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes der Datenverarbeitung bei der Erschließung historischer Quellen am Beispiel der Entwicklung des Grundbesitzes und der Abgaben des Stiftes Asbeck.“ Über diesen Titel wurden die Studierenden dann aber leider auf eine bereits 1907 von Franz Darpe im sechsten Band des „Codex Traditionum Westfalicarum“ edierte Version der Quelle aufmerksam. Damit wurde eine angedachte, mögliche Veröffentlichung der Ergebnisse hinfällig.  Ein Vergleich der eigenen Arbeit mit der Edition ergab aber dennoch einige interessante Verwicklungen. Darpe hat 1907 nicht die seit der Übernahme des Stiftsarchives 1805 durch die Wild- und Rheingrafen von Salm-Horstmarsch bis heute übliche neue Signatur verwendet, sondern die alte Stiftssignatur, die noch auf dem Dokument selbst vermerkt war. Dadurch musste die Edition zunächst im Verborgenen schlummern, ehe sie, geweckt mit Hilfe der Dissertation, wieder ihre Bestimmung als aufbereitete Gebrauchsvariante der Abgabenliste erlangen konnte. Die Studierenden konnten auch feststellen, dass Darpe getreu der Umkehr des Mottos „aus den Augen, aus dem Sinn“, also, „aus dem Sinn, aus den Augen“, nur das ediert hat, das für ihn auch Sinn ergeben hat. Auch wenn er damit vieles erfasst hat, so gehen doch zahlreiche zusätzliche Informationen, besonders unterhalb des eigentlichen Haupttextes der Vorderseite, in der Edition verloren.

Diese Nachträge können einerseits zeitlich erst später hinzugekommene Zehnteinkünfte und damit sonst nicht überlieferte Einnahmequellen darstellen. Andererseits geben sie über die Veränderung der Namen der einzelnen Güter Aufschluss: So wurde beispielsweise das „alta domus“ im Kirchspiel Coesfeld später „Hosekink“ (oder ähnlich) genannt, was aus Darpes Edition nicht hervorgeht. Diese Erfahrungen verdeutlichen, dass man den Quelleneditionen besser mit einem gewissen Misstrauen begegnen sollte, ein Blick auf das Original auf jeden Fall nicht schaden kann. Momentan arbeiten viele Archive emsig wie die Bienchen an der Digitalisierung ihrer Bestände, sodass ein kurzer Abgleich mit dem Original deutlich unkomplizierter möglich ist – wenn denn die Edition zur Quelle die richtige Signatur führt.

 

 

Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/1005

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