Seit einigen Monaten tobt in Frankreich eine heftige Debatte um Open Access für geisteswissenschaftliche Zeitschriften. Auslöser war die Empfehlung der Europäischen Kommission im Zusammenhang mit dem Programm Horizon 2010 im Juli 2012, dass Forschungsergebnisse, die mit öffentlichen Geldern gefördert wurden, sechs bis zwölf Monaten nach Erscheinen frei zugänglich sein sollten[1]. Während die Diskussion in Deutschland vor allem über das Zweitveröffentlichungsrecht von wissenschaftlichen Aufsätzen läuft (siehe z.B. den lesenswerten Beitrag von Leonhard Dobusch hier), haben sich in Frankreich Akteure mit ganz unterschiedlichen Sichtweisen seit Anfang des Jahres zu Wort gemeldet.
Die Debatte begann im Januar 2013, als sich die französische Wissenschaftsministerin Geneviève Fioraso auf den 5. Open-Access-Tagen in Paris in ihrer Rede für eine Umsetzung der EU-Empfehlung aussprach. In der Folge wandten sich die Verantwortlichen des von vier Verlagen aufgesetzten Portals für geisteswissenschaftliche Zeitschriften Cairn.info Anfang Februar per Mail an die herausgebenden Institutionen ihrer Zeitschriften. Sie plädierten für eine spezielle Schutzfrist für die Geisteswissenschaften, die so lange, wie von Verlagen und Herausgebern gewünscht, hinter der Paywall bleiben sollten. Ein Treffen wurde einberufen, bei dem ein dunkles Zukunftsszenario entworfen wurde, für den Fall, dass die Empfehlung umgesetzt würde. Trotz des Appells der Open-Access-Befürworter wie OpenEdition, die ihrerseits Ende März zu einer großen Debatte über Open Access einluden, die man hier nachhören kann, unterschrieben bis Anfang April 120 Zeitschriften den Appell von Cairn.info.
Kurz darauf erschien Mitte März in der Zeitung Le Monde ein Aufruf von über 60 Vertreterinnen und Vertretern aus Hochschule und Forschung, die sich für Open Access aussprachen und vor einer Isolierung der Geisteswissenschaften warnten, wenn diese als einzige Disziplin die EU-Empfehlung nicht umsetzen würden. Der Aufruf mit dem Titel “Qui a peur de l’open access?” (Wer hat Angst vor Open Access?”) ist jetzt auf Deutsch veröffentlicht: Argumente für Open Access von Forschungsergebnissen. Die zugehörige Website und Petition “I love Open Access” hat ihrerseits bis Ende April 2.898 Unterschriften (darunter 153 Zeitschriften) gesammelt und sammelt noch weiter. Bei Twitter kann man den OA-Befürwortern unter @iloveopenaccess folgen.
Die Debatte in Frankreich wird emotional geführt: Begriffe wie “Angst” und “Liebe” zeigen das deutlich, teilweise ist gar von “Krieg” die Rede. Woran liegt das? Die Diskussion selbst ist ja nicht neu und wird geführt, seit es die technischen Möglichkeiten zur schnellen und kostenlosen Verbreitung von Forschungsinhalten gibt[2]. Doch die Situation ist komplexer geworden auf der Suche nach dem “richtigen” Weg zum Open Access: grün, gold, platin?
In Frankreich wird stärker als in Deutschland mit Modellen zur Finanzierung von OA experimentiert. Dem Modell, dass der Autor, Förderer oder Institutionen bezahlen, wurde beispielsweise das Freemium-Modell von OpenEdition an die Seite gestellt. Dabei sind im Bereich der Zeitschriften bei revues.org die html-Seiten der ejournals frei im Netz verfügbar. Bibliotheken werden dagegen kostenpflichtige Abonnements angeboten, um ihrer Leserschaft pdf und andere Formate dieser Zeitschriften anbieten zu können. Das so eingenommene Geld fließt zu über 60% an die Zeitschriften zurück, die damit oft zum ersten Mal überhaupt Geld einnehmen. Auf diese Weise können gerade die kleineren Zeitschriften, die zumeist nur aufgrund der Selbstausbeutung einzelner Wissenschaftler/innen existieren, Hilfe für die Redaktionsarbeit bezahlen. Das Modell geht jetzt gerade in das zweite Jahr, 60 Bibliotheken – hier auf einer Karte – haben das Angebot abonniert. Eine erste Bilanz steht noch aus. Entscheidend scheint mir, dass neue Wege ausprobiert werden, die berücksichtigen, dass Open Access von edierten Inhalten etwas kostet.
Vermutlich wird die Debatte jetzt auch emotional geführt, da Open Access “von oben” oktroyiert werden könnte und nicht mehr nur eine freie Entscheidung einzelner Akteure ist.[3]. Das löst Widerstände aus. Dem rhetorischen Griff “Wer hat Angst vor Open Access?” liegt die Annahme zugrunde, dass es keine sachlichen Gründe gegen Open Access geben kann und daher nur Emotionen den Ursprung des Widerstands bilden können. Das ist interessant. Und abgesehen von manchen Verlagen, die als wirtschaftliche Unternehmen nur ein Ziel kennen, nämlich den Ertrag, könnte das sogar stimmen. Aber wie begegnet man Angst? Genau, mit Liebe (I love Open Access). Ob das jedoch zielführend ist in dem Sinne, dass man damit Open Access-Gegner in Befürworter umdrehen kann, wage ich zu bezweifeln.
Doch vielleicht zeigt die Aktion ihre Wirkung auf die dritte Gruppe (die vermutlich die größte ist): die Unentschlossenen, die sich heraushalten und diejenigen, die sich bisher noch nicht oder nur wenig mit der Thematik auseinandergesetzt haben. Für die gibt es neben der “Liebe” in der Petition auch Aufklärung und gute Argumente für Open Access. Grund genug also, die Petition zu unterzeichnen und auf die Aktion aufmerksam zu machen, auch wenn einem die Rhetorik dahinter zunächst nicht gefällt.
Links und weitere Artikel
Website und Petition “I love Open Access”
Sabine Partouche, Francois Siino, What’s love got to do with Open Access? Un débat sur l’accès libre aux revues de sciences sociales, in: Carnets de l’Iremam, 23.4.2013, http://iremam.hypotheses.org/2529#_ftn5.
Klaus Graf, Open Access hat Zukunft, in Archivalia, 29.3.2013, http://archiv.twoday.net/stories/326527179/.
Radiosendung “La grande table”: Les revues de Sciences Humaines et Sociales, peuvent-elles se permettre d’etre gratuites? von Caroline Broué auf France Culture. Mit André Gunthert, Mathieu Potte-Bonneville und Antonio Casilli, Les revues de Sciences Humaines et Sociales peuvent-elles se permettre d’être gratuites ?
Podcasts der Tagung von OpenEdition auf dem Blog Docteo: http://speakingofscience.docteo.net/2013/03/27/open-access-en-shs-lintendance-suivra/
- Englische Fassung der Petition http://www.ec-petition.eu/
- Was Open Access ist und warum es wichtig ist, kann man z.B. auf der deutschen Website “Open Access” nachlesen.
- Auch die Wissenschaftsminister der G8-Länder haben sich kürzlich für Open Access ausgesprochen: https://www.gov.uk/government/news/g8-science-ministers-statement
Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/1630